01.07.2001

“Wir möchten eine offene, enttabuisierte Diskussion”

Interview mit Günter Graumann

Interview mit Günter Graumann, Gründer der PID-Betroffenen-Initative.

Novo: Was ist das Ziel Ihrer Organisation?

Günter Graumann: Wir haben unsere Initiative als betroffenes Paar gegründet, um uns besser in die derzeitige Diskussion über die Präimplantationsdiagnostik einklinken zu können. Hier werden im Zuge der gesellschaftlichen Debatte wichtige Entscheidungen über die Möglichkeiten der Medizin der Zukunft getroffen. Unsere Sorge ist, dass dabei die Interessen und Bedürfnisse der eigentlich medizinisch Betroffenen nicht genügend berücksichtigt werden.

Wer gehört Ihrer Initiative an?

 Wir befinden uns zurzeit noch in der Gründungsphase. Wir bekommen erstaunlich viel Resonanz. Ich erhalte zurzeit fast täglich Post von Personen, die von einer Entscheidung für oder gegen die PID direkt betroffen wären. Ich habe z.B. gerade mit einer Mutter gesprochen, die ein körperlich und geistig schwer behindertes Kind hat, das sich nicht bewegen kann und ständiger ärztlicher Kontrolle bedarf. Sie liebt das Kind sehr, wünscht sich aber ein weiteres, gesundes Kind. Sie hat große Angst, eine erneute Schwangerschaft einzugehen, da ein weiteres Kind mit einer derartig starken Behinderung ihre Kräfte übersteigen würde.

Sollte die PID nur für Paare zugelassen werden, die bereits Kinder mit schweren genetischen Krankheiten haben, oder generell im Rahmen der In-vitro-Fertilisation Anwendung finden, um die Erfolgsaussichten einer künstlichen Befruchtung zu verbessern?

Wenn ein Paar zur IVF greift, um damit eine Schwangerschaft herbeizuführen, dann hat dies medizinische Gründe: Eine spontane Schwangerschaft kann offensichtlich nicht zustande kommen. Aber auch nach einer künstlichen Befruchtung durch die IVF tritt häufig, trotz wiederholter Anwendung, keine Schwangerschaft ein. Hier ist die Medizin gefragt. Es gibt zahlreiche mögliche Ursachen. Probleme, die nicht auf genetische Defekte zurückzuführen sind, sollten ausgeschlossen werden, bevor man zu einer PID greift. Oft liegt das „Problem“ jedoch in einer genetischen Fehlfunktion der befruchteten Eizelle, und diese kann nur durch eine PID ermittelt werden. Dies kann auch auf Fälle zutreffen, bei denen es zu mehrfachen Fehlversuchen im Rahmen einer IVF kam, ohne dass es hierfür erkennbare Gründe gibt. Die PID gehört hierbei zu einer umfassenden medizinischen Diagnose einfach dazu.

Bedeutet die PID nicht eine unzulässige Selektion von Embryonen, die in der Natur so nicht vorkommt?

Hält man im Rahmen der PID eine befruchtete Eizelle zurück, die in sich bereits den „Keim des Todes“ trägt, ist dies keine Selektion. Man erspart der Frau lediglich eine (oder eine weitere) Fehlgeburt. Es gibt jedoch auch Fälle, bei denen nicht sicher gesagt werden kann, ob eine Behinderung eintreten wird bzw. wie schwer diese sein wird. Solche Grenzfälle (Grauzonen) gibt es schon heute häufig bei der Pränataldiagnostik. Bei der PID wird die Diagnose, die im Laufe einer Schwangerschaft im Rahmen der so genannten Pränataldiagnostik (Ultraschall, Fruchtwasseruntersuchung) durchgeführt wird, um einige Wochen vorverlegt. Häufig entscheiden sich Eltern, denen eine mögliche Behinderung ihres Kinder vorhergesagt wurde, für das Austragen der Schwangerschaft. Manchmal fällt die Behinderung bei dem dann geborenen Kind weniger stark aus als befürchtet. Das ist schön und Anlass für große Freude bei den Eltern. Wichtig ist bei dieser Problematik das elterliche Entscheidungsrecht. Die Eltern müssen die Energie investieren, die das Leben mit einem möglicherweise behinderten Kind kostet. Gerade in solchen Fällen ist es von großer Bedeutung, dass die Eltern möglichst umfassend über die bestehende Schwangerschaft aufgeklärt werden. Ärztlicher Rat und Informationen über Art und Höhe des Risikos sind unbedingt notwendige Voraussetzung für eine informierte Entscheidung der Eltern.

PID-Gegner geben immer wieder zu bedenken, dass es kein „Recht“ auf ein gesundes Kind geben kann.

Natürlich gibt es kein Recht auf ein gesundes Kind, genauso wenig, wie es überhaupt ein Recht auf ein Kind gibt. Umgekehrt gilt jedoch auch, dass in einer rechtsstaatlichen Demokratie niemand das Recht hat, Menschen den Wunsch nach einem Kind zu verwehren. Der Kinderwunsch ist in unserer Gesellschaft ein natürlicher Wunsch. Kinder zu bekommen gehört oftmals zu unserer Lebensplanung dazu. Jedes strafrechtliche Verbot, welches Menschen die Verwirklichung eines so natürlichen Wunsches wie die Gründung einer Familie verwehrt, erfordert eine höhere Legitimierung. Diese Legitimierung fehlt bis heute.

Manche Kritiker der PID befürchten einen Missbrauch dieser Technik, z.B. durch eine breit angelegte Anwendung, bei der sich Eltern den für sie „besten Embryo“ nach genetischen Gesichtspunkten aussuchen können.

Die PID muss von medizinischen Fachkräften durchgeführt werden. Um Missbrauch zu verhindern, könnte es eine neutrale Expertengruppe geben, die bereits als Vorinstanz für die Entscheidung, ob eine PID durchgeführt werden sollte, fungiert. Dies ist nicht nur zur Verhinderung von Missbrauch wichtig, sondern auch, weil Eltern oft vor schwierigen Entscheidungen stehen und fachliche sowie eventuell auch psychologische Beratung benötigen. Die Entscheidungsfreiheit der Eltern sollte gestärkt werden, aber es spricht nichts gegen eine enge Zusammenarbeit von Eltern und Experten. Sollten Paare tatsächlich aus ungerechtfertigten Gründen eine PID wünschen (z.B. um die Augenfarbe ihres Kindes vorherzubestimmen), würde dies bereits im Vorfeld durch die Expertengruppe unterbunden werden.

Sollte die Methode zugelassen werden, wird sie wohl langsam, aber sicher breitere Anwendung finden. Die Pränataldiagnostik war in den 70er-Jahren eine große Ausnahme. Heute gehören Ultraschalluntersuchungen zu jeder Schwangerschaft. Auch eine Fruchtwasseruntersuchung wird bei Frauen ab 35 Jahren fast routinemäßig durchgeführt. Sehen Sie eine Gefahr darin, dass dies bei der PID in Zukunft auch der Fall sein wird?

Es wird oft argumentiert, dass Paaren – oder Frauen – die Autonomie genommen wird, wenn die PID Pflicht wird. Dies halte ich jedoch für eine wenig stichhaltige Befürchtung. Wieso sollte die Methode jemals „Pflicht“ werden? Auch die Pränataldiagnostik ist nicht Pflicht. Frauen wird die Autonomie genommen, wenn ihnen per Gesetz verboten wird, mit medizinischer Hilfe eine Schwangerschaft einzugehen oder wenn ihnen wichtige Informationen über diese Schwangerschaft vorenthalten werden. Frauen werden nicht gezwungen, während ihrer Schwangerschaft Vorsorgeuntersuchungen vorzunehmen. Die meisten tun es, weil sie es für wichtig und sinnvoll erachten. Es ist auch falsch, zu behaupten, dass jede Frau, die vor der Entscheidung steht, ein möglicherweise behindertes Kind auszutragen oder abzutreiben, sich leichtfertig für die Option Abtreibung entscheidet. Das Ja oder Nein zu einem eventuell behinderten Kind gehört zu den schwersten Entscheidungen eines Paares überhaupt, und die Praxis zeigt, dass die meisten Eltern ihre Entscheidung sehr wohl und sehr intensiv durchdenken.

Was glauben Sie, wie sich die gegenwärtige Diskussion auf die Entscheidung hinsichtlich der PID auswirken wird?

Die Debatte über die PID wird zurzeit leider nicht sachlich differenziert geführt. Eine vernünftige, informierte Diskussion wird durch eine oft pauschalisierte, ideologisierte Darstellung des Sachverhaltes überschattet. Es ist unerheblich, ob dieser ideologische Überbau in unserer Tradition verankert ist: Er darf nicht als Entschuldigung für das Verbot der PID herangezogen werden. Es kann nicht sein, dass bestimmte Wertvorstellungen dazu dienen, über Fakten einfach hinwegzusehen. Wir möchten eine offene, enttabuisierte Diskussion.

Vielen Dank für das Gespräch.

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