26.06.2009

Wie Landwirtschaftsministerin Aigner die Wissenschaften drangsaliert

Von Thomas Deichmann

Wissenschaftler bestreiten erneut die Gründe für das deutsche Anbauverbot für den gentechnisch veränderten Mais Mon810. Offenbar wurde der Erlass entgegen der Empfehlungen des zuständigen Bundesamtes durchgesetzt.

Nach eingehender Prüfung des Verbotsbescheids und Bewertungen der wissenschaftlichen Literatur sind nun auch drei französische Wissenschaftler – Agnès Ricroch (AgroParisTech), Jean Bergé (INRA) und Marcel Kuntz (CNRS) – zu dem Ergebnis gelangt, dass keine wissenschaftliche Rechtfertigung für das vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) verhängte Anbauverbot (http://www.bvl.bund.de/cln_007/nn_491658/DE/08__PresseInfothek/00__doks__downloads/mon__810__bescheid.html) für den gentechnisch veränderten Mais Mon810 vorliegt – die Sorte verfügt über eine gentechnisch erzeugte Resistenz gegen Fraßschädlinge. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung sind im Juni unter dem Titel „Is the German suspension of MON810 maize cultivation scientifically justified?“ in der Fachzeitschrift „Transgenic Research“ publiziert worden. Der Text ist auch online verfügbar (http://www.springerlink.com/content/r6052757667ng364/fulltext.pdf).

Durch diese Arbeit erhärtet sich der Verdacht, dass das von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) am 14. April 2009 verhängte Anbauverbot ein politisch motiviertes Manöver war und die von ihr genannten „wissenschaftlichen“ Begründungen nur vorgeschoben waren. Die neue französische Studie liefert weitere Hinweise darauf, dass das Mon810-Verbot entgegen der wissenschaftsbasierten Fachbeurteilungen und Empfehlungen des dem BMELV unterstehenden Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) durchgesetzt wurde. Verdachtsmomente in diese Richtung gab es unmittelbar bei Bekanntwerden des Erlasses, weil die vollstreckenden BVL-Mitarbeiter darin ausdrücklich (und in dieser Form ungewöhnlich) betonten, dass sie sich auf Gründe gemäß der „Vorgabe des Fachaufsicht führenden Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“ stützten.

Im von Monsanto angestrengten Gerichtsverfahren wurden weitere Dokumente präsentiert, die diese Interpretation bestätigen. So liegt ein elfseitiger schriftlicher Aktenvermerk eines BVL-Referatsleiters vom 16. April 2009 vor. In diesem Vermerk wird, unter ausführlicher Bezugnahme auf die vom BMELV angeführten Studien zur Rechtfertigung des Anbauverbots, die These eines neu entdeckten Risikos beim Mon810-Anbau zurückgewiesen.

Das BMELV war in der Verbotsbegründung in weiten Teilen der sogenannten „BÖLW-Studie“ mit dem Titel „Lässt sich der Anbau von Gen-Mais Mon810 in Deutschland verbieten?“ (http://www.campact.de/img/gentec/docs/Studie_Verbot_MON810.pdf) gefolgt – einem Positionspapier, das am 2. April 2009 vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) und dem Kampagenverein Campact e.V. herausgegeben wurde. Im Gerichtsverfahren ist offenkundig geworden, dass das BVL auch diese Studie vor der Verhängung des Anbauverbots bewertete. In einem Schreiben an das BMELV vom 9. April 2009 heißt es zusammenfassend, dass „kein berechtigter Grund zu der Annahme bestehe, dass der Anbau von MON810 eine Gefahr für die Umwelt oder die menschliche oder tierische Gesundheit darstellt“. Im Fazit wird ausgeführt:

„Nach Auffassung des BVL liefert die BÖLW-Studie keine neuen Argumente in der Diskussion um die Sicherheit von MON810. Die BÖLW-Studie bezieht sich überwiegend auf bereits bekannte und bewertete wissenschaftliche Erkenntnisse zu potenziellen gesundheitsschädlichen uns umweltbezogenen Risiken von MON810-Mais. Die BÖLW-Studie zitiert lediglich fünf neuere Originalarbeiten, die zuvor nicht durch das BVL, die ZKBS oder die EFSA bewertet worden sind. Eine Prüfung dieser Originalarbeiten ergab, dass kein Anlass zu einer veränderten Risikobewertung von MON810-Mais besteht. Weiterhin ist festzuhalten, dass die BÖLW-Studie die Ergebnisse zahlreicher Forschungsaktivitäten wie bspw. der BMBF-Sicherheitsforschung oder dem EU-Projekt ECOGEN ignoriert. Damit stellt die BÖLW-Studie den Stand der Wissenschaft lückenhaft und einseitig dar.“

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg bewertete den Aktenvermerk des BVL-Referatsleiters und die BVL-Stellungnahme zur BÖLW-Studie als nicht ausschlaggebend für die Urteilsfindung. Die Beschwerde von Monsanto über das Anbauverbot wurde im Mai 2009 zurückgewiesen. Die Autoren der neuen französischen Studie gelangten nun zu einem ähnlichen Urteil wie die BVL-Wissenschaftler. In einer Stellungnahme erklärten sie gegenüber der Novo-Redaktion:

„Wir haben die im April 2009 von der Bundesregierung vorgebrachten Argumente geprüft … Ferner haben wir uns kritisch mit mutmaßlichen ‘neuen Erkenntnissen’ zum potenziellen Umwelteinfluss dieser Varietät als auch mit älteren Daten über Lepidopteren [Schmetterlinge], Wasser- und Bodenorganismen auseinander gesetzt, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurden. Wir zeigen, dass das Anbauverbot auf eine nicht erschöpfende wissenschaftliche Referenzliste gegründet ist.“

In ihrem Fachbeitrag erläutern sie, dass bei der Verbotsbegründung des BMELV von der weithin anerkannten Einzelfallprüfung Abstand genommen wurde. Stattdessen würden in den vom BMELV angeführten Studien sogar zwei verschiedene Maisvarietäten (Mon810 und Bt176) durcheinandergeworfen. Außerdem werde ohne weitere Begründung eine „potenzielle Gefahr“ in den Rang eines auf wissenschaftlichen Bewertungen gegründeten Risikos gestellt. Die drei Forscher aus Frankreich monieren, dass sich im deutschen Anbauverbot keine ausreichenden Hinweise auf mögliche Effekte auf Nicht-Zielorganismen unter Freilandbedingungen fänden. Der Fraßschädling Maiszünsler werde beim Anbau des Bt-Maises zwar wie gewollt erfolgreich im Zaum gehalten. Der Vergleich dieser Biotechnologie mit dem Einsatz herkömmlicher Pflanzenschutzmittel zeige jedoch, dass die Artenvielfalt beim Einsatz der Gentechnik geschont werde:

„Unsere Studie zeigt, dass das vorhandene Metawissen über Mais, der ein insektenwirksames Toxin Cry1Ab exprimiert (MON810 und andere Sorten), von der Bundesregierung, welche vielmehr bestimmte einzelne, mutmaßliche Studien zur Stärkung ihrer Ansicht gewählt hat, nicht beachtet wurde.“

Die Inkonsistenz des Anbauverbotes zeigt sich in den Augen der französischen Wissenschaftler auch daran, dass das BVL Mitautor des sogenannten „BEETLE-Berichts“ von 2007 war (http://ec.europa.eu/environment/biotechnology/pdf/beetle_report.pdf). Für dieses umfangreiche Dokument wurden die Erkenntnisse zur Umweltsicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen zusammengetragen. Laut Ricroch, Bergé und Kuntz widersprechen die dort präsentierten Ergebnisse den vermeintlichen Rechtfertigungen für das Mon810-Anbauverbot in Deutschland.


Von Thomas Deichmann ist kürzlich als Buch erschienen: “Warum Angst vor Grüner Gentechnik. Wie Fortschritt in den Biowissenschaften verhindert wird” (Halle 2009, http://www.projekte-verlag-shop.de/epages/61706427.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/61706427/Products/978-3-86634-693-2)

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