01.11.2005

Where is the Party??

Analyse von Mick Hume

Die Parteien der westlichen Welt sind durch die Bank schwach, führungslos und haben keine Bodenhaftung.

Gibt es irgendwo in Europa oder der westlichen Welt noch eine richtige politische Partei? Mit Blick auf die deutsche Bundestagswahl und die Parteitage in Großbritannien muss man diese Frage mit einem klaren „Nein“ beantworten. Nach wie vor existieren natürlich überall hoch entwickelte Parteiapparate. Tief in der Gesellschaft verwurzelt sind diese jedoch nicht mehr. Im Ringen um die Macht nach dem Urnengang bescheinigte ein ehemaliger CDU-Minister Berichten zufolge den Sozialdemokraten einen „Mangel an demokratischer Kultur“. Ein Vorwurf, der allerdings die gesamte politische Klasse trifft, und zwar nicht nur in Deutschland.



Das Ergebnis der Bundestagswahl bringt die Substanzlosigkeit der Parteien auf den Punkt. Keine hat gewonnen, keine konnte die Wählerschaft mobilisieren, so dass nun alle an den verheerenden Folgen zu knapsen haben. Die „große Koalition“ von SPD und CDU macht deutlich, dass jede erkennbare politische Linie abhanden gekommen ist. Zwar hat es nach dem Zweiten Weltkrieg nie eine große ideologische Vielfalt in der deutschen Politik gegeben. Kein Wunder, ein unter amerikanischer Besatzung ins Leben gerufenes Parteiensystem ist natürlich keine Brutstätte des Radikalismus. Aber welchen Inhalt dieses System auch immer gehabt haben mag, er hat sich nun endgültig verflüchtigt.


Was die Schwäche der Parteiensysteme angeht, so stößt man diesbezüglich überall in Europa eher auf Parallelen als auf Unterschiede. Man blicke nur nach Großbritannien, wo Ende September die jährlichen Parteitage stattfanden. Die zwei wichtigsten Oppositionsparteien, die Konservativen und die Liberaldemokraten, betrieben ausschließlich Nabelschau und zelebrierten ihre Selbstfindungsstörungen in aller Öffentlichkeit. Beide Parteien irren orientierungslos über die Meere der Politik und klammern sich schutzsuchend aneinander. Die konservativen Tories verstricken sich im internen Kampf um eine neue Führung auf ihrem führerlosen Parteiboot. Doch egal, wie das Ergebnis ausfällt: es wird nichts daran ändern, dass sie, genau wie die Liberaldemokraten, nicht einmal mehr wissen, wohin die politische Reise überhaupt gehen könnte.


New Labour steht scheinbar über den Dingen und dominiert die politische Szene. Aber man darf nicht vergessen, dass die Partei nur zufällig in dieser Position ist. Vor einigen Monaten hieß es noch, Tony Blair sei am Ende. Jetzt ist er von Ereignissen, die sich seiner Verantwortung entziehen – angefangen von den europäischen Referenden bis hin zu den Bombenanschlägen in London –, wieder an die Spitze katapultiert worden. Tatsächlich jedoch ist New Labour noch inhaltsleerer als die Opposition; die Partei ist eine schwächliche Versammlung von Egos und Cliquen, die kaum Rückfalloptionen hat und jederzeit durch widrige Umstände bloßgestellt werden kann.


Ein Blick in die Vereinigten Staaten von Amerika zeigt das gleiche Bild. Nach den Wahlen im November 2004 hieß es, die Republikaner unter Präsident Bush hätten eine Machtposition von historischer Stärke inne, da ihnen die Kontrolle über beide Häuser des Parlaments sicher sei. Zehn Monate später ist Bushs vermeintlich radikale Agenda vollständig festgefahren, sei es in Wirtschaftsfragen oder im Irak. Spätestens seit dem Hurrikan „Katrina“ ist der Mythos der republikanischen Hegemonie wie weggeblasen.
 

„Wir leben in einem Keinparteiensystem.“



Von Hegemonie kann auch die CDU nur träumen. Ihr „Wahlsieg“ war so mickrig, dass der konservative Traum, Angela Merkel könne eine „deutsche Maggie Thatcher“ werden, bereits ausgeträumt war, bevor sie zur Kanzlerin gewählt wurde. Der größte Unterschied zwischen „Angie“ und „Maggie“: Thatcher konnte eine stabile Wählerschaft mobilisieren und daher auch politische wie militärische Kriege gewinnen, sowohl im Ausland als auch zu Hause. Ein solches Kunststück wäre bei den heute in Europa vorherrschenden politischen Bedingungen unmöglich. Die politische Klasse ist zu verunsichert und risikoscheu, um resolut auftreten zu können. Daher kommen Versuche zur militärischen Lösung politischer Probleme – wie bei Bushs Abenteuer im Irak – schnell ins Wanken und machen die Situation nur noch schlimmer.


In der Vorstellung, Merkel hätte eine deutsche Thatcher werden können, liegt eine besondere Ironie. Die Wiedervereinigung Deutschlands fällt zusammen mit dem Untergang des Thatcherismus in Großbritannien. Das war mehr als bloßer Zufall. Der Zusammenbruch des Ostblocks zerstörte die alten Parteien der europäischen Linken, die dem Stalinismus und den Ideen des Staatssozialismus mehr oder weniger nahe standen. Binnen kurzer Zeit hat dieser desintegrierende Prozess auch die politische Erschlaffung der „siegreichen“ Parteien der Rechten bloßgestellt, die sich zur Kompensation ihres eigenen Ideenvakuums lange auf die Ideologie des Antikommunismus verlassen hatten. Heute, 15 Jahre später, ist die Leere der westlichen Parteipolitik ebenso offensichtlich, wie es die Hinfälligkeit des Sowjetsystems damals war.


In seinem neuen Buch The Politics of Fear: Beyond Left and Right beschreibt Professor Frank Furedi eine Situation, in der die Rechte nicht länger in irgendeinem bedeutungsvollen Sinn rechts ist, weil sie ihren konservativen Glauben an Tradition und Vergangenheit verloren hat, während die Linke nicht mehr wirklich links ist, weil sie ihre Verbindung zu Zukunft und Fortschritt aufgegeben hat. Stattdessen stecken beide wie paralysiert in der Gegenwart fest. In dieser Situation ist es egal, welche Partei genug Stimmen oder Koalitionspartner für eine schwache Regierung in Deutschland, Großbritannien oder sonst wo zusammenkratzt. Wir leben nicht mehr in einem Ein- oder Mehrparteiensystem, sondern in einem Keinparteiensystem, in dem die angeblichen politischen Führer vor der Mobilisierung der Wählerschaft ihrer Partei für den Kampf für ihre Interessen und ihre Weltanschauung zurückschrecken.


Wir können und wollen zu dem alten Parteiensystem nicht zurück. Aber den Schritt in eine neue, bessere Zukunft schaffen wir nur, wenn wir bereit sind, die Einzigartigkeit der heutigen politischen Konstellation anzuerkennen. Dies auch, um sicherzustellen, dass vorgeschlagene Alternativen nicht den „Mangel an demokratischer Kultur“ der Pseudoparteien von heute imitieren.

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