01.05.2002

“Wenn sie mich auspfeifen, dann tun sie das, weil sie mich fürchten.”

Analyse von Dominic Standish

Dominic Standish ist der Ansicht, dass Rassismus in italienischen Fußballstadien kein großes Thema ist.

Im August 2001 forderte die FIFA auf ihrer ersten Konferenz gegen Rassismus Funktionäre, Vereine und Verbände dazu auf, aktiv gegen Rassismus vorzugehen. Die Konferenz war eine Reaktion auf Berichte, denen zufolge schwarze Spieler in einigen europäischen Ligen nach wie vor Opfer von Rassismus seien. Die FIFA empfahl, dass Personen, die durch rassistische Parolen oder Plakate auffällig würden, Stadionverbot erhalten sollten.

Keith Cooper, der Pressechef der FIFA, erklärte, rassistische Fans seien zwar ein weltweites Problem, in Italien jedoch sei das Problem am größten: „Wir wollen erreichen, dass hier etwas geschieht. Vielleicht können Länder wie Italien etwas von Initiativen in anderen Staaten lernen.“

Während der Saison 2000/01 wurde der Rassismus in der italienischen Liga – und speziell bei Lazio Rom – wiederholt von der UEFA angeprangert. Lazios Verteidiger Mihajlovic musste sich öffentlich dafür entschuldigen, dass er in einem Champions-League-Spiel Patrick Viera von Arsenal London als „Nigger“ beschimpft hatte. In den Berichten über diesen Zwischenfall wurde allerdings selten erwähnt, dass, Mihajlovic zufolge, Viera ihn zuvor „Zigeuner“ genannt hatte. Für die meisten Sportjournalisten galt es als ausgemacht, dass Lazio und seine Fans Rassisten seien.

Gerade der englische Verband beklagt immer wieder den Rassismus italienischer Fans, speziell nachdem Emile Heskey während eines Freundschaftsspiels gegen Italien ausgebuht worden war. Fast könnte man meinen, dass englischen Fans dergleichen nie in den Sinn käme.

Anti-Rassismus scheint mittlerweile ein Markenzeichen des englischen Fußballs geworden zu sein. Einige britische Journalisten übersehen dabei gerne, dass Fußball auch in England nicht frei von Rassismus ist. Der Prozess gegen Jonathan Woodgate von Leeds United, dem vorgeworfen wurde, einen Studenten asiatischer Abstammung angegriffen zu haben, war nur der aktuellste Beleg.

Der italienische Fußball hat sich für Ausländer geöffnet, während die großen politischen Parteien eine immer restriktivere Politik gegen Ausländer vertreten.

Wie verbreitet sind rassistische Zwischenfälle im italienischen Fußball? Zweifellos gab es in den letzten Jahren zahlreiche Vorfälle dieser Art. In der Saison 1999/2000 vergraulten Fans von Treviso den Brasilianer Roberto Pelado, indem sie ihn ständig ausbuhten. Lazio-Fans wurden 2001 von einem Heimspiel ausgeschlossen, nachdem sie die schwarzen Spieler Cafu, Aldair und Zebina ausgebuht und Plakate mit antisemitischen Parolen ins Stadion gebracht hatten. Ähnliche Zwischenfälle wurden auch wiederholt bei Hellas Verona gemeldet.

Rassistische Parolen und Plakate sind ohne Frage unschön. Aber sollte man deswegen gegen Fans und Vereine vorgehen? Spieler, die das Ziel rassistischer Schlachtrufe waren, nehmen solche Zwischenfälle selten ernst. Matteo Ferrari, Spieler von Inter Mailand, weigerte sich, den Namen des Gegenspielers zu nennen, der ihn während einer Partei beleidigt hatte. Für ihn war „das nach dem Spiel erledigt. Er hat sich bei mir entschuldigt.“ Und der farbige Holländer Clarence Seedorf erklärte: „Wenn so etwas passiert, bin ich nicht weiter beleidigt. Mir tun diese Leute leid, sie müssen einen sehr niedrigen geistigen Horizont haben.“

Für Dino Zoff sind solche Zwischenfälle Teil des Provozierens und Höhnens, das im Fußball gang und gäbe ist. „Ich weiß nicht, ob man da wirklich von Rassismus sprechen kann. Es geht vor allem darum, die anderen zu verhöhnen. Die Fans werden sich immer jemanden als Zielscheibe aussuchen, sei er groß, klein oder grauhaarig.“

Wie man mit rassistischen Zwischenfällen auch umgehen kann, zeigten im letzten Jahr die Spieler von Treviso: Einige Fans hielten ein Transparent, auf dem stand: „Keine schwarzen Spieler in unserer Mannschaft.“ Nachdem der Nigerianer Omolade eingewechselt wurde, hatten diese Fans das Stadion demonstrativ verlassen. In der Woche nach dem Zwischenfall lief die Mannschaft von Treviso geschlossen mit geschwärzten Gesichtern auf. Und Omolade erzielte, kurz nachdem er eingewechselt wurde, ein Tor, das er seinen Teamgefährten widmete.

Wie aber verhält es sich mit Zwischenfällen, bei denen Menschen aus rassistischen Motiven angegriffen und verletzt werden? Im italienischen Fußball gab es in der letzten Zeit häufig Randale zwischen Fangruppen, beziehungsweise zwischen Fans und der Polizei. Dabei geht es allerdings selten um Rassismus. Immer wieder wurde ein Zwischenfall angeführt, bei dem ein 22-Jähriger ein Kind aus Sri Lanka rassistisch beschimpft und bedroht hatte. Der Angreifer trug ein Tattoo mit dem Adler von Lazio Rom. Der Zwischenfall spielte sich jedoch in einem Park ab und stand in keiner Verbindung zum Fußball.

Die Tatsache, dass über solche vergleichsweise trivialen Zwischenfälle große Debatten geführt werden, zeigt, dass der Rassismus im Fußball keinesfalls zugenommen hat. Im Gegenteil: Rassismus spielt eine geringe Rolle in den Stadien. Die Kritik am Rassismus im italienischen Fußball geht an der Sache vorbei. Der italienische Verband, die Vereine und Medien führen schon seit einiger Zeit eine Kampagne gegen Rassismus im Stadion.

Das Team von Lazio Rom trug nicht nur wiederholt T-Shirts mit anti-rassistischen Slogans, die Mannschaft besuchte auch geschlossen ein jüdisches Restaurant, um zu zeigen, dass sie mit Antisemitismus nichts zu tun hat. Während Spielen wurden immer wieder Plakate mit tendenziell rassistischen Parolen aus dem Stadion entfernt. Es existiert sogar ein Regierungsdekret, das besagt, Spiele müssten unterbrochen werden, um rassistische oder sonst beleidigende Plakate aus dem Stadion zu entfernen.

Es ist einfach, solche Aktionen als zynische PR abzutun, die am Rassismus nichts ändert. Und in der Tat geht es bei den anti-rassistischen Aktionen italienischer Vereine und der Regierung vor allem darum, das Ansehen des italienischen Fußballs zu heben. Weder die Initiativen gegen Rassismus, noch die Anprangerung des italienischen Fußballs als rassistisch sind eine Reaktion auf eine angebliche Zunahme rassistischer Zwischenfälle in Italiens Stadien. Unabhängig von anti-rassistischen Initiativen ist der Rassismus im italienischen Fußball in den letzten Jahren zurückgegangen.

Fabio Liveriani wurde vor kurzem der erste schwarze italienische Nationalspieler. Mit seinem Wechsel von Perugia zu Lazio Rom wurde er, nach dem Holländer Aron Winter, der von 1992 bis 1996 für Lazio gespielt hatte, der zweite schwarze Spieler des Vereins. Liveriani reagiert gelassen auf rassistische Anfeindungen: „Ich habe das nie überdramatisiert. Wenn sie mich auspfeifen, dann weiß ich, dass sie das tun, weil sie mich fürchten.“

Gabriele Marcotti, Autor der Biografie von Paolo di Conte, ist der Meinung, die Frage des Rassismus im italienischen Fußball werde zu einseitig diskutiert. Beispielsweise gäbe es bei Lazio Rom einen harten Kern von etwa 400 Fans, die sich „Gli Irriducibli“, „die Unbeugsamen“, nennen. Marcotti zufolge ist es aber falsch zu behaupten, diese Gruppierung sei in Gänze rassistisch. Im Sommer 2001 reisten einige der „Gli Irriducibli“ nach Parma, um dort den Verteidiger Lilian Thuram, einen Schwarzen, dazu zu bewegen, nach Rom zu wechseln.

Insgesamt wird im italienischen Fußball heute entspannt mit ausländischen Profis umgegangen. Anfang Mai 2001 schaffte der italienische Verband die Regelung ab, derzufolge jeder Verein höchstens fünf Nicht-EU-Profis verpflichten und höchstens drei gleichzeitig zum Einsatz bringen darf. Diese Regeländerung muss man zwar nicht als Maßnahme gegen den Rassismus verstehen. Dennoch trägt sie dazu bei, dass mehr ausländische Spieler nach Italien kommen.

„Die Fans werden sich immer jemanden als Zielscheibe aussuchen, sei er groß, klein oder grauhaarig.“

Obwohl sich der italienische Fußball zunehmend für Ausländer geöffnet hat, vertreten gleichzeitig die großen politischen Parteien des Landes eine immer restriktivere Politik gegen Ausländer. Bei den Wahlen 2001 wurde von allen wesentlichen politischen Lagern gefordert, die Einwanderung nach Italien deutlich einzuschränken. Die tatsächliche Ursache des Rassismus kommt nicht aus dem Sport, sie kommt aus der Politik.

Die Regierung von Silvio Berlusconi hat diese Politik in die Praxis umgesetzt. Illegale Ausländer werden verfolgt, und die italienische Marine hat Sonderrechte erhalten, die es ihr ermöglichen, Schiffe mit Flüchtlingen abzudrängen. Nur eine Woche, nachdem diese neue Regelung in Kraft trat, wurde der Marine vorgeworfen, Schuld am Tod von ungefähr 50 Bootsflüchtlingen zu sein, deren Schiff zum Sinken gebracht worden war. Und erst kürzlich verkündete der italienische Innenminister Claudio Scajola stolz, dass man in nur wenigen Tagen über 1.300 Migranten in ihre Herkunftsländer abschoben habe.

Dennoch gibt die italienische Regierung vor, hart gegen Rassismus im Fußball vorzugehen. Warum aber sollte man rassistische Parolen, Gesänge und Banner in Stadien unter Strafe stellen – und damit vergleichsweise harmlose Erscheinungen des Rassismus ächten – , wenn gleichzeitig der staatliche Rassismus mit seinen tödlichen Konsequenzen kein Problem zu sein scheint? Anti-Rassisten sollten sich gegen die Formen von Rassismus wenden, die das Leben von Migranten bedrohen und ihre Rechte beschneiden. Wenn die Diskussion über Rassismus zu einer Diskussion über rassistische Fußballer und Fans wird, dann können Politiker problemlos als besorgte Anti-Rassisten auftreten und gleichzeitig ihre rassistische Politik problemlos weiterführen. Alle Vorwürfe, Fußballfans seien rassistisch, sollten deswegen daraufhin geprüft werden, was ein solcher gelegentlich auftretender verbaler Rassismus konkret bedeutet – und mehr noch: Es sollte bedacht werden, im welchem Verhältnis solche sicher unschönen Äußerungen zum staatlichen Rassismus mit seinen gravierenden Folgen für unzählige Migranten stehen.

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