01.09.2008

Was Sie (auch) über NGOs wissen sollten (Teil 4)

Analyse von Thomas Deichmann

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind unersetzliche Bausteine einer modernen Zivilgesellschaft - heißt es. Thomas Deichmann hat Fakten zusammengetragen, die wir als mehrteilige Novo-Serie dokumentieren. Dieses Mal geht es um ihre Wirtschaftsmacht und Glaubwürdigkeit.

Der internationale Non-Profit-Sektor wird auch „dritter Sektor“ genannt. Er hat sich (neben dem Unternehmertum und dem Staat als Hauptsektoren) zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Neben NGOs zählen auch Wohlfahrtsverbände sowie karitative Einrichtungen und Vereine dazu. Aktuell erwirtschaftet der „dritte Sektor“ mit insgesamt rund 19 Millionen Festangestellten einen weltweiten Gesamtumsatz von rund 780 Milliarden Euro. Er stünde damit in der Liste der wirtschaftsstärksten Nationen der Welt auf Platz acht (John Hopkins Center for Civil Society Studies: „Global Civil Society – Dimensions of the Non-profit Sector“, John Hopkins, Baltimore, 1999). In einer NGO-Studie heißt es zur wachsenden ökonomischen Bedeutung von NGOs:

„Der wahrscheinlich am häufigsten zitierte Satz aus dem Film ‚Die Reifeprüfung‘ von 1967 stammt aus der Szene, als die von Dustin Hoffmann gespielte Figur den Rat erteilt bekommt: ‚Plastik ist die Zukunft, mein Junge‘. Heutzutage könnte ein solcher Ratschlag für NGOs oder CSOs [Civil Society Organizations] gelten. Diese Organisationen stehen an der Schwelle zu einer massiven Ausweitung ihrer Möglichkeiten, die sie unserer Erwartung nach ausschöpfen werden.“ („The 21st Century NGO. In the market for change“, SustainAbility Ltd. London)

Die UIA beziffert die „Jahresbudgets 2005“ von 1478 der insgesamt 21.026 gelisteten internationalen NGOs.* Die meisten dieser Organisationen agieren mit Jahresbudgets von 50.000 bis 10 Millionen Euro.

Jahresbudgets ausgewählter NGOs

Jahresbudget in Euro

Anzahl
weniger als 1000 13
1000–5000 90
5000-10.000 69
10.000–50.000

286

50.000–100.000 147
100.000–500.000 419
500.000–1 Mio. 137
1 Mio.–5 Mio. 188
5 Mio.–10 Mio 42
10 Mio.–50 Mio. 61
50 Mio.–100 Mio. 13
100 Mio.–500 Mio. 10
mehr als 500 Mio. 3
Summe 1478

Quelle: „Yearbook of International Organizations“, Union of International Organizations (2006).

Glaubwürdigkeit ohne Rechenschaftspflicht

NGOs besitzen keine demokratische Legitimation und sind nicht, wie Unternehmen oder Regierungen, hinsichtlich der Mittelvergabe und dem des Erreichens ihrer Ziele offiziell rechenschaftspflichtig. Es gibt kein einheitliches Verfahren, um zu überprüfen, ob Satzungsziele wie Umwelt- und Naturschutz oder die Verteidigung von Menschenrechten tatsächlich erreicht werden. Dennoch bemühen sich NGOs zumeist mit umfangreichen Jahresberichten, ihre Aktivitäten offenzulegen. Sie liegen in puncto Glaubwürdigkeit weit vor Medien, Regierungen und Unternehmen.

Glaubwürdigkeitsskala

Glaubwürdigkeit zu Themen NGOs Medien Regierungen Unternehmen
Umeweltschutz 55 16 13 6
Gesundheit 54 17 13 7
Menschenrechte 59 14 14 4

Quelle: Richard Edelman ‚Rebuilding Public Trust through Accountability and Responsibility‘, Ethical Corporation conference, NYC, 2002

NGOs in Krisenregionen

Die Menge internationaler NGOs, die in Krisenregionen aktiv sind, erschwert nicht selten die Bemühungen lokaler Autoritäten beim Wiederaufbau. Eine sinnvolle Koordinierung ihrer Maßnahmen ist selten möglich, weil fast jede Organisation eigene Ziele verfolgt und viele zudem öffentlichkeitswirksame Aktionen durchführen, um Spendengelder einsammeln zu können. Erschwerend kommt hinzu, dass externe NGOs in aller Regel über größere Geldbeträge verfügen als die Verwaltungen vor Ort.

So waren allein 2005 in Afghanistan mehr als 1200 Organisationen aktiv. Einer Berechnung der afghanischen Übergangsregierung zufolge wurden von den zwischen Januar 2002 und März 2003 für Afghanistan bestimmten 312 Millionen Euro etwa ein Viertel an NGOs ausbezahlt. Die afghanische Regierung selbst konnte direkt nur über etwa 16 Prozent dieser Summe frei verfügen. Hierdurch werden Abhängigkeiten und „schwache Staaten“ geschaffen. In Afghanistan wird derzeit immer noch rund ein Drittel der Gesundheitsversorgung von internationalen NGOs geleistet. Eine ähnliche Entwicklung gibt es in der Krisenregion Balkan, wo bis heute Tausende externer NGOs ansässig sind und den selbstbestimmten Aufbau demokratischer Strukturen erschweren.

Sehr starke Präsenz haben internationale NGOs auch im Nahen Osten. Im Zuge mehrerer beendeter und noch laufender UN-Friedensmissionen haben sie in den Palästinensergebieten ein eng verzweigtes NGO-Netzwerk etabliert. Aktuell ist die schon 1948 gegründete Organisation der Vereinten Nationen zur Überwachung des Waffenstillstands (UNTSO) in der Krisenregion aktiv. Zusätzlich gibt es seit 1974 die UN-Beobachtertruppe für die Truppenentflechtung (UNDOF) zwischen Syrien und Israel sowie die 1978 gegründete UN-Interimstruppe in Libanon (UNIFIL).

Einem Artikel der Wochenzeitung Die Zeit zufolge drängen sich derzeit etwa 1700 Hilfsorganisationen und Friedensgruppen in den Palästinensergebieten.* Diese „Friedensindustrie“ ist zu einem wichtigen Wirtschaftszweig der Region geworden und sorgt für Konfliktpotenzial, da um die horrenden Fördersummen gerungen wird. Die Zahl der Hilfsorganisationen in Palästina hat sich nach Angaben der UN zwischen 1999 und 2005 mehr als verdoppelt. Nach einer Studie der Weltbank von Dezember 2006 ist der NGO-Einfluss besorgniserregend, da wirklich Bedürftige kaum erreicht werden und die Vergabe der Gelder nicht transparent ist.

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