01.06.2017

Warum eine Energiewende mit Windkraft nicht gelingen kann

Analyse von Detlef Ahlborn

Titelbild

Foto: Karsten Würth via Unsplash / CC0

Die deutsche Energiewende ist ein milliardenschwerer Großversuch, der systematisch gegen physikalische Gesetzmäßigkeiten verstößt.

Dass diese Energiewende nicht gelingen konnte, stand von Anfang an fest. Sie wurde von einer unseligen Allianz aus Lobbyisten und universitären Profiteuren vorangetrieben, die sich gegenseitig dabei übertroffen haben, die für jeden Naturwissenschaftler und Ingenieur offensichtlichen Probleme kleinzureden oder zu leugnen. Rund um die Energiewende ist, wie Frank Drieschner im Dezember 2014 in der Zeit sehr treffend formuliert hat, ein öko-industrieller Komplex entstanden, dessen Interesse darin besteht, die Probleme lösbar erscheinen zu lassen, damit Subventionen weiter fließen. Das Energiewende-Debakel ist damit auch Ausdruck des Versagens unserer naturwissenschaftlichen und technischen Eliten.

Unsichere Versorgung

Die Additionsregel für elektrische Ströme, dem Fachmann als Kirchhoff’scher Knotensatz bekannt, erzwingt, dass der Strom im Augenblick des Verbrauchs millisekundengenau erzeugt wird. Diese haarfein ausgeglichene Balance zwischen Leistungsangebot und Leistungsnachfrage wird von regelbaren Kraftwerken gewährleistet. Auf diesem Prinzip beruhen alle unsere stabilen Stromnetze. Gern wird mit den erzielten Produktionsmengen in Terrawattstunden geprotzt – doch wie groß diese sind, ist völlig unerheblich. Es kommt nicht auf die Jahresproduktionsmengen an, sondern darauf, dass die Leistung der Produktion in jedem Augenblick mit der Leistung des Verbrauchs übereinstimmt. Ist es nun grundsätzlich möglich, elektrische Leistung in jedem Augenblick durch Wind- und Solarkraftwerke bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen?

Die Antwort auf diese Frage stand von Anfang an fest: Unsere Wetterstationen zeichnen seit Jahrzehnten die Windgeschwindigkeiten über ganz Deutschland verteilt auf. Jeder Physikstudent im Grundstudium ist in der Lage, aus diesen Windgeschwindigkeiten die zu erwartende elektrische Leistung der Stromerzeugung auszurechnen und natürlich schlummern solche Auswertungen in den Schubladen der einschlägig bekannten wissenschaftlichen Institute. Aus diesen Untersuchungen ist bekannt, dass die sicher zur Verfügung stehende Leistung bei exakt null liegen würde. Das gleiche gilt für Solarkraftwerke, schließlich liefern diese nachts keinen Strom.

„Das Energiewende-Debakel ist auch Ausdruck des Versagens unserer naturwissenschaftlichen und technischen Eliten.“

Gesprochen wird darüber nicht. Übrigens tritt dieser Totalausfall der Windstrom-Produktion mehr oder weniger regelmäßig auf und ist längst Realität, zum Beispiel als die Windstromerzeugung am 13. März 2014 auf 34 Megawatt, entsprechend 0,1 Prozent der installierten Nennleistung, abgesunken ist. Da flächendeckende Hochdruckgebiete in Zentraleuropa häufiger auftreten, ist nichts anderes zu erwarten.

Abbildung 1: Häufigkeit von Windstrom- und Netzleistung 2014 und bei dreifacher Windstrom-Produktionskapazität

Wertet man aus, wie häufig welche Leistung aus Wind dargeboten wird, erhält man Verläufe wie in Abbildung 1: Niedrige Leistungen sind häufig, hohe Leistungen treten selten auf. Dieser Verlauf ergibt sich aus der räumlichen Verteilung der Windgeschwindigkeit über Deutschland und ist durch keine noch so intelligente Anordnung von Windrädern irgendwie zu beeinflussen. Deshalb ist es innerhalb Deutschlands prinzipiell unmöglich, die Häufigkeit des Dargebots mit der Häufigkeit des Bedarfs zur Deckung zu bringen. Ein Ausbau der Produktionskapazitäten bewirkt allenfalls eine Verschiebung des Dargebots zu höheren Werten hin. Angebot und Nachfrage sind folglich auch im langfristigen Mittel nicht zur Deckung zu bringen. Der tiefere Grund dafür ist schlicht: Wenn im Norden Deutschlands viel Wind weht, ist das meist auch im Süden der Fall, für geringe Windgeschwindigkeiten gilt das in der gleichen Weise. Die Windstromproduktion über Deutschland ist hochgradig korreliert. Diese Korrelation stand von Anfang an fest und war von Anfang an bekannt.

Gerade der Januar 2017 hat mal wieder gezeigt: Nicht virtuelle, sondern konventionelle Kraftwerke gewährleisten die sichere Stromversorgung in Deutschland. Wer Kernkraftwerke abschaltet, muss entsprechende Kohle-, Öl- oder Erdgaskraftwerke neu bauen, schließlich sind großtechnisch verfügbare Speichertechnologien Jahrzehnte entfernt.

„Die Windstromproduktion über Deutschland ist hochgradig korreliert.“

Die einzige Möglichkeit, der wetterbestimmten Korrelation zu entgehen, besteht darin, die Windstromproduktion über eine größere Fläche zu verteilen: Über sehr große Distanzen, wir reden hier von 3000 Kilometer Abstand, ist die Leistungserzeugung dann kaum oder nicht mehr korreliert. Allein durch den ausreichend großen Abstand der Produzenten lässt sich der Häufigkeitsverlauf des Dargebots beeinflussen. Diese Aussage ist erwiesen und wird durch einen fundamentalen Satz der mathematischen Statistik, den sogenannten Zentralen Grenzwertsatz sichergestellt. Mit Blick auf die Windstromproduktion besagt er, dass sich die Häufigkeitsverteilung des Dargebots einer gaußschen Normalverteilung annähert, je größer die Zahl der nicht korrelierten Windstromproduzenten ist. Dann und nur dann ist es zumindest theoretisch denkbar, Dargebot und Nachfrage wenigstens im statistischen Mittel ungefähr zur Deckung zu bringen. Um zu einer ausreichend großen Zahl an nicht korrelierten Produzenten zu kommen, muss man eine entsprechende Fläche zur Produktion von Windstrom dann aber weit über Europa hinaus denken.

Wie Abbildung 2 eindringlich beweist, ist eine flächendeckende Windstille in ganz Europa ebenso Realität wie in Deutschland. Auch in Europa gibt es Situationen ohne Ausgleich. Diese Situationen sind zwar selten, aber nicht ausgeschlossen. Nicht einmal in ganz Europa weht der Wind immer irgendwo. Damit ist auch klar, dass selbst ein paneuropäisches Stromnetz ein hundertprozentiges (wie auch immer beschaffenes) Kraftwerks-Ersatzsystem bräuchte, um die Sicherheit der Stromversorgung in jedem Augenblick zu gewährleisten.

Abbildung 2: Windwetterkarte von Europa am 21. November 2011

Aus heutiger Sicht ist ein Stromnetz, das Europa mit den Weiten Sibiriens, Nordafrikas und Saudi-Arabiens verbindet, politisch wie ökonomisch nicht mehr als eine Illusion. Ebenso illusionär ist die Vorstellung, außerhalb Europas Produktionskapazitäten zu schaffen, die ganz Europa mit Strom versorgen könnten.

„Wer Kernkraftwerke abschaltet, muss entsprechende Kohle-, Öl- oder Erdgaskraftwerke neu bauen.“

Obgleich Jahrzehnte von einer Realisierung entfernt, wird allerorten über sogenannte Power-to-Gas-„Technologien“ philosophiert. Der Gedanke ist so alt wie simpel: Überschüssiger Strom wird durch Elektrolyse und durch einen nachgeschalteten chemischen Prozess zunächst in Wasserstoff- und dann in Methangas verwandelt. Das speicherbare Methangas soll dann als Brenngas in Gaskraftwerken dienen und in elektrische Energie zurückverwandelt werden. Energetisch gesehen hat dieses Verfahren ungefähr die Logik, einen Kraftwerkskessel mit einem Tauchsieder zu beheizen. Worüber nicht geredet wird: Die energetische Effizienz der Wandlung des Brenngases Methan in elektrische Energie ist durch den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik begrenzt. Für den Gesamtprozess der Speicherung sind Wirkungsgrade oberhalb von 30 Prozent eher Wunschdenken. Bei 70 Prozent Verlusten ist schon der Begriff Speicherung reiner Etikettenschwindel. Und jede Kilowattstunde elektrischer Energie, die bei der Energiewandlung als Abwärme verloren geht, erfordert entsprechende elektrische Ersatzkapazitäten. Aus diesem Grund ist überschüssiger Strom gerade nicht umsonst, sondern muss mit zusätzlichen Wind- oder Solarkraftwerken teuer bezahlt werden. Aufgrund der gewaltigen Verluste sind bis zu 100 Prozent zusätzliche Produktionskapazitäten erforderlich. Allein das bewirkt eine Verdoppelung der Kosten für die Stromproduktion.

Leistungsschwankungen

Nicht nur die Tatsache, dass die gesicherte Leistung null beträgt, auch die Schwankungen der Windstromproduktion entpuppen sich inzwischen als unlösbares und technisch unbeherrschbares Problem.

Abbildung 3: Windstromproduktion Deutschland von 2011 bis 2016

Die Variabilität der deutschen Windstromproduktion ist um 70 Prozent größer als die Schwankungen der Augenzahlen beim Würfeln. Würden die deutschen Elektrizitätsversorger die Stromproduktion ihrer Kraftwerke täglich auswürfeln, würde der Strom gleichmäßiger fließen.

„Die Variabilität der deutschen Windstromproduktion ist um 70 Prozent größer als die Schwankungen der Augenzahlen beim Würfeln.“

Von Energiewende-Protagonisten wie dem Kasseler Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) wird gern behauptet, ein Ausbau in der Fläche würde die Windstrom-Produktion glätten und damit das Kernproblem der extremen Leistungsschwankungen zumindest mildern. So heißt es in der IWES-Studie „Potenzial der Windenergie an Land“: „Es existieren ausreichend Standorte, die in Verbindung mit modernen Windenergieanlagen eine gleichmäßige Stromeinspeisung durch eine hohe Auslastung versprechen.“ Dass eine gleichmäßige Stromeinspeisung erwiesenermaßen Wunschdenken ist, verdeutlicht Abbildung 3, schließlich ist der Anstieg der Schwankungen eine ganz offensichtliche Tatsache.

Kann es überhaupt eine Glättung der Windstromerzeugung geben? Die hohen Leistungsspitzen und die tiefen Leistungstäler der Stromerzeugung könnten theoretisch reduziert werden, wenn es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Stromproduktion an unterschiedlichen Orten gäbe: Immer wenn an einem Ort eine hohe Leistung zur Verfügung steht, müsste die Leistung an einem anderen Ort niedrig sein und umgekehrt. Es bedürfte einer ursächlichen, kausalen Verknüpfung der Stromproduktion an unterschiedlichen Orten. Dann wäre es möglich, die Leistungseinbrüche auszugleichen und die Spitzen zu glätten. Der Ausgleich der Leistungstäler erfordert also eine negative beziehungsweise eine Antikorrelation. Und gerade diese negative Korrelation der momentanen Stromproduktion gibt es nicht.

In diesem Zusammenhang behauptet das Fraunhofer IWES im „Windenergie-Report Deutschland 2012“, man erreiche „nur durch eine gleichmäßige geografische Verteilung über eine große Fläche eine Glättung der Netzeinspeisung“. Diese Aussage wirft ein Schlaglicht darauf, wie die Öffentlichkeit von wissenschaftlichen Institutionen mutwillig getäuscht wird. Die weit verbreitete Behauptung, ein Ausbau der Produktionskapazitäten führe zu einer Glättung der Stromerzeugung, erweist sich als ein von der Windlobby gesteuerter Irrtum.

„Jeder Zubau an Erzeugungskapazitäten erhöht die Volatilität.“

Wie Abbildungen 3 und 4 eindeutig zeigen, führt jeder Ausbau der Erzeugungskapazitäten ausnahmslos zu ansteigenden Ausschlägen und zu größeren Leistungsspitzen.

Abbildung 4: Windstromproduktion von 15 europäischen Ländern

Gern wird darauf verwiesen, Offshore-Windkraftwerke würden diese Probleme entschärfen, weil der Wind auf See stetiger wehe. So schreibt das IWES in einer Studie unter dem Titel „Energiewirtschaftliche Bedeutung der Offshore-Windenergie für die Energiewende“: „Offshore-Windenergieanlagen haben schon heute sehr hohe Volllaststunden, die zukünftig auf über 4.800 ansteigen. Sie kommen damit auf deutlich über 8.000 Betriebsstunden jährlich; das entspricht einer Stromproduktion an rund 340 Tagen im Jahr. Zugleich schwankt ihre Produktion eher geringfügig.“

Warum sich wissenschaftlich vorgebildete Menschen angesichts eines Leistungsverlaufs wie in Abbildungen 4 und 5 dazu hinreißen lassen, von „Glättung“ oder „geringfügiger Schwankung“ zu sprechen, soll hier nicht weiter bewertet werden. Erwiesenermaßen ist das Gegenteil richtig.

Dass die Leistungsschwankungen der Windstromproduktion nur anwachsen können, stand von Anfang an fest: Ein zusammenhängendes Stromnetz fasst die Stromproduktion vieler einzelner, letztlich zufälliger Stromerzeuger zu einer Summe zusammen. Bei dieser Summenbildung addiert sich die Variabilität der einzelnen Erzeuger nach einer wohlbestimmten Gesetzmäßigkeit, die in der Statistik als Gleichung von Bienaymé bekannt ist. Sie besagt sinngemäß, dass die Volatilität einer Summe aus positiv korrelierten zufälligen Größen immer nur anwachsen kann. Konsequenz: Jeder Zubau an Erzeugungskapazitäten erhöht die Volatilität.

„Unsere Nachbarn errichten inzwischen Stromsperren an ihren Grenzen, um die Überflutung ihrer Stromnetze mit deutschem Überschussstrom zu kontrollieren.“

Abbildung 5: Offshore-Windstromproduktion von Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande und Dänemark

Die Folgen der anwachsenden Schwankungen sind verheerend: Weil wir zur Stabilisierung des Stromnetzes immer eine bestimmte Mindestzahl an konventionellen Kraftwerken am Netz halten müssen, exportieren wir inzwischen rund 30 Prozent des Stroms aus Wind- und Solarenergie ins Ausland (siehe Abbildung 6). Für einen nennenswerten Anteil davon zahlen wir eine Entsorgungsgebühr, die im Energiewende-Neusprech gern als Negativpreis daher kommt.

Unsere elektrischen Nachbarn errichten inzwischen auf unsere Kosten Stromsperren an ihren Grenzen, um die Überflutung ihrer eigenen Stromnetze mit deutschem Überschussstrom zu kontrollieren. Die Kosten für die Stabilisierung des Stromnetzes lagen 2015 bei rund einer Milliarde Euro und noch immer gibt es Politiker, die uns eine Erhöhung der Produktionskapazitäten empfehlen und die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen.

Fazit

In der zentralen Frage der Versorgungssicherheit wird die Öffentlichkeit durch öffentliche Forschungseinrichtungen systematisch getäuscht und die Politik zu falschen Entscheidungen gedrängt.

Abbildung 6: Ansteigender Stromexport verursacht durch volatile Stromproduktion aus Wind und Solarenergie

Diese Energiewende ist eines Landes mit der naturwissenschaftlich-technischen Tradition Deutschlands geradezu unwürdig. Wir hätten es wissen können, wenn wir ein bisschen nachgedacht hätten. Aber wer wollte es wissen?

Wir werden es erfahren, spätestens dann, wenn wir die Schuldigen für dieses Debakel suchen und die Politik versuchen wird, sich der Verantwortung für dieses Desaster zu entziehen. Unser ehemaliger Wirtschaftsminister ist den ersten Schritt gerade gegangen.

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