12.05.2010

Timeo teutonicos et euros ferentes

Von Vasile V. Poenaru

Über die griechische Kehrseite einer Münze

Deutschland soll in einer ersten Tranche mit gut acht Milliarden Euro der bedeutendste Spieler im Rahmen der Griechenland-Rettung werden. Deutschland will aber nicht. Und dann doch. Für die Zukunft Europas, so Merkel. Trotz allem. Damit aus dem Buschfeuer kein Waldbrand wird, wie es im gleichsam wahlverwandten Ton EU-Währungskommissar Olli Rehn am 5. Mai so schön metaphorisch ausdrückte.

Die Griechenland-Krise wurde mittlerweile von verschiedenen Interessengruppen, Medien und Politikern zur regelrechten EU-Schicksalsfrage aufgemöbelt. Den geldkundigen Orakeln in Delphi, London und New York, allen voran Standards & Poor’s, werden sämtliche Wertungen und Umwertungen aller Werte geradezu aus dem Mund gerissen. Im Bankensektor brennt’s. Geld, mehr Geld sei vonnöten. Klassisch.

Auf! Es wird finanziert. Ob der politische Wille nun da sei oder nicht. Zugleich kommt in Athen ein Fremdwort ins Wörterbuch: „Sparkurs“. Gerade jetzt, wo man doch am liebsten mal so richtig ausgeben würde! Gerade jetzt, wo sich die Volkswirtschaften rund um den Globus wie selten zuvor nach Investitionsspritzen sehnen! Gerade jetzt, wo… ach, wenn sich der Schuldenberg am Olymp doch allein durch Streiken beilegen ließe! Ach, wenn der Kaiser doch gnädigerweise wieder mehr Geld drucken würde – ob gedeckt oder ungedeckt, ist hier einerlei. Kurzum, das Gute, das Schöne, das Wahre: Na klar…Wo?

Die Gewerkschaften in Athen demonstrieren am Rande des Abgrunds und sehen rot. Der deutsche Geldgeber schaut sich das Loch an, in dem unter anderem die deftigen EU-Subventionen der fetten Jahre hineingetrickst wurden, und stopft und stopft und stopft – und stöhnt. Ein paar Inseln, das wäre ja als Entgelt nicht zu viel verlangt, so Schwarz-Gelb. Oder gar die Akropolis? Von wegen! Die byzantinische Lösung der Dreihundert-Milliarden-Gleichung: ein paar tüchtige Junk Bonds abstoßen und nichts wie weiter – mit dem Euro natürlich; oder am Rande des Euro. Oder etwa am besten ganz ohne? Nein, echt: Wie kommt man den Griechen bei?

Zahlungsfähig ist das Land jedenfalls kaum, und dass seine Bevölkerung unter Umständen bereit wäre, den Gürtel enger zu schnüren und Vater Staat aus der Sackgasse zu helfen, mutet in dieser südosteuropäischen Region gemütlicher Lebensauffassung und Anschauungsweise weitgehend als unerhörte Anmaßung, ja zermürbend unrealistisch (und zugleich unzeitgenössisch) an. Jahrtausendalte Zivilisation? Mag sein, doch Geschichte lässt sich nicht so mir nichts, dir nichts (oder in diesem Falle wohl eher mir nichts, dir etwas) verpachten. Das heißt, an die 100 Milliarden wäre die Antike schätzungsweise schon wert, bekundeten wie beiläufig mehrere neoliberale Aasgeier. Freilich: Nach dem Ausverkauf Griechenlands könnte der Ausverkauf des ohnehin kränkelnden Euro und – um es mal auf die hierin anvisierte dramatische Dimension der Pleitengeschichte zu bringen – unserer abendländischen Zivilisation an sich und für uns folgen. „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?“ würde jetzt ein in Skandalen gewandter Österreicher fragen.

Totaler Ausverkauf: Ein Schweizer Nobelpreisträger und Meister in Sachen dramatischer gesellschaftlich-politischer Modellierung hat längst alle Antworten parat, wohlgemerkt lediglich mögliche Antworten, darunter allerdings vielleicht auch die eine, gute, schöne und wahre. In Friedrich Dürrenmatts „ungeschichtlicher historischer Komödie“ Romulus der Große flieht nämlich der Schatzmeister des weströmischen Kaiserreichs mit der leeren Staatskasse, um den völligen Bankrott des Reichs zu vertuschen und sozusagen die Öffentlichkeit von der Krise abzulenken. Der sich auf der Flucht befindende Kaiser von Ostrom ersucht indessen, da er die internationale Lage falsch einschätzt, ausgerechnet im untergehenden Westen um Asyl. Die Germanen sind da (mit einem Bailout-Package): die schlimmstmögliche Wendung.

Der erfolgreiche Hosenfabrikant Cäsar Rupf (der neue quasi-korporatistische Kaiser vorzüglicher Ausbeutung), ein früher Exponent skrupelloser Globalisierungswut, unterbreitet dem Kaiser von Westrom ein lukratives Angebot. Er will ihm das hinfällige Kaiserreich (natürlich zum Dumping-Preis) abkaufen, den mit seinem Heer vorrückenden Germanenfürsten tunlichst bestechen und gerade noch so viel Geld in das „Unternehmen“ Staat stecken, dass sich die ganze Bude über Wasser hält. „Wie grotesk!“ wagen wir zu sagen, da es ja schon der Autor selbst so ausdrückte.

Historisch und grotesk ist auch der gegenwärtige Ausverkauf der Griechen (wie die Einwohner des oströmischen Reiches übrigens ihrerzeit pauschal von den Zeitgenossen genannt wurden), nur, ob er ungeschichtlich sei, das mögen unsere postmodernen, posthistorischen, post-postalischen und amoralischen Historiker und Sittenforscher nach möglichst historiografisch-sittlichen Kriterien per Mausklick erkunden – oder, besser, die gerne im deregulierten Niemandsland tobenden Finanzkraftkerle unseres spätkapitalistischen Zeitalters, dem nur noch die Komödie beikommt.

„Ihr hättet uns schärfer kontrollieren sollen“, schlüpft der griechische Premierminister Giorgos Papandreou dementsprechend dreist in seine theatralische Rolle. „Stimmt!“, so der Generaldirektor des Europäischen Statistikamtes, Walter Radermacher, der in diesem Zusammenhang von einer Mitschuld der EU-Regierungen spricht. Warum hat man sich trotz erheblicher Bedenken und fundierter Einwände auf die fragwürdige Büchführung der Griechen verlassen? Wohin haben die Kontrolleure in Brüssel geschaut? Dreieinhalbtausend Jahre Geschichte kann man nicht einfach abkassieren, scheinen die Pleite-Griechen dem entgegen zu bringen. Griechenland fallenlassen, das hieße, die Gemeinschaft fallenlassen. Drohend zuckt der Dax wie der Euro Stoxx 50 nach unten.

Strenge Rechnung, gute Union: immer noch machbar? Gierige Banker liegen im Dickicht des Gipfeltreffens auf der Lauer, lustige, sich selbst entwertende Eurobündel in der Hand, das allerletzte, vernichtende Credit Rating in der tadellos zugenähten Hosentasche, rupfreife Inseln im Visier. Da sind sie, die Hosenfabrikanten der neueren Sorte. Ihr Leitwort: Dem Cäsar, was des Cäsars ist, denn jede Münze hat zwei Seiten. Was die griechische Kehrseite an Wert verliert, muss ja schließlich irgendwie wettgemacht werden. Also am besten gleich mal zugreifen. Profit! Profit! Profit! Wer zuletzt lacht, ist nicht gesagt.

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