07.08.2014

Tierversuche: „Tiere sind in der Grundlagenforschung unverzichtbar“

Interview mit Claus Rodemer

Claus Rodemer arbeitet als Biologe im Universitätsklinikum Mannheim. Im Interview mit Andreas Müller, Betreiber des Blogs „Feuerbringer-Magazin“, äußert sich der Forscher kritisch über die dogmatische Ablehnung von Tierversuchen. Man müsse zuerst an leidende Menschen denken.

Andreas Müller: Claus, du bist Biologe und hast auch schon Tiere für die medizinische Forschung genutzt. Während deiner Doktorarbeit hast du eine transgene Maus gemacht, die eine Stoffwechselkrankheit des Menschen imitiert. Wozu macht man denn so etwas?

Claus Rodemer: Diese transgene Maus – besser gesagt „Knockout“-Maus, weil ein Gendefekt eingebracht wurde – besaß einen Defekt, der den Lipidstoffwechsel beeinflusst. Kinder, die an einer ähnlichen humanen Mutation des Gens leiden, haben schwere Entwicklungsstörungen, neuronale Defizite und Knochendefekte. Oft sterben die Kinder mit acht bis zehn Jahren. Es gab kein Mausmodell, an dem die Wissenschaftler und Ärzte Behandlungsmethoden dieser Krankheit testen konnten. Nun kann an den Mäusen die Krankheit erforscht werden.


Machst du dir Sorgen, dass die Tiere bei solchen Versuchen leiden?

Viele transgene Tiere leiden tatsächlich, viele Tiere zeigen keine Ausprägung eines eingeschleusten Gendefektes. Besonders bei noch schlecht erforschten Krankheiten ist es wichtiger, an das Leid der Menschen zu denken.

Die Aussage „ein Nutzen ist nicht in Sicht“ ist eine unzulässige Verallgemeinerung und schlicht nicht wahr.“


In der deutschen Grundlagenforschung wurden 2012 über eine Million Versuchstiere [1] genutzt. Die Tierrechtsorganisation Peta schreibt auf ihrer deutschen Website [2]: „Seit Jahrzehnten werden Experimente dieser Art in aller Welt gemacht. Geführt haben sie bislang vor allem zu einem riesigen Berg von Artikeln in Fachjournalen. Ein Nutzen für die Menschheit ist nicht in Sicht.“ Was sagst du zum Einsatz von Versuchstieren in der Grundlagenforschung?

Der Einsatz von Tieren in der Grundlagenforschung ist – besonders bei den transgenen Methoden – unverzichtbar. Grundlagenforschung dient dem Erkenntnisgewinn. Niemand weiß, ob und wann sich bestimmte Forschungen als nützlich erweisen. Selbst wenn man annimmt, dass nur wenige Prozent der an Tieren getesteten Substanzen dann auch im Menschen wirken, wie zum Beispiel in der Krebsforschung, dann ist das ja gerade der Sinn der Forschung. Forschung ist nicht vorhersehbar. Viele Dinge werden nur zufällig entdeckt. Und wenn nur ein Prozent der Ergebnisse der Grundlagenforschung nützlich ist, wäre das meiner Meinung nach ein Erfolg. Die Aussage „ein Nutzen ist nicht in Sicht“ ist eine unzulässige Verallgemeinerung und schlicht nicht wahr.


Kann man Tierversuche nicht einfach durch alternative Methoden ersetzen, wie es Tierschützer fordern?

Viele Versuche werden in der Tat schon durch Bakterien und Zellkulturen ersetzt. So kann man durch den Bakterien-Ames-Test die Mutagenität von Chemikalien ermitteln. Reaktionen von Zellen auf einer Petrischale können erste Hinweise auf nützliche Naturstoffe geben. Jedoch: Die Übertragbarkeit auf den Menschen ist bei solchen Ersatzmethoden noch viel weniger gegeben als bei Tierversuchen. Neuronen, die auf einer Plastikschale wachsen, können kaum das komplexe Gebilde Gehirn imitieren.

Auch Computersimulationen werden nie die Wirklichkeit ersetzen können. Wollen Sie sich von einem Arzt operieren lassen, der nur am PC simulierte Operationen machte? Kann man die Praxisprüfung für den Führerschein am PC mit einer Autorennsimulation machen? Solche Ersatzmethoden können oft nur erste Hinweise auf ein Nutzen geben, meistens wird ein Versuch im Tier folgen.

Dennoch halte ich die Erforschung von billigen und schnellen Alternativmethoden für sehr wichtig und es gibt viele Stiftungen, die sich dafür engagieren. Der Einsatz von Computern im Lehrbereich ist weiter zu unterstützen.

Das „schnelle Geld“ wird niemand alleine durch den Einsatz von Tieren machen können.“


Peta hält Tierversuche für nutzlos. Als Grund, warum sie trotzdem gemacht werden, gibt Peta auf seiner deutschen Website für Kinder [3] an: „Viele Menschen verdienen mit Tierversuchen viel Geld und haben großen Einfluss auf die Politiker. Deshalb bleiben Tierversuche weiterhin erlaubt.“ Setzen Mediziner auf Tierversuche, weil sich damit das schnelle Geld machen lässt?

Das ist eigentlich der größte Blödsinn, den man oft lesen muss. Tierversuche sind langwierig, komplex, kostspielig, unangenehm. Für Tiere braucht man Pfleger, Tierhaus, Futter, Käfige und auch die speziell gezüchteten Tiere sind teuer. Von den langen Genehmigungsverfahren, Anträgen und Schikanen der Behörden mal ganz abgesehen. Als Forscher „verdient“ man Geld, indem man gute Publikationen schreibt, d.h. gute Ergebnisse in einem Fachgebiet hat, worauf dann der Forschungsantrag fußt. Um Forschungsgelder zu bekommen, muss der Versuch medizinisch sinnvoll sein, neu und innovativ.

Jeder Forscher weiß, wie schwierig es heutzutage ist, neue Gelder aufzutreiben. Die Tierversuche, die man machen will, muss man rechtfertigen. Das deutsche Tierschutzgesetz ist eines der härtesten der Welt und ausländische Forscher wundern sich hier über das Ausmaß an Bürokratie und Regulation gerade im Tierbereich. Das „schnelle Geld“ wird niemand alleine durch den Einsatz von Tieren machen können.


Was würde man denn eigentlich tun, wenn man Medikamente nicht zuerst an Tieren testen dürfte, bevor sie auf den Markt kommen?

Toxizität und Mutagenität kann man auch an Zellen und Bakterien testen. Langfristige Veränderungen an verschiedenen Organen kann man nur im Tier sehen. Würde dieses Testsystem wegfallen, wäre der Einsatz neuer Medikamente extrem unsicher. Natürlich ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen nicht immer gegeben – deshalb ist es wichtig, Substanzen an mehreren Tierarten zu testen, etwa an Kaninchen, Mäusen, Schweinen, etc.


Bei der Contergan-Affäre hat sich herausgestellt, dass das Medikament in Tierversuchen keine schädigende Wirkung zu haben schien. Als es auf den Markt kam, führte die Einnahme von Contergan bei schwangeren Frauen häufig zu fehlgebildeten Kindern. Spricht das nicht gegen die Aussagekraft von Tierversuchen?

Tatsächlich wird die Contergan-Affäre gerne als Paradebeispiel für die Nutzlosigkeit der Tierversuche angegeben. Eigentlich ist gerade das Gegenteil der Fall. In den USA wurde Contergan gar nicht zugelassen aufgrund mangelhafter Tests der Herstellerfirma Grünenthal. Durch diverse Tierversuche, vor allem an Kaninchen und Hasen, konnte man eindeutig beweisen, dass der Stoff Missbildungen hervorruft. Leider zu spät für viele Betroffene.

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