01.11.2011
Thorium – Der Brennstoff der Zukunft
Essay von Peter Heller
Es ist wird viel über die künftige Stromversorgung geredet. Der Autor nennt hier und in der aktuellen Printausgabe von NovoArgumente eine Ressource, die wirklich den Fortschritt antreiben könnte. Das Schwermetall Thorium könnte eine neue Epoche der Energiegewinnung einleiten.
Man trifft sie auch im energiepolitisch rückständigen Deutschland immer öfter. Auf Konferenzen und Messen, bei Besprechungen in kleinen und großen Runden, selbst zufällig beim Mittagessen oder nach Feierabend nähern sie sich mit Verschwörermiene und raunen mir im Flüsterton zu: „Ich habe kürzlich etwas über Thorium gelesen. Was halten Sie denn davon?“ Ich nenne diese Zeitgenossen gedanklich „die Eingeweihten“. Denn durch die Verwendung öffentlich zugänglicher Quellen sind sie auf Informationen gestoßen, die innerhalb der Grenzen unseres Landes fast schon die Bezeichnung „Geheimwissen“ verdienen. Und immer bleiben diese Eingeweihten erstaunt und nachdenklich zurück, wenn sie die Bestätigung bekommen, dass korrekt ist, was sie da erfahren haben. Meist ist es sogar noch besser, als sie glaubten, denn kaum eine Quelle schafft es wirklich, alle mit diesem Metall verbundenen Vorteile darzustellen. Dazu sind sie zu vielfältig. Recht schnell beginnen dann auch die Eingeweihten den großen Irrtum der deutschen „Energiewende“ zu verstehen. Denn diese beruht auf einem Fehlurteil über den Charakter technischer Innovationen, das nur entstehen konnte, weil man etwas übersehen hat: Thorium, die vielleicht wichtigste Energieressource unserer Zukunft.
Die Idee der Kernkraft
Masse und Energie sind einander äquivalent. Die direkte Umwandlung von Masse in Energie ist die effizienteste vorstellbare Form der Energiegewinnung. Kein anderer Ansatz verspricht mehr Gewinn bei weniger Ressourceneinsatz. In dieser Hinsicht ist die Nutzung des Äquivalenzprinzips allen anderen Konzepten der Energieproduktion um Größenordnungen überlegen. Technisch realisieren können wir heutzutage die Umwandlung von Masse in Energie nur in Kernkraftwerken. Die Masse eines Atomkerns ist geringer als die Summe der Massen der elektrisch positiv geladenen Protonen und der elektrisch neutralen Neutronen, aus denen er besteht. Aus dieser Differenz, dem Massendefekt, speist sich nach dem Äquivalenzprinzip die Bindungskraft des Kerns. Diese Kernkraft verhindert das Auseinanderfliegen all der sich gegenseitig abstoßenden Protonen. Als würde ein Gummiband reißen, das den Kern zusammenhält, wird die Bindungsenergie bei seiner Spaltung frei. Deswegen ist „Kernenergie“ der korrekte Ausdruck. „Atomenergie“ hingegen ist die Bindungsenergie der Elektronen, die den Kern in seiner Hülle umgeben, und diese ist elektromagnetischer Natur.
Die Bindungsenergie eines Kerns wird bei seiner Spaltung den Bruchstücken – kleineren Kernen und einzelnen Elementarteilchen – als kinetische, als Bewegungsenergie mitgegeben. Bremst man die Spaltprodukte in einem geeigneten Medium ab, kann man die dabei entstehende Wärme nutzen, beispielsweise zur Stromproduktion. Um Kerne zu zertrümmern, sind Neutronen die idealen Projektile. Es gibt Materialien, bei deren Spaltung nicht nur kleinere Kerne, sondern auch zusätzliche Neutronen entstehen, die weitere Spaltungen auslösen können. Mit diesen, als „spaltbar“ bezeichneten Stoffen wird die sogenannte Kettenreaktion möglich, ein Teil der beim Kernzerfall freiwerdenden Energie dient (durch die Neutronen) der Auslösung nachfolgender Spaltungen. Dieses Prinzip ist allen Kernkraftwerken gemein. Technisches Ziel ist immer eine möglichst effiziente Spaltung von Kernen in einer steuerbaren Kettenreaktion, um so viel Energieausbeute wie möglich mit so geringem Aufwand wie nötig erzielen zu können. Bedauerlicherweise findet sich in der Natur nur ein spaltbares Material in nennenswerten Mengen, das man für dieses Konzept einsetzen kann, Uran 235. Die Anzahl der Protonen in einem Atomkern bestimmt die Struktur und den Aufbau seiner Hülle und damit die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Materials. Daher ordnet man die chemischen Elemente nach dieser Zahl, der Ordnungszahl. Uran hat immer 92 Protonen im Kern, hätte es 91, wäre es kein Uran mehr, sondern Protactinium. Die dem Elementnamen nachgestellte Massenzahl vermittelt die gesamte Menge an Kernbausteinen. Uran 238 weist also 92 Protonen und 146 Neutronen auf. Jedes chemische Element liegt in unterschiedlichen Isotopen vor, die sich in der Anzahl der Neutronen im Kern unterscheiden. Uran 235 besteht ebenfalls aus 92 Protonen, hat aber nur 143 Neutronen im Kern. Die meisten Isotope eines jeden Elements sind instabil (radioaktiv), sie zerfallen nach unterschiedlichen Zeiträumen von selbst.
Ein üblicher, heute verwendeter Kernbrennstoff besteht aus einer Mischung von 97 Prozent Uran 238 und 3 Prozent Uran 235 (Massenanteile), die in oxidierter Form als Feststoff in Brennstäben im Reaktorkern eingesetzt werden. Wasser fließt um diese Brennstäbe herum, es nimmt die Wärme auf und schirmt die Außenwelt sehr wirkungsvoll gegen Strahlung ab, insbesondere gegen die Neutronen. Aus technischer Perspektive ist dies eine sehr gute Idee, aus politischer eher eine schlechte. Das Versprechen, die Welt für sehr lange Zeiträume mit sehr kostengünstigem Strom versorgen zu können, resultiert aus dieser Bauart, die in Verbindung mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie auftretenden Risiken ebenfalls.
Das Brennstoffkonzept der Gegenwart
Das Uran 235 in den Brennstäben wird gespalten. Die wichtigsten Spaltprodukte sind in der Tabelle aufgeführt. Sie sind alle hochradioaktiv aber sehr kurzlebig. Etwa 80 Prozent des anfallenden Materials wären für 10 Jahre sicher zu lagern, die restlichen Bestandteile für etwa 300 Jahre, dann ist die Radioaktivität auf ein ungefährliches Maß gefallen. Außerdem verwandeln sich die Spaltprodukte im Laufe der Zeit in stabile Isotope nützlicher Metalle, beispielsweise aus der Gruppe der seltenen Erden. „Atommüll“ ist also nicht wirklich Müll, sondern vielmehr eine Quelle wichtiger Ressourcen. Nur kommt man an diese nur schwer heran, das Herauslösen aus den festen Brennelementen kann erst nach Abklingen der Strahlung erfolgen und es ist sehr aufwendig. Das Uran 238 in den Brennstäben verwandelt sich im Laufe der Zeit durch Neutroneneinfang in Plutonium und in sehr geringen Mengen auch in weitere Transurane aus der Gruppe der Actiniden (beispielsweise Americium und Curium). Man bezeichnet diesen Vorgang als „Brüten“. Der große Vorteil besteht in der Spaltbarkeit dieser Stoffe. Statt also nur aus Uran 235, nur aus 3 Prozent des eingesetzten Materials Energie zu gewinnen, produziert ein jedes Kernkraftwerk während des Betriebs neuen Plutonium-Brennstoff. Theoretisch könnte auf diese Weise der gesamte ursprünglich eingesetzte Brennstoff innerhalb des Kraftwerks in Energie und wertvolle Metalle verwandelt werden. In der Praxis aber müssen die Brennelemente lange vorher entnommen werden. Denn sie sind durch eine metallische Hülle (eine Zirkonium-Legierung) vom Wasser abgeschirmt, die durch die Strahlung der Brennstoffe und Zerfallsprodukte beschädigt wird. Nach ungefähr drei Jahren sind die Brennelemente daher zu entfernen und durch neue zu ersetzen.
Waren zu Beginn 3 Prozent des Materials als Kernbrennstoff nutzbar, so sind es zu diesem Zeitpunkt immer noch uber 2 Prozent (Tabelle 1.0) – ganz zu schweigen von den mehr als 94 Prozent an U 238, die durch das Brüten auch noch zur Verfügung ständen. Der Brennstab wird also zu einem Zeitpunkt unbrauchbar, zu dem der überwiegende Teil seines Energiegehaltes noch ungenutzt ist. Man kann gealterte Brennstäbe wiederaufbereiten. Neben der Entnahme und Lagerung der Spaltprodukte ist auch die Wiederherstellung der strukturellen Integrität erforderlich, um den Brennstab mit den noch vorhandenen Ausgangsmaterialien Uran 235 und Uran 238 sowie den neu entstandenen Brutprodukten wieder zur Energiegewinnung einsetzen zu können. Und wenn man möchte, kann man das Plutonium auch zur Herstellung von Kernwaffen entnehmen.
Stoff | Anteil | Details | Anmerkungen |
---|---|---|---|
U 238 | 94,4% | - | verfügbar für weitere Brennstoffgewinnung |
U 235/236 | 1,1% | - | unverbrauchter Brennstoff |
Transurane | 1,1% | Pu 239 (0,54%) Pu 240 (0,23%) Pu 241 (0,14%) ... |
langlebige, radioaktive und toxische Isotope, erbrüteter Kernbrennstoff, Ursache der Endlagerproblematik |
Spaltprodukte | 3,4% | Xe 133 (0,54%) Nd 147 (0,37%) Zr 95 (0,35%) Cs 137 (0,28%) Ce 144 (0,27%) Ru 103 (0,25%) Ba 140 (0,14%) La 140 (0,12%) Pr 144 (0,11%) ... |
hochradioaktive, kurzlebige Isotope mit Halbwertszeiten von einigen Minuten bis einigen Jahrzehnten, wandeln sich über Beta-Zerfälle in stabile Isotope der Elemente (u.a.) Molybdän, Samarium, Neodym und Palladium |
Tabelle 1.0: Zusammensetzung eines Brennstabes nach drei Jahren Betriebsdauer (Anfangszustand 97% U 238 und 3% U 235)
Dies ist das durchaus brillante Konzept des Uran-Plutonium-Brennstoffkreislaufes. Der Energieträger wird im Verlauf regelmäßiger Wiederaufbereitungen vollständig genutzt oder in Kernwaffen einer anderen Verwendung zugeführt. Entnommen werden hochradioaktive, aber sehr kurzlebige Materialien, die schließlich eine Quelle wertvoller Ressourcen darstellen. Durch die Verwendung des Brennstoffes in fester Form können Reaktoren sehr einfach und sehr kompakt aufgebaut werden. Die Nutzung als Energiequelle auch in mobilen Applikationen, etwa in Schiffen (etabliert), in Flugzeugen (erprobt) und sogar in Autos oder Raumschiffen (beides angedacht) ist möglich. Als man sich in den 1960er Jahren in den USA dafür entschied, aus allen vorhandenen Ideen und prototypischen Realisierungen exakt dieses Konzept weiterzuverfolgen, hatte man also sehr gute Gründe dafür. Über das „Atoms for Peace“-Programm, aus dem später die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hervorging, verbreitete man diese Technologie schließlich auf dem gesamten Erdball.
Der Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf verlagert wesentliche Schritte des Umgangs mit radioaktiven Substanzen (Anreicherung, Wiederaufbereitung) auf Einrichtungen außerhalb der Reaktoren, er erfordert daher Transporte und hat eine Verbreitung dieser Stoffe zur Folge. So könnte kernwaffenfähiges Material in die Verfügbarkeit von Zeitgenossen mit unlauteren Absichten gelangen (Proliferation). Auch das Risiko von Unfällen steigt. Wenn Menschen der ionisierenden Strahlung radioaktiver Stoffe ausgesetzt sind, steigt ihr Risiko, an Krebs zu erkranken. Die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz solcher potentieller Gefahren hat in Verbindung mit fehlendem politischem Willen das Schließen des Brennstoffkreislaufes verhindert – und dadurch das Problem der Endlagerung erst geschaffen.
Insbesondere die Brutprodukte eines Kernreaktors sind sehr langlebig (das Plutoniumisotop 239 hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, Plutonium 240 liegt bei 6.500 Jahren) und hochtoxisch. Werden diese nicht wieder zur Energiegewinnung eingesetzt, sind sie für sehr lange Zeiträume mit hohen Sicherheitsanforderungen zu lagern. Keines der hierfür entwickelten Konzepte wurde bislang realisiert.
Da viele Länder, darunter Deutschland, kein Plutonium für Kernwaffen benötigen und viele eine derartige Verwendung auch prinzipiell ablehnen, ist ein zentrales Argument, das vor Jahrzehnten noch für den Uran-Plutonium-Kreislauf sprach, heute anders zu bewerten. Die Problematik der Proliferation und die Endlagerfrage verdeutlichen zusätzlich: Wesentliche Elemente der Kritik an der Kernenergie sind auf die Eigenschaften eines bestimmten Stoffes zurückzuführen. Auf Kernenergie zu verzichten, ist angesichts dessen keine Lösung, sondern eine Kapitulation. Denn es gibt eine Alternative.
Das Brennstoffkonzept der Zukunft
Thorium (Th) ist ein Schwermetall mit der Ordnungszahl 90. Alle natürlichen Thoriumvorkommen (es findet sich in Gesteinen etwa dreimal häufiger als Uran) bestehen aus dem Isotop mit der Massenzahl 232. Dieses ist fast stabil (Halbwertszeit 14 Milliarden Jahre) und nur schwach radioaktiv. Spaltbar ist Thorium nicht. Aber es hat wie Uran 238 die Eigenschaft, ein auftreffendes Neutron absorbieren zu können. Aus Thorium würde dann aber kein Plutonium entstehen, sondern Uran 233. Dieser Stoff ist spaltbar und kann daher Grundlage einer gesteuerten Kettenreaktion und der Energiegewinnung in Kernreaktoren sein. Die Spaltprodukte sind identisch mit denen des U-235, auch hier entstehen also im Laufe der Zeit wertvolle Elemente, vor allem aus der Gruppe der seltenen Erden. Waffenfähiges Material und die gefährlichen Transurane kommen in diesem Brennstoffkonzept nicht vor. Die Gefahr der Proliferation und das Erfordernis einer langfristig sicheren Endlagerung bestehen nicht mehr.
Störfallrisiken und Schadenspotentiale
Wie der Störfall in Fukushima aufzeigte, ist die Gestaltung eines Brennstoffkreislaufes für die breite Öffentlichkeit nur ein Kriterium der Bewertung der Kernenergie. Gegenwärtig wird die Debatte vor allem unter dem Gesichtspunkt des Betriebsrisikos geführt. Dabei ist die Frage von Bedeutung, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Störfalles ist, bei dem während des laufenden Betriebs eines Reaktors radioaktives Material in die Umwelt gelangt. Weniger intensiv diskutiert, aber mindestens ebenso wichtig ist der Aspekt des Schadenspotentials. Welche Folgen könnte ein solcher Unfall tatsächlich haben?
Für viele Kritiker stehen die Antworten schon lange fest. Es gibt ein „Restrisiko“, und wenn der Schadensfall eintritt, werden radioaktive Stoffe in kritischem Umfang freigesetzt und weite Landstriche für Jahrzehnte unbewohnbar. Der Zusammenhang zwischen dieser potentiellen Gefährdung und der eingesetzten technischen Lösung wird aber weitgehend ignoriert. Bei Leichtwasserreaktoren ist die Möglichkeit eines schweren Störfalles mit dem Erfordernis verknüpft, eine ausreichende Kühlung des Reaktorkerns zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen. Denn da der Brennstoff im Reaktorkern räumlich konzentriert in fester Form vorliegt, kann auch bei unterbundener Kettenreaktion durch den weiteren Zerfall der Spaltprodukte eine erhebliche Energiemenge, die sogenannte Nachzerfallswärme, entstehen. Wird diese nicht abgeführt, kann der Kern schmelzen und sich im ungünstigsten Fall durch sämtliche Strukturen des Reaktorgebäudes hindurch einen Weg in die Umwelt bahnen. Die Menge an Spaltprodukten und an toxischen Transuranen in den Brennelementen würde genügen, um die Umgebung des Kernkraftwerkes für Jahrzehnte zu kontaminieren.
Mit Thorium aber verbindet sich die technische Möglichkeit eines alternativen Reaktorkonzeptes: die Verwendung des Brennstoffes in flüssiger Form. Thorium- und Uranfluoride sind Salze, die sich leicht in einem Gemisch aus Lithium- und Berilliumfluorid lösen lassen. In einem auf diesen Stoffen beruhendem Flüssigsalzreaktor würde ein Kern aus U 233, in dem die Kettenreaktion stattfindet, von einem Moderator umgeben, der die freiwerdenden Neutronen auf die Geschwindigkeit abbremst, die erforderlich ist, um in der den Kern umströmenden Thoriumlösung weiteres U 233 zu erbrüten. Durch die entstehende Wärme heizt sich der Reaktor selbst auf die erforderliche Betriebstemperatur von mehr als 600° C auf, bei der die Salzlösungen flüssig werden. Die Wärme wird aus dem Reaktorkern direkt abgeführt und – über Wärmetauscher und Dampfturbine – beispielsweise zur Stromerzeugung eingesetzt. Im Gegensatz zu festen Brennstoffen können solche in flüssiger Form während des Betriebs einer chemischen Bearbeitung zugeführt werden. Aus dem Thoriumkreislauf wird auf diese Weise kontinuierlich das erbrütete Uran 233 entnommen und dem Kernkreislauf zugeführt. Aus diesem wiederum werden ebenfalls kontinuierlich die Spaltprodukte wieder entfernt. Die hierfür notwendigen Technologien sind sehr komplex, stehen aber alle zur Verfügung. Die Salzlösungen selbst sind strukturell stabil gegenüber ionisierender Strahlung, ein regelmäßiger Austausch des Brennstoffes, verbunden mit einem Herunterfahren des Reaktors, ist nicht mehr erforderlich. Auch sind die Salze nicht aggressiv gegenüber den Materialien – verschiedene Stahlsorten –, aus denen die Rohre und Behälter bestehen können . Korrosion ist kaum zu befürchten. Und schließlich läuft der Reaktor bei deutlich höheren Temperaturen als ein herkömmliches wassergekühltes System und weist damit einen höheren thermischen Wirkungsgrad auf. Die 200–300° eines Druckwasserreaktors erreicht man auch nur, indem man, wie der Name schon sagt, den Wasserkreislauf unter Druck setzt, was besondere Ansprüche an die Strukturen des Kraftwerks stellt und das Betriebsrisiko erhöht. Ein Flüssigsalzreaktor würde unter normalem Atmosphärendruck betrieben.
Die Angst vor einer Kernschmelze wäre bei einem solchen Kraftwerk überflüssig, denn der Kern ist ja bereits geschmolzen. Die Angst vor einem Ausfall der Kühlsysteme entbehrt ebenso jeder Grundlage, denn es gibt gar keine Kühlsysteme mehr. Der Reaktor reguliert sich selbst, bei steigenden Temperaturen würden die Neutronen zu schnell, um noch eine Kettenreaktion auslösen zu können. Es würde kein Kernbrennstoff mehr nachgeliefert, die Wärmeproduktion entsprechend verringert und die Temperatur wieder sinken. Auch um die Nachzerfallswärme müsste man sich nicht sorgen, die Spaltprodukte sind nicht räumlich konzentriert und außerdem nur in geringer Menge vorhanden, da sie permanent aus dem Reaktorkern entnommen werden.
Zusätzlich kann die Geometrie des Reaktorkerns im Ernstfall schnell und konsequent geändert werden. Dazu dient eine Rohrverbindung zwischen dem Kern und einer Reihe (unterirdischer) Tanks. Im Betrieb wird diese Leitung durch gekühltes und daher festes Salz verschlossen. Fällt die Energieversorgung des Kraftwerkes aus, findet auch diese Kühlung nicht mehr statt und der Salzverschluss löst sich auf. Bei einem herkömmlichen Kernkraftwerk ist also Energie erforderlich, um es im Notfall herunterfahren zu können. Bei einem Flüssigsalzreaktor ist Energie erforderlich, um die Abschaltung zu vermeiden.
Und wenn nun Vulkane, Erdbeben, Flutwellen, vollbesetzte Großraumflugzeuge oder gar bombenbewehrte Terroristen es auf dieses Kraftwerk abgesehen haben? Dann ist die Freisetzung radioaktiven Materials in die Umwelt auch hier nicht völlig unvermeidbar, das ist richtig. Aber eine Kontamination großer Regionen für einen längeren Zeitraum ist schlicht nicht möglich. Denn erstens befinden sich, wie oben schon erwähnt, zu jedem Zeitpunkt nur geringe Mengen der hochradioaktiven aber kurzlebigen Spaltprodukte im Reaktor und zweitens sind langlebige und toxische Actinide wie Plutonium nicht vorhanden.
Die wahre Energiewende
Diese Wundermaschine ist keine Utopie. Sie wurde bereits gebaut und war als Versuchsanlage am Oak Ridge National Laboratory in den USA von 1965 bis 1969 in Betrieb. In dieser Zeit wurde nicht nur ihre grundsätzliche Funktionsfähigkeit evaluiert, sondern auch die erforderlichen Materialien für Ventile, Pumpen und Rohrleitungen und die chemische Verfahrenstechnik für die kontinuierliche Abtrennung von Uran und Spaltprodukten aus den flüssigen Salzen entwickelt. Die damals aufgebaute technische Kompetenz ist gut dokumentiert auch heute noch verfügbar. Man könnte mit dem Bau eines Thorium-Flüssigsalzreaktors jederzeit beginnen. Tatsächlich hat man schon begonnen. Im Januar 2011 gab die chinesische Akademie der Wissenschaften bekannt, binnen 5 Jahren einen Demonstrationsreaktor dieses Typs errichten zu wollen. Dies sei das erste von vier Projekten zur Erringung einer „strategischen Führerschaft in Wissenschaft und Technologie“. Auch in Indien finden aufgrund seiner erheblichen Thorium-Vorkommen solche Entwicklungen statt. Geprägt durch amerikanische Wissenschaftler haben sich längst globale Netzwerke etabliert, durch welche die Thorium-Technologie promotet wird. Nicht nur angelsächsische Medien, auch amerikanische und britische Politiker aller Richtungen haben die Relevanz der Thematik erkannt und sich unterstützend geäußert. Firmen wie Google sponsern Konferenzen und Finanziers wie Bill Gates bekennen sich zu innovativer Nukleartechnologie.
Deutsche Namen, gleich ob aus Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft, findet man in diesen Netzwerken nur selten. Deutsche Medien ignorieren das Thema fast vollständig, Deutschland ist das Tal der Ahnungslosen in einer Welt im Aufbruch. Der Thorium-Flüssigsalzreaktor ist in Wahrheit nur eines von sechs fortgeschrittenen, völlig neuen Reaktorkonzepten, die im Rahmen eines internationalen Forschungsverbundes, des „Generation IV International Forums“, entwickelt werden. Von den führenden Industrienationen fehlt in diesem Projekt nur eine, Deutschland.
Es ist ziemlich offensichtlich: Die Entscheidung der Amerikaner in den 1960er Jahren, von allen zur Verfügung stehenden Konzepten nur die Leichtwasserreaktoren auf Basis des Uran-Plutonium-Brennstoffkreislaufes weiterzuentwickeln und mit dieser Technologie die Welt zu versorgen, hatte einen Innovationsstau in der Kerntechnik zur Folge. Und unter geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen können sich spezifische Eigenschaften technischer Systeme (etwa die Erzeugung von Plutonium und die Möglichkeit zur Skalierung auch für mobile Applikationen) von Vorteilen in Nachteile verwandeln. In Deutschland aber scheinen Politik, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft, ja im Prinzip eine ganze Gesellschaft mit wenigen Ausnahmen der irrigen Vorstellung anheimgefallen zu sein, solche Nachteile würden das Wesen der friedlichen Nutzung der Kernenergie ausmachen, wären prinzipieller und unvermeidbarer Natur. In Wahrheit ist das Wesen der Kernenergie nur dieses: Masse und Energie sind einander äquivalent. Und daraus kann man nicht aussteigen. Die Natur bietet uns diese Möglichkeit, Energie in optimaler Weise zu gewinnen, freimütig an. Die Politik hat entschieden, dieses Angebot an einem bestimmten Ort (Deutschland) und zu einer bestimmten Zeit (bis auf weiteres) zurückzuweisen. Die Natur wird es, gänzlich unbeirrt, natürlich dennoch unbegrenzt aufrecht erhalten. Die Aufgabe verantwortungsvoller Politik kann daher nur sein, darüber zu entscheiden, wie wir nutzen, was wir von der Natur gelernt haben. Denn die Nachteile der Kernenergie, die uns in Deutschland aktuell bewegen, Risiken und Schadenspotentiale der aktuellen Reaktortypen und des durch diese bedingten Brennstoffkreislaufes, sind bauart- und nicht prinzipbedingt.
Viele Kommentatoren werten den durch die schwarzgelbe Regierung forcierten Ausstieg als gelungenes Manöver, der Opposition, insbesondere den Grünen, ein wichtiges Mobilisierungsthema zu nehmen. Wäre es nicht noch klüger, die Argumente der Gegner, statt sie aus opportunistischen Überlegungen zu übernehmen, durch eine innovative Technologie schlicht gegenstandslos zu machen? Durch den Thorium-Flüssigsalzreaktor können Risiken und potentielle Schäden auf ein Maß minimiert werden, das eine Neubewertung der Kernenergie auch in Deutschland erzwingt. Eine Gesellschaft mit dem Wunsch zu einer Energiewende sollte diese Neubewertung vornehmen. Andernfalls findet die wirkliche Wende ohne Deutschland statt.