18.06.2012

The big divide

Analyse von Rolf Silber

Die Transport-Technik hat den Inhalten zu dienen und diese nicht durch Diktat zu verändern. Die Kostenloskultur im Netz wäre in letzter Konsequenz der Sieg der Informatiker über die Künstler. Dazu darf es nicht kommen. Gute Kunst hat nun mal ihren Preis

Dass es in der „Urheberrechtsdebatte“ manchmal so zu geht, als würden bastelwütige Männer im Baumarkt erregt über Neurochirurgie diskutieren, wäre ja weiter nicht schlimm – würden sie nicht parallel dazu ernsthaft auf die Suche nach den passenden Instrumenten für eine leckere Schädelöffnung gehen. Was dann Schlimmeres befürchten lässt. Weil: Es beschleicht einen das Gefühl, die könnten das wirklich machen wollen.

„Das Urheberrecht“ ist dabei zu einer fast magischen Entität geworden, der man finsterste wie hellste Absicht und Wirkung unterstellt, wobei dann gerne Fragen mitdiskutiert, Gefahren beschworen werden, die mit dem Urheberrecht wenig oder nichts zu tun haben. Eine wahrlich großartige Karriere für ein extrem komplexes Gesetzeswerk, das notorisch wenige Menschen wirklich begreifen.

Diese Komplexität liegt in der Natur der Sache, der es dienen soll. Mich hat am Urheberrecht, soweit ich es denn verstehe, darum auch immer fasziniert, dass es versucht, ein juristisches Regularium für etwas zu sein, dass sich juristischer Regulation naturnotwendig widersetzen muss: Geistiger Schöpfung.

Gleichzeitig haben mich Jahre als Autor und Regisseur restlos davon überzeugt, dass ein solches Regularium hochnotwendig ist, um unsere Berufe überhaupt sinnvoll ausüben zu können. Was die derzeitige Diskussion – soweit sie denn überhaupt stattfindet und nicht entweder in kabbalistischem Netzgebrabbel erstickt oder gleich in einem schönen „Shit-Storm“ endet – schwierig macht, ist aber nicht nur die Tatsache, dass das Urheberrecht selbst, auch für gestandene Juristen, eine ziemlich harte Nuss ist.

Distribution und Akquisition

Einem oft sehr grundsätzlichen Nicht-Verstehen, wie die Prozesse in der „Kreativbranche“ laufen, auf Seiten der tatsächlichen wie vorgeblichen „Nutzer“ und ihrer jeweiligen politischen Anwälte gesellt sich eine „Einschätzungsunschärfe“ auf der Seite der Urheber hinzu. Es scheint mir ein großes Problem darin zu bestehen, dass die Diskutanten oft keinen Begriff haben, wo genau sie stehen – auf welcher Seite des „big divide“ – der Seite der Kunst-, Kreativ-, Programm-Distribution oder jener der Akquisition.

Distribution wird dabei noch eher verstanden. Auch der gestandene Lau-Sauger ahnt, dass hier am ehesten seine Gegner der großartigen „Kostenloskultur“ zu finden sind. Und Akquisition wird hierzulande leider immer noch auf „Erwerb für Bezahlung“ reduziert, als Vorgang des Einkaufens verstanden. Was aber eine grobe Verkürzung ist.

Der erweiterte Begriff „Akquisition“ versteht darunter aber alles, was dazu führt, dass ein Programm überhaupt entstehen kann. Also die Summe der Tätigkeiten, die dazu führen sowie alle dazu notwendigen personellen, technischen, rechtlichen, finanziellen wie künstlerischen Voraussetzungen. Ein Drehbuchautor denkt sich die Struktur einer Geschichte aus und schreibt sie auf, eine Kamera dreht Bilder, am Drehort wird das szenische Material inszeniert, in der Editing-Suite montiert – alles in dem hier vorgeschlagenen, erweiterten Sinne – Vorgänge der Programm-Akquisition.

Vergröbert könnte man also sagen: Alles, was passiert, bis ein Film (oder ein anderes Kunstwerk oder Unterhaltungsprogramm) fertig ist, gehört zur Seite der Akquisition – zum Zeitpunkt der Fertigstellung übernimmt dann die Distribution. Der Sender, der Verleiher, transportiert, auf welche Weise auch immer, das fertige Produkt zum Konsumenten. Das ist „the big divide“: Akquise/Distribution.

Aus dem heftig tobenden Streit auf der Distributionsseite (Im Extrem: „gib mir saubillisch oder für umme“) werden nun aber zur Verblüffung von uns auf der Akquisitionsseite, gerne mit erkennbar mangelhafter Sachkenntnis, Kategorien abgeleitet oder einfach zusammenphantasiert, nach denen nun die Akquisitionsseite künftig gefälligst zu funktionieren habe. Das alles, damit nur bitte die eigene politische, kulturelle und ökonomische Theorie stimmig bleibt. Und das ist blöde. Nicht zuletzt weil die Akquisitionsseite eben leider teilweise leider ganz anders funktioniert, als die „piratenaffine Netzpolitik“ das sich und dem staunenden Publikum glauben machen möchte. Kernthese ist: Aufgrund der geradezu wundersamen Wirkungen moderner Technologien (hier Netz und digitale Technik) kann man zum Beispiel Filme so billig machen, dass auch die finanziellen Ausfälle auf der Distributionsseite damit auszugleichen sind. Was leider eins ist: grundfalsch.

Weltfremde Prämissen

Es fängt mit der bitteren Erkenntnis an, dass das Netz und digitale Technologien zwar an manchen Punkten der Herstellungstätigkeit höchst hilfreich sind und manchmal Dinge ermöglichen, die früher nicht möglich waren – an den grundsätzlichen Voraussetzungen und Anforderungen von Filmherstellung zum Beispiel sich aber weitaus weniger geändert hat, als viele das gern hätten oder glauben.

Natürlich ist Filmproduktion im Low- und No-Budget-Sektor an einigen, durchaus wichtigen Fronten, etwas einfacher geworden. Sobald aber die Ebene der kurzen oder extrem selbstausbeuterischen Form(en) von Filmherstellung verlassen wird und der professionelle Teil beginnt, stehen alle, die Filme in zum Beispiel 90er oder seriellen Formaten machen, vor ungefähr den gleichen strukturellen Problemen bei Kosten und Aufwänden. Wir reden also von Faktoren, die kaum oder gar nicht veränderbar sind – oder nur zum Preis einer radikalen Veränderung der Inhalte selbst und/oder ihrer Ästhetik.

Lustig dabei: Was am liebsten für „Umme“ gesaugt wird, ist ohnehin – neben den fragwürdigen Produkten der pornografischen Industrie (nahezu zwei Drittel der Abmahnfälle!) – die teure Spitzenware der Unterhaltungs- und Filmindustrie – und, leider, eben nicht die Doku über aserbaidschanische Kunst des 19. Jahrhunderts oder über den Ressourcenkrieg im Kongo.

Schon das ist für manchen Web-Aktivisten schwer zu verknusen. So er das dann überhaupt glaubt und irgendwann selbst feststellt, dass die Hauptkosten bei Filmen immer Personalkosten sind, folgt auf dem Fuß, dass die „fetten Jahre“ nun halt mal für alle vorbei seien und die Filmschaffenden gefälligst den Gürtel enger schnallen sollen. Regisseuren werden in Diskussionen zudem Traumgagen unterstellt (und auch schon mal der empörte Vorwurf geäußert, die würden beim Drehen auch noch schöne Frauen kennenlernen und eventuell mit denen Unaussprechliches tun) und alle Schauspieler verdienen wie Brad Pitt oder wenigstens wie Veroncia Ferres.

Selbst wenn man das schnell in den Bereich frei flottierenden Unsinns verweisen kann und klar macht, das abgesehen von wenigen prominenten Figuren, die Gagen im Filmbereich beständig sinken und zum Beispiel Konrektoren von Gesamtschulen im Allgemeinen ja auch etwas besser verdienen als Taxifahrer (was man für ungerecht halten kann, aber das ist dann eine ganz andere Diskussion), während parallel – dicht hinter den Binnenschiffern – im Bereich Filmproduktion die höchsten Wochenarbeitsstundenzahlen aller Berufsgruppen gekloppt werden: Es wird mit Stentorstimme gefordert, das alles habe sich nun zu ändern, weil jetzt eben die ganz neue Zeit gekommen sei.

Vom Widersinn der Kostenloskultur

Und damit errichtet man aus der Distributionsseite plötzlich ein Diktat für die Akquisitionsseite, das in der Konsequenz ungefähr so sinnvoll ist wie ein Verbot der Schwerkraft auszurufen: Weil nun einmal restlos jedes System, von dem man einen Output erwartet, einen Input haben muss, der – wenigstens im statistischen Mittel – dem Output entspricht. Erhält es den nicht, stirbt das System ab. Oder es muss sich auf einer niedrigeren Energieebene versuchen wieder zu stabilisieren. Das ist, leider, eine Korrelation, gegen die bisher kein Kraut gewachsen scheint. Auch nicht im Netz. Programmakquisition kostet. Nun setzt sich der Netzaktivist – soweit er nicht wie Herr Kramm ohnehin schon Hutträger ist – gerne die „Potter meets Gandalf“ Kappe auf um zu verkünden, es entstehe durch das entgeltfreie Kopieren ja erstens gar kein materieller Schaden und es gäbe zahllose Beispiele der „Kostenloskultur“, siehe Privatsender, die prächtig gedeihen. Leider vergisst er dabei gern, dass die Kostenloskultur etwa von Senderfamilien wie Sat1/Pro7 oder RTL alles ist, aber nicht kostenlos.

Alle Kosten der Sender wie der für die Sender Arbeitenden, sind in die Produktkosten, die wir an der Kasse des Supermarktes oder der Tankstelle entrichten, via Werbeetat des Herstellers und Schaltkosten für die Spots einfaktoriert. Also zahlen wir die brav und wir zahlen damit auch für die satten Gewinne der Senderbesitzer, die prächtig an den Börsen reüssieren.

Während man sich also über die angeblichen Spitzengehälter bei den ÖR‘s grämt, die aus der Fernsehgebühr dem Zuschauer abgepresst würden, scheint niemand ein Problem darin zu sehen, dass er an der Kaufhauskasse auch für die wirklich leckeren Gehälter von Werbeagentur-Chefs abdrückt. Und dass er an der Supermarktkasse auch kein Geld zurückverlangen kann, nur weil er für Frau Katzenberger oder Dieter Bohlen nicht zahlen möchte oder ihm der zweite Teil der Wanderhure vielleicht nicht gefallen hat, entgeht auch vielen.

Nun bilden sich derzeit andere Finanzierungsformen für Programme heran, etwa Crowd-Funding, die von den Menschen mit der Zaubermütze gern ins Feld geführt werden. Wogegen auch gar nichts einzuwenden ist. Abgesehen von der ernüchternden Tatsache, dass es öfter eher leider gar nicht funktioniert und wenn, dann meist nur mit eingeführten „Marken“ oder Schauspielernamen, die in den klassischen Medien groß geworden sind. Und dem „practical joke“, dass beim „Crowd-Funding“ ja auch ganz reales Geld bezahlt wird.

Die Strukturen der Akquisitionsseite bei Film sind natürlich weder in Stein gemeißelt noch in Beton gegossen. Und natürlich kann es immer wieder zu Verschiebungen und Neudefinitionen in der Struktur und dem Verhältnis zwischen Akquisition und Distribution kommen. Aber man muss dann dem Publikum bitte eines ehrlich sagen: Dass eine radikale Veränderung, in der eine Seite über die andere dominieren möchte, dann auch radikale Folgen haben wird. Die Filme werden deutlich anders aussehen. Und sie werden ganz bestimmt nicht teurer aussehen. Input = Output = Input = Output ... etc. etc. ...

Es besteht eben doch eine tiefere, nicht weg zu diskutierende Wechselbeziehung zwischen mindestens der formalen Qualität von – hier – Filmen, deren Musik oder Ausstattung, der Besetzung und der Frage, wie viele Mittel dafür zur Verfügung stehen. Selbst ein „normales“ TV-Movie das in einem Bezahlsystem hergestellt wird, kostet zwischen 1,2 bis 1,5 Millionen Euro und nein, dieses Geld wächst nicht auf Bäumen.

Es steht zudem zu bezweifeln, dass der gestandene Lausauger lieber Piraten der Badewanne sieht als Piraten der Karibik, selbst die nicht-maritime Wanderhure verschlingt ordentliche Etats und sei es nur für Kostüm und Set-Design. Also, Merksatz: Badewanne geht für ganz wenig, Bodensee ist schon ziemlich teuer, Karibik kostet richtig viel. Und wer das Produkt nutzt, sollte es bitte irgendwie auch bezahlen. Sonst fliegt nämlich der Stöpsel aus der Wanne. Sorry.

Die „nicht-lizensierte“ Vervielfältigung auf der einen Seite wird zu einer Reduktion beim finanziellen Input auf der anderen Seite führen. Die Versuche, das zu quantifizieren werden dabei immer „unter Verdacht“ gestellt, sobald sie nicht das Ergebnis zeigen, das die Netzaktivisten bereits putativ für sich ermittelt haben. Und es kommt zu großen Festivals der Begründungsakrobatik, mit teilweise grotesken Berechnungen wie bei Vor-Galileo‘schen Planetenmechanik: kein Weg zu absurd und gleichzeitig ausgediftelt, um die These zu schützen, alles drehe sich um die Erde. Nur um nicht anzuerkennen, dass es am billigsten immer auf „Rudi‘s Resterampe“ ist – die Produkte dann, bis auf Ausnahmen, aber qualitative auch entsprechend ausfallen.

Ist Kunst systemrelevant?

Mir persönlich ist es übrigens relativ wurscht, woher das Geld kommt, um meine Filme zu machen, solange dabei meine Mitarbeiter und – Entschuldigung – auch ich halbwegs fair bezahlt werden und im Erfolgsfall nicht nur die Leute a la Kim Schmitz kassieren, die mit der Herstellung des Erfolges rein gar nichts zu tun hatten. Und, ja, ich stelle umgekehrt auch Inhalte für umsonst ins Netz, wo mir das passend erscheint. Es ist aber meine Entscheidung und darf mir nicht über ein Aneignungsdiktat weggenommen werden. Für uns auf der Akquisitionsseite, denen im Moment schon von den bestehenden Strukturen ziemlich kräftig eingeheizt wird und die zu Recht jammern, die aber trotzdem noch relativ gut geschützt und gestützt ist, wird es aber absehbar finster, wenn sich wirklich in den Köpfen größerer Teile des Bevölkerung der Glaube festsetzte, „Das Netz“ sei das moderne Äquivalent zum Stein der Weisen und habe die Qualität, einfachste logische und ökonomische Zusammenhänge wenigstens teilweise außer Kraft zu setzen. Als lebe irgendwo in der digitalen Röhre die Gottheit „Umme“ und schaffe etwas aus Nichts.

Vielleicht erklären sich aber daraus auch die manchmal verblüffende Emotionalität und Windstärke der „Shit-Storms“: Dass wir es in manchen Ansätzen schon eher mit einem semi-religiösen Phänomen als mit einer rationalen Debatte über die Kommunikationsstrukturen in unserer Gesellschaft zu tun haben. Die wirkliche Ironie dabei ist, dass erneut der Vertrieb die Programmproduktion dominieren will, nur jetzt in anderer Gestalt. Das Fließband konfektioniert, was es eigentlich nur transportieren sollte. Wie gut das „Programm“, der Kunst, der kreativen Arbeit bekommt, ist bekannt.

In der Konsequenz heißt das: Die Transport-Technik verändert die Inhalte nicht in einem Prozess, sondern durch ein Diktat. Wäre das so, dann dient sie den Inhalten nicht mehr, sondern würde sich diese unterwerfen. Dann käme es zum Sieg der Informatiker über die Künstler. Dann wären Kunst und Kreativität wirklich nicht mehr „systemrelevant“.

Das wäre dann eine deutlich andere Welt und uns bliebe nur noch zu sagen: „Good night and good luck“.

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