01.03.2006
Sind wir Energiesünder?
Analyse von Josef H. Reichholf
Josef H. Reichholf schlägt zur Bewertung des globalen Energieverbrauchs menschliche Maßstäbe vor.
Der Gasdruck fiel deutlich ab. Um 40 Prozent, und das stundenlang. Stundenlang, nicht tagelang. Zu befürchten wäre es gewesen, weil mitten im Winter, in den ersten Januartagen des sechsten Jahres im dritten Jahrtausend, tatsächlich Winter herrschte. Allen Mutmaßungen und Modellrechnungen der Klimapäpste zum Trotz, die doch schneearme Winter vorhergesagt hatten, schneite es so sehr, dass am Spätnachmittag des 2. Januar 2006 die Decke des Bad Reichenhaller Eissportstadions brach, einstürzte unter der Last von einem Dreiviertelmeter Schnee und einen Teil der anwesenden rund 50 Personen unter sich begrub. 15 davon starben.
Daheim liefen die Fernseher in den Wohnungen weiter wie auch die Gasheizungen, die bekanntlich besonders klimafreundlich heizen, weil jedes Molekül Methan bei der Verbrennung nur eines an Kohlendioxid, aber zwei von angeblich klimaunschädlichem Wasser(dampf) abgibt. Der CO2-Ausstoß ist damit im Vergleich zum Heizöl oder gar verglichen mit der schlechten alten Kohle deutlichgeringer. Das ist „gut“ für das Klima und für Russland sowie für Norwegen und England, die Hauptlieferanten unseres Ferngases. Weniger gut war das für die Ukraine, die nach dem Tschernobyl-Unfall die Reaktoren verloren hatte bzw. abschalten musste und dafür Gas aus Russland beziehen muss. Von Deutschland und Europa erhält die Ukraine dafür ganz besonders viel moralisch-politische Unterstützung. Denn die Kernkraft ist hierzulande sehr unbeliebt, seit die 1986er Tschernobyl-Wolke neben Österreich und Südostdeutschland auch Finnland streifte. In Finnland hat man Holz, viel Holz. Bei uns mehren sich nun auch bewundernde Berichte über sagenhafte Heizungen, die wohlige Wärme bei wohltuend niedrigen Kosten bringen. Sogar Kommunen, die sich eigentlich (und zwar in vorbildlicher und ordentlichster Weise) um die Versorgung ihrer Einwohner mit Gas und Strom kümmern sollten, ziehen es mancherorts vor, sich zumindest versuchsweise von der öffentlichen Versorgung abzukoppeln, um das auszuprobieren, was die Urväter seit Urzeiten in den kalten Jahrhunderten der „Kleinen Eiszeit“ stets gemacht hatten: mit Holzöfen heizen. Ungeheuerlich! Eine klimatisch so wichtige, für den Wasserhaushalt ganzer Landschaften unentbehrliche Ressource wie Holz, das noch dazu in naturnahen Ökosystemen heranwächst, eine solche Ressource wird in althergebrachten, nur aufgemotzten Öfen einfach verbrannt. Mancherorts rauchen in Deutschland wieder Schornsteine.
Lagen da nicht noch irgendwo auch ein paar Säcke Kohlen im Keller? Doch nein, an die Kohle, an die darf auch nicht mehr gedacht werden. Sie ist doch keine erneuerbare Ressource. Wir haben sie mit dem „Kohlepfennig“ lange genug subventioniert. Nun soll sie in ihren riesigen Lagern, die für Jahrhunderte reichen würden, in Frieden ruhen. Kohle wächst nicht in Wäldern, Holz schon. Daher ist jetzt plötzlich Holz wieder ganz natürlich und gut.
Kohle „wuchs“ einst in so üppig wuchernden Wäldern, dass diese an ihrer höchst unausgewogenen Überproduktion nahezu erstickten. Wie jene Vegetation auch, von der das Sumpfgas, das Faulgas stammt. Es entsteht beim Verrotten von Pflanzen, wenn zu wenig oder gar keine Frischluft, kein Sauerstoff, hinzukommt. In Sümpfen und Mooren vor allem. Davon hat Russland mehr als genug und die weitaus größten Vorräte. Wegen diesem Sumpfgas darf auch der Dauerfrostboden in Sibirien nicht auftauen, sonst entweicht es zu schnell; viel zu schnell, bevor viel spätere Generationen so ein Sumpfgas auch nutzen könnten, um zu heizen, wie wir das mit dem älteren, tiefer im Boden steckenden Gas tun. Denn Erdgas und Sumpfgas sind chemisch gleich; Methan, CH4 nämlich.
Die halb verfaulte Brühe früherer Zeiten der Erdgeschichte, als es noch lange keinen Menschen gab, erzeugte dieses Methan, das wir uns aus Sibirien herholen, aus der Nordsee bohren und zuleiten lassen. Oder neuerdings, in zwar noch recht bescheidenen Mengen, aus „Biomasse“ gewinnen, die extra dafür angebaut und demnächst die ausgedehntesten Monokulturen überhaupt bringen wird. Ein ganz klein wenig stammt auch aus der Gülle. Aber mit der weiß die moderne Landwirtschaft Europas nicht mehr wohin. Dieser stinkenden Soße wegen kostet unser Trinkwasser so viel, weil es entweder von weit her antransportiert werden muss oder das von ihr zu stark belastete Grundwasser aufbereitet und von allem Zeugs befreit werden muss, das landauf landab hineingerät. Gas ist eben doch nicht gleich Gas, auch wenn es chemisch unbestreitbar gleich ist. Es macht schon ganz erhebliche Unterschiede, ob es als „gutes Gas“ aus Russland kommt, oder als zukunftsträchtige Energiequelle mit dem Gütesiegel „Bio“ bei uns hier erzeugt wird, oder ob es aus den Mäulern von Rindern herausgerülpst wird und den Schloten von Termitenhügeln in der Tropen- und Subtropenwelt entsteigt – als problematischstes Treibhausgas überhaupt.
Kinder der Tropen
Doch was kümmert das alles angesichts der Unsicherheiten mit Ferngasversorgung und Klimawandelsorgen? Wir wollen warme Stuben und brauchen diese auch. Sogar aus unabweisbar gutem Grund: Wir Menschen sind Kinder der Tropen. In den afrikanischen Tropen sind wir als Lebewesen entstanden und zu dem herangereift, was dann schließlich dem Aussehen nach Mensch geworden war und in alle Welt hinausschweifte.
Unser Stoffwechsel verrät diese Herkunft. Er ist auf Tropenverhältnisse eingestellt und erzeugt ohne schwere körperliche Betätigung nur so wenig Eigenwärme, wie wir im paradiesisch nackten Zustand in der Tropenheimat verlieren würden. Da die zugehörige Außentemperatur bei 27 Grad Celsius liegt, heißt das, dass wir uns in diesem Temperaturbereich in etwa im „thermoneutralen Zustand“ befinden. Wird es wärmer, sollten wir in den Schatten gehen oder uns mit Schwitzen kühlen. Dafür stehen uns jede Menge Schweißdrüsen auf der ganzen Hautoberfläche des Körpers zur Verfügung. Wird es kälter, hat uns die Vorsehung der Natur zunächst (und das für weit mehr als 90 Prozent unseres Daseins als Art) nur zwei Möglichkeiten geboten. Entweder wir tun etwas und genügend davon, dass uns über Bewegung warm genug wird, oder wir hüllen uns in Felle oder, vornehmer, in Kleidung, die uns ausreichend isoliert.
Dass das erstaunlich gut geht, zeigen bis heute noch manche Bewohner hochnordischer Gegenden, wie die Inuit, die in Felle eingewickelt den arktischen Stürmen trotzten und in Halbkugeln aus Schneestücken, den Iglus, nicht nur liebten und sich fortpflanzten, sondern in der Polarnacht auch lange schliefen, ohne zu erfrieren. Dafür aber mussten sie sehr viel Robbenfett und Waltran zu sich nehmen, um ihren Stoffwechsel entsprechend zu „befeuern“, sonst hätten sie trotz guter Felle nicht überlebt. Denn ein Iglu lässt sich nicht mit Lagerfeuerchen heizen.
Der große Rest der Menschheit hingegen zog es vor, außerhalb der Tropen, wo immer es sie hingezogen oder hin verschlagen hatte, sich zusätzlich zur Kleidung, die also nicht aus Scham, sondern der Kälte wegen vonnöten war, mit künstlichen, mehr oder weniger gut isolierenden Höhlen, genannt Wohnungen, warm zu halten. Das geht, so man heizen kann, viel besser, als sich mit Stoff in fünf oder mehr „Kleidereinheiten“ zu hüllen. Tiere, die aus der Kälte kommen, Biber, Eisfuchs oder Zobel und Nerz, tragen ein entsprechend dichtes Fell. Doch als Kleidung würde so eine äußere Hülle von mehreren „Kleidereinheiten“ ziemlich hinderlich.
Kurzum: Der Mensch schuf sich mit Heim und Herd ein Binnenklima, das seiner tropischen Herkunft gemäß ist. Je wärmer draußen, desto weniger gewärmt wird innen – und umgekehrt. So weit, so klar und ganz banal.
„Je weiter weg von den Tropen, desto aufwändiger wird unser Leben.“
Physikalische Messsysteme
Leider haben es Banalitäten so an sich, dass sie kaum jemals beachtet werden. So geschah es, als sich Physiker darum bemühten, die Unterschiede in Wärme und Kälte, die es ja offenkundig und bestens spürbar gab, ordentlich zu messen. Die Grundlage wurde fast gleichzeitig entdeckt und genutzt. Es ist dies die Ausdehnung bzw. Schrumpfung von Flüssigkeiten in Abhängigkeit von der Temperatur. Das geht schon mit Wasser, aber besser mit Alkohol oder dem flüssigem Metall Quecksilber.
Der Rest ist bekannt in Form der Thermometer und eines lustigen Trauerspiels in Form zweier Messsysteme, die partout nicht zusammenpassen. Nur weil ein Ozean mittlerer Größe zwischen ihnen und Europa liegt, legten sich die US-Amerikaner auf Fahrenheit(en) fest, um zu erfahren, wie warm oder kalt ihnen ist, die Europäer und so gut wie der ganze übrige Rest der Welt aber auf Celsius. Man mag davon halten, was man will und kann wechselseitig bedauern, dass man nie wirklich weiß, wie warm oder kalt es ist, wenn man ins andere System gerät. Der ungleich größere Fehler verbirgt sich jedoch woanders. Beide Messsysteme, Celsius wie Fahrenheit, halten nämlich überhaupt nichts vom Menschen und seinen Bedürfnissen, sondern sie beziehen sich auf so Außermenschliches wie die Ausdehnung von Alkohol oder im Falle von Celsius auf den Schmelz- und Siedepunkt des Wassers.
Das mag für das Schema des Physikers gut sein, liegt aber so ziemlich total daneben, wenn es um Lebendiges, speziell um den Menschen geht, der als einziger, nach allem, was wir wissen, ein direktes Interesse hat, Temperaturen zu messen, aufzuzeichnen und zu bewerten. Klapperschlangen und einige ihrer Verwandten können zwar viel genauer messen als ein normales Thermometer, aber nur im Hinblick auf die Unterscheidung, ob es sich um eine mögliche Beute handelt oder nicht, wenn sie mit ihrem eigenen Wärmesinnesorgan hinter der Nase auf Zehntelgrad oder noch feiner „schnuppern“. Wir aber wollen „messen“ und nicht vergleichen. Nur wenn die Suppe zu heiß ist, kommen wir der Klapperschlange nahe.
Worauf wollen diese zugegebenermaßen bissigen Bemerkungen hinaus? Nun, liegt das nicht auf der Haut? Die 27 Grad der Celsiusskala sind unser „Null-Grad-Wert“ und nicht die „Null“ des schmelzenden Eises. Je mehr von unserem Thermoneutralwert nach unten abgewichen wird, umso mehr müssen wir von innen her nachheizen oder uns von außen einhüllen und schließlich in Räume begeben, weil’s doch zu kalt geworden ist. Hätten die Physiker eine sinnvolle Skala geschaffen, hätten sie durchaus mit den Hundertsteln der Spanne zwischen Schmelzpunkt von Eis und Siedepunkt des Wassers arbeiten und skalieren können. Aber bitte eben von den (heutigen) 27 Grad aufwärts mit „plus“ und abwärts mit „minus“. Lächerlich? Ganz und gar nicht. Bedenkt man nämlich das, was nun folgt, wird der Sinn sogleich klar. Und es wird ganz deutlich, warum der Energieverbrauch auf der Erde einem ganz logischen Muster entspricht, das nicht heißt: „arm und reich – wenig und viel“, sondern ganz anders lautet: „Je weiter weg von den Tropen, desto aufwändiger wird unser Leben.“
„Am besten könnten wir Energie sparen, wenn die Winter wärmer, erheblich wärmer würden.“
Unterschiedlicher Brennstoffbedarf
Natürlich braucht der Mensch in einer bestimmten Zeitspanne, wie etwa in einem Jahr, umso weniger „Brennstoff“ in der Nahrung, die er zu sich nimmt, je mehr Tage es mit einem Mittelwert von 27 Grad gibt. Im Idealfall von dauerhaften 27 Grad, wie sie durchaus in weiten Bereichen der feuchten Inneren Tropen vorkommen, wo die Tagesabweichungen nur wenige Grad betragen, braucht der Körper neben dem tropischen Grundumsatz auch praktisch keine weitere Wärme erzeugen. Proteinreiche, an Fetten und Kohlenhydraten arme Nahrung wäre ideal – und auch wenig anstrengende Bewegung sollte es geben im Tropenleben (also viel Siesta in der Hängematte). Am anderen Ende der Skala stehen die Bewohner polarer Gebiete mit sehr viel Aufenthalt im Freien oder in ungeheizten Unterkünften. Sie brauchen massig fettreiche Nahrung, um so ein Leben führen zu können. Dazwischen gibt es alle Abstufungen von mehr oder weniger „Heizbedarf“ im Körper, je nach geografischer Breite und Klimazone.
Entsprechendes gilt natürlich auch für die Wohn- und Aufenthaltsräume. Die Heizkosten steigen mit der Zunahme der Entfernung vom Äquator und von den temperierten Meeresküsten. In den so genannten gemäßigten Breiten, also hierzulande, liegen sie etwa in mittleren Bereichen, denn es gibt (manchmal und für ein paar Wochen am Stück sogar) den Sommer und (mit absoluter Sicherheit) die „Heizperiode“. Deshalb zeigt so gut wie jede genauere Betrachtung, dass wir hier in Mitteleuropa pro Person rund die Hälfte oder sogar einen erheblich größeren Teil der Energiekosten auf die Heizungen zurückzuführen haben. Bei einem Volk von 82 Mio. Menschen ist das eine ganze Menge pro Jahr, nämlich mehr als 20 Mio. Tonnen Steinkohle-Einheiten. Die müssen wir verfeuern, damit es uns, den Kindern der Tropen, hierzulande nicht zu kalt wird. Rauchende Schlote waren die Folge, und sie werden wohl mit Ruß und Wintersmog wiederkehren, weil ein viel zu unbedeutender Anteil der Bevölkerung es sich leisten kann, in den Tropen zu überwintern.
Könnten wir das in solchem Umfang wie die Zugvögel, würde es uns trotzdem eine riesige Menge Energie kosten. Bewegungsenergie nämlich, wie bei den Zugvögeln auch. „Transportkosten“ ist der gebräuchlichere Ausdruck dafür. Wie man im Hinblick auf Massentransporte diese Kosten sieht, verraten die Preise der Deutschen Bahn. Nicht in größeren, sondern in kleineren Mengen wird nach Vogelart günstiger und viel weiter transportiert; zu Kurzstrecken-Bahnpreisen bis zu den Kanaren oder in die Karibik. Das Leben außerhalb der Tropen hat seinen Preis, so oder so.
Die Menschen in Sibirien wissen das offensichtlich besser einzuschätzen als die meisten Energiefachleute, die uns vorrechnen, welch ausgemachte Energieverschwender wir doch seien. Was wir verbrauchten, gehe auf keine Haut einer indischen Heiligen Kuh, und wir sollten uns vor den Menschen dort schämen, die mit viel weniger Energie auskommen müssten. Ziemlich niedrig im globalen Vergleich liegen aber nicht nur die Inder, sondern erstaunlicherweise auch die Brasilianer, obwohl sie moderne Megastädte mit so vielen Wolkenkratzern gebaut haben, auf Straßen kontinentaler Länge fahren und durchaus auch mal ins Herz Amazoniens, nach Manaus, zum zollfreien Einkauf jetten. Die uns näher liegenden Spanier verbrauchen, wie auch die Italiener, pro Kopf weniger als wir Deutsche, die Russen jedoch, wie auch die Kanadier, viel mehr. Das System, das dahinter steckt, zeigt sich rasch, werden die Länder nur einigermaßen ihrer Geografie gemäß gruppiert. Dann sind die Tropenländer die „Guten“, weil sie im Energieverbrauch am niedrigsten liegen und weil sie am ärmsten sind.
Nicht für alle gilt das mit der Armut, aber für die überwiegende Zahl der Menschen in der globalen Tropenzone schon. Doch es gibt einen klaren „Ausreißer“, Australien nämlich. Obwohl der weithin subtropische Kontinent weit in die Tropen hineinreicht und nicht gerade für kaltes Klima berühmt ist, verbrauchen die „Aussies“ geradezu unerhört viel Energie pro Kopf. Pro Schaf ist darin gar nicht enthalten, denn es geht nur um die CO2-Freisetzung und nicht um Methan, mit dem Australien mit seinen 140 Mio. Schafen und 30 Mio. Rindern die Atmosphäre so überreich flutet, dass es den ganzen Autoverkehr in Deutschland damit an Klimawirksamkeit leicht aufwiegt. Und das, obwohl hierzulande viermal mehr Menschen als in Australien leben. Wenn ein größeres Land zum Energiesünder abgestempelt werden sollte, dann gebührt diese Bezeichnung am ehesten Australien. Wir Deutsche liegen nämlich ganz ordentlich im global angemessenen Mittelbereich. Und wäre das Klima tatsächlich deutlich wärmer (geworden), würde sich das am stärksten im Verbrauch von Energie für die Heizungen auswirken. Warme Winter bedeuten geringe Heizkosten. Der Gewinn könnte auch nicht mit noch so vielen Fahrten zum Wintersport in die Berge aufgewogen werden. Am besten könnten wir Energie sparen, wenn die Winter wärmer, erheblich wärmer würden. So warm am besten wie im Hochmittelalter, als man vergessen konnte, in die Häuser und Paläste überhaupt Heizungen einzubauen und himmelhohe Kirchenschiffe im Sommer Orte der Kühlung waren, im Winter aber die Gläubigen nicht zum Erfrieren brachten.
„Könnten wir die menschliche Neutraltemperatur von 27 Grad Celsius gleich Null setzen und die Abweichungen, die wir ausgleichen müssen, bewerten, sähe unser Energieverbrauch im Vergleich zur Tropenwelt ganz anders aus.“
Menschliche Messsysteme
Wärme und Kälte sind global in einem bestimmten Muster verteilt. Solch globale Muster verdienten es schon, zumal in Zeiten extrem teuerer Energie und der so viel bemühten Globalisierung, genauer betrachtet und berücksichtigt zu werden. Zumindest hat der Angeklagte das Recht auf Verteidigung. Ihm einfach anzuhängen, er sei sündig und daran, dass das so ist, sei nichts zu ändern, mag im finsteren Mittelalter ein probates Mittel gewesen sein. Dass es ein rundes Jahrtausend später auch noch recht gut wirkt, wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere Bereitschaft, „sündig“ zu sein und dafür Buße zu tun, das wir, die 82 Millionen Menschen in Deutschland, über 400 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten (SKE) pro Jahr verbrauchen.
Ein gutes Stück mehr, nämlich rund 500 Millionen Tonnen SKE, gehen allerdings auch alljährlich in den Tropen und Subtropen in Flammen auf, weil Wälder und Viehweiden abgebrannt werden; eine Fläche so groß wie ganz Australien. Kein Rad wird mit dieser Energiemenge gedreht, kein Leben auf dem Operationstisch gerettet. Die Energie wird einfach verfeuert. Alle Sparziele Deutschlands, den Energieverbrauch zu senken, verschwinden in den wechselnden Mengen abgebrannter Tropennatur. Und die Kuh, die rülpst dazu (ihr Methan hinaus), denn diese riesige Energiemenge wird vergeudet, damit ein paar Grashalme mehr wachsen für die Mäuler von Kühen auf dem Planeten der Rinder.
Das unpassende, ja nachgerade aus menschlicher Sicht falsche Messsystem der Temperaturen verschleiert solche Zusammenhänge. Deshalb ist es wirklich höchst bedauerlich, dass man es den alten Physikern erlaubt hat, uns eine Temperaturskala zu verpassen, die überhaupt nicht zum Menschen passt. Könnten wir unsere Neutraltemperatur von 27 Grad Celsius gleich Null setzen und die Abweichungen davon, die wir ausgleichen müssen, bewerten, sähe unsere Energiebilanz im Vergleich zur Tropenwelt ganz anders aus. So ab minus 10 Grad, also bei den plus 17 Grad des Celsius, wird Heizen nötig, und der Temperaturunterschied zur Außenwelt ist mit Kleidung allein in Ruhe nicht mehr auszugleichen. Bei minus 20 Grad muss die Heizung surren, bei minus 30 Grad bildet sich draußen auf den Pfützen Eis, und minus 40 Grad sind ernst zu nehmen. Sehr schnell und sehr klar würden sich so Tagesfehlbeträge aufsummieren, die naturnotwendig, weil von Wetter und Klima vorgegeben, mit Energieaufwand auszugleichen sind. Der Jahresfehlbetrag müsste zum Bonus für das betreffende Gebiet oder Land werden. Die Differenz könnte auch noch detaillierter ermittelt werden; wozu haben wir so viele meteorologische Messstationen? Was wir von diesen bekämen, wären verlässliche Wetternachhersagen in Form gewichteter Abweichungen vom „richtigen Nullwert“ unseres körperlichen Zustandes und nicht Vorhersagen, die ohnehin nicht einmal gut genug für drei Tage im Voraus ausfallen.
Was wir dringend brauchen, wären auf jeden Fall faire Vergleiche mit den begünstigten oder den noch schlechteren Regionen dieser Erde. Daraus könnte der Energieverbrauch normalisiert werden, und wirkliche Verschwendung würde deutlich werden. Wie eben die der Australier. Sollte sich dann zeigen, dass die Finnen mit ihren Saunen in der Bilanz besser dastehen als wir, zeichnen sich interessante Lösungsmöglichkeiten ab. Bis hin zu so einfachen Maßnahmen wie etwa der, die Hochschulsemester vom Winter und Sommer auf Frühling und Herbst zu verschieben. Zur Erzeugung eines tropenähnlichen Binnenklimas in dafür äußerst ungünstig gestalteten Räumen, wie es Hörsäle nun mal sind, die in den temperierten Zeiten „ruhen“, aber im Hochwinter hochgeheizt werden müssen, während im Hochsommer darin alles hochgradig schwitzt, würde weniger Energie eingesetzt werden müssen.
Natürlich scheitert dies an den Gegebenheiten, denn die verwaltungstechnischen Hürden liegen dafür einfach zu hoch. Eher bekommen wir eine richtige Klimaerwärmung als energetisch vernünftige Lösungen. Die Energiesünder, die das zu verantworten haben, sitzen in den Verwaltungen und nicht in den Hörsälen, wohin Zigtausende Studierender fahren müssen, ob „öffentlich oder sonst wie“, wenn es draußen stürmt und schneit und alles vor Kälte kracht. Mit vorauseilendem Gehorsam auf die ganz milden Winter nach erfolgter Klimaerwärmung lässt sich so etwas sicher nicht entschuldigen. Beispiele fänden sich viele in dieser Richtung; nicht uninteressant sollten sie sein im Hinblick auf den Kassenstand der Länder, des Bundes und der Kommunen.
Doch geht es nicht allemal besser, wenn wir uns weiterhin als die großen Klimaschänder schröpfen lassen und exorbitante Energiepreise bezahlen? Dann braucht „im System“ nichts geändert zu werden – wie im Mittelalter. Die Ablasszahlungen für unsere Sünden erledigen wir mit der Klimasteuer auf ohnehin schon längst viel zu teuerer Energie – auch wie im Mittelalter, als es um die Steuern für die Obrigkeit ging, die ihren Lebenswandel nicht wandeln wollte. Übrigens folgte auf jene Zeit der Ablasse nicht das „mittelalterliche Klima-Optimum“, sondern die „Kleine Eiszeit“.