20.03.2023

Schweres Versäumnis der Sprachverbesserer

Von Jan Henrik Holst

„Sinti und Roma“ klingt nur scheinbar wie eine politisch korrekte Bezeichnung von Menschengruppen. Bei genauerem Hinsehen fällt nämlich auf: Das ist nicht gegendert.

Neulich sendete 3sat eine Dokumentation, „Kultur-King Korea", über die besonders bei Jugendlichen überaus beliebte Popmusik und neue Filme aus diesem fernöstlichen Land.

An sich sehr interessant – aber leider stellt sich schon nach kurzer Zeit heraus, dass in dem Werk nicht schlicht von „Koreanern" die Rede ist, sondern es wird gegendert, was das Zeug hält: „Koreaner und Koreanerinnen“ oder auch „Koreaner*innen“ müssen es anscheinend im öffentlich-unrechtlichen Fernsehen sein.

Das Phänomen sucht uns ja auch bei anderen Volksbezeichnungen heim. So wurde uns letztes Jahr erzählt, die „Italiener und Italienerinnen“ hätten falsch gewählt – aber hätte man nicht in einem negativ gemeinten Kontext die Frauen lieber nicht mitnennen sollen? Auf die soll doch nichts Böses zurückfallen.

Das brachte mich vor einigen Tagen auf die Frage: Was ist eigentlich mit den Sinti und Roma? Zur Erinnerung: Das sind die mit dem Z-Wort, das man nicht mehr sagen darf, und die mit dem Schnitzel und der Soße. Die Sinti sind der Plural von einem Sinto, so der Singular. Diese Formen kommen aus ihrer eigenen Sprache, die sie aus Indien mitgebracht und bis heute bewahrt haben; sie zerfällt in zahlreiche Dialekte. (Man kann sich das Verhältnis Sinto / Sinti leicht mit Kenntnissen des Italienischen merken, da – wenn auch da der Zufall etwas hineinspielt – in letzterer Sprache ebenfalls oft ein Singular auf -o und ein Plural auf -i miteinander einhergehen: spaghetto / spaghetti, solo / soli.) Eine Freundin erzählte mir jedoch einmal, sie sei auf einem Konzert von Marianne Rosenberg gewesen, und was sie gar nicht gewusst, sondern erst dort erfahren habe: Die sei ja eine Sintessa. Das ist eine weibliche Form für die behandelte ethnische Zugehörigkeit.

Als ich mich an diese Aussage zurückerinnerte, stieg ein Verdacht in mir auf. Auch diese weibliche Form muss irgendeinen Plural haben, und dieser wird wahrscheinlich nicht Sinti sein. Das bewahrheitet sich: Er lautet anders, in einem Beispieldialekt Sintizze. Damit aber ist Sinti eine rein männliche Form! Wer sie benutzt, frevelt also genauso, als wenn er zum Beispiel nur Koreaner, Rumänen oder Ärzte sagen würde. Als nächstes überprüft man dann natürlich das Wort Roma. Und siehe da, es hat einen Singular Rom, aber beide Formen sind rein männlich, und die weiblichen Formen, in Singular und Plural, lauten anders – im Singular Romni. Der gleiche Befund wie eben!

„Jeder, der die Formel „Roma und Sinti" benutzt, macht sich also des schlimmen Sexismus schuldig. Er gendert nicht, und das sogar zweimal!“

Jeder, der die Formel „Roma und Sinti" benutzt, macht sich also des schlimmen Sexismus schuldig. Er gendert nicht, und das sogar zweimal! Da kann man von Glück reden, dass Frauenministerin Lisa Paus ein Internet-Portal mit der Bezeichnung „Meldestelle Antifeminismus" hat einrichten lassen, auf dem den Besuchern ein großer „Vorfall melden"-Button entgegenprangt. Cora Stephan hat bereits darauf gepocht, dass sie – in ihrer Eigenschaft als Kolumnistin – dort auf jeden Fall vertreten sein möchte.

Auf diesen Lisa-Paus-Seiten werden die Namen all derjenigen, die „Roma und Sinti" verwenden, wegen Sexismus für 15 Jahre gespeichert werden müssen – und auch noch anschließend zur Sicherungsverwahrung. Das wird unumgänglich sein. Aber im Ernst: Bei diesem Portal wird alles in einen Topf geworfen, von strafrechtlich relevanten Drohungen und anderen Taten, für die es bereits eine Institution namens Polizei gibt, bis hin zu kritischen Internet-Artikeln, die notwendige Bestandteile einer Demokratie darstellen – gerade in einer Zeit, in der an Universitäten, in der Politik und anderswo mit Absicht Frauenbevorteilung betrieben wird.

Zurück zum Problem: Abhilfe könnte geschaffen werden, indem man zu Roma und Sinti weibliche Formen hinzufügt. In der Wikipedia werden dem verzweifelt Suchenden zum Glück welche angeboten: Romni und Sintezza (oder Sintizza). Das aber macht aus einer ohnehin schon zweiteiligen Formel eine vierteilige. (Und das, wenn man die Kommata und Exemplare des Wörtchens „und“ noch nicht einmal mitzählt. Da, wo früher ein einziges Wort ausreichte!) Zudem müsste man erst einmal über die Pluralformen zu Romni und Sintezza Informationen erhalten.

„Man erfährt von der Existenz der Sprachkuriosität Sinti*zze und Rom*nja. Das muss man erst einmal aussprechen können, und zuvor muss man es sich merken können.“

Vielleicht hilft angesichts der jetzt im Raum stehenden vierteiligen Lösung der Rest des Internets weiter. Googelt man „Roma Sinti gendern", gelangt man auf einige Seiten, in denen tatsächlich politisch korrekt vorgegangen wird, und zwar mit Genderstern. Diese Seiten sind sogar ernst gemeint, und so erfährt man von der Existenz der Sprachkuriosität Sinti*zze und Rom*nja. Das muss man erst einmal aussprechen können, und zuvor muss man es sich merken können. Aber so, wie unter den Taliban Kinder den Koran auswendig lernen und auf diese Art sinnlose Kopfinhalte erwerben, so müssen eben in Zukunft auch die politisch Korrekten eine lange Reihe von Konstruktionen und Sonderformen memorieren – wir erleben die Gründung einer neuen Religion.

Eines darf man jedoch anscheinend nicht tun, obwohl es naheläge: zu hinterfragen, ob nicht die immer weitere Steigerung beim Aufdecken von Sexismus und Rassismus einen Irrweg darstellt. Denn wenn man das hinterfragt, ist man leider selber Sexist und Rassist – etwas, was es unbedingt zu vermeiden gilt, da dies zu Shitstorms, Cancel Culture und dem sozialen Aus führen kann.

Und warum kommt das eigentlich jetzt erst raus, dass Roma und Sinti zweimal rein maskulin sind? Sexistische Sprachskandale – anscheinend die echten Probleme unserer Zeit, trotz Verarmung und Krieg – müssten doch viel schneller durch Whistleblower*innen und -außen und zivilcouragierte Mitbürger*innen und -außen erkannt werden?! Aber gerade diese verfügen oft nicht über die sprachliche Bildung, durch die man solcherlei aufdecken kann.

Und, zur Verteidigung aller: Es liegt natürlich an den für die deutsche Sprache ungewöhnlichen Pluralformen, die in Roma und Sinti vorliegen. Diese aber mussten wegen der Rassismusgefahr anscheinend sein. Da wäre es in Hinblick auf die „geschlechtergerechte" Sprache beim Z-Wort wenigstens schnell aufgefallen, dass da ein "*innen" angeklebt gehört – bei Wörtern auf -er merkt man's sofort. Aber mit oder ohne „*innen" wäre da ja der Rassismus präsent, und die wahre Sprechkunst muss eine Lösung finden, die weder sexistisch noch rassistisch noch anderweitig gruppenbezogen menschenfeindlich ist. Somit wird eben den politisch Korrekten nichts anderes übrigbleiben, als eine vierteilige Formel zu finden oder eine Schluckauf-Lösung.

„Das Schlagerpaar Cindy und Bert ist aus der Trennung zweier früherer Paare hervorgegangen: Cindy und Roma sowie Ernie und Bert! (Hoffentlich bekomme ich für diese Aussage keinen Ärger mit den Faktencheckern.)“

Überhaupt sind zweiteilige Formeln sehr umständlich und schaffen sprachliche Probleme. Das erste Problem ist die Bildung eines Singulars. Aus dem Geschichtsunterricht erinnert man sich an die Kimbern und Teutonen, die in Italien einfielen und den Römern schwer zu schaffen machen. Wenn aber nun ein einzelner von denen einem Römer eins über die Rübe zieht, wie soll dieser das verbalisieren? „Ein Kimber und Teutone hat mir [...]“, oder: „ein Kimber oder Teutone hat mir [...]“? Genau die entsprechende Frage stellte mir vor 25 Jahren tatsächlich mal jemand, als der Ausdruck Sinti und Roma noch relativ neu war. Er begann mit: „Herr Holst, Sie sind doch Sprachwissenschaftler, können Sie mir erklären, wie man das sagt [...]". Als Beispiel benutzte er – er war rechts! – einen Brieftaschendiebstahl mit einem Einzeltäter.

Zweitens entstehen sprachliche Schwierigkeiten auch dann, wenn der Ausdruck mit einem anderen Völkernamen zusammengefügt werden muss. Es ist leicht zu formulieren, Gallier und Römer hätten Auseinandersetzungen miteinander gehabt, aber wie wäre das mit den zuvor erwähnten antiken Stämmen? „Kimbern und Teutonen und Römer“ enthält unschönerweise zweimal „und“, und „Kimbern, Teutonen und Römer“ könnte klingen, als hätten alle drei Gruppen miteinander Auseinandersetzungen, das heißt, als stünden nicht zwei der drei auf der gleichen Seite.

Die dritte sprachliche Herausforderung besteht darin, dass die Reihenfolge in der Formel schwanken kann; es gibt neben Roma und Sinti auch umgekehrt – und vielleicht sogar häufiger – den Ausdruck Sinti und Roma. Übrigens, hätten Sie's gewusst? Das Schlagerpaar Cindy und Bert ist aus der Trennung zweier früherer Paare hervorgegangen: Cindy und Roma sowie Ernie und Bert! (Hoffentlich bekomme ich für diese Aussage keinen Ärger mit den Faktencheckern.)

Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der interessanten Sprache der Roma und Sinti, dem Romani, empfiehlt sich das Buch „Romani: a linguistic introduction“ von Yaron Matras.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!