01.04.2004

Schattenwirtschaft – Fluch oder Segen?

Von Friedrich Schneider

Friedrich Schneider sieht das Versagen der Wirtschafts- und Finanzpolitik als wichtigste Ursache für die starke Zunahme der Schwarzarbeit in Deutschland.

In der Öffentlichkeit werden die Schattenwirtschaft und deren rapides Anwachsen in Deutschland seit über einem Jahrzehnt sehr kontrovers und intensiv diskutiert. Teils wird die Meinung vertreten, die Schattenwirtschaft sei für eine Reihe von wirtschaftspolitischen Problemen (zum Beispiel die Zunahme der Arbeitslosigkeit, die steigende Staatsverschuldung und die wachsenden Defizite der Sozialversicherungsträger) verantwortlich. Andererseits wird auch gesagt, sie stelle einen von Individuen geschaffenen Freiraum dar, in dem man sich unberechtigten und übermäßig hohen staatlichen Zwängen entziehen könne. Ebenso wird das Abwandern in die Schattenwirtschaft als Reaktion auf eine übertriebene Bevormundung der Wirtschaftstreibenden / Steuerzahler durch staatliche Institutionen und Bürokratie empfunden. Darüber hinaus wird argumentiert, dass zumindest ein Teil des wirtschaftlichen Wohlstandes just der Schattenwirtschaft zu verdanken sei, da hier zusätzliche Wertschöpfung entstehe und „schwarz“ verdientes Geld sofort wieder ausgegeben werde.
Die Bereitschaft, in der Schattenwirtschaft tätig zu sein, nimmt in Deutschland seit Jahren ebenso kontinuierlich zu wie die Akzeptanz von Schwarzarbeit. Über die Hälfte der Bevölkerung ist Umfragen zufolge grundsätzlich bereit, Schattenwirtschaft nachzufragen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung leistet selbst Schwarzarbeit / Schattenwirtschaft und umgeht so die Steuer- und Abgabenlast sowie die Regulierungsdichte. Gleichzeitig lässt sich international ein erheblicher Unterschied des Ausmaßes an Schattenwirtschaft feststellen. So gelten beispielsweise in den USA (dort ist die Schwarzarbeit im Vergleich aller OECD-Staaten am geringsten ausgeprägt) weit weniger Vorschriften als in Deutschland, wo – provokant formuliert – alles verboten ist, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Die staatlichen Eingriffe in persönliche Freiräume sind gerade in Deutschland in vielen Bereichen zu weitgehend und provozieren geradezu schattenwirtschaftliche Aktivitäten.

„Die Zunahme von Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung kann auch als eine Reaktion des „kleinen Mannes“ auf die Zunahme der Steuerverschwendung gesehen werden, und man liegt wohl nicht falsch, dies als eine Art „Demokratisierung“ des Steuerwiderstandes zu bezeichnen.“

Ausmaß und Entwicklung der Schattenwirtschaft sind keineswegs nur in Deutschland erheblich. In allen OECD-Staaten ist Schwarzarbeit in erheblichem Ausmaß verbreitet. Spitzenreiter sind die südeuropäischen Länder Griechenland (28,3 Prozentanteil am Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt 2002/2003), Italien (26,2 Prozent), Portugal und Spanien (jeweils 22,3 Prozent), gefolgt von Belgien (21,5 Prozent), Norwegen und Schweden (jeweils 18,7 Prozent). Deutschland rangiert mit einem geschätzten Anteil der Schattenwirtschaft von 16,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt zusammen mit Staaten wie Dänemark, Finnland und Frankreich im „Mittelfeld“.
Die wichtigste Ursache für die starke Zunahme der Schattenwirtschaft in Deutschland seit ungefähr 20 Jahren ist das Versagen der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Nicht nur die zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung auf den Faktor Arbeit und die zunehmende Regulierungsdichte sind wesentliche Gründe für ihr rapides Wachstum, sondern auch die Verunsicherung in der Steuer- und Sozialversicherungsgesetzgebung sowie die auf Umverteilung ausgerichtete Arbeitszeitpolitik. Über die Hälfte der Bürger meint, aufgrund der hohen Steuer- und Abgabenbelastung auf „schwarze Verdienste“ angewiesen zu sein. Deshalb sind alle Versuche der Umverteilung von Arbeit über staatlich geförderte Arbeitszeitverkürzungen (zum Beispiel Frühpensionierung, 38-Stundenwoche etc.) unter Einbeziehung des Wirtschaftszweiges Schattenwirtschaft von vornherein zum Scheitern verurteilt, insbesondere dann, wenn sie nicht den Wünschen der Arbeitnehmer entsprechen. Viele Beschäftigte wollen gern länger arbeiten, und wer dies im „Licht“ nicht mehr darf, wandert in den „Schatten“ ab und arbeitet schwarz.
Eine rationale und langfristig berechen- und planbare Wirtschaftspolitik inklusive einer merklichen Verringerung der Steuer- und Abgabenlast könnte mittelfristig dazu beitragen, dass ein Teil dieser Leistung wieder in der offiziellen Wirtschaft erbracht und die Arbeitslosigkeit deutlich verringert wird. Geschieht dies nicht, wird den Deutschen zunehmend die offizielle Arbeit ausgehen, wohingegen die inoffizielle sich in ungeahnte Dimensionen aufschwingen wird. Denn unter den offiziellen Bedingungen ist die Arbeitskraft in vielen Branchen schon lange nicht mehr bezahlbar bzw. leistbar!
Neben den Ursachen müssen die gesellschaftspolitischen Auswirkungen des dynamischen Wachstums der Schattenwirtschaft analysiert werden, da die Politik sich früher oder später mit diesem Phänomen wird auseinandersetzen müssen. Die Abwanderung in den ökonomischen „Untergrund“ ist eine Reaktion der Bürger auf nicht mehr akzeptierte staatliche Eingriffe, von denen sie sich zu sehr belastet und eingeschränkt fühlen. Statt einer Nutzung von Wahlen („voice option“) zur Veränderung der Situation wird die „exit option“ in die Schattenwirtschaft vorgezogen. Das aber setzt einen Teufelskreis in Gang. Die Beitrags- und Steuerbemessungsgrundlage erodiert durch das Ausweichen in die Schattenwirtschaft, und in der Folge müssen die Beitrags- und Steuergesetze weiter erhöht werden, womit die Attraktivität der Abwanderung weiter erhöht wird.
Dieser kumulative Prozess kann im Extremfall zur Staats- und Finanzkrise führen, denn die formellen Institutionen und Regeln des Zusammenlebens werden nicht mehr akzeptiert: Die geltende Wirtschaftsordnung droht durch „Austritt“ abgewählt zu werden. Die immer verfeinerten und perfektionierten Reglementierungen in Institutionen, die ihre Anschaulichkeit und ihr moralisches Profil längst verloren haben, reduzieren die Bereitschaft zur Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten und verstärken die Bereitschaft zum Trittbrettfahrerverhalten und zur Ausnutzung von Lücken der staatlichen Kontrolle. Die Zunahme der Schattenwirtschaft und damit auch die Steuerhinterziehung können daher auch als eine Reaktion des „kleinen Mannes“ auf die Zunahme der Steuerverschwendung des Staates gesehen werden, und man liegt wohl nicht falsch, dies als eine Art „Demokratisierung“ des Steuerwiderstandes zu bezeichnen. In diesem Licht erscheint eine Verschärfung der Kontrollen und Sanktionen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit wenig Erfolg versprechend, da dies nur die Kreativität der Betroffenen fördert, neue Umgehungsmöglichkeiten zu suchen.
Neben den Ausfällen an Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen treten durch das Anwachsen der Schattenwirtschaft weitere Probleme auf. Die wesentlich niedrigeren Preise in der Schattenwirtschaft führen zu einem unfairen bzw. ruinösen Wettbewerb mit der offiziellen Wirtschaft; gerade Klein- und Mittelbetriebe, die bislang nicht in der Schattenwirtschaft tätig sind, können mit deren Preisen nicht konkurrieren, erleiden wirtschaftliche Nachteile bis hin zum Konkurs oder sehen sich ihrerseits veranlasst, schattenwirtschaftlich aktiv zu werden.
Darüber hinaus werden auch die amtlichen Statistiken verfälscht, was dazu führt, dass etwa die Arbeitslosenquote überschätzt wird. In der Folge kann die Wirtschaftspolitik, die sich an den amtlichen Statistiken orientiert, fehlgeleitet werden. Auch hat die Schwarzarbeit unerwünschte Umverteilungseffekte zur Folge. So fließen Transfers von jenen, die offiziell arbeiten, zu denen, die in der Schattenwirtschaft tätig sind, selbst wenn letztere über ein höheres Einkommen als jene in der offiziellen Wirtschaft verfügen.

„Höhere Strafen allein bekämpfen nur die Symptome der Schattenwirtschaft, sind unter Umständen teuer und aufwendig und führen nicht zum gewünschten Erfolg.“

Schwarzarbeit stellt eine bedeutende wirtschafts-, aber auch staatspolitische Herausforderung dar. Eine Erfolg versprechende Wirtschaftspolitik zur Bekämpfung schattenwirtschaftlicher Aktivitäten wird von der Bekämpfung der Symptome Abschied nehmen und an den Ursachen ansetzen müssen: dies sind der zunehmende Druck von Steuern und Abgaben auf den Faktor Arbeit sowie die zunehmende Regulierung in der offiziellen Arbeitswelt. Höhere Strafen allein bekämpfen nur die Symptome der Schattenwirtschaft, sind unter Umständen teuer und aufwändig und führen nicht zum gewünschten Erfolg. Gelingt es mittel- bis langfristig nicht, die hohen Nebenkosten des Faktors Arbeit wieder wesentlich zu verringern, und gelingt es außerdem nicht, mit anreizorientierten Maßnahmen viele kleine Zusatzarbeiten pauschaliert steuerlich und sozialversicherungsmäßig abzugelten und hierfür hohe Freigrenzen für die schon offiziell in der Wirtschaft Beschäftigten zu schaffen, wird man die Schattenwirtschaft nicht effizient bekämpfen können. Darüber hinaus sollten die vielen Regulierungen und Vorschriften, die sich oft lähmend auf die Wirtschaft auswirken, durchforstet und verringert, konsequent reduzierte Mehrwertsteuersätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen eingeführt sowie kurzfristig die staatliche Bauförderung nicht mehr auf Sachleistungen angewendet werden.
Alle diese Maßnahmen versprechen in der Summe kurzfristig sicherlich keine bedeutende Reduktion der Schattenwirtschaft, da das „Abgleiten“ in dieselbe viel leichter geschieht als ihr Verlassen und weil in der offiziellen Wirtschaft nicht so schnell Alternativen für den Einkommensverlust geboten werden. Langfristig gesehen sind die vorgeschlagenen Maßnahmen sicherlich Erfolg versprechend. Es besteht also nicht etwa ein Mangel an Instrumenten oder Maßnahmen gegen Schwarzarbeit, sondern es fehlt bislang der Wille der verantwortlichen politischen Entscheidungsträger, die entsprechenden Maßnahmen gegen zu erwartende Widerstände durch- und umzusetzen.

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