01.04.2001
Satire-Reise durch die russische Realität
Kommentar von Kerstin Kubanek
Ein Buchtipp von Kerstin Kubanek.
“Es darf davon ausgegangen werden, dass sich der Mittelstand in Russland aus Intellektuellen zusammensetzt, die aufgehört haben, national zu denken, und stattdessen überlegen, wie sie zu Geld kommen.”
Einen dieser Intellektuellen begleiten wir auf seiner satirischen Reise durch die russische Realität. Tatarski, unfreiwilliger Spross der Pepsi-Generation, versucht sich zunächst als Kioskverkäufer. Ausgestattet mit einem gewissen Grad an Naivität zieht er Bilanz aus zehn Jahren Nachwendezeit. Das mafiaähnliche Auftreten gewisser Interessengruppen lassen uns eine staatliche Ordnung vermissen. Politik scheint in dieser Welt überhaupt kein Thema zu sein.Eher zufällig avanciert der fliegenpilzkonsumierende Poet Tatarski zum Werbetexter. Seine Kreativität schöpft er, noch aus Studienzeiten gewöhnt, aus der russischen Literatur und Mythologie, dabei immer auf der Suche nach der “Russischen Idee”. Trotz Hilfe vom Geist Che Gueveras will ihm das nicht so recht gelingen. Übrig bleibt eine bizarre Wirklichkeit, die erst einmal durchstiegen werden muss.
Das Russische, Tatarski findet es nicht, und wir auch nicht. Dafür erfahren wir, wie und wo Gesellschaft gemacht wird: Fernsehen. Zugegeben, irgendwie haben wir das ja schon immer gewusst, aber Pelewin bringt es in seinem Roman auf den Punkt. Einfach alles ist erfunden. Werbetexter verfassen Politikerreden, Jelzin und Co. werden im Studio zusammengebastelt, und alles hat mit Produktwerbung zu tun. Falsche Zigarettenmarke in der Fernsehübertragung eines Gesprächs zweier Gesandter? Das kostet Geld und Frequenzen. Wirtschaftskonzerne beherrschen die Welt. Ihr Wille geschehe. Das System, wir haben es bereits geahnt, stammt selbstverständlich von den Amerikanern: “Natürlich. Die haben viel früher damit angefangen. Reagan in der zweiten Amtsperiode war schon animiert.”Auch wenn uns die philosophisch-buddhistisch angehauchten Passagen über unsere gesellschaftlichen Zustände manchmal zum Gähnen bringen: Der Protagonist ist uns auf Anhieb sympathisch. Er ist scheinbar der Einzige in diesem Buch, der nicht weiß, wo es langgeht. Via Drogentrips sucht Tatarski die Geheimnisse der Realität aufzudecken. Wir können ihm das nicht einmal verübeln. Schließlich kommen eine ganze Reihe wichtiger Geschäftspartner auf tragische Weise ums Leben.
Sollte Generation P tatsächlich die Umstände in Russland wiederspiegeln, können wir Pelewin für seine satirische Aufbereitung nur dankbar sein. Nichts ist so schonungslos ehrlich wie eine Satire, besonders dann, wenn sie gelungen ist.Schon seit längerem gilt der russische Kultautor bei uns als Geheimtipp. Warum eigentlich geheim? Dies ist bereits sein viertes Buch, und es macht sowohl auf die Vorherigen als auch die Nachfolgenden neugierig.
Viktor Pelewin: Generation P., Verlag Volk&Welt, Berlin 2000, ISBN 3353011722, 323S. (geb.), DM 42