14.08.2012
Rumänien: Das Präsidialamt, die Regierung und der Staatsstreich in der Zeitung
Das „Staatsstreich-Referendum“ in Rumänien – kein Putsch, sondern Sinnbild einer zerrütteten politischen Kultur. Der rumänisch-österreichische Autor Vasile V. Poenaru wirft einen Blick auf den Machtkampf und zweifelhafte Politiker in seinem Heimatland
„So sprechen Putschisten“, ertönte es aus den Kreisen rund um Präsident Băsescu, als seine politischen Gegner ihn absetzen wollten. „So sprechen Putschisten“, kam das Echo aus manchen deutschen Medien. Und der schlaue Leser merkte gleich: Es handelt sich in der Tat um einen Staatsstreich, wohlgemerkt um einen Staatsstreich in der Zeitung, um eine geflügelte Stilfigur, um ein Zeter-und-Mordio-Geschrei. Klar! Staatsstreich!, sang auch der durch das nun von seinen politischen Gegnern kontrollierte Parlament abgesetzte Staatschef das Lied mit: ein Mann, der seinerseits oft und gerne Seitenhiebe verteilt hat.
Was in Wirklichkeit in Rumänien vor sich geht, ist dabei – abgesehen von der Binsenwahrheit, dass jeder sehr gern die Macht, die ganze Macht, nichts als die Macht (und so wenig Rechtsstaat wie immer auch nur möglich) hätte – alles andere als klar. Es reicht ja schließlich nicht, einfach ein Schimpfwort aus einem Lager flink und dankbar aufzufangen und aus dem gefundenen Fressen dann einen Artikel zu machen, besser: eine Reihe von Artikeln, eine Standortbestimmung, ein oft genug emotional getrübtes Bild.
Als der ehemalige Schiffskapitän und jetztige (amtsenthobene) Präsident Traian Băsescu im Juli 2012 mit der deutschen Bundeskanzlerin sprach, um sich ein bisschen Wind in die innenpolitischen Segeln blasen zu lassen, fuhr Ministerpräsident Victor Ponta wie von der Tarantel gestochen auf. Er telefoniert mit Merkel! Die hat doch keine Ahnung! Und dann folgte gleich der Gegenhieb: Jetzt werde ich mal auch telefonieren. Auf Englisch, auf Französisch, auf Spanisch, auf Portugiesisch – aber eben nicht auf Deutsch. Doch auch diese Sprache müsse er nun erlernen, scheinen die Deutschen doch heutzutage in Europa das Sagen zu haben.
So sprechen Putschisten. Oder: Sprechen Putschisten so? Nein. So sprechen Dilettanten und Scheinheilige, ob sie nun das Amt des Ministerpräsidenten oder dasjenige des Präsidenten innehaben. Den Staatstreich gab es nur in Zeitungsartikeln, nur in den erhitzten Köpfen des rumänischen Hochsommers, nur in der politischen Propaganda des amtsenthobenen Präsidenten und in dessen Sprachrohr. Die stärksten Männer Rumäniens haben ihren dreckigen Machtkampf freilich mit allen Mitteln ausgetragen. Was in der Berichterstattung dabei manchmal übersehen wird: Die hohen Tiere in Bukarest sind Wölfe. Sie beteuern jedem Jäger ihre Liebe für das Schaf, ihren Respekt vor den Spielregeln der Schafzucht. Dabei läuft ihnen das Wasser im Mund zusammen. Erwischt man sie beim Schmaus, so putzen sie sich brav die Zähne und versichern ihr Bestes zu tun, um sobald wie möglich Vegetarier zu werden. Dass sie ihr Versprechen nie einhalten, gehört zur Sache. It’s the nature of the beast.
Es fällt schwer, den gegenseitigen Hass in Worte zu fassen, der in good old Bukarest das politische Geschehen bestimmt. Gibt es mal was zu argumentieren, scheint jeder gleich die Spucke bereit zu haben. Und gibt’s mal wieder nichts zu argumentieren, so wäscht man sich sauber. Zwar sind auch die rumänischen Medien nicht ganz zu verwerfen, doch um in Erfahrung zu bringen, was sich in diesem Jahr transkontinentaler Ratlosigkeit so in Rumänien und um Rumänien herum tut, ist man zum Teil auf ausländische Medien angewiesen, etwa auf das Online-Angebot der FAZ. Das Lesen fällt aber auch da gar nicht so leicht: „Ponta sagte in Bukarest, der Bericht spiegele nicht das Ergebnis seiner Politik wider, sondern das der fünf Jahre Herrschaft Präsident Băsescus seit dem Beitritt des Landes zur EU.“ [1]
Würde einer etwa sagen: „(...) fünf Jahre Herrschaft Kanzlerin Merkels“, so würde der Satz nie und nimmer als akzeptabel hingenommen werden. Doch bei den Rumänen ist ja sowieso alles politisch, ethisch, sachlich wie grammatikalisch verkehrt: Ministerpräsident Ponta habe ein Drittel seiner Dissertation abgeschrieben, die im EU-Parlament sitzende Tochter des Staatspräsidenten Băsescu bekomme keinen richtigen Satz hin usw. Da geht ja wohl alles.
„Ponta hatte bereits bei seiner Ankunft in Brüssel am Mittwoch beteuert, dass er sich Kritik der Kommission beugen werde.“ [2] „Dass er sich der Kritik der Kommission beugen werde“ wäre noch besser gewesen – doch seien wir nicht so streng, es handelt sich ja bloß um einen Artikel, und dabei nicht einmal um einen Artikel eines Gesetzes, sondern, um einen Artikel einer Sprache, genauer: um den bestimmten Artikel der deutschen Sprache. Lediglich semantisch unstimmig und übereilt formuliert muten weitere einschlägige Stellen der faznet-Berichterstattung in Sachen Băsescu-Ponta an. „Barroso legte Ponta einen Forderungskatalog vor, der unter anderem die Wiederherstellung der Rechte des Gerichts enthält.“[3] Ja, wenn der Forderungskatalog nicht nur Forderungen, sondern schlechthin die Wiederherstellung der Rechte enthält, ist aller Anfang leicht; dann braucht man ja nur den Katalog aufzuschlagen, und die Rechte sind wieder da. So ein Hokuspokus-Katalog wäre in derartigen Zeiten allererbärmlichster Regierungskrisen gewiss brauchbar. Der Gedanke liegt nahe, den „Katalog von Allem“ des in rumänischen Landen auch nicht ganz fremden Schweizer Schriftstellers Peter K. Wehrli für einen guten Preis zu erstehen. A little bit of this, a little bit of that ... Wo wollen wir anfangen? Mit einem Versöhnungskuss?
Nein, ein Versöhnungskuss wäre wohl fehl am Platz. Schwören wir lieber auf den Duden – und auf die Verfassung. Leitwort Alles, was Recht ist. Oder um ein politisches Statement zu wagen: Alles was Recht ist, ist gut. Präsident Băsescu brachte es philosophisch zur Sprache, als er gerade im Begriff war, sich wieder in den Sattel zu schwingen. „Moralisch ist, was legal ist.“ Sein Widersacher Ponta hätte es nicht besser sagen können, denn die führenden Geister rumänischer Politik haben eines gemeinsam: Sie lassen sich nicht durch Skrupel aufhalten. Alles, was der Fall ist, ist bei ihnen eben der Fall.
„Zuerst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral“, hatte schon vor geraumer Zeit ein Dichter von den Schwarzen Bergen verkündet. In rohen, epischen Zügen inszeniert im heutigen Rumänien ein jeder, was ihm gut (sprich ihm und seiner Clique dienlich) dünkt: die Verhältnisse, so wie er sie sich wünscht, die Verhältnisse im Konjunktiv. „Bist du nicht gut, dann geh!“, haben am 29. Juli mehr als acht Millionen rumänische Staatsbürger dem amtsenthobenen Präsidenten Băsescu gesagt. Dieser duckte sich ein bisschen und hielt seinen Zorn vorerst im Zügel. Jetzt will er sich rächen. Keine Sorge, liebe Mitbürger, ich werde euch vor ihm schützen, so Ministerpräsident Ponta, was nicht weniger grotesk wirkt, hat Băsescu doch wohl kaum vor, einfach auf all die Millionen Mitbürger hinzudreschen, die ihn absetzten wollten. Nein, sein Hass, seine Rache, seine Drohungen sind natürlich in erster Linie auf Ponta gerichtet – und auf dessen Mannesmannen.
Keine Ursache, den Kurs zu wechseln. „So wie ich bin, bin ich seit je“, scheint der dubiose abgesetzte Präsident zu sagen, der nun seinem freilich auf Anhieb nicht minder dubios aussehenden Ministerpräsidenten erst recht den Garaus machen will. Du bist gut, kommt gleich das großzügige Zeugnis aus Deutschland. Na siehste: good guys, bad guys. Präsident Băsescu aus CDU-Sicht: unser Mann in Bukarest. Stimmt das?
Ponta soll büßen. Etwas anderes scheint Băsescu dieser Tage nicht im Sinn zu haben. Seine Nachricht auf gut Seemannsdeutsch? Walk the plank! Und nichts wie ran ans Telefon. Kurs Europa! Wir stechen in See! Alles fürs Vaterland! Für Demokratie! Für Europa! Das einzige Problem? Glaubwürdigkeit: Null Komma Null. Tendenz sinkend. Auch der Glaubwürdigkeitskurs seines Widersachers gleicht diesem leider.
Freilich gibt es auch Medien, in denen sogar zum breit ausgetragenen Băsescu-Ponta-Krieg (denn Auseinandersetzung wäre hier wohl eine Untertreibung) jeder Satz richtig fließt, jedes Wort richtig sitzt, jedes Argument sinngemäß adäquat und sprachlich korrekt formuliert wurde, etwa die Neue Zürcher Zeitung (um den Blick mal aufs neutrale Matterhorn zu richten). Und – in eigener Sache: Es ist auch nicht ganz verkehrt, sich zur Abwechslung mal auf den Seiten der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (www.adz.ro) umzuschauen.