01.09.2005

Rettet die globale Erwärmung die Atomkraft?

Kommentar von Joe Kaplinsky

Die Debatte um die Atomkraft kann nicht gewonnen werden, wenn man sich hinter Weltuntergangsszenarien versteckt.

Im Gegensatz zur Verbrennung fossiler Kraftstoffe setzt Atomenergie kein Kohlendioxid frei. Ängste in Bezug auf globale Erwärmung haben daher das Interesse an Atomkraft wieder geweckt.

Politiker sprechen gerne über die Möglichkeiten der Atomenergie, sie tun sich jedoch sehr schwer, sich auch tatsächlich offen für ihren Einsatz stark zu machen. In Deutschland kündigte die CDU zwar für ihren Wahlsieg den „Ausstieg aus dem Ausstieg“ an, aber über neue Kraftwerksbauten wollte man lieber nicht reden.
Solches ist typisch für viele kontroverse Wissenschaftsdebatten. Zwar verfolgen Politiker und Lobbyisten gemeinsam eine Politik des halbherzigen Fortschritts, der Nuklearenergie als notwendig gilt, um die globale Erwärmung zu bekämpfen. Aber niemand hat den Mut, dies offensiv zu diskutieren, denn das würde Widerspruch erregen und den Grünen in die Hände spielen. Anstelle klarer Statements existiert ein Konsens hinter verschlossenen Türen, der letztlich auf friedliche Koexistenz mit Kernkraftgegnern setzt.

Die Weigerung, ernsthaft über Atomenergie zu diskutieren, macht die endlosen Konsultationen und Initiativen für „mehr öffentliche Beteiligung“ zu wertlosen Übungen und Ritualen. Alles dreht sich nur noch um Transparenz und Öffentlichkeit. Obgleich das zunächst verständlich und progressiv klingt, führt es doch in der Praxis zu einer Entwertung von Expertenurteilen, da befürchtet wird, diese könnten die Öffentlichkeit vor den Kopf stoßen. Statt konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen, wird mit Allem und Jedem beraten, um niemanden auszuschließen. Der Beratungsmarathon hat eine schier unendliche Kettenreaktion in Gang gesetzt, in der jede Diskussionsrunde mit der Empfehlung schließt, eine weitere, noch größere Runde zu eröffnen.
Es ist leicht nachvollziehbar, wie die Nuklearindustrie in diesen Schlamassel geraten ist. In den 80er- und 90er-Jahren, als Öko-Ideen auf dem Vormarsch waren, stellte man fest, dass wissenschaftlich haltbare Argumente über Sicherheit und Effizienz allein nicht ausreichten, um der verbreiteten Skepsis erfolgreich entgegenzutreten. Man zog den Schluss, dass ein Expertenbeschluss ohne öffentliche Akzeptanz praktisch wertlos sei.

Ein Konsens über wissenschaftliche Fragestellungen lässt sich jedoch nicht dadurch erreichen, dass jeder seine Meinung sagen darf – weder in Fokusgruppen und Bürgerkonferenzen, noch durch öffentliche Beratungen. Diese Instrumente können keine wirkliche Auseinandersetzung vorantreiben – anders als öffentliche politische Debatten sind sie nur dazu geeignet, bei Problemen von geringer Tragweite Kompromisse zu finden. Die Marginalisierung der Wissenschaft erschwert die Konsensbildung noch zusätzlich – die mangelnde Berücksichtigung objektiver Fakten degradiert Diskurse zu Austragungsorten subjektiver Zwistigkeiten.

„Ein Wiederaufleben der Atomenergie kann es nur geben, wenn sich die Einsicht durchsetzt, dass Wissenschaft und Technologie zum sozialen Fortschritt beitragen.“

Die Vorstellung, dass die Atomenergie eine Rolle dabei spielen kann, Treibhausgasemissionen zu reduzieren, macht nur dann Sinn, wenn wir die mythische Dimension des Diskurses über globale Erwärmung außer Acht lassen. Die Wissenschaft hat festgestellt, dass erhöhte Konzentrationen von Treibhausgasen vermutlich zu höheren Temperaturen führen. Der „Mythos der globalen Erwärmung“ geht jedoch über diese Fakten hinaus und interpretiert sie als die Geschichte des anmaßenden Versuchs der Menschheit, sich die Erde Untertan zu machen, was die Rache der Natur zur logischen Folge hat. In diesem Mythos kann die Atomenergie nicht den Helden spielen. Im Gegenteil, sie verkörpert den originären Feind, nämlich die Vorstellung, der Mensch könne durch Hightech, Wissenschaft und Großprojekte Probleme eigenständig lösen.

Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass die allgegenwärtige Sorge angesichts der globalen Erwärmung der Atomenergie zwar kurzzeitig Auftrieb geben kann, sie am Ende jedoch zurückdrängen wird. Ein wirkliches Wiederaufleben der Atomenergie kann es nur geben, wenn sich die Einsicht durchsetzt, dass Wissenschaft und Technologie zum sozialen Fortschritt beitragen. Ohne diese Einsicht wird die Nuklearenergie durch unwissenschaftliche Restriktionen eingeschränkt, und der Gesellschaft bleibt es verwehrt, ihr Potenzial zu nutzen.
Wie in anderen Bereichen des technischen Fortschritts ist es auch hier das vorherrschende Klima der präventiven Kontrolle, das die Entwicklung bremst. Zuweilen werden die Probleme mit der Atomenergie auf das rein Wirtschaftliche reduziert, insbesondere von Umweltaktivisten, die so ihrem Widerstand ein marktwirtschaftliches Antlitz zu geben versuchen. Doch dies ist unaufrichtig. Der Bau des letzten englischen Atomkraftwerks Sizewell B begann 1987 im Anschluss an die langwierigste öffentliche Debatte, die England je gesehen hatte. Unter heutigen politischen Bedingungen wäre der Prüfungs- und Genehmigungsprozess sogar noch wesentlich langwieriger. Schon die wirtschaftlichen Rahmendaten der Atomenergieerzeugung sind äußerst komplex; die Jahre des politischen Tauziehens, die der Bau eines neuen Atomkraftwerkes heute mit sich brächte, dürften jedoch jeden privaten Investor oder Betreiber endgültig von einem Engagement abhalten.

Die Debatte über die Entsorgung von Atommüll verdeutlicht dies. Sie hat zwar nicht den gleichen Stellenwert erreicht wie die Diskussion über globale Erwärmung, ist jedoch genauso mystifiziert. Nuklearabfälle sind zu einem hartnäckigen Problem geworden; dies jedoch lediglich aufgrund der symbolischen Bedeutung, die ihnen beigemessen wird. Anders ist es nicht zu erklären, dass inzwischen immer ausgefeiltere und kaum noch realisierbare Entsorgungsmaßnahmen diskutiert werden. Der symbolische Charakter dieser Maßnahmen stellt sicher, dass ihre Kosten ins Unermessliche steigen können und das Problem niemals gelöst wird.
Um dies zu ändern, benötigen wir eine wirkliche und lösungsorientierte Debatte.

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