21.02.2013

Ressourcendebatte: Das Primat der Technologie

Von Peter Heller

Die Nutzung von Rohstoffen sorgt nicht für eine Verknappung, sondern für eine stetige Ausweitung ihrer Verfügbarkeit. Ressourcen können nur ausgehen, wenn wir das Interesse an ihnen verlieren. Peter Heller erläutert diese von Wachstumsskeptikern gerne ignorierten Zusammenhänge.

Es ist ziemlich einfach, eine Phantasie über den Weltuntergang zu begründen. Man kann Vogonen erfinden, die die Erde aus dem Weg sprengen. Man kann aber auch die bekannten Rohstoffvorräte gedanklich in einen begrenzten Behälter ohne Zulauf packen, nach dessen zwangsläufiger Entleerung unsere Zivilisation zusammenbricht. Beides ist gleichermaßen plausibel. Während allerdings die erste Variante von den meisten Menschen als überaus unterhaltsam empfunden wird, ist die zweite zentrales Dogma der ökologistischen Ideologie und damit nicht nur fester Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses, sondern auch Quelle weitverbreiteter Zukunftsangst geworden.

Denn wie in einem Artikel von Brian Hayes in der aktuellen Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft (Februar 2013) beschrieben, ist die Idee limitierter Ressourcenverfügbarkeit grundlegendes Element der Computersimulationen, die dem 1972 erschienenen Buch „Die Grenzen des Wachstums“ zugrunde liegen. Ein Werk, das die ökologistische Denkweise bis heute prägt. Nun übt Hayes durchaus heftige Kritik an dieser Veröffentlichung, bis hin zu der Aussage, das verwendete mathematische Modell („World3“) sei „eher ein Mittel der Polemik als eines der wissenschaftlichen Forschung“. Auch wird Vaclav Smil in diesem Zusammenhang zitiert, der in den „Grenzen des Wachstums“ schon immer „eine Übung in Falschinformation und Verschleierung“ erkannte. An der grundlegenden Idee begrenzter Ressourcen möchte Brian Hayes aber nicht rütteln.

Und das ist ein großer Irrtum.

Tatsächlich sind Ressourcen immer unbegrenzt verfügbar. Denn andernfalls wären sie keine. Das ist kein semantischer Trick. Sondern ein Hinweis auf den naiven Ansatz, der die aus World3 abgeleiteten Untergangsszenarien erst ermöglicht.

 

„Die Eisenpreise werden sich mindestens verdoppeln, wenn die Vorräte an diesem Material, was wahrscheinlich ist, nicht ganz und gar erschöpft werden.“ Sir Isaac Coffin, 1840 (Quelle: Propyläen Technikgeschichte, Band 4)


Um das zu verstehen, muss man nicht bis in das Jahr 1840 zurückschauen, in dem der Abgeordnete Isaac Coffin in einer flammenden Rede vor dem englischen Parlament gegen den weiteren Ausbau der Eisenbahn argumentierte. Es genügt, sich all die Beiträge der letzten Jahre anzusehen, die sich mit der als sicher angenommenen Erschöpfung der Ölvorräte befassen. Ich hatte mich der Thematik bereits im Februar 2010 auf dem Wissenschaftsblog Science Skeptical angenommen und aus dem damals vorliegenden BGR-Rohstoffbericht des Jahres 2009 zitiert. Die entsprechende Abbildung sei hier wiederholt.


Abbildung 1: Erdölressourcen und -reserven, Stand 2009
Abbildung 1: Erdölressourcen und -reserven, Stand 2009


Nun ist es Zeit für ein Update, denn in ihrer jüngsten Rohstoffstudie von Ende 2012 hat die BGR erstmals auch das Thema „Schieferöl“ aufgegriffen. Die neuen Zahlen werden in Abbildung 2 dargestellt.


Abbildung 2: Erdölressourcen und -reserven, Stand 2012
Abbildung 2: Erdölressourcen und -reserven, Stand 2012


Die Ressourcen an Ölsanden und Ölschiefern wurden nach unten korrigiert, die an konventionellen Quellen nach oben. In der Summe ergibt sich durch die Einbeziehung des Schieferöls ein deutlicher Ressourcenanstieg. Noch immer befinden sich über 80% des technisch erreichbaren Erdöls in der Erdkruste und harren der Erschließung. Es ist also durchaus möglich, in den kommenden 150 Jahren mehr Erdöl zu fördern und zu verbrauchen, als in den vergangenen. Dieser Umstand begründet meine Aussage vom Erdölzeitalter, das keineswegs beendet ist, sondern gerade erst beginnt.

Die älteste Ausgabe der BGR-Rohstoffstudie, die mir vorliegt, stammt aus dem Jahr 2005. Diese und auch die aus den Jahren davor scheinen aber nicht mehr zum Download zur Verfügung zu stehen. Die Betrachtung der Entwicklung der Erdölressourcen über den kurzen Zeitraum von 2005 bis 2012 führt Überraschendes zutage. Nannte man 2005 noch die Zahl von 560 Gt, wurden daraus in 2009 schon 612 und in 2012 gar 684 Gt. Ein Zuwachs von etwa 20%.

Natürlich haben solche Sprünge auch etwas mit einer unklaren Wissensbasis zu tun. Aber der Trend des Anstiegs der bekannten Ressourcen trotz steigenden Verbrauchs ist eine allgemeingültige Beobachtung.

Einen Beleg bilden die Annahmen aus “Die Grenzen des Wachstums” nach der Datenbasis des Jahres 1970, wenn man sie der tatsächlichen Entwicklung gegenüberstellt (Beispiele).


Tabelle 1


Die Tabelle folgt der von der BGR eingeführten Nomenklatur. Als Ressourcen werden diejenigen bekannten Vorkommen angesetzt, die sich mit der gegenwärtig verfügbaren Technologie gewinnen ließen, wenn man denn wollte. Man wird natürlich nur fördern, was sich auch ökonomisch rechnet. Die entsprechende Teilmenge der Ressourcen sind die Reserven. Weitverbreitet, aber falsch und Quelle vieler verfehlter Interpretationen ist die Vorstellung, die Ressourcen würden eine prinzipielle obere Grenze zur Verfügung stehender Vorräte abbilden.
Bei einer mittleren Dicke von 35 km und einer mittleren Dichte von 2,7 t/m³ beträgt die Masse der Erdkruste etwa 1019 Tonnen. Kupfer macht, so die Geologen, ein hundertstel Prozent davon aus, das wären 1015 Tonnen. Die gegenwärtige Kupferproduktion zugrundegelegt, würde diese Menge für einige hundert Millionen Jahre genügen.

Und Erdöl? Schätzungen zufolge werden etwa 1010 t Kohlenstoff pro Jahr in den Meeren durch Algen gebunden (Wikipedia). Nach Vaclav Smil („Oil – A Beginners Guide“) gelangen etwa 1% davon in Sedimentgesteine am Meeresgrund. Gesetzt den Fall, wiederum nur ein Prozent dieser Menge würde am Ende zu Rohöl (in diesem liegt der Massenanteil von Kohlenstoff bei etwa 85%), handelt es sich um eine Million Tonnen im Jahr. Seit mehr als 2 Milliarden Jahren findet dieser Vorgang nun statt, insgesamt also könnten in der Erdkruste 1015 t Erdöl vorhanden sein, oder anders ausgedrückt: Eine Million Gigatonnen. Man kann mit solchen Abschätzungen leicht um Größenordnungen neben der Realität liegen. Aber ob die vorhandenen Mengen noch für Jahrtausende, Jahrzehntausende oder gar Jahrhunderttausende genügen, ist nicht relevant. Wichtig ist allein: Nicht nur bei Metallen und Mineralien, auch bei Erdöl können die irdischen Vorräte für alle sinnvollen Planungshorizonte als unendlich angesehen werden.

In der Science Fiction basieren große Sternenreiche oft auf riesigen, im Weltraum agierenden Fabrikraumschiffen, die ganze Asteroiden einfangen, um diese Molekül für Molekül in ihre elementaren Bestandteile zu zerlegen, damit ein nie endender Strom von Eisen, Aluminium, Nickel und so weiter die Produktionsanlagen füttert. Über eine derartige Technologie verfügt die Menschheit noch nicht. Tatsächlich ist man nur ansatzweise in der Lage, einen Bruchteil der Schätze der Erdkruste zu heben. Schließlich sind, um bei den beiden Beispielen zu bleiben, Kupfer und Erdöl in ihren Muttergesteinen so fein verteilt, dass nur ganz wenige Vorkommen überhaupt in Betracht gezogen werden können. Nur solche, deren Merkmale wie Konzentration, Menge, oder Zugänglichkeit eine Ausbeutung mit heute bekannter Technologie prinzipiell ermöglichen, sind als Ressourcen anzusehen.

Technologie für Exploration und Förderung ist die primäre Kraft, die aus dem praktisch unendlichen Angebot an Rohstoffvorkommen Ressourcen werden lässt. Schieferöl ist ein aktuelles Beispiel. Es handelt sich hier um konventionelles Leichtöl oft bester Qualität, um fein verteilte Vorkommen in den Erdölmuttergesteinen selbst, die bis vor wenigen Jahren technisch nicht zugänglich waren. Es handelt sich – und das ist entscheidend – um Vorkommen, die erst jetzt, wie im aktuellen BGR-Bericht geschehen, der Ressourcenbasis hinzugefügt werden können.

Als in den 1850er Jahren das Erdölzeitalter begann, genügten Schlagbohrtechniken, um einige Dutzend Meter tief in die Erde bohren. Zwar wurde die Idee, mit rotierenden Meißeln zu arbeiten, bereits 1844 patentiert, die erforderlichen Materialien, Pumpen und Motoren für dieses Konzept standen aber erst 50 Jahre später zur Verfügung, was zunächst den Vorstoß in hunderte und später in tausende Meter Tiefe gestattete. In flachen Küstengewässern kann erst seit den 1930er Jahren gefördert werden, der Vorstoß in die Tiefsee ließ weitere drei Jahrzehnte auf sich warten. Natürlich, seit den 1920er Jahren war gerichtetes Bohren möglich, auch horizontal. Anwendungsfälle gab es wenige, steuern konnte man den Vorgang nur sehr unzureichend. Sicher, seit den 1950er Jahren wird das hydraulic fracturing oder Fracking eingesetzt. Aber Risse in ausreichender Größe und Ausdehnung im Gestein zu erzeugen, die sich nicht zu schnell wieder schließen, gelingt erst seit den 1990ern. Heute ist die Erschließung von Erdöllagerstätten von Hoch- und Spitzentechnologien geprägt. Mittels hochauflösender seismischer Exploration und computergestützter Analyseverfahren wird ein komplexes, detailreiches, dreidimensionales Modell des Untergrundes erstellt. Dies ermöglicht es, Erdölmuttergesteine zu identifizieren und eine Bohrung genau zu planen. Moderne Bohrer sind robotische Systeme, vollgepackt mit Steuerungselektronik, Sensoren und Aktoren, bestehend aus Hochleistungsmaterialien, die den extremen Bedingungen der Umgebung in mehreren tausend Metern Tiefe (Strahlung, Temperatur, Druck) standhalten können. Sie wissen genau, wo sie sind und können von oben ferngesteuert werden, oder sich autonom ihren Weg durch die Gesteinsschichten suchen. Diese technischen Weiterentwicklungen machen Schieferöl heute zugänglich. Selbst wenn die Vorkommen schon vor dreißig Jahren bekannt gewesen wären (man hatte da was geahnt, aber nichts genaues gewusst), erschließen können hätte man sie nicht, für kein Geld der Welt. Die Ressourcenbasis hat sich in der vergangenen Jahrzehnten nicht durch Ölschiefer, Ölsande, Schweröle und Schieferöle erweitert, weil es notwendig war, sondern weil es möglich wurde.

Diese Erweiterung der Möglichkeiten durch technische Innovationen wird durch den Rohstoff selbst induziert. Die Nutzung von Rohstoffen ist schließlich kein Selbstzweck. Benzin wird nicht zum Spaß verbrannt. Sondern zur Generierung eines Mehrwertes. Bei Erdöl erzeugen die Wertschöpfungsmöglichkeiten, die durch Mobilität und die zahlreichen Produkte der chemischen Industrie entstehen, einen Bedarf, der wiederum zur Förderung weiterer Reserven und zur Exploration weiterer Ressourcen anregt. Parallel dazu ist Fortschritt auch immer eine Basis für neue Fortschritte und die Optimierung des Bestehenden. Eine Dampfmaschine trieb eben nicht nur Lokomotiven, sondern auch die Maschinen, mit denen man noch bessere Lokomotiven fertigen konnte. Bis schließlich Komponenten in einer Qualität verfügbar waren, die die Konstruktion von Diesel- und Elektromotoren ermöglichte. Die wiederum nicht nur dabei halfen, noch bessere Diesel- und Elektromotoren herzustellen, sondern gar Turbinen und am Ende auch Computer zu entwickeln. Innovationsprozesse sind stark miteinander vernetzt und geprägt von indirekten Effekten. Auf Kupfer (Kommunikation) und Erdöl (Mobilität) basiert eine Welt, in der Menschen nicht nur Autorennen im Fernsehen anschauen, sondern auch Gedanken und Ideen trotz großer Entfernungen miteinander teilen können. Durch die Verbindung mit dem auf Diesel (Schiffe, Eisenbahnen, LKW) und Kerosin (Flugzeuge) aufgebautem globalen Handel mit Gütern aller Art werden in dieser Welt Technologien und Verfahren erst möglich, die am Ende nicht nur die Gewinnung von Schieferölen gestatten, sondern auch Rohstoffvorkommen aller Art außerhalb der Erde in Reichweite bringen.


Abbildung 3: Rückkopplungen durch das Primat der Technologie
Abbildung 3: Rückkopplungen durch das Primat der Technologie


Die Nutzung von Rohstoffen sorgt auf diese Weise genau nicht für eine Verknappung, sondern für eine stetige Ausweitung ihrer Verfügbarkeit. Es ist diese entscheidende Rückkoppelung, die in den “Grenzen des Wachstums” nicht berücksichtigt wird. Als wichtiger Aspekt des Primates der Technologie kann sie in folgendem Prinzip formuliert werden: Immer verbraucht bzw. verarbeitet die Menschheit in einem gegebenen Zeitraum mehr Rohstoffe, als ihr nach bestem Wissensstand zu Beginn dieses Zeitraums zur Verfügung standen. Immer sind die technisch zugänglichen Ressourcen am Ende dieses Zeitraums größer, als an dessen Anfang. Dies gilt für jeden Rohstoff gleichermaßen und für jeden Zeitraum in der Vergangenheit und in der Zukunft.

Erdöl oder andere Rohstoffe können uns also nur ausgehen, wenn wir das Interesse an ihnen verlieren. Dann aber wäre ein Rückgang der Ressourcen auch nicht mehr relevant. Die Zivilisation kann nicht durch Rohstoffmangel zugrunde gehen, sondern höchstens durch die Vogonen. Gegen die aber werden wir auch noch ein Mittel finden.

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