25.07.2013

Prism: Ausgelagerte Sicherheitspolitik

Von Kai Rogusch

Wenn die Berichte über eine verheimlichte „Kooperation“ deutscher Sicherheitsbehörden mit der amerikanischen NSA auch nur halbwegs wahr sind, haben wir es mit einer Staatsspitze zu tun, der man jegliches Vertrauen entziehen sollte. Ein Kommentar von Kai Rogusch.

Bis heute genießt Angela Merkel eine unerklärliche Popularität. Während das Ansehen der Politik auf einen Tiefststand abgesunken ist, profiliert sich unsere Kanzlerin als Verwalterin eines überparteilichen Konsenses der Binsenwahrheiten. Im Zuge der Vorwürfe, die im Zusammenhang mit der Prism-Affäre gegen die Bundesregierung erhoben werden, könnte sich jedoch auch die Zuneigung für unsere parteifern agierende Übermutter spürbar abkühlen.

Obwohl bislang noch jeder Skandal und jede Krise an Angela Merkel abperlte und sie sich scheinbar alles erlauben konnte, steckt in den aktuellen Enthüllungen über die Mitwisserschaft deutscher Regierungen bei Überwachungsaktionen à la Prism ein großes Bedrohungspotential für die Kanzlerin. Es geht ganz unmittelbar um ihr Image als unanfechtbare Verkörperung der Staatsräson. Der oft und erfolglos geäußerte Vorwurf, Merkels Politikstil hintertreibe die demokratische Kultur unseres Landes, wird sich jetzt nicht mehr ohne Weiteres durch das Abspulen nichtssagender Floskeln aussitzen lassen.

„Hierzulande verbotene Ermittlungsmethoden und Überwachungsbefugnisse werden von den politischen Eliten einfach auslagert.“

Zwar scheint unsere Gesellschaft den demokratischen Konflikt so sehr verlernt zu haben, dass manchen das Fehlen jeglicher zukunftsweisender politischer Streitkultur bereits wieder als Tugend erscheinen will. Doch selbst der deutsche Michel sollte nun nach allem, was wir in den letzten Wochen anlässlich des Überwachungs-Skandals aus der Presse erfahren haben, endlich hellhörig werden – und seine Merkel-Frömmigkeit ablegen. Denn wenn die Berichte über eine seit langen Jahren verheimlichte „Kooperation“ deutscher Sicherheitsbehörden mit der amerikanischen NSA auch nur halbwegs stimmen sollten, haben wir es mit einer Staatsspitze zu tun, der man jegliches Vertrauen entziehen sollte.

Nicht nur hegen die Eliten unseres Staates und die von ihnen zu verantwortenden Sicherheitsapparate anscheinend ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Volk, das in einer tendenziell flächendeckenden und schamlos verfassungswidrigen Überwachung der Bürger mündet. Nicht nur wollen sie uns anscheinend für dumm erklären, indem sie per Salamitaktik das ganze Ausmaß der Wahrheit zu verschleiern suchen. Schwerer wiegt, dass man seit Jahren systematisch darauf hingearbeitet zu haben scheint, die demokratische und verfassungsrechtliche Bindung der Sicherheitspolitik zu lösen, indem man hierzulande verbotene Ermittlungsmethoden und Überwachungsbefugnisse einfach auslagert.

„Das Unterfangen, staatliche Kernbefugnisse an externe Körperschaften wie die NSA auszulagern, untergräbt die Integrität und Legitimität der Staatlichkeit.“

Was schert einen schon die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, wenn man die Aufgabe der Vorratsspeicherung intimer Verbindungsdaten der Bürger auf einen riesigen amerikanischen Rechner übertragen kann? Wie praktisch erscheint schon seit etlichen Jahren das Unterfangen, Gefangene im Anti-Terror-Kampf in Bananenrepubliken outzusourcen, um dort „kreative Verhörmethoden“ an ihnen vornehmen zu können? Ein heuchlerischer Pragmatismus breitet sich aus, der rechtsstaatliche Mindestanforderungen umgeht, indem er schmutzige Arbeit andernorts verrichten lässt – aber letztlich gerne deren Früchte aufkauft.

Man kann nur wünschen, dass die Angelegenheit noch als ein mächtiger Bumerang auf die Vertreter der viel gepriesenen „Staatsräson“ zurückschlagen wird. Denn das Unterfangen, Kernbefugnisse der Exekutive an externe Körperschaften wie die NSA auszulagern, beschädigt die staatliche Souveränität – und damit die Legitimität unserer Demokratie. Die Folgen: Ein wachsendes Gefühl der Unsicherheit, Fremdbestimmung und Entfremdung aller gegen alle. Damit verliert letztlich auch der gute alte hobbessche Vertrag der Bürger mit ihrem „Leviathan“ die Geschäftsgrundlage.

Es ist das uferlose Sicherheitsdenken, das die Integrität unseres Gemeinwesens zerstört.

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