01.03.2009

Krieg ohne Ende und ohne Ziel

Kommentar von Mick Hume

Weder die Israelis noch die Palästinenser verfolgen im Gazakrieg eine klare Strategie.

Kritische Kommentare zum Gazakrieg gibt es viele. Worin aber tatsächlich die Dynamik besteht, die diesen Konflikt anfacht, scheint niemand befriedigend beantworten zu können. Was waren die praktischen und politischen Ziele der israelischen Militäroffensive? Und was bezweckte die Hamas mit dem Raketenbeschuss Israels, der die militärischen Reaktionen provozierte? Selbst erfahrenen Journalisten und Beobachtern fällt es schwer, diese doch recht einfachen Fragen zu beantworten. Die BBC-News-Website berichtete am 5. Januar ein wenig ratlos: „Israel ist nicht bereit, die Offensive zu beenden, bevor es seine militärischen Ziele nicht erreicht hat – was auch immer diese sein mögen … Und die Hamas wird auch nicht kapitulieren, wie uns das Raketenfeuer demonstriert.“

Diese Verwirrung sollte nicht überraschen, denn der Krieg passt nicht in das traditionelle Modell der Kriegsführung, bei dem jede Seite klare strategische Ziele verfolgt. Die israelischen Angriffe auf den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen ähneln anderen kürzlich geführten Kriegen im Nahen Osten – wie dem Irakkrieg des Jahres 2003 oder dem Angriff der Israelis auf die Hisbollah im Süd-Libanon im Jahre 2006. All diese Konflikte vermittelten nicht den Eindruck, dass klare strategische Ziele verfolgt wurden. Jerusalem ließ zwar verlauten, dass es in Gaza ein klares Ziel verfolge, nämlich die Raketenangriffe der Hamas zu stoppen. Aber ist das wirklich ein erreichbares Kriegsziel? Auffällig an der Reaktion Israels ist nicht, dass sie unangemessen ist, wie viele Kritiker meinen, sondern dass sie dysfunktional erscheint. Großflächige Luftangriffe und der Einmarsch von Bodentruppen können sicherlich die Hamas, die sich sowieso militärisch kaum gegen Israel wehren kann, erheblich schwächen. Aber es gibt kaum Gründe anzunehmen, dass man mit solchen Aktionen die Angriffe auf Israel beenden kann. Denn eine Besetzung des Gazastreifens, aus dem Israel sich erst 2005 zurückgezogen hatte, wird offensichtlich nicht angestrebt. Vielmehr scheint es, als habe Israel in erster Linie ein militärisches Statement abgeben und seine Existenzberechtigung untermauern wollen. Jeder Staat, der etwas auf sich hält, würde auf Angriffe auf seine Bewohner reagieren müssen. Dies gilt insbesondere für Israel, das sich seit seiner Gründung vor 60 Jahren in einem permanenten Kriegszustand befindet. Dennoch wirkten die Luftangriffe und der militärische Einmarsch von Bodentruppen nicht besonders durchdacht. Und es ist gut möglich, dass sie Israel mehr schaden als nutzen.

Auch bei der Invasion des Süd-Libanon vor knapp drei Jahren hatte Israel keine Ambitionen, das Territorium, aus dem man sich erst kurz zuvor zurückgezogen hatte, wieder zu besetzen. Dennoch ließ sich Jerusalem von Attacken der Hisbollah und durch die Entführung israelischer Soldaten provozieren. In der Folge lief sich die militärische Invasion tot und mündete in ein totales Durcheinander; die anfängliche nationale Einheit in Israel schlug in Verbitterung und gegenseitige Schuldzuweisungen um. Zu diesem Zeitpunkt bezeichnete Sp!ked die Invasion bereits als eine neue Form des „Krieges um Anerkennung“.1 Ein hochrangiger israelischer General räumte später ein, dass der Krieg in politischer und militärischer Hinsicht „keinen Zweck“ erfüllt habe. Vieles deutet darauf hin, als werde dies bei dem symbolischen Angriff auf den Gazastreifen ähnlich sein.

Welche Ziele verfolgt die Hamas in diesem Konflikt? Manche Kommentatoren äußerten ernsthaft die Vermutung, der Erfolg der Hamas habe darin gelegen, den israelischen Angriff provoziert zu haben. Es fällt schwer, die rhetorischen Forderungen nach der Zerstörung des Staates Israel angesichts von Raketen, die aus Laternenmasten gebaut wurden, tatsächlich als „Strategie“ zu bezeichnen. Offensichtlich bestand das Ziel eher darin, die Palästinenser als ewige Opfer der Unterdrückung und als Märtyrer im Weltgewissen zu verankern.

In einem Punkt haben die beiden Seiten allerdings etwas gemein: Die Krise ihrer Führungsriegen verschärft den Konflikt. Auf israelischer Seite gehört der selbstbewusste Zionismus der Staatsgründer der Vergangenheit an. Sowohl die traditionelle zionistische Politik der Linken als auch das konservative Parteienbündnis Likud sind politisch am Ende. Israel ist heute eine sehr unsichere und defensive Gesellschaft, die bemüht ist, sich hinter den eigenen Sicherheitslinien zu verbarrikadieren, sich von den Palästinensern abzukapseln und ab und an wild um sich zu schlagen, wenn sie das Gefühl hat, bedroht zu sein. Das zeigte auch das politische Klima im Vorfeld der vorgezogenen Neuwahlen im Februar, bei dem die Politiker darum wetteiferten, wer die Angst-und-Sicherheitskarte am besten spielen könne.

Aber auch die Führung der Palästinenser steckt in einer tiefen Krise. Die „palästinensische Befreiungsbewegung“, die von Jassir Arafats PLO angeführt wurde, existiert nicht mehr. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Niedergang des arabischen Nationalismus haben ihre politischen Grundlagen ausgehöhlt. Israels anfängliche Unterstützung der Hamas als religiöser Gegenspieler von Arafats Fatah trug zudem dazu bei, die Freiheitsbewegung zu spalten. Hamas mag an Status und Unterstützung gewonnen haben, jedoch weniger aufgrund seiner ideologischen oder islamischen Haltung, sondern vor allem aufgrund der Unzufriedenheit mit der alten, diskreditierten palästinensischen Führung. Daher konnte sie im Jahre 2006 die Wahlen gewinnen und die Fatah im Gazastreifen entmachten – sehr zum Entsetzen des Westens. Es handelt sich dabei aber kaum um eine politische Auseinandersetzung als vielmehr um einen Machtkampf zwischen unterschiedlichen Fraktionen und bewaffneten Clans. Weder die Hamas in Gaza noch die Fatah im Westjordanland bieten den Palästinensern eine klare Perspektive. Der Machtkampf zwischen beiden Gruppierungen wird inzwischen so erbittert geführt, dass sogar Berichte kursieren, denenzufolge die Fatah insgeheim die israelische Offensive begrüßt habe. Die Proteste im Westjordanland gegen die Luftangriffe auf den Gazastreifen degenerierten schnell zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Fatah- und Hamas-Unterstützern. Die Doppelkrise der Führungen auf israelischer wie auf palästinensischer Seite facht den Konflikt an, weil keine der beiden Seiten ein klares Ziel verfolgt.

Viele Beobachter hoffen, der internationale „Friedensprozess“ könne eine Zweistaatenlösung verwirklichen. Was sie jedoch außer Acht lassen – abgesehen von der geschichtlichen Lektion, dass internationale Einmischung im Nahen Osten immer zusätzliches Chaos angerichtet hat –, sind die tiefen Spaltungen, die durch diese Lösung noch verstärkt würden. Tatsächlich ist die Zweistaatenlösung durch die Neuaufteilung des Landes, der Köpfe und der Herzen bereits Realität: Die Palästinenser sind in der Hölle von Gaza und in dem Pseudostaat Westjordanland eingekerkert und rennen wütend gegen die hohen Mauern an, hinter denen sich Israeli verbarrikadiert.2 Das Resultat ist ein fürchterliches Chaos und erinnert mich an das, was mir ein israelischer Politikexperte auf einer meiner letzten Reisen sagte: Israel, so meinte er, sei heute im Nahen Osten „sehr mächtig und zugleich sehr machtlos“. Es hat die militärischen Möglichkeiten, um seine Feinde zu besiegen, aber es ist sich nicht sicher, was es mit dieser Macht anfangen soll. Der Krieg ohne Ende ist nicht zuletzt ein Ergebnis dieser Unsicherheit.

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