01.03.2009

Offene Zweifel im UN-Klimabericht

Analyse von Sven Titz

Experten weltweit sind sich einig: Die Debatte um die Ursachen der weltweiten Erwärmung ist quicklebendig. Bloß will das nicht jeder Akteur wahrhaben.

Im Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) von 2007 sind zahlreiche kritische Bemerkungen zum Wissensstand in der aktuellen Klimaforschung zu finden. Doch man hört praktisch nie davon. Das könnte daran liegen, dass diese interessanten Passagen im „Technical Summary“ (wissenschaftliche Zusammenfassung) des Berichts stehen, das nur wenig gelesen wird. Vielleicht aber werden die skeptischen Auslassungen bloß deshalb ignoriert, weil sie sich schlecht für den Klimaalarm eignen. Wie dem auch sei – am Ende des Technical Summary zum ersten Teil des IPCC-Berichts werden „robuste Befunde“ (robust findings) und „Schlüsselunsicherheiten“ („key uncertainties“) in der Erforschung des Klimawandels aufgeführt.1 Einige dieser Schlüsselunsicherheiten werden im Folgenden erläutert.

Den Anfang macht ein Zitat, in dem es um eines der wichtigsten Schräubchen im Klimasystem geht – den sogenannten Strahlungsantrieb. Darunter versteht man eine Veränderung des Strahlungshaushalts, wie er z. B. durch die Zufuhr von Treibhausgasen verursacht wird. Auch der Erdboden übt so einen Strahlungsantrieb aus, und da stoßen die Forscher auf Schwierigkeiten. Sie schreiben: „Eigenschaften der Landoberfläche und Wechselwirkungen zwischen dem Land und der Atmosphäre, die zu Strahlungsantrieb führen, sind nicht gut quantifiziert.“ In den letzten Jahrhunderten hat die Menschheit die Landoberfläche stark verändert – und tut das weiterhin. Wälder werden abgeholzt und Städte gebaut. Wie das Klimasystem auf diese Veränderungen reagiert, lässt sich dem Zitat zufolge noch nicht präzise berechnen.

Wer den Klimawandel verstehen will, muss zunächst einmal Messdaten erheben. Dabei gibt es aber zahlreiche Lücken – etwa bei den Wolken, einem der wichtigsten Klimafaktoren. So heißt es im Summary: „Die am Boden und mit Satelliten gemachten Beobachtungen, wie sich über dem Meer die Wolkenbedeckung insgesamt und die Bedeckung mit niedrigen Wolken verändert haben, stimmen nicht überein.“ Aus Wolken fällt im Winter bekanntermaßen oft Schnee – der bereitet den Forschern ebenfalls Kopfzerbrechen: „Es gibt keine globale Zusammenstellung von In-situ-Schneedaten vor 1960.“ „In situ“ ist ein vornehmer Ausdruck für „vor Ort“. Der erwähnte Datenmangel erschwert natürlich die Berechnung von langfristigen Klimatrends in puncto Schneebedeckung. Ähnliches gilt auch für das Meereis: „Es gibt nicht genug Daten, um irgendwelche Schlussfolgerungen über Trends in der Dicke des antarktischen Meereises zu ziehen.“ Dies ist freilich nicht der einzige Grund, weshalb so selten über das antarktische Meereis berichtet wird. Dessen Ausdehnung hat in den letzten Jahrzehnten – anders als in der Arktis – nicht abgenommen.

Oft wird nicht nur über die Veränderungen beim Meereis, sondern auch über den Wandel in den Meeren selbst berichtet. Aber da sieht es mit den Messdaten nicht viel besser aus: „Die begrenzte Dichte ozeanographischer Wasserproben bedeutet, dass die globalen dekadischen Schwankungen des Wärmegehalts, des Salzgehalts und der Meeresspiegeländerungen nur mit mäßiger Sicherheit evaluiert werden können.“ Diese Bemerkung bedeutet nichts anderes, als dass noch keine guten Messdaten zur Verfügung stehen, um Computermodelle zur Simulation der Ozeanzirkulation präzise zu eichen. Es folgt eine recht umständlich formulierte, aber sehr aufschlussreiche Bemerkung. Da geht es darum, ob sich eine kausale Verbindung zwischen den menschlichen Aktivitäten und anderen Faktoren auf der einen Seite und dem Klimawandel auf der anderen Seite ziehen lässt. Man bezeichnet das als Attribution. Bei ihrem fast detektivischen Vorgehen stoßen die Forscher auf Grenzen in Zeit und Raum: „Die Attribution in Größenordnungen kleiner als Kontinente und in Zeiträumen kürzer als 50 Jahre ist limitiert durch größere Klimavariabilität auf kleinen Skalen, durch Unsicherheiten in den kleinskaligen Details äußerer Antriebe und durch die Reaktion in den Modellen, ferner durch Unsicherheiten in der Simulation der internen Variabilität auf kleinen Skalen, einschließlich des Zusammenhangs mit verschiedenen Schwingungsformen.“ Mit anderen Worten: Der Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Klimaveränderungen lässt sich am besten anhand globaler Durchschnittsgrößen feststellen, die über lange Zeiträume untersucht werden. Regionale, kurzfristige Fluktuationen (wie z.B. die europäische Hitzewelle von 2003) sind prinzipiell derzeit nicht auf menschlichen Einfluss zurückzuführen.

Doch auch bei den globalen Durchschnittsgrößen ist längst noch nicht alles geklärt. Das liegt an natürlichen Klimaschwankungen: „Obwohl sich die Kenntnisse verbessert haben, begrenzen die Unsicherheiten in der modellsimulierten internen Klimavariabilität einige Aspekte der Attributionsstudien. Zum Beispiel gibt es offensichtliche Diskrepanzen zwischen den Schätzungen der Variabilität des ozeanischen Wärmegehalts in Modellen und Beobachtungen.“ Will man eine Erwärmung durch Treibhausgase nachweisen, dann ist der Ozean eigentlich ein heißer Kandidat für entsprechende Messungen. Aber die Simulation der Wärmeaufnahme ist höchstwahrscheinlich noch mit Mängeln behaftet. Ähnliches gilt für viele weitere Prozesse im Klimasystem – z.B. für die sogenannten Rückkopplungen (oder „feedbacks“). Das ist ein besonders wichtiger Punkt: „Die Modelle unterscheiden sich beträchtlich, was die Stärke verschiedener Rückkopplungen im Klimasystem betrifft.“ Von den Rückkopplungen hängt es entscheidend ab, wie die Reaktion des Klimasystems auf die Zufuhr von Treibhausgasen aussieht – ob die Erwärmung verstärkt oder gedämpft wird. Seit geraumer Zeit herrscht die Einschätzung vor, dass die Erwärmung durch Rückkopplungen intensiviert wird. Eine Minderheit unter den Forschern bestreitet das allerdings. Neben dem Wasserdampf-Feedback ist eine der wichtigsten Rückkopplungen die Reaktion der Wolken. War da nicht auch was? „Große Unsicherheiten bleiben darüber bestehen, wie Wolken auf den globalen Klimawandel reagieren werden.“

All diese Zitate aus dem Technical Summary zeigen, dass es noch zahlreiche offene Fragen in der Erforschung des Klimawandels gibt. Glaubt man dem IPCC-Report, dann neigen die meisten Wissenschaftler zu der Auffassung, dass der anthropogene Einfluss heutzutage die Entwicklung des Klimas dominiert. Von einem Ende der Debatte über die Ursachen des Klimawandels kann jedoch beim besten Willen nicht die Rede sein. Sollte man meinen. Doch manche Experten stellen die Sachlage völlig anders dar – aus welchen Gründen, das sei dahingestellt. „Mit dem nun vorliegenden Bericht sollten letzte Zweifel ausgeräumt sein, dass wir Menschen es sind, die die Klimaschraube überdrehen.“ (Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, in einer Pressemitteilung am 2. Februar 2007) „Im letzten Report des UN-Klimarats IPCC von 2007 wird klar gezeigt, dass der Klimawandel eine Tatsache ist und dass er vom Menschen verursacht wird. Diese Debatte, ob die Erderwärmung eventuell nicht anthropogener Natur ist, diese Debatte ist vorbei.“ (Ivo de Boer, Chef des UN-Klimasekretariats im Interview mit der österreichischen Zeitung Der Standard vom 30. November 2008)

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