01.01.2009

Willkür oder tatsächliches Risiko?

Analyse von Hansgeorg Schönberger

Hansgeorg Schönberger über hirnrissige Anforderungen an Wirkstoffe für den Pflanzenschutz.

Wer noch darüber gelächelt hat, als die Bürokratie in der Europäischen Union die Krümmung einer Gurke oder die Größe einer Tomate vorschrieb, dem wird spätestens jetzt das Schmunzeln vergehen. Als neuesten Clou wollen die EU-Parlamentarier Regelungen für Pflanzenschutzmittel festlegen, die für eine Vielzahl von Wirkstoffen das Aus bedeuten. Wegfallen sollen nach den Ideen aus Brüssel z.B. die Azole, also auch Caramba, Folicur und Opus. Mit diesen Mitteln werden vor allem Septoria tritici, Roste und Fusarien im Getreide bekämpft. Sie werden zudem im Raps als Wachstumsregler und gegen Phoma gespritzt. Gestrichen werden sollen auch Pyrethroide, Carbamate (Primor, Mesurol), Neonicotinoide. Damit ist die Bekämpfung von Blattläusen im Getreide und Schädlingen im Raps hinfällig. Ein Großteil der Herbizide, so auch Wuchsstoffe, Starane und Lontrel oder Sulfonylharnstoffe stehen ebenfalls auf der Abschussliste.*

Wer eine Gesundheitsgefährdung durch diese Pflanzenschutzmittel für die Verbraucher befürchtet, sollte wissen, dass diese Mittel eine Vielzahl von toxikologischen Untersuchungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen durchlaufen haben. Doch die Forderung der EU-Parlamentarier besagt, dass eine Substanz in konzentrierter Form – also nicht in der verdünnten Formulierung, in der sie auf den Markt kommt, um dann in der Pflanzenschutzspritze noch weiter verdünnt zu werden, sondern als rein chemisches Laborprodukt – keinerlei noch so geringes krebserregendes Risiko, keine Veränderung des Erbgutes, keine Schäden für Bienen hervorrufen darf. Was bedeutet diese Forderung in der Praxis? Mit dem Maßstab dieser Bewertungskriterien müssen wir den Granitstein verbieten, dessen Strahlung Krebs hervorrufen kann, müssen die Chrysanthemen ausrotten, deren Extrakt, das Pyrethrum, als natürliches Insektizid Bienen und Insekten das Leben kostet. Und selbst der Hopfen muss auf die schwarze Liste gesetzt werden, weil seine Inhaltsstoffe eine östrogene, sprich hormonelle Wirkung haben. Auch alle Naturprodukte mit biologischer Wirkung dürften, nach strenger Auslegung der im Oktober zur zweiten Lesung vorgelegten EU-Vorschriften, nicht mehr in den Umlauf gebracht werden.

Um sich einmal die Verhältnismäßigkeit vor Augen zu führen: Die Landwirte bringen ein- bis zweimal im Jahr fünf Milligramm eines Azols gegen Pilzkrankheiten im Getreide auf einem Quadratmeter Pflanzenfläche aus. Wir tragen aber 0,5 mg eines Wirkstoffes aus der gleichen Gruppe auf einem Quadratzentimeter unserer Haut auf, also mehr als die 1000-fache Konzentration, und das drei-, viermal am Tag, um juckende Hautpilze zu bekämpfen. Diese Pilzcreme ist ohne Rezept in jeder Apotheke zu erwerben. In Haarwaschmitteln, die Kindern gegen Läuse in die Kopfhaut einmassiert werden, sind Permethrin oder Allethrin, also auch Pyrethroide enthalten, die nach dem Willen der EU-Oberen in der Landwirtschaft nicht mehr zulässig sein sollen. Dabei lässt ein fast 30-jähriger Versuch am Menschen offensichtlich keine negativen Auswirkungen erkennen, sonst dürften weder Pilzcremes noch Haarwaschmittel gegen Schuppen oder Kopfläuse frei verkauft werden.

Man muss sich fragen, was den Damen und Herren im EU- Parlament mehr am Herzen liegt: die Wohlfahrt der Mitbürger, ihrer Wähler, und die Achtung vor dem Menschen oder die Furcht vor vermeintlichen Risiken für Flora und Fauna, die sich in der Presse gut machen? Welche Auswirkungen willkürliche Eingriffe vonseiten der Administration in die landwirtschaftliche Produktion haben, zeigt das Beispiel Dänemark. Dort stagnieren die Weizenerträge seit über 20 Jahren. Die Dänen ernten 20 Prozent weniger Weizen als die Schleswig-Holsteiner, weil in Dänemark Dünger und Pflanzenschutz rigoros reglementiert werden. Dabei gibt es kein Indiz dafür, dass die Natur in Schleswig-Holstein in dieser Zeit stärker gelitten hat. Weder sind Trinkwasser und Oberflächengewässer stärker belastet, noch ist die Artenvielfalt in Schleswig-Holstein weiter zurückgegangen. Dafür hat das Landschaftsbild in Dänemark Schaden genommen, weil die Bauern kein Geld mehr haben, Haus und Hof in Ordnung zu halten.

Als Folge der Vorschläge der EU-Verantwortlichen werden wir in Europa 50 Millionen Tonnen Weizen weniger ernten. Beim Raps werden die Erträge um 20 bis 30 Prozent zurückgehen. Die stärksten Ertragseinbußen, mit 30 bis 40 Prozent, sind bei Kartoffeln zu erwarten. Die Kartoffelkrautfäule löste vor 150 Jahren die Auswanderungswelle nach Amerika aus. Allein in Irland starb eine Million Menschen an Hunger. Werden die EU-Pläne verwirklicht, fallen unsere Getreideerträge auf das Niveau der 60er- und 70er-Jahre zurück. Europa dürfte damit auf Dauer Schwierigkeiten bekommen, sich mit Nahrungs- und Futtermitteln zu versorgen, geschweige denn Rohstoffe für die Energie und für die industrielle Nutzung zu liefern. Kartoffeln und Gemüse werden dann für den gemeinen EU- Bürger fast unerschwinglich. Noch haben wir das Geld, um unseren Bedarf aus anderen Ländern zu decken. Wir nehmen dabei in Kauf, dass zusätzlich Hunderte Millionen Menschen außerhalb Europas an Hunger leiden, um die Natur bei uns vor vermeintlichen Risiken zu schützen. Das nennt man Ökoimperialismus. Jede Tonne Getreide, die wir in Mitteleuropa nicht produzieren, muss anderswo auf der fünf- bis achtfachen Fläche erzeugt werden, in Gegenden, in denen das ökologische Gleichgewicht wesentlich labiler ist als bei uns.

Wem nützt eigentlich die geplante EU-Verordnung, wer hat diese Gesetzesvorlage eingebracht? Diese Frage müssen die Vertreter des Berufsstandes stellen. Vielleicht gibt es sogar eine Antwort. Die EU-Administration ist kein unangreifbares Gebilde, sondern besteht aus den von uns gewählten Parlamentariern und den Eurokraten. Sie bleiben trotzdem Menschen, die nicht auf Unfehlbarkeit pochen können. Was spricht dagegen, dass sich jeder Einzelne an die EU-Abgeordneten über deren E-Mailadressen wendet, um die Konsequenzen der vorgeschlagenen Beschlüsse deutlich zu machen? Es gehört schon ein gehöriges Maß an Ignoranz dazu, das zu missachten. Dann ist es spätestens Zeit für den Aufstand gegen die Funktionärsdiktatur. Die EU sind wir.

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