01.01.2009

Wenn ein Hype den nächsten jagt

Essay von Sven Titz

Berichte über den vermeintlich katastrophalen globalen Wandel der Umwelt häufen sich. Immer bizarrer werden die medialen Exzesse – sie treiben die Rezipienten in die Apathie oder in pauschales Misstrauen. Cui bono? Von Sven Titz

„Kognitive Dissonanz“ – so bezeichnen Psychologen das unangenehme Gefühl, wenn sich zwei Wahrnehmungen partout nicht miteinander vereinbaren lassen. Diese emotionale Regung lässt sich neuerdings auch im Zusammenhang mit der Umweltforschung definieren: Eine kognitive Dissonanz entsteht, wenn immer wieder der klimatische oder ökologische Untergang angekündigt wird, während die Studien, die der Nachricht zugrunde liegen, in Wirklichkeit häufig gar keinen Hinweis auf ein Desaster liefern.

Anfang November 2008 meldete zum Beispiel die Nachrichtenagentur AFP, die Arktis und der Nordatlantik erlebten derzeit den stärksten Klimawandel seit 5000 Jahren. Forscher von der Cornell University hätten das anhand paläoökologischer Funde nachgewiesen. Wenn es denn stimmte, wäre das ein wahrhaft bemerkenswertes Resultat. Doch wer der Geschichte auf den Grund geht, erlebt sein blaues Wunder. Die Agentur AFP berief sich bei ihrer Meldung auf eine im Journal Ecology publizierte Studie.1 Keine Rede ist darin von dem „stärksten Klimawandel der letzten 5000 Jahre“. Nichts ist zu finden, nada. Die Recherche fördert dann Erstaunliches zutage. Der Erstautor Charles Greene räumt ein, die Pressemeldung seiner Universität sei nach seiner Billigung verändert worden, „um die Studie als Artikel zur globalen Erwärmung zu hypen“.

Doch mit der Pressemeldung war der Hype in der Welt. Die Agentur AFP und viele Tageszeitungen verbreiteten die Nachricht im Internet rund um den Globus. „Gewaltigste Klimaveränderung seit 5000 Jahren“ und „Klimaveränderung ist beispiellos” lauteten zwei typische Titelzeilen in Deutschland. Durch eine Nachfrage beim Leiter der Studie lässt sich der Ursprung der „5000 Jahre“ aufklären. Greene hatte gesagt, die aktuelle Klimaänderung sei einzigartig innerhalb der Periode historischer Aufzeichnungen. Aus dieser Zeitangabe hatte der Schreiber der Pressemeldung „5000 Jahre“ gemacht. Auf Nachfrage kommentiert Greene gequält: „Die schriftlichen Aufzeichnungen in der Arktis gehen bestimmt nicht so weit zurück.“ Solche Notizen begannen, so darf man annehmen, erst in der Neuzeit.

Ein anderes Beispiel: Ende November 2008 waren es die versauernden Meere, die für Schlagzeilen sorgten. „Ocean turning to acid in lightning speed“ („Der Ozean verwandelt sich in Blitzesschnelle zu Säure“) wusste der Scientific American. Ähnliche Titel fanden sich auch in Deutschland. Der Tenor der Berichte: Die Meere versauern durch die Aufnahme von CO2 viel schneller als gedacht. Der Grund der Aufregung war diesmal eine Studie in den Proceedings of the American Academy of Sciences.2 Doch wieder entpuppt sich die vermeintlich aufsehenerregende Story bei genauerem Hinsehen als Hype. So untersuchten die Autoren nur eine einzige Meeresregion vor der Pazifikküste der USA – auf diese Weise lässt sich aber beim besten Willen nicht der allgemeine Zustand der Weltmeere diagnostizieren. Und das behaupten die Verfasser der Studie auch gar nicht. Allerdings haben sie nach Ansicht des Fachkollegen Richard Feely womöglich einen methodischen Fehler gemacht, wie dieser im Deutschlandradio sagte. Im Klartext: Einen soliden Hinweis darauf, dass sich der Säuregrad der Ozeane schneller verändern würde, als man bisher angenommen hat, liefert die Studie nicht.

Die beiden Beispiele sind längst keine Einzelfälle mehr. Wer solche Erfahrungen mit völlig überzogenen Meldungen über den globalen Umweltwandel immer und immer wieder macht, der lebt irgendwann in einem anstrengenden Dauerzustand kognitiver Dissonanz. Die meisten Menschen versuchen, diese deprimierende Gemütsverfassung bewusst oder unbewusst zu unterdrücken oder zu vermeiden. Es gibt viele Möglichkeiten, einander widersprechende Wahrnehmungen für sich persönlich in Einklang miteinander zu bringen. Man kann z.B. apathisch werden und logische Widersprüche einfach ignorieren. Andere Menschen lügen sich die komplizierte Wirklichkeit irgendwie zu Recht und klammern sich an die eigene, vorgefasste Meinung. Tiefgrüne Aktivisten jedenfalls werden den medialen Umwelthype wohl ausnutzen, um ihre Ideologie gegenüber Kritikern zu panzern. Es spricht eine Menge dafür, nicht nachzulassen, die Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit immer wieder aufs Neue auszuleuchten.

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