01.11.2008

Entwicklungshilfe ohne Entwicklung ist keine Hilfe!

Essay von Barbara Off

Wenn westliche Gesellschaften nicht an Fortschritt glauben, welchen Zweck erfüllt dann Hilfe für die Dritte Welt? Barbara Off zieht ein Resümee aus mehr als einem halben Jahrhundert westlicher Entwicklungspolitik.

Ist Afrika heute noch immer ein Kontinent mit einer düsteren Zukunft? Glaubt man der öffentlichen Meinung sowie der medialen Darstellung der Lage auf dem schwarzen Kontinent, so lautet die Antwort eindeutig: Ja. Armut und Hungersnöte, Bürgerkriege, Massenvertreibungen und Genozid, korrupte, scheindemokratische Regierungen und an der Macht klebende Diktatoren dominieren die westliche Wahrnehmung der afrikanischen Gegenwart. Bei „Afrika“ denken die meisten an Sudan, an Kenia, an Somalia und an Simbabwe – allesamt Staaten, die am Rande des Abgrunds stehen. Daher werden die positiven Entwicklungen auf dem Kontinent häufig übersehen. Dabei sie in der Tat beeindruckend: Laut Information der KfW-Entwicklungsbank wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Subsahara-Afrika im letzten Jahr um 6,5 Prozent; ähnliche Raten werden in diesem Jahr erwartet – Raten, von denen die westliche Welt seit Jahren aufgehört hat zu träumen. Sind diese viel versprechenden Entwicklungen auf die nun doch endlich fruchtende Entwicklungshilfe westlicher Staaten zurückzuführen? Oder haben sie etwa trotz westlicher Hilfe stattgefunden? Entwicklungshilfe war nie ein philanthropisches Projekt, denn sie wurde immer von politischen und wirtschaftlichen Interessen der Gebermächte und den Befindlichkeiten westlicher Gesellschaften bestimmt. Eine freie und gleichberechtigte Entwicklung war unter diesen Voraussetzungen unmöglich – und ist es bis heute.

Entwicklungshilfe als Waffe im Kalten Krieg

Die Anfangsjahre der Entwicklungshilfe standen im Kontext der Entkolonialisierung Afrikas und des Kalten Krieges. Am 20. Januar 1949 plädierte der US-amerikanische Präsident Harry S. Truman in seiner berühmten Amtseinführungsrede dafür, sich für die Entwicklung der unterentwickelten Welt einzusetzen.1 Was altruistisch klang, entsprang in Wirklichkeit einem klaren politischen Kalkül: Angesichts der immer stärker werdenden Spannungen im Verhältnis zur Sowjetunion, die ab 1947 als „Kalter Krieg“ bezeichnet wurden, sollte durch die Förderung von wirtschaftlichem Wachstum und materiellem Wohlstand der politische Einfluss der Sowjetunion in den nach Unabhängigkeit strebenden Kolonialländern soweit wie möglich eingedämmt werden – die Entwicklungshilfe wurde zu einer antikommunistischen Waffe im globalen Systemkonflikt. Als neue Führungsmacht der westlichen Welt – und zudem nicht, wie Großbritannien und Frankreich, durch ein koloniales Erbe belastet – hatten die USA ein vitales Interesse daran, sich Afrika als neuer starker Partner zur Seite zu stellen. Entsprechend wurde in diesen frühen Jahren westlicher Entwicklungshilfe eine Reihe von Infrastrukturmaßnahmen in afrikanischen Staaten angestoßen. So wurde 1962 in Ghana das Volta-Energie-Projekt begonnen, ein groß angelegter Staudamm, mit dem die Elektrizitätsversorgung des Landes gewährleistet werden sollte. Eines der ersten großen Projekte in Tansania zielte auf den Ausbau wichtiger Verbindungsstraßen, des Eisenbahnnetzes und des Hafens ab – um nur einige Beispiele zu nennen.

Von Entwicklung zur Befriedigung von Grundbedürfnissen

Das Ende des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms ab Mitte der 60er-Jahre hatte einschneidende Konsequenzen – nicht nur in den Gesellschaften des Westens, sondern auch für die Entwicklungsländer. Die beginnende Wirtschaftskrise und bis dahin in den westlichen Nachkriegsgesellschaften unbekannte Phänomene wie steigende Arbeitslosigkeit sorgten dafür, dass grundlegende Zweifel an der Ausrichtung der eigenen Gesellschaft aufkamen – nicht im Sinne einer Kritik an fehlender Entwicklung, sondern als Kritik am Paradigma des Fortschritts. Man begann, die Überzeugung, dass Fortschritt im Sinne von wirtschaftlichem Wachstum und zunehmenden Wohlstand das Ziel von Politik sein sollte, infrage zu stellen. Diese geistige Trendwende hatte tief greifende Auswirkungen auf die Konzeption von Entwicklungshilfe. Die in den 60er-Jahren begonnenen groß angelegten Entwicklungsprojekte wurden zunehmend kritisch beurteilt. Traditionelle Gemeinschaften, die im Einklang mit der Natur lebten, wurden auf einmal als Gegenentwurf zur westlichen Industriegesellschaft romantisiert. Der britische Ökonom E. F. Schumacher forderte 1973 in seinem Bestseller Small is beautiful, nicht mehr Industrialisierung und Wachstum nach westlichem Zuschnitt als das vorrangige Ziel der Entwicklungsstrategien zu sehen, sondern den Erhalt der kleinen bäuerlichen Produktion zur Befriedigung der Grundbedürfnisse sowie traditioneller Gemeinschaften und Lebensweisen sicherzustellen.2 Im Fachjargon sprach man vom „Basic Needs Approach“. Man setzte nun deutlich weniger auf große Entwicklungsprojekte oder die Implementierung moderner Technologien, sondern eher auf einfache Mechanik und arbeitsintensive Produktion zum Abbau von Arbeitslosigkeit. Die heute gängigen Konzepte zur Förderung von Subsistenzwirtschaft und Mikrokrediten sind Spätformen dieser Abkehr vom Fortschritts- und Wachstumsdenken in der Entwicklungspolitik der 70er-Jahre.

Von ihren Verfechtern wurde diese Neuausrichtung als Befreiung für die Dritte Welt proklamiert, denn ihr werde nun kein „westlicher Entwicklungsweg“ mehr vorgeschrieben. In der Praxis markierte dieser neue Politikansatz jedoch den Ausgangspunkt einer interventionistischen Entwicklungsdoktrin. Der „Basic Needs Approach“ stellte nicht mehr den gesellschaftlichen Fortschritt, sondern den bedürftigen Menschen in den Mittelpunkt der Entwicklungspolitik – hierfür wurde der Begriff „Empowerment“ geprägt – und lieferte westlichen Geldgebern Argumente dafür, finanzielle Hilfe an den Regierungen der Entwicklungsländer vorbei direkt den Bedürftigen zukommen zu lassen. Hier kamen nun verstärkt Nichtregierungsorganisationen zum Einsatz, die klein angelegte Projekte im ländlichen Raum durchführten. Diese Abkehr von der zwischenstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit in Richtung einer direkten und sich unter Umgehung von Regierungen entfaltenden Entwicklungshilfe kam auf politischer Ebene einem Eingriff in die Souveränität der Entwicklungsländer gleich. Die Aufgabe des sozialen und technischen Fortschritts als Entwicklungsziel unterstrich zudem die Ungleichheit der Entwicklungsländer im internationalen System.

Strukturanpassungsprogramme und „Good Governance“

In den 80er-Jahren wurde diese Entwicklungsdoktrin des Westens und damit auch die Beschneidung der Souveränität der Staaten der Dritten Welt unter dem Schlagwort „Strukturanpassungsprogramme“ (SAP) weiter vorangetrieben. Entwicklungshilfe wurde in dieser Zeit zum ersten Mal im großen Stil an Bedingungen geknüpft: Internationale Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank, aber auch die einzelnen Geberländer machten die Vergabe von Hilfe und Krediten von der Anpassung der Staatspolitik der betroffenen Entwicklungsländer an die Vorgaben westlicher Planer und von der Umsetzung weitreichender Wirtschaftsreformen abhängig. Die Folgen dieser „Konditionalität“ waren fatal: Die Entwicklungsländer hatten keinen Raum, ihre Wirtschaftspolitik den lokalen Gegebenheiten anzupassen, sondern sahen sich genötigt, die Voodoo-Ökonomie westlicher Experten umzusetzen. Der wirtschaftliche Aufschwung blieb aus, die Entwicklungsländer verschuldeten sich immer mehr, die Armen wurden noch ärmer. Michael Hirsch fasst das Erbe der Strukturanpassungsprogramme folgendermaßen zusammen: „Nach einem Jahrzehnt Weltbankberatung ist der Lebensstandard in Afrika jährlich um zwei Prozent gefallen, die Arbeitslosigkeit hat sich um 100 Millionen vervierfacht, und der Reallohn ist um ein Drittel gefallen.“3

Die negativen Folgen der Strukturanpassungspolitik führten jedoch nicht zu einem grundsätzlichen Umdenken, sondern dienten im Gegenteil als Argument für eine noch intensivere Bevormundung unterentwickelter Länder. Nun hieß es, die ausbleibende positive Wirtschaftsentwicklung sei Folge der schlechten Regierungsführung in den Entwicklungsländern. Auf dieser Grundlage entstand in der Folgezeit die Doktrin der „Guten Regierungsführung“ (Good Governance). Sie wurde Ende der 80er-Jahre von der Weltbank entwickelt und in der Folgezeit von den internationalen Entwicklungsorganisationen wie UNDP (das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) und der OECD als Antwort auf die negativen Folgen der Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank umgesetzt. In der Annahme, dass wirtschaftliches Wachstum nur in demokratischen Strukturen und effizienten Staaten stattfinden könne, wurden die Entwicklungsländer zu guter Regierungsführung nach westlichem Vorbild angehalten – eine weitere Zäsur in der Entwicklungspolitik und ein weiterer Schritt weg von der anfänglich technischen Zusammenarbeit hin zur sozialen und politischen Umstrukturierung der Entwicklungsländer. Der Good-Governance-Diskurs mit seinen normativen Idealvorstellungen von Regierungsführung beruhte auf dem Glauben an die Überlegenheit westlicher Wirtschafts- und Politiksysteme. Erinnerungen an die Kolonialzeit blitzten auf. Der Westen legitimierte mit diesem neuen Ansatz seine dominierende Rolle und das Recht auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten der betroffenen Staaten. Damit wurde die untergeordnete Stellung der Entwicklungsländer in der internationalen Gemeinschaft weiter zementiert. Da sich die Regierungen der Entwicklungsländer zudem immer stärker an den Vorgaben der Geldgeber orientierten, entfremdeten sie sich zwangsläufig immer stärker von ihren Gesellschaften. Das führte zu vermehrter Destabilisierung, sozialer Atomisierung und politischen Konflikten. Gute Regierungsführung und Demokratie wurden bestenfalls technisch im Sinne der Schaffung neuer Strukturen und Effizienzsteigerung verstanden, wodurch die demokratische Rechenschaftspflicht der Regierungen gegenüber ihren Bevölkerungen aller Demokratie-Rhetorik zum Trotz weiter untergraben wurde.

Nach dem Kalten Krieg: Entwicklung als Sicherheitspolitik

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hatte nicht nur in sicherheits-, sondern auch in entwicklungspolitischer Hinsicht weitreichende Konsequenzen. Das endgültige Ende des Systemkonflikts sorgte dafür, dass die geopolitische Bedeutung der Entwicklungsländer, das politisch motivierte Interesse an deren Stabilisierung und somit auch deren finanzielle Unterstützung abnahmen. So sank zum Beispiel die offizielle Hilfe Deutschlands (ODA) von 0,41 Prozent des Bruttosozialprodukts im Jahre 1990 auf einen historischen Tiefstand von 0,26 Prozent im Jahre 1998. Zudem traten die Länder des ehemaligen Ostblocks als neue Konkurrenten im Ringen um Hilfsgelder auf den Plan. Vor allem die Staaten Afrikas hatten unter dieser Entwicklung zu leiden: Afrika wurde nach dem Ende des Kalten Krieges marginalisiert. Der Westen beschränkte sich in den 90er-Jahren auf Schadensbegrenzung. Interne Konflikte und Hungersnöte veranlassten die internationale Gemeinschaft, mehr auf humanitäre Nothilfe und Intervention zu bauen, um die Lage einigermaßen stabil und die Zahl der zerfallenden Staaten so gering wie möglich zu halten.

Die in den 90er-Jahren zunehmende Ausrichtung der internationalen Gemeinschaft auf interne Konflikte führte zum Aufleben der Menschenrechtsdoktrin und zum Entstehen eines erweiterten Sicherheitsbegriffs: Armut und Unterentwicklung wurden nun nicht mehr als an sich untragbare Phänomene betrachtet, sondern als Sicherheitsrisiken für die globale Gemeinschaft. Der sicherheitspolitische Aspekt der Entwicklungshilfe wurde zur vorrangigen Motivation westlichen Engagements. Die Entwicklungspolitik sollte auf die Gesellschaften der Entwicklungsländer einwirken, um Konflikte einzudämmen oder zu verhindern. Nachdem Entwicklungshilfe im Kalten Krieg noch als Waffe im Systemkonflikt eingesetzt wurde, galt sie fortan als Werkzeug sozialen Wandels in unterentwickelten Gesellschaften. Ausdruck fand diese neue Lesart in der Doktrin der „Responsibility To Protect“. Ihr zufolge sieht sich die internationale Gemeinschaft dazu verpflichtet, die Schutzverantwortung zu übernehmen, wenn Staaten ihre Bevölkerungen nicht schützen können bzw. ihnen durch schlechte Regierungsführung Schaden zufügen. Diese Doktrin beschreibt eine weitere Politisierung und Moralisierung der anfänglich auf technische Zusammenarbeit ausgerichteten Entwicklungspolitik. Der Eingriff in die Souveränität der Entwicklungsländer wird auf ein neues Niveau gehoben. Die Konsequenzen für das internationale System sind weitreichend: Die Gleichstellung souveräner Staaten wird endgültig infrage gestellt; die Idee eines liberalen Imperialismus erscheint am Horizont.

Die Ökologisierung der Entwicklungszusammenarbeit

Was in den 70er-Jahren im Westen mit den Reaktionen auf die Wirtschaftskrise und insbesondere die Ölkrise als erste leise Kritik an Wachstum und fortschreitender Umweltzerstörung begann, wurde in den 90er-Jahren zur dominierenden politischen Anschauung. Ökologismus und die Abwendung vom Entwicklungs- und Fortschrittsbegriff haben sich durchgesetzt. Der Umweltgipfel in Rio 1992 stellte den Beginn eines neuen Entwicklungsparadigmas dar. Das bereits Ende der 80er-Jahre von der Brundtland-Kommission entworfene „Konzept der Nachhaltigkeit“ sollte Wege aufzeigen, wie in Zukunft Entwicklungspolitik nachhaltig gestaltet und mit einem sozial- und umweltverträglichen Wachstum vereinbart werden könne.4 Seither haben Entwicklungsprojekte den Nachweis zu erbringen, dass sie dieser Definition von „Nachhaltigkeit“ entsprechen. Klassische Entwicklungsvorhaben wie der Bau von Staudämmen zur Energie- und Wasserversorgung von Landwirtschaft, Industrie und Privathaushalten wurden infrage gestellt oder mussten sich zumindest eine Überprüfung auf Umweltverträglichkeit gefallen lassen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt Narmada-Damm im indischen Staat Gujarat.5 Bereits 1961 segnete die indische Regierung Pläne für die Aufstauung des Narmada-Flusses ab. Arbeiten an einem der größten von 41 Dämmen, dem Projekt Sardar Sarovar, begannen 1987. Doch schon bald meldeten sich lokale und internationale Gegner zu Wort. Indische Intellektuelle sahen durch die Umsiedlung der Bewohner des Narmada-Tals das traditionelle ländliche Leben in Gefahr – obwohl gerade die Landbevölkerung hiervon profitiert hätte. Internationale Umweltorganisationen befürchteten bei Flutung des Tals den Verlust an Biodiversität in der Region. Den Gegnern des Projekts gelang es, den Bau bis zum Jahr 2000 hinauszuzögern.

Mit dem Konzept der Nachhaltigkeit wurde die ursprüngliche Bedeutung des Entwicklungsbegriffs auf den Kopf gestellt: Wachstum gilt nun nicht mehr als Ausweg aus der Unterentwicklung, sondern selbst als Problem. Als „Lösungen“ werden ein emissionsarmer, einfacher Lebensstandard sowie traditionelle Lebens- und Produktionsweisen propagiert – ganz nach dem Motto „Arm, aber glücklich“. Der Entwicklungsexperte Klaus Lampe sieht in dieser Romantisierung von Armut, die in der Nachhaltigkeitsdoktrin zum Ausdruck kommt, eine Strategie des Westens, „die Dritte Welt kleinzuhalten“ (siehe hierzu das Interview mit Klaus Lampe in diesem Heft). Die postmodernen Gesellschaften des Westens befinden sich in einer Orientierungskrise, die sich in tiefem Zweifel an Sinn und Nutzen von Wohlstand und Wachstum und irrationaler Angst vor neuen Technologien manifestiert. In den 90er-Jahren nahm die „Entwicklungszusammenarbeit“, wie Entwicklungshilfe nunmehr genannt wird, somit endgültig Abschied von Entwicklung und Fortschritt im klassischen Sinn und verlegte sich auf vermehrte politische Einflussnahme und direkte Intervention im Mikromanagement der betroffenen Gesellschaften – ein Trend, der sich bis heute fortsetzt.

Entwicklungshilfe als Politikberatung

Seit dem 11. September 2001 ist die Weltpolitik vom Kampf gegen den Terror geprägt. Diese Zäsur hat auch nicht vor der Entwicklungspolitik haltgemacht. Die Interventionen in Afghanistan und Irak mit dem Ziel von Regierungswechsel und Demokratisierung machen humanitäre Organisationen und Entwicklungshilfeorganisationen zu Komplizen westlicher Interventionspolitik. Ihr gilt Entwicklungshilfe heute als integraler Bestandteil einer Politik des „Nation-Building“. Dies lässt sich auch über die neuen Armutsbekämpfungsstrategien der internationalen Institutionen und Geberländer sagen. Nachdem die Strukturanpassungsprogramme der 80er-Jahre in die Kritik geraten waren, entwickelte die Weltbank ein neues Regelwerk als Grundlage für die Entschuldung hoch verschuldeter Entwicklungsländer und für die Zusage neuer finanzieller Hilfen. Die Basis dieser neuen Strategie ist die Bekämpfung der Armut und die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele. Im Gegensatz zu den strikten Vorgaben und Bedingungen der SAP sollen die Armutsbekämpfungsstrategien in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern erstellt werden. „Country Ownership“ lautet die neue Devise.

Alles neu, oder nur alter Wein in neuen Schläuchen? Eher Letzteres. Es ist bei Weitem nicht so, dass die Entwicklungsländer ihre Strategiepapiere in Eigenregie erstellen. Politische Berater der internationalen Entwicklungsarmada sitzen in den Ministerien und feilen fleißig an den Entwürfen. Die Weltbank hat genaue Vorstellungen, wie die Strategiepapiere aussehen müssen. Werden die geforderten Kriterien nicht erfüllt, fließt kein Geld. Was mit „Good Governance“ begann, ist zu einem, wie es in der Entwicklungsszene genannt wird, „systemisch-politischen Ansatz“ gewachsen. In der Annahme, dass Entwicklungshilfe nur funktioniert, wenn man die Probleme an den Wurzeln packt, werden heute keine technischen Einzelprojekte mehr gefördert, sondern politische Berater auf höchster Regierungsebene platziert. Der Trend zur Budgethilfe ist ein Indikator dafür: Durch die Mitwirkung an Haushaltsplänen und Strategiepapieren und die Schulung von Mitarbeitern („Capacity Development“) sollen die Weichen für eine effiziente und erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit gestellt werden.

Ein Beispiel dafür ist die Forstpolitikberatung der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in Tansania, deren Ziel die nachhaltige Nutzung der Waldressourcen und der Erhalt der Biodiversität ist. Zu diesem Zweck sollen die Leistungsfähigkeit der staatlichen Forstbehörde und die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen verbessert werden. Ein Berater der GTZ ist dem Ministerium für natürliche Ressourcen und Tourismus zugeteilt und dort direkt dem Minister bzw. der ministerialen Führungsebene zugeordnet. Laut Information der GTZ wird die tansanische Forstbehörde darin unterstützt, eine nachhaltige Forstpolitik umzusetzen, zu steuern und zu koordinieren. Neben seiner fachlichen Beratungstätigkeit soll der Entwicklungshelfer in Dialog- und Konsultationsprozessen der Behörde auch als Moderator und Vermittler auftreten. Um die effiziente Durchführung des Forstprojekts zu garantieren, soll er außerdem Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für das ministeriale Personal vornehmen. Schließlich ist der Berater auch am Entwurf entsprechender Gesetzestexte beteiligt, die eine nachhaltige Forstwirtschaft garantieren sollen – die „Anpassung der rechtlichen Grundlagen“, wie es auf den Informationsseiten der GTZ im Internet heißt.6 Je nach Projekt und Bereich sind die Berater nicht nur in den nationalen Ministerien, sondern auch auf Bezirksebene oder bei regionalen und internationalen Organisationen im Einsatz. In Afrika hat die GTZ beispielsweise Mitarbeiter im Sekretariat der East African Community (EAC) in Arusha (Tansania), der Economic Community of West African Countries (ECOWAS) in Abuja (Nigeria) sowie in der Afrikanischen Union in Addis-Abeba (Äthiopien). Sie sollen den jeweiligen Institutionen zu einer größeren Professionalität und Effizienz verhelfen und bei der Formulierung politischer Strategien zur Förderung der regionalen Integrationsprozesse und Good Governance mitwirken.

Bei so viel externer „Beratertätigkeit“, die weniger Beratung als vielmehr direkte Beeinflussung politischer Prozesse von außen bedeutet, ist es kein Wunder, dass sich manches afrikanische Land mehr zu der „bedingungslosen“ finanziellen Hilfe Chinas hingezogen fühlt. Im Jahr 2006 fand in Peking der erste große China-Afrika-Gipfel statt. Dort wurden nicht nur ein Schuldenerlass und eine Verdopplung der Entwicklungshilfe vereinbart, sondern auch über engere wirtschaftliche Kooperationen und Investitionen Chinas in Afrika verhandelt. Die Volksrepublik plant, mehrere Wirtschaftszonen in Afrika zu errichten, in denen ähnliches Wachstum und technischer Fortschritt wie in China stattfinden sollen. Seit 2001 ist das Handelsvolumen zwischen China und Afrika rapide gestiegen. Das chinesische Handelsministerium geht davon aus, dass das Volumen bereits dieses Jahr die Marke von 100 Milliarden US-Dollar übersteigen wird. Zwar sind die Wirtschaftsaktivitäten Chinas in Afrika mit denen des Westens kaum zu vergleichen: So werden chinesische Direktinvestitionen nicht nur von Privatfirmen, sondern zu einem großen Teil auch von Staatsbetrieben geleistet, und Hilfsprojekte werden oft in Form von Infrastrukturprojekten in enger Verknüpfung mit dem Export von Rohstoffen durchgeführt.7 Festzuhalten bleibt aber, dass Chinas Investitionen in Öl, Landwirtschaft, Bergbau, Straßenbau, Energie und andere Sektoren in verschiedenen afrikanischen Ländern die Wahrnehmung des bisher als dunkel und verloren geltenden Kontinents verändert haben (siehe hierzu auch den Artikel von Stuart Simpson in diesem Heft). So schrieb auch Stephanie McCrummen kürzlich in der Washington Post, dass immer mehr ausländische Investoren ihren Blick nach Afrika richten. „Afrika“, kommentiert sie, „stellt blendende Möglichkeiten dar, Geld zu machen“.8 Es bleibt abzuwarten, wie die internationalen Entwicklungsinstitutionen und westlichen Geberländer auf diese Veränderung der Entwicklungshilfe aus dem Reich der Mitte reagieren werden. Die Chancen, die sich für Afrika auftun, sind auf jeden Fall besser als in den letzten rund 50 Jahren.

Fazit: Westliche Entwicklungshilfe bremst den Fortschritt

Wie geht es also weiter mit der Entwicklungshilfe? Viele schlaue Menschen haben sich den Kopf über das Scheitern der Entwicklungshilfe und über neue, effizientere Entwicklungsstrategien zerbrochen. So auch William Easterly: Der ehemalige Weltbankmitarbeiter und Wirtschaftsprofessor an der New York University ruft das Ende des Entwicklungsexperten aus und fordert mehr Freiheit als Grundbedingung für Entwicklung.9 Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung sind in der Tat maßgebliche Determinanten für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Die Geschichte der westlichen Entwicklungspolitik offenbart, dass es zu keinem Zeitpunkt um die eigenständige Entwicklung der Dritten Welt, sondern um die politische Kontrolle der Entwicklungsländer ging. Heute hemmt der Westen durch seine entwicklungs- und fortschrittsfeindlichen politischen Vorgaben Wachstum und Entwicklung in den betroffenen Ländern. Die Orientierungslosigkeit der westlichen Eliten und ihr irrationales Sicherheits- und Kontrolldenken stehen einer fortschrittlichen Entwicklungszusammenarbeit im Wege. Die Angst des Westens vor einem wirtschaftlichen Aufholen und politischen Erstarken der Schwellenländer, mehr aber noch seine Selbstzweifel, bremsen die Eliten der Dritten Welt aus. Entwicklungspolitik heute ist, ungeachtet aller Gutmenschen-Rhetorik, geprägt von einem düsteren Welt- und Menschenbild. Was hier zählt, ist technokratische Kontrolle. Aber was wirklich gebraucht wird, ist Vertrauen in Menschen, die ihr Geschick selbst in die Hand nehmen und Entscheidungen treffen. Der Westen projiziert hingegen mit seiner Entwicklungspolitik seine eigene Sinnkrise auf die Entwicklungsländer. Dass einige Länder Afrika ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum vorweisen können, stimmt optimistisch. Eine Folge westlicher Entwicklungspolitik ist dies jedoch nicht, sondern eher ein Zeichen dafür, dass der Westen mit seiner ökologistisch-autoritären und technokratischen Kontrollpolitik Fortschritt und Entwicklung zum Glück nicht mehr ganz ersticken kann.


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Chinesische Investitionen in Afrika – Beispiel Angola
Angola ist der größte afrikanische Handelspartner und wichtigster Öllieferant Chinas. Exportiert werden neben Öl auch Diamanten. China liefert im Gegenzug Fertigwaren und Dienstleistungen. Im Jahre 2004 erhielt Angola von China einen Kredit über 2,4 Milliarden US-Dollar. 2006 wird dieser noch einmal um 2 Milliarden US-Dollar aufgestockt. Angola leistet die Rückzahlung durch Rohstofflieferungen. Die Kreditkonditionen sind für das westafrikanische Land vergleichsweise attraktiv: 1,5 Prozent Darlehenszinsen, abgesichert in Öl und in 17 Jahren zurückzahlbar. Es handelt sich um einen liefergebundenen Kredit, der in Infrastrukturmaßnahmen fließt, die hauptsächlich durch chinesische Firmen und Arbeiter erbracht werden. Hierzu gehören:
- der Bau eines neuen internationalen Flughafens in Luanda
- ein neues Sende- und Produktionszentrum für die nationale Fernsehanstalt
- der Ausbau der Küstenstraße von Luanda nach Lobito
- der Ausbau der Verbindungsstraße von Luanda nach Negage (371 km)
- die Renovierung der Eisenbahnlinie von Benguela nach Luanda
- der Weiterbau des Justizministeriums
- die Verbesserung der maroden Elektrizitätsversorgung in Luanda
- die Renovierung der Kläranlage Huambos
- der Kauf landwirtschaftlicher Geräte und Fahrzeuge
- der Bau von Krankenhäusern
- der Bau von Schulen sowie
- soziale Wohnbauprojekte

Quelle: Sabine Fandrych: „China in Angola – nachhaltiger Wiederaufbau, kalkulierte Wahlkampfhilfe oder globale Interessenpolitik?“, IPG, 2/07.

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