01.09.2008

Editorial

Von Thomas Deichmann

Obamania! - Obamas Aufstieg ist ein interessantes Phänomen. Viele Amerikaner zeigen ein gestärktes Interesse an der Politik ihres Landes und fühlen sich vom Stil des Demokraten motiviert. Sie erhoffen sich von einem Regierungswechsel neue, positive Impulse. Die Republikaner dagegen haben mit einem eher negativen Image zu kämpfen, bestärkt durch die chaotische Militärpolitik der letzten Jahre und die aktuelle Wirtschaftsschwäche. Aber wird Obama die Erwartungen erfüllen können

Die Antwort fällt schwer, weil dem US-Wahlkampf die inhaltliche Substanz fehlt. So wurde auch Kritik zur Obama-Rede in Berlin laut. In der Tat: Außer Allgemeinplätzen und unzähligen „Thank you“ war vor der Siegessäule wenig zu vernehmen. Obama demonstrierte seine Kunst der emotionalen Ansprache. Er verwies auf seine afrikanischen Wurzeln, sprach über die Luftbrücke, die deutsche Teilung und die Wiedervereinigung, um schließlich von der Bedrohung durch die Sowjets auf die durch den internationalen Terrorismus zu kommen. Er forderte Europa zu stärkerem Beistand auf. Mehr Charisma als sonst üblich konnte man konstatieren, aber inhaltlich wenig, was den Zuspruch, den Obama vor allem unter jugendlichen Anhängern der Demokraten in den USA gefunden hat, rechtfertigen würde.

Der Wahlkampf der Demokraten steht für einen anhaltenden Wandel in der politischen Kultur der USA. Die politische Führung wirkt angeschlagen, und die Verunsicherung führt offenbar dazu, dass man auf allen Seiten programmatische Aussagen (soweit es nicht um die Abwendung von „Klimakatastrophen“ und dergleichen geht) nach Möglichkeit meidet. Folglich wirkt der Wahlkampf irgendwie wichtig, aber zugleich künstlich und inhaltsleer. Doch bereits das Rennen zwischen dem Demokraten Kerry und dem Republikaner Bush im Jahre 2004 war von Defensivität geprägt. Die Kultur der Angst und Verwundbarkeit seit 9/11 war schon damals längst zu einem tragenden Element der allgemeinen Befindlichkeit geworden. Die Demokraten haben die Entpolitisierung seither massiv vorangetrieben, und Obamas Aufstieg ist Ausdruck dieses Trends. Er vermengt die Fragen zu seiner Identität und seinem Lifestyle mit Regierungsthemen und hat den Wahlkampf zur persönlichen Auseinandersetzung werden lassen.

Wen auch immer man als US-Präsidenten bevorzugen mag, die Frage stellt sich: Was ist daran positiv? Könnte einem nicht auch mulmig werden bei dem Gedanken, dass die US-Weltpolitik (ob von Demokraten oder Republikanern gestaltet) zukünftig noch mehr „gefühlt“ und noch weniger von begründ- und nachvollziehbaren Positionen und Zielen geprägt wird? Es lohnt gewiss, verstärkt hierüber nachzudenken – nicht zuletzt deshalb, weil 2009 bei uns Europa- und Bundestagswahlen anstehen.

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Thomas Deichmann
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