01.07.2008

Der ökologistische Zeitgeist ist reaktionär

Analyse von Thomas Deichmann

Der Mensch ist nicht schlecht, und die Probleme der Zukunft sind lösbar.

Ein ganzes Jahrzehnt liegt sie bereits zurück: die Vereidigung grüner Politiker als Bundesminister. Seit drei Jahren sitzen sie wieder vor der Tür, doch geändert hat der letzte Regierungswechsel wenig. Denn mangels zukunftsweisender Visionen nach der Überwindung der deutschen Teilung füllte der Ökologismus das geistige Vakuum und wurde zum neuen moralischen Leitbild der Nation. Keine neuartige wissenschaftlich fundierte Natur- oder Verbraucherschutzpolitik wurde aus der Taufe gehoben. Vielmehr ist die altlinks-grüne und konservative Skepsis gegenüber wissens- und leistungsbasiertem Wandel durch Wachstum und Fortschritt zum zentralen geistigen Paradigma unserer Gesellschaft aufgestiegen. In diesem Weltbild wird die Natur von den Menschen gegängelt.

So ist eine Misanthropie entstanden, der man auch das mittlerweile allgegenwärtige Misstrauensklima zu verdanken hat – gegenüber Nachbarn, Eltern, Kollegen, Forschern oder Managern, im Grunde gegenüber allem, was ambitioniert und groß daherkommt und einen Wandel ohne die üblichen Nachhaltigkeitsfloskeln proklamiert. Naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinn wird aufgrund spekulativer Risiken, die er hervorbringen könnte, gemäß dem Vorsorgeprinzip unserer „modernen Risikogesellschaft“ mittlerweile als Problem statt als Lösungsweg empfunden. Eine „Zukunftstechnologie“ nach der anderen wird der ritualisierten Abwehr potenzieller Gefahren geopfert.

Was am schwersten wiegt, ist, dass unser einst selbstbewusster, optimistischer und aufklärerischer Blick auf das, was wir als Gesellschaft noch erreichen können, von der esoterisch beseelten Sinnsuche beim Bremsen und Sparen schon weitgehend verschüttet worden ist. Wo trifft man noch jemanden, der sagt: „Lasst uns die aktuellen Probleme lösen und dafür sorgen, dass es in den nächsten 100 Jahren mit dem Wohlstand in der Welt genauso schnell bergauf geht wie in den letzten“? Selbst der Wunsch nach einem weltweit höheren Lebensstandard gilt bei uns als Sündenfall und Ding der Unmöglichkeit.

Parteien jeglicher Couleur haben das morbide Glaubenskonstrukt über die Schlechtigkeit der Menschen zum Selbstverständnis unserer Gesellschaft werden lassen. Sie haben es aufgesogen, verinnerlicht, institutionalisiert und sich bestens damit arrangiert. In einer Mischung aus Triumph und Kapitulation wird uns ständig heimgeleuchtet, dass wir es mit unseren Freiheits- und Fortschrittsobsessionen zu weit getrieben haben – bis kurz vor den Kollaps. Deshalb sollen wir eine Umerziehung über uns ergehen lassen. Die Bereitschaft der Bürger, dies hinzunehmen, ist mitunter erschreckend, aber dann doch wieder kein Wunder, denn wo sind die Gegenstimmen im öffentlichen Raum?

Mit der messbaren Wirklichkeit haben diese Empfindungen nichts zu tun. Unterm Strich geht es uns täglich besser denn je. Das gilt auch für die Natur und die Technikbeherrschung. Dennoch erhitzen und ermüden Angstszenarien wie der Rinderwahnsinn, die Klimakatastrophe, das Artensterben, die Bevölkerungsexplosion, die Vogelgrippe, das Bienensterben, der Al-Qaida-Terrorismus oder die Sorgen wegen der Atomtechnologie und der Grünen Gentechnik permanent die Gemüter. Alte Kamellen wie der Super-GAU von Tschernobyl oder erfundene Horrormärchen über die Folgen des Anbaus transgener Nutzpflanzen werden gebetsmühlenartig wiederholt. Noch nie in der jüngeren Geschichte haben moralische Forderungen nach Zügelung und Abstinenz der Menschen eine derart starke soziale Kraft entfalten können. Die deutsche Bilanz dieser grünen Misanthropie ist entsprechend atemberaubend: Zunächst musste die Kernkraft dran glauben, die ohne Not verboten wurde, während sie in vielen Teilen der Welt eine Renaissance erfährt. Seit Jahren wird auch gegen die Grüne Gentechnik getreten, die wegen ihrer Vorteile weltweit boomt und offenbar gerade deshalb von unseren Breitengraden ferngehalten werden soll.

Vom getrübten Selbstverständnis der Bundesbürger einmal abgesehen, sind auch milliardenschwere Forschungsinvestitionen ausgeblieben. Wissenschaftler und zusehends auch Studenten in technologischen Zukunftsbereichen suchen das Weite. Industrieunternehmen warten indes grundlos auf die Zulassung innovativer Produkte. Einige zeigen längst kein Interesse mehr, angesichts der zur Normalität gewordenen Technikphobien hierzulande auch nur noch einen Cent zu investieren. Darüber triumphieren ökologistische Lobbygruppen, nicht selten durchsetzt von fundamentalistischer Wissenschaftsfeindlichkeit und befremdlicher Esoterik. Ihre Kampagnen boomen, und die Zerstörung von „Gen-Äckern“, auf denen biotechnologisch optimierte Nutzpflanzen kultiviert werden sollen, erreicht Jahr für Jahr neue Rekorde. Die Politik tut sich schwer, sich von diesen und anderen Geistern, die sie rief, zu distanzieren, weil es eine Distanz auf geistiger Ebene kaum mehr gibt.

Europa wird es in den nächsten Jahrzehnten nicht leicht haben, mit den aufstrebenden Industrienationen in anderen Teilen der Welt Schritt zu halten. Dass die politischen Entscheidungsträger den geistigen wie materiellen Niedergang auch noch mutwillig beschleunigen, ist im wahrsten Sinne des Wortes dramatisch. Leute vom Schlage Gabriels, Seehofers oder Dimas’ fühlen sich zwar im kleinen Europa als mordsmäßig große Buben und über jegliche Kritik erhaben, wenn sie ihre Sparbrotprogramme predigen und immer mehr Bereiche des öffentlichen wie privaten Lebens in den Würgegriff des angstgerittenen Verbraucher- und Umweltschutzes nehmen. Sie spielen den Weltenretter und stilisieren dafür selbst die profane Nahrungsaufnahme bei Mensch, Huhn und Milchkuh zu einem riskanten Thema von Moral und Anstand. In Wirklichkeit agiert diese Elite so borniert und für die Nachwelt albern wie dem Untergang geweihte Staatsfürsten, die, je aussichtsloser die Lage, desto systematischer zu Mystik und zu Irrationalismen griffen, um ihrem ziellosen Agieren Sinn einzuhauchen.

Ständig beschleicht einen heute das ungute Gefühl, dass die politischen Entscheidungsträger außerstande sind, unsere Zukunft mit Vernunft zu gestalten, weil gerade sie die Fortschrittsangst vorbehaltlos verinnerlicht haben. Der Vorwurf des Populismus, der darauf abzielt, aus der Verunsicherung der Bürger billiges politisches Kapital zu schlagen, ist begründet, doch er kratzt nur an der Oberfläche. Den Führungsverantwortlichen ist die historische Vorstellungskraft abhanden gekommen, die Menschheit als in einem ständigen Entwicklungsprozess stehend zu begreifen. Die Parteien haben sich nicht nur ihrer eigenen Traditionen entledigt, sie haben auch keinerlei Vorstellungen mehr von einer besseren Zukunft. Deshalb dominieren Misstrauen, Selbstzweifel und technokratisches Auf-der-Stelle-Treten.

Die Nerven vieler Bürger liegen blank, denn diese Art von Politik zerstört auch jegliches Vertrauen in die politische Führung selbst. Nicht einmal mehr die Lösung kleinerer Aufgaben rmag man ihr heute noch zutrauen. Was, so fragt man sich, wenn tatsächlich einmal eine ernste Bedrohung für die Menschheit auftritt? Man kann in der Gegenwart bleiben, um die Antwort zu erahnen: Die instabilen Finanzmärkte sind seit vielen Jahren Grund zur Sorge und hemmen die Weltwirtschaft. Klar ist auch, dass wir Innovationen in der Land- und Energiewirtschaft brauchen. Doch statt diese realen Herausforderungen anzunehmen, streichelt man die ökologistische Seele und wirft Milliarden für einen fiktiven Klimaschutz und zur Förderung ineffizienter Energie- und Agrarsysteme aus dem Fenster.

Im Grunde erleben wir derzeit eine Revision der jüngeren Menschheitsgeschichte. Großartige zivilisatorische Errungenschaften werden als Problem präsentiert: Zu viel Freiheit, Technik und Wissen, so das Credo, führen ins Verderben. Unter Fortschritt verstand man einst die Emanzipation von natürlichen und sozialen Zwängen: Wachstum, Erkenntnisgewinn und Experimentierfreude galten als Motoren für ein besseres Leben. Heute strebt man nach dem Gegenteil – einer Art naturbelassenem Fatalismus. All dies spiegelt den Niedergang jener aufklärerischen Werte, die Europa einst zum Vorbild haben aufsteigen lassen. Der ökologistische Zeitgeist ist im wahrsten Sinne des Wortes reaktionär. Es wird Zeit, die Gestaltung unser Zukunft wieder mit aufklärerischem Selbstbewusstsein in die Hand zu nehmen.

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