01.05.2008
Nicht der Anbau von GV-Pflanzen ist ein Skandal, sondern der Kampf dagegen!
Essay von Lord Dick Taverne
Gentechnisch veränderte Lebensmittel gelten als sicher, gesund und unverzichtbar, um einen annehmbaren Lebensstandard für die wachsende Weltbevölkerung zu erreichen. Unangebrachtes Moralisieren darüber in den Industrienationen kostet indessen Millionen von Menschen in den armen Ländern das Leben.
Die Titelstory des Time Magazine vom 31. Juli 2000 war dem Biologen Prof. Ingo Potrykus gewidmet. Als Schöpfer des gentechnisch veränderten Reises – des sogenannten „Goldenen Reises“ – wurde er als ein möglicher Wohltäter für die Weltbevölkerung gefeiert. Diese Entwicklung galt als Beginn einer „grünen Revolution“, die das Leben von Millionen von Menschen auf dieser Welt verbessern sollte. Der Goldene Reis sollte als Mittel gegen Vitamin-A-Mangel eingesetzt werden – einer Erkrankung, die jedes Jahr zwischen einer und zwei Millionen Todesopfer fordert – und somit 500.000 Kinder jährlich vor dem Erblinden bewahren. Der Goldene Reis war ein Flaggschiff der Pflanzenbiotechnologie. Keine andere wissenschaftliche Entwicklung im Bereich der Landwirtschaft erschien vielversprechender.
Heute gilt der kommerzielle Anbau des Goldenen Reises in vier bis fünf Jahren schon als optimistische Prognose. Die Verwirklichung von Potrykus’ Traum rückt in immer weitere Ferne. Das Versprechen, gentechnisch veränderte (GV-)Pflanzen würden Hunger und Krankheit bekämpfen, ist ebenfalls noch nicht eingelöst. Dabei sollten sie längst da angebaut werden, wo ansonsten nichts angebaut werden kann: trockenheitsresistente Pflanzen auf ausgedörrten Böden, salzresistente Pflanzen auf stark salzhaltigen Böden. Pflanzenbasierte Schluckimpfstoffe sollten längst Millionen vor dem Tod durch Hepatitis B und Durchfallerkrankungen bewahren; sie könnten zusammen mit Orangensaft, Bananen oder Tomaten eingenommen werden und sowohl die bei IV-Vakzinen erforderliche Kühllagerung als auch die Injektionsverabreichung durch medizinisches Personal obsolet machen.
Keine dieser Pflanzen ist bislang auf dem Markt. Was ist schiefgelaufen? Waren die Versprechungen unrealistisch? Ist das Ansehen der Gentechnologie – wie es ihre Gegner behaupten – beschädigt, da dadurch möglicherweise Menschen oder die Umwelt gefährdet oder die Bedürfnisse der Bauern in Entwicklungsländern verfehlt werden? Die öffentliche Debatte über „Genfood“ in den europäischen Medien spiegelt anhaltenden Argwohn gegenüber GV-Pflanzen wider. Supermärkte deklarieren ihre Produkte als „gentechnikfrei“. Der Umsatz ökologischer Lebensmittel, die als natürliche Alternative zu den Produkten der modernen Agrarwirtschaft beworben werden, steigt jährlich um rund 20 Prozent. Tatsächlich entspricht die EU-Gesetzgebung dem Vorsorgeprinzip und sichert den ökologischen Anbau gegen eine „Verunreinigung“ mit GV-Pflanzen ab: Jedes Erzeugnis, dessen Inhalt zu mehr als 0,9 Prozent aus gentechnisch veränderten Organismen besteht, muss entsprechend ausgewiesen werden, womit klar impliziert wird, dass es ein Gesundheitsrisiko darstellt und vermieden werden sollte. Diese Bestimmungen haben einen großen Konflikt über die Einfuhr von GV-Sojabohnen aus den USA ausgelöst. In manchen EU-Staaten fassen einige GV-Pflanzen zwar Fuß, in den meisten sind sie aber verboten. So wird der Öffentlichkeit vorgegaukelt, dass die Gentechnologie nicht nur unsicher, sondern auch gefährlich für die Umwelt sei und ihr Nutzen nur darin bestehe, die Profite der Agrarkonzerne zu mehren.
Selten war die öffentliche Wahrnehmung so wenig faktenbasiert wie bei diesem Thema. Europa scheint sich des erstaunlichen Erfolgs, den GV-Pflanzen im Rest der Welt haben, nicht bewusst zu sein. Keine andere agrartechnische Entwicklung der letzten Jahre hat sich schneller oder flächendeckender verbreitet. Nur gut eine Dekade nach ihrer Markteinführung 1996 wurden GV-Pflanzen im Jahre 2007 in 23 Ländern auf mehr als 114 Mio. Hektar Land angebaut (das entspricht mehr als der dreifachen Fläche Deutschlands), von mehr als 12 Mio. Landwirten, 11 Mio. davon ressourcenarme Bauern in Ländern wie China oder Indien. Die meisten dieser Bauern pflanzen Bt-Baumwolle an. Allein in Indien hat sich die Anbaufläche zuletzt auf über 3,8 Mio. Hektar erhöht. Für die Bauern ist der Anbau dieser mit einem speziellen Wirkstoff angereicherten Baumwolle insofern besonders nutzbringend, als damit auf den Einsatz von Insektiziden weitestgehend verzichtet werden kann, wodurch das Einkommen der Bauern vergrößert und ihre Gesundheit verbessert wird.
Es ist zwar richtig, dass die versprochenen Entwicklung von GV-Nutzplanzen verzögert wurde, aber nicht aufgrund technischer Defekte, sondern vor allem deshalb, weil sie – anders als herkömmliche Pflanzen – kostspielige, langwierige und unnötige bürokratische Hürden nehmen müssen, bevor sie zugelassen werden.
Das Gesundheitsrisiko, das vermeintlich von GV-Pflanzen ausgeht, ist immer noch der Hauptgrund für die öffentliche Ablehnung. Diese wird verstärkt durch die Aussagen von Umwelt-NGOs, die im Jahr 2002 sogar die sambische Regierung davon überzeugen konnten, die Lebensmittelhilfe der USA während einer Hungersnot abzulehnen, da einige Produkte von Pflanzen stammten, die mit gentechnisch verändertem Saatgut erzeugt worden waren. Die Behauptung, dass GV-Pflanzen schädlich seien, wurde mittlerweile so gründlich und häufig widerlegt, dass, wann immer sie aufs Neue aufgestellt wird, es einem die Zornesröte ins Gesicht treibt. Aber wird die Behauptung nicht weiter entkräftet, gilt sie irgendwann als gerechtfertigt. Tatsache ist, dass es nicht den geringsten Hinweis darauf gibt, dass GV-Pflanzen eine Gesundheitsgefahr für den Menschen darstellen. Jedes wissenschaftliche Gremium, das die Meinung führender Experten repräsentiert, bestätigt dies – etwa die indische, chinesische, mexikanische, brasilianische, amerikanische und französische Akademie der Wissenschaften oder die britische Royal Society, die vier Gutachten zu diesem Thema veröffentlicht hat. Unabhängige Untersuchungen haben gezeigt, dass GV-Pflanzen kein größeres Risiko darstellen als herkömmliche, die keinen solchen Tests unterworfen sind. 2001 veröffentlichte das Forschungsdirektorat der EU-Kommission eine Zusammenfassung von 81 Studien, durchgeführt über einen Zeitraum von 15 Jahren, die von der EU selbst – nicht etwa aus Drittmitteln – finanziert worden waren, um zu bestimmen, ob „Genfood“ unsicher oder mangelhaft getestet worden sei: Keine davon konnte eine Gefährdung für den Menschen oder die Umwelt nachweisen.
Es liegt in der Natur der biotechnologisch unterstützten Landwirtschaft, dass sie nicht schädlicher ist als die herkömmliche. Im Verlauf der Geschichte haben Bauern immer versucht, die Qualität ihres Saatguts durch Kreuzung von Pflanzen mit günstigen Eigenschaften zu verbessern. Kreuzungszüchtung ist indessen eine Art Lotterie, und ihre Ergebnisse sind nur schwer vorhersehbar. Wünschenswerte kleine genetische Veränderungen können von unerwünschten größeren begleitet sein. Diese durch Rückkreuzung zu eliminieren, kann Generationen dauern. Das Verfahren ist daher nicht nur unvorhersehbar, sondern auch langsamer, teurer und unter Umständen sogar riskanter. Eine der effizientesten Standardzüchtungsmethoden zur Generierung genetisch verbesserter Pflanzen ist das Beschießen von Pflanzen oder Samen mit Gammastrahlen, um ihre DNA zu verändern und Mutationen hervorzurufen, von denen einige als erwünschte Merkmale selektiert werden. (Im Übrigen sind die ökologischen Landwirte in ihrem Bestreben, Chemikalien zu vermeiden, viel stärker als die konventionellen Landwirte auf Pflanzenmutationen durch Bestrahlung angewiesen.) Strahlenbeschuss verändert sowohl die Chromosomenstruktur als auch die Genomsequenzen eher zufällig. Dabei ist es nicht gesetzlich vorgeschrieben, die Auswirkungen solcher bestrahlter Produkte auf die Gesundheit von Menschen oder die Umwelt besonders zu testen. Im Gegensatz dazu bringen im Labor durchgeführte gentechnische Modifikationen ohne viel Aufwand gut charakterisierte Einzelgene in einen bekannten genetischen Hintergrund ein. Solche Modifikationen tun nichts anderes, als die Kreuzungszüchtung immer getan hat, nur viel schneller und genauer. Kritiker halten dem oft entgegen, dass die Gentechnologie anders sei, da sie den Gentransfer zwischen verschiedenen Spezies ermögliche. Aber auch das ist nichts Neues, denn im Laufe der Evolution sind Gene auf natürliche Weise zwischen verschiedenen Spezies hin und her gewandert. Dies ist der Grund für die pflanzliche Artenvielfalt.
Hinzu kommt, dass diejenigen, die eine gentechnische Veränderung für die Landwirtschaft ablehnen, dieselbe Technologie in der Medizin bereitwillig annehmen. Menschliches Insulin, das zur Behandlung von Diabetes eingesetzt wird, wird gentechnisch hergestellt: Das menschliche Gen, das für das Insulin kodiert, wurde in Bakterien und Hefe übertragen – ein ebenfalls grenzüberschreitendes Verfahren. Was ist logisch daran, dass diese Technologie für sicher und ethisch erachtet wird, wenn damit lebensrettende Arzneimittel hergestellt werden, aber nicht, wenn damit Pflanzen schädlingsresistent gemacht werden, um Menschen vor Hunger zu schützen?
Einige GV-Gegner haben offenbar verstanden, dass eine Argumentation, die Sicherheitsmängel anführt, jeder Grundlage entbehrt. Nun melden sie Bedenken hinsichtlich der Umweltverträglichkeit an und erklären, GV-Pflanzen zerstörten die Biodiversität. Es wäre falsch zu behaupten, dass der Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen keinerlei nachteilige Umwelteffekte haben könnte. Aber deren Bedeutung hängt von den Gegebenheiten ab – von der spezifischen Pflanze und der Umgebung, in der sie angebaut wird. Jede Form von Landwirtschaft zeitigt solche Auswirkungen. Weltweite Erfahrungen mit gentechnisch optimierten Gewächsen legen nahe, dass sie ihre Umwelt positiv beeinflussen. Sie schaffen Unabhängigkeit von agrochemischen Wirkstoffen, sparen Energie, verbrauchen weniger fossile Brennstoffe bei ihrer Herstellung und reduzieren den Ausstoß von Treibhausgasen; nicht zuletzt sorgen sie für eine bessere Ausnutzung des begrenzten Ackerlandes.
Graham Brookes und Peter Barfoot von PG Economics, einem agrarwirtschaftlich orientierten Beratungsunternehmen, haben den globalen Effekt von GV-Pflanzen in den ersten zehn Jahren ihres kommerziellen Anbaus zwischen 1996 und 2005 untersucht. Daraus geht hervor, dass die Umweltbeeinflussung durch den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden in den Ländern, die GV-Pflanzen anbauen, um 15 bzw. 20 Prozent reduziert worden ist. Energieintensive Bodenbearbeitungs- und Aussaatverfahren werden durch die ganz oder teilweise pfluglose Bestellung ersetzt. Mehr als ein Drittel der in den USA angebauten GV-Soja wird auf ungepflügten Feldern gesät. Der Verzicht auf Pflügen hat – außer der Energieersparnis – weitere Vorteile für die Umwelt: Es verbessert die Bodenqualität, beeinträchtigt das Leben im Boden weniger und verringert den Ausstoß von Methan und anderen Treibhausgasen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass „die Kohleersparnis, die 2005 durch den geringeren Treibstoffbedarf erzielt wurde, so groß war, als würde man vier Mio. Autos von der Straße nehmen (das entspricht 17 Prozent aller in Großbritannien registrierten Kraftfahrzeuge)“.
Für den Anbau von GV-Pflanzen spricht aber vor allem dies: In den nächsten 50 Jahren wird die weltweite Lebensmittelproduktion mehr als verdoppelt werden müssen, um die mehr als 800 Mio. Menschen, die heute Hunger leiden, zu ernähren; außerdem die zusätzlichen drei Mrd. Menschen, um die die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 wachsen wird, plus die Hunderte von Millionen, die einen eher westlichen Lebensstandard adaptiert haben und mehr essen werden. Gleichzeitig nehmen sowohl das Ackerland als auch die verfügbaren Trinkwasserressourcen ab. Die Abnahme des Ackerlandes zwingt heute schon Bauern in Indonesien und Südamerika dazu, den Regenwald zu roden. Dürren und die Ausbreitung der Wüsten machen die Sache nicht besser, ebenso wenig wie die Produktion von Biobrennstoffen aus Weizen, Mais und andern Nutzpflanzen. Denn dadurch werden die Agrarflächen für den Lebensmittelanbau weiter verringert und die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben. Die Errungenschaften der Gentechnologie ermöglichen eine verbesserte Flächenausnutzung, verhindern die Regenwaldzerstörung und damit auch die globale Erwärmung. Zum Vergleich: Der Umweltschützer James Lovelock schätzt, dass, wenn die gesamte Landwirtschaft ökologisch würde, nur rund ein Drittel der heutigen Weltbevölkerung ernährt werden könnte.
Angesichts der Sicherheit von GV-Pflanzen, ihrer positiven Auswirkungen auf die Umwelt und des weltweiten Erfolgs von GV-Baumwolle, Mais, Soja und Raps (Canola) stellt sich die Frage, warum bislang nur so wenige gentechnisch veränderte Nutzpflanzen für den kommerziellen Anbau zugelassen sind. Warum lassen der Goldene Reis, trockenheits- oder salzresistentem Gewächse, pflanzliche Impfstoffe und andere GV-Erzeugnisse, die für die Entwicklungsländer so vielversprechend erscheinen, immer noch auf sich warten?
Die Geschichte des Goldenen Reises bietet eine Erklärung. Die Entwicklung des Produkts an und für sich war eine großartige wissenschaftliche Errungenschaft. Ein bakterielles Gen und zwei Gene von Narzissen wurden in Reis eingebracht, um ihn zur Synthese des Mikronährstoffs Beta-Carotin anzuregen, der beim Verzehr im Körper zu Vitamin A umgewandelt werden kann. Diese Entwicklung dauerte zehn Jahre. Viele weitere Jahre gingen ins Land, um mithilfe der involvierten Biotechunternehmen Patentprobleme zu lösen, damit die Reissorte Kleinbauern lizenzfrei zur Verfügung gestellt werden kann. Danach begann der Kampf um die behördliche Zulassung.
Obwohl selbst Gentechnikgegner zugestehen, dass das Vorhandensein von Beta-Carotin im Reiskorn kein Risiko für die Umwelt darstellt, sind selbst experimentellen Feldstudien kleineren Maßstabs bisher bis auf wenige Ausnahmen nicht gestattet. Daher müssen alle Pflanzen in besonderen Zuchtkammern in Gewächshäusern gezogen werden, was drei Jahre dauert. Jede Pflanze muss nachweislich das Ergebnis eines Gentransfers in den jeweils gleichen DNA-Teilen sein. Dann müssen die pflanzlichen Proteine extrahiert und fraktioniert, biotechnisch charakterisiert und ihre Funktion bestätigt werden – Analysen, die in einem gut ausgestatteten Labor zwei Jahre intensiver Arbeit beanspruchen. Als Nächstes sind Fütterexperimente mit Nagern durchzuführen, obwohl die meisten Menschen diese Gene und die Proteine, die sie kodieren, längst aus anderen Nahrungsquellen bezogen haben und die von Narzissen produzieren Proteine keine Ähnlichkeit mit Toxinen oder Allergenen haben. Selbst das kleinste hypothetische Risiko muss getestet werden.
Die Ironie dabei ist, dass überall in Südostasien Reissorten angebaut werden, die ebenfalls genmodifiziert sind; nur, dass diese Sorten zufällig durch spontane Mutationen, intrachromosale Rekombinationen, DNA-Translokationen und sogar partielle DNA-Zerstörung entstanden sind. Dieser Reis wird überall gegessen – ohne dass Labortests vorgeschrieben sind.
Der wissenschaftliche Nachweis, ob Nutzpflanzen ein Gesundheitsrisiko darstellen, bedarf der Überprüfung des Produkts, nicht des Prozesses seiner Herstellung. Umso unverständlicher ist es, dass die Vorschriften in den USA ebenso wie in Europa genau das Gegenteil verlangen – mit dem Ergebnis, dass es viel länger dauert und die Kosten etwa zehnmal so hoch sind, um eine GV-Pflanze auf den Markt zu bringen als eine auf herkömmliche Art und Weise gezüchtete. Schon Potrykus hat darauf hingewiesen, dass kein Wissenschaftler und keine wissenschaftliche Institution des öffentlichen Sektors die Mittel oder die Motivation hat, ein so kostspieliges und langwieriges Verfahren zu durchlaufen. Nur große Unternehmen und finanzkräftige Stiftungen können dies, wobei sie aller Wahrscheinlichkeit nach ausschließlich Gewinn versprechende Projekte unterstützen werden. Reis herzustellen, der das Leben oder Augenlicht von Millionen armer Bauern retten kann, verspricht indessen keinen außerordentlichen wirtschaftlichen Erfolg.
Warum wird eine Technologie, die so viel bewirken könnte, so stark durch sinnlose Gesetze behindert? Einen Teil der Verantwortung dafür liegt auch bei den großen Agrarkonzernen. Anfänglich begrüßten sie komplizierte Regularien, da diese einen Vorteil gegenüber kleineren Mitbewerbern bedeuteten, die die Kosten scheuen mussten. Tatsächlich brachten sie jedweden Versuch der Reagan-Administration zum Scheitern, vom Ergebnis, nicht vom Herstellungsprozess auszugehen und GV-Pflanzen regulatorisch einfach als neue Produkte zu behandeln. Damit wären auf gentechnische und auf herkömmliche Weise erzeugte Pflanzen gleichgestellt worden, was auch naturwissenschaftlich mehr Sinn gemacht hätte. Darüber hinaus wurden engmaschige Regelwerke auch von Gentechnikbefürwortern bejaht, weil sie meinten, damit die Öffentlichkeit zu beruhigen; das Gegenteil war der Fall. Wenn die Regierung eines Landes den Eindruck erweckt, als halte sie äußerste Vorsicht im Umgang mit einer neuen Technologie für angebracht, wird die Öffentlichkeit diese auch für gefährlich halten. Hinzukommt das Misstrauen gegenüber multinationalen Konzernen: Der Widerstand gegen GV-Pflanzen wird verstärkt durch die weit verbreitete Annahme, dass die Unternehmen die hauptsächlichen, wenn nicht gar die einzigen Nutznießer sind, und dass sie, die sie ja auch für die Entwicklung von GV-Pflanzen verantwortlich sind, den strengstmöglichen Vorschriften unterworfen werden müssten.
Stärkste Triebkraft für die übertriebenen Regularien hinsichtlich der GV-Pflanzen ist aber die „Zurück-zur-Natur“-Bewegung, die die Propaganda gegen die Agarbiotechnologie insgesamt antreibt. Sie manifestiert sich vielfältig: zum einen in der Popularität der ökologischen Landwirtschaft, die auf der offenkundig falschen Annahme beruht, künstliche Chemikalien seien schlecht und natürliche gut; zum anderen in dem wachsenden Trend zur alternativen, wissenschaftlich nicht fundierten Medizin. Die dogmatischen Gegner von GV-Pflanzen in Europa sind überzeugt, dass der Eingriff in den genetischen Bauplan von Pflanzen letztlich eine moralische Angelegenheit ist. Er ist zu verurteilen als Ausdruck des sündhaften menschlichen Bestrebens, die Natur beherrschen zu wollen, welches wiederum zu Erderwärmung, Krebsepidemien und all den anderen Geißeln des modernen Lebens führt.
Angesichts dieser antiwissenschaftlichen Grundstimmung stellt sich die Frage, wie hoch die Chancen stehen, dass die Hürden, die der Verbreitung von GV-Pflanzen in den Weg gestellt werden, überwunden werden. Es gibt Anlass zur Hoffnung! Der Ausschuss für Wissenschaft und Technik des britischen Unterhauses hat bereits im Jahr 2006 angeregt, „dass der Begriff des Vorsorgeprinzips nicht weiter benutzt werden“ und man „aufhören solle, ihn in Richtlinien zu verwenden“. Dieses Prinzip hat dem Gebrauch des gesunden Menschenverstandes in der Politik lange im Wege gestanden. Die Notwendigkeit zur Vorsorge ist entweder so offensichtlich, dass die Aufforderung dazu schon wieder müßig ist („wenn Anlass zur Besorgnis gegeben ist, sei vorsichtig“), oder so vage, dass sie bedeutungslos ist. In seiner gebräuchlichsten Anwendung ist das Vorsorgeprinzip – „gesetzt, dass eine Handlung eine Gefahr für den Menschen oder die Umwelt bedeutet, sind Vorsorgemaßnahmen auch dann zu treffen, wenn die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung noch nicht vollständig wissenschaftlich bewiesen sind“ – ein unermessliches Werkzeug in den Händen derer, die unliebsame wissenschaftliche Entwicklungen stoppen wollen.
Überdies sendet die britische Regierung ermutigende Signale. Anfang 2007 ließ der damalige Umweltminister David Miliband verlauten, dass es keinen Hinweis darauf gebe, dass ökologische Nahrungsmittel gesünder seien als konventionell erzeugte. Im Prinzip hat sich die Regierung bereit erklärt, GV-Pflanzen zuzulassen, und unterstützt deren Verbreitung in Europa. Anzeichen für einen Wandel gibt es zudem in verschiedenen europäischen Ländern. In Spanien wird GV-Mais bereits seit einigen Jahren erfolgreich angebaut. Der größte Gesinnungswechsel scheint sich indessen in Frankreich zu vollziehen, wo binnen drei Jahren die Ackerfläche, auf der GV-Pflanzen kultiviert werden, von 500 auf 50.000 Hektar vergrößert wurde, bevor die Kultivierung vom neuen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nun wieder grundlos verboten wurde. Dass die französischen Bauern sich von den wirtschaftlichen Vorteilen der Gentechnologie haben überzeugen lassen, wird wahrscheinlich dennoch großen Einfluss auf die übrigen europäischen Länder haben.
Am wichtigsten jedoch ist die rasante Verbreitung der Gentechnologie in Indien und China. Die chinesische Regierung hat erklärt, dass die Biotechnologie in den nächsten 15 Jahren zu dem am schnellsten wachsenden Industriezweig werden könne. Gemäß Clive James, des Verfassers des ISAAA-Reports zum weltweiten Anbau von GV-Pflanzen („Global Status of Commercialised Biotech/GM crops“), wird die Hälfte der Forschung und Entwicklung von GV-Pflanzen in China stattfinden und naturgemäß Nutzpflanzen betreffen, von denen Entwicklungsländer profitieren. Bei der Erprobung neuer Reissorten hinsichtlich ihres möglichen Nutzens für 250 Mio. Bauern ist China jetzt schon führend. Chinesischen Exporte müssen zwar den EU-Normen entsprechen, aber China verfügt auch über einen großen Binnenmarkt.
Auch Indien macht in diesem Bereich erhebliche Fortschritte und profitiert zudem von überschaubaren gesetzliche Rahmenbedingungen. Zu guter Letzt ist in Afrika die Gates-Stiftung der gentechnischen Verbesserung von Nutzpflanzen verpflichtet, auf die der Großteil der Bevölkerung angewiesen ist. Vor zwei Jahren hat sie ein ehrgeiziges Millionenprojekt angekündigt, das an die Arbeit von Potrykus und seinen Kollegen anknüpft und darauf abzielt, Bananen, Maniok, Reis und Hirse um die essenziellen Nährstoffe Vitamin A und E, Zink sowie verbesserte Proteine anzureichern.
Zweifellos werden GV-Pflanzen in absehbarer Zeit weltweit akzeptiert werden – sogar in Europa. Die Verzögerung des Anbaus durch die Gentechnikgegner fordert indessen einen hohen Preis. Ihr Widerstand hat die Agarindustrie in Europa unterwandert und die Pflanzenbiotechnologieforschung zum Teil bereits vertrieben. Die Überregulation könnte dazu führen, dass die Technologiekosten höher bleiben, als sie sein müssten. Darüber hinaus hat die Verzögerung in den Entwicklungsländern grundlos Millionen Menschen das Leben gekostet. Es gibt vieles, wofür die Öko-Lobbyisten und ihre Befürworter werden geradestehen müssen.