01.05.2008

Facebook und das Ende der Privatsphäre

Kommentar von Rob Killick

Die Entfaltung des öffentlichen und des privaten Lebens erfordert Bereiche, die vor den zudringlichen Blicken von Bürokratie und Öffentlichkeit überhaupt geschützt sind.

Verschiedene Entwicklungen im Bereich sozialer Netzwerke wie Facebook und MySpace verwischen die Grenze zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Unser Online-Verhalten wird von verschiedenen Internetserviceanbietern aufgezeichnet. Wer Anonymität schätzt, hat durchaus Grund zur Sorge. Wie können wir es schaffen, die Privatsphäre zu retten, ohne uns von den Vorteilen der neuen Internetressourcen abzuschneiden? Die Internetseite Facebook bietet den Nutzern die Möglichkeit, ihre sozialen Netzwerke auszubauen. Jedoch wurde sie wegen der Art und Weise, mit der sie die von den Nutzern massenhaft bereitgestellten Informationen sammelt und als ihr Eigentum reklamiert, bereits häufig kritisiert.

Dabei sind die Nutzungsbedingungen von Facebook eindeutig. Dort heißt es u.a.: „Mit dem Posten von Benutzerinhalt auf einem beliebigen Teil der Site erteilst du dem Unternehmen automatisch eine unwiderrufliche, zeitlich unbegrenzte, nicht ausschließliche, übertragbare, vollständig bezahlte, weltweite Lizenz ... für das Verwenden, Kopieren, öffentliche Aufführen, öffentliche Darstellen, Umformatieren, Übersetzen, Anfertigen von Auszügen ... und Weitergeben solcher Benutzerinhalte für kommerzielle, Werbe- oder sonstige Zwecke auf oder in Verbindung mit der Site oder mit dem Marketing für die Site, für das Erstellen abgeleiteter Werke oder die Einarbeitung solcher Benutzerinhalte in andere Werke und für das Vergeben und Autorisieren von Unterlizenzen zu Vorstehendem.“1 Es ist ratsam, die Bedingungen vor der Nutzung zu lesen.

Im Wesentlichen bleibt es diesen Unternehmen selbst überlassen, was sie mit diesen Informationen machen – und allein daraus ergeben sich bereits einige Ungerechtigkeiten. So nannte das US Foreign Affairs Committee den Yahoo-CEO, Jerry Yang, im November 2007 einen „moralischen Pygmäen“, denn Yang hatte die Identitäten chinesischer Dissidenten gegenüber der chinesischen Regierung offengelegt, wodurch ein Dissident zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.

Staatliche Überwachung und Privatsphäre

Diese Beurteilung Yangs mag nahe liegen, aber man sollte dabei nicht vergessen, dass auch Regierungen ermächtigt sind, ähnliche Information unter Strafandrohung von jedem Suchmaschinenbetreiber einzufordern. In Großbritannien müssen Internetserviceanbieter (ISPs) gemäß dem Regulation of Investigatory Powers (RIP) Act eine sogenannte Reasonable Intercept Capability gewährleisten, derzufolge die Sicherheitsdienste die E-Mails verdächtiger Personen und die von ihnen besuchten Webseiten überwachen können.

Wenn man berücksichtigt, dass wir von Videoüberwachungsanlagen aufgezeichnet werden, wenn wir uns offline bewegen, dass gemäß dem RIP-Act bis zu 800 staatliche Institutionen auf unsere Telefondaten zugreifen können und dass unsere Kreditkarten- und Bankdaten in vergleichbarer Weise zugänglich sind, zeigt sich: Wir alle hinterlassen eine elektronische Spur, aus der sich unser Leben im Detail rekonstruieren lässt. Abgesehen von persönlichen Gesprächen mit Freunden ist heute kaum noch etwas wirklich Privates erkennbar.

Aber ist das prinzipiell ein Grund zur Sorge? Manche halten die Kritik an solcher Datenaufzeichnung und -lagerung grundsätzlich für paranoid und alarmistisch. So würde etwa die Regierung geltend machen, die Ermächtigung zur Einsicht in die persönlichen Daten der Bevölkerung trage dazu bei, dass Kriminelle oder Terroristen eher gefasst werden könnten. Und wenn Google einen reibungslosen Konsum dadurch fördern kann, dass wir nicht in Massen nutzloser Information und Spam-Mails ersticken, sondern ausschließlich gezielte Werbung erhalten: Ist diese Personalisierung dann nicht letztlich zu unser aller Vorteil?

Der Cyberspace ist kein privater Raum

Der Glaube, der Cyberspace könnte in einer ansonsten vollständig verwalteten Welt eine Enklave der Freiheit bleiben, war schon immer utopisch. Aber heute ist das Internet sogar ein weniger privater Raum als die reale Welt. So schrieb der amerikanische Anwalt Lawrence Lessing in seinem 1999 erschienenen Buch Code and Other Laws of Cyberspace: „Wenn wir erkennen, in welche Richtung sich der Cyberspace entwickelt, dann begreifen wir auch, dass die für die Gründerzeit des Cyberspace charakteristischen ‚Freiheiten‘ sich in Zukunft weitgehend in Wohlgefallen auflösen werden. Die von uns heute für fundamental gehaltenen Werte sind nicht unbedingt von Dauer. Ehemals grundlegende Freiheiten werden langsam verschwinden.“

Deutlich wird diese Entwicklung etwa beim „Browsen“ – also beim Stöbern oder Suchen im WWW. Stöbern war früher etwas, was man in einer Bücherei oder in einem Ladengeschäft tat. Welche Bücher wir auswählen, lesen und exzerpieren, ist allein unsere Sache. Eine in dieser Weise persönliche Erfahrung hinterlässt keine Spuren. Demgegenüber ist Internet-Browsing durch keinerlei inhärente Privatheit gekennzeichnet. Strafverfolgungsbehörden oder Marketingunternehmen können genau herausfinden, auf welches Online-Material wir zugegriffen, wie lange wir auf jeder Seite zugebracht und wie oft wir die gleichen Webseiten besucht haben.

Es gibt zwar viele Gründe, sich für die neuen Formen von Kommunikation und Information-Sharing zu begeistern, aber es wird immer klarer, dass unsere Privatsphäre diesem Prozess zum Opfer fällt. Im Gegensatz zu den umfassenden Eigentumsbehauptungen von Facebook sollte das Prinzip informierten Einverständnisses im Mittelpunkt der digitalen Datenverfolgung stehen. Die Webseiten und Suchmaschinen sollten über einen „No-Tracking“-Knopf verfügen, sodass die Aufzeichnung der von uns betrachteten Seiten automatisch gelöscht wird, wenn wir die Speicherung nicht ausdrücklich erlauben.

Privatsphäre, Veröffentlichung und öffentliches Leben

In der Diskussion über die Privatsphäre herrscht heute einige Verwirrung, weil viele, vor allem junge Leute offenbar bereit sind, in Blogs und sozialen Netzwerkseiten detaillierte, oft peinliche, ja sogar belastende Informationen über ihr Leben zu publizieren. Dies ist teilweise dem Versuch geschuldet, in einer fragmentierten sozialen Welt Beziehungen zu knüpfen. Ein weiterer Faktor ist schlicht die jugendliche Naivität, die aber abnehmen wird, wenn die langfristigen Konsequenzen der Aufzeichnung privater Detailinformation bekannter werden.

Dass sich Leute dafür entscheiden, private Informationen ins Netz zu stellen, die für sie später potenziell kompromittierend sind, ist meiner Ansicht nach nicht ausschließlich eine Sache der Privatsphäre. Es gibt keine privaten E-Mails, genauso wie es niemals private Briefe gegeben hat. Ist ein Brief erst mal abgeschickt, hängt es allein vom Empfänger ab, was mit dem Inhalt geschieht. Was wir schreiben oder sagen, hat eben Konsequenzen, und das zu begreifen gehört einfach zum Erwachsenwerden. Wenn unser gesamtes Handeln dem Blick Außenstehender ausgesetzt ist, fragt sich natürlich, ob wir in der Privatsphäre eigentlich überhaupt nichts mit anderen teilen können. Manche sehen in dem Bedürfnis nach Privatheit legitimerweise einen Wert an sich. Eines der grundlegendsten Probleme der Überwachungsgesellschaft liegt eben in der Reduzierung der Anonymität. Und dabei kommt es gar nicht darauf an, ob irgendjemand, sei es ein Individuum, ein Staat oder ein Internetunternehmen, uns tatsächlich durch Sammlung unserer privaten Daten schaden will. Schon die Fülle der derzeit über uns verfügbaren Daten ist beklemmend, denn durch diese Daten werden wir vollständig durchsichtig, ob wir es wollen oder nicht. Und unser Wissen darum wirkt sich unweigerlich in einer Weise auf unser Denken, Fühlen und Handeln aus, über die wir uns vielleicht noch nicht völlig im Klaren sind.

In einem Bereich sind die Auswirkungen dieses Mangels an Privatsphäre jedoch auf jeden Fall offensichtlich. Wenn wir kaum noch einen Teil unseres Selbst privat halten können, wirkt sich das grundlegend auf die Fähigkeit der Individuen aus, eine Rolle im öffentlichen Leben zu übernehmen. Wer heute eine Rolle im öffentlichen Leben anstrebt, muss damit rechnen, dass sein Privatleben in bisher nicht da gewesenem Maße an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird. Und da kein Mensch unfehlbar ist, kann auch niemand einer solchen Prüfung durch die Öffentlichkeit zuversichtlich entgegensehen. In der Vergangenheit hat es viele hervorragende Führungspersönlichkeiten in Politik, Wirtschaft und Kunst gegeben, die wohl keine Karriere hätten machen können, hätte die moderne Celebrity-Kultur ihr Privatleben ans Licht gezerrt.

Bisher existieren keine klaren Richtlinien dazu, welcher Grad von Online-Datenüberwachung, -speicherung oder -nutzung für eine Demokratie akzeptabel ist. Aber eines ist sicher: Allein die Anfechtung des Rechts von Staaten oder sonstigen Institutionen zur Überwachung oder Aufzeichnung unserer Handlungen ermöglicht eine angemessene Diskussion darüber, was in diesem Bereich erlaubt sein sollte oder nicht. In diesem Prozess müssen wir unbedingt darauf bestehen, dass transparent ist, wer welche Information über wen speichert. Und ein erster Beitrag des Einzelnen könnte in der Frage bestehen, wo der „Opt-in-Knopf“ ist.

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