01.03.2008
„Gene sind ungesund für meine Kinder“
Kommentar von Christoph Willers
Eine an der Universität zu Köln gemeinsam mit dem IFAK-Institut durchgeführte Studie zeigt, welche Gründe für den Widerstand gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel in Deutschland vorliegen und in welche Segmente sich die deutsche Bevölkerung hinsichtlich ihrer Einstellung zur Grünen Gentechnik unterteilen lässt.
Die „fehlende“ Akzeptanz der Grünen Gentechnik in der Öffentlichkeit wird oftmals auf unzureichendes Wissen zurückgeführt. Zusätzliches Wissen würde demzufolge Unsicherheiten entgegenwirken und letztlich zu größerer Akzeptanz führen. Das Wissen um und die Bewertung der Grünen Gentechnik sind nach dieser Sichtweise eng miteinander verbunden. Für kommunikationspolitische Entscheidungen in Verbindung mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln ist dieser Aspekt von hoher Relevanz. Sollten sich die Absender eher auf eine kognitiv ausgerichtete Kommunikation stützen, oder gilt es vielmehr, an möglichen affektiven Vorbehalten der Bevölkerung anzusetzen?
Wissen beeinflusst in starkem Maße die individuelle Wahrnehmung. Lernen ist dabei Voraussetzung für den Erwerb von Wissen und Verhaltensweisen. Änderungen im Wissensbereich führen oftmals zu geändertem Verhalten, während Erfahrungen im Verhaltensbereich wiederum gespeichertes Wissen nach sich ziehen. Dies ermöglicht es dem Individuum, sich an komplexer werdende Umwelten anzupassen. Aufgrund der Komplexität des Technologiefeldes der Grünen Gentechnik kommt den lerntheoretischen Überlegungen daher eine hohe Bedeutung zu.
Innerhalb der Untersuchung wurden den Befragten verschiedene naturwissenschaftlich orientierte und konsum- bzw. alltagsrelevante „Wissensfragen“ zur Grünen Gentechnik gestellt. Bei den Erstgenannten lassen sich dabei deutliche Wissenslücken erkennen. Wenn rund ein Drittel der Befragten keine korrekte Antwort auf die Frage weiß, ob durch den Verzehr einer gentechnisch veränderten Frucht sich auch die eigenen Gene verändern, ist dies zwar in erster Linie ein Wissensdefizit, gleichzeitig aber auch ein Hinweis auf entsprechende Fantasien. Die mit Abstand größte Kenntnis betrifft die grundsätzliche Frage der Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel. Das geringste Wissen ergibt sich ebenfalls für die Kennzeichnung, jedoch hinsichtlich der speziellen Ausgestaltung der Ausnahmeregelungen (hier: das tierische Erzeugnis Milch). Hieran wird deutlich, dass die Kennzeichnungspflicht eine hohe Präsenz und Relevanz für den Verbraucher besitzt, gleichzeitig jedoch sehr wenig konkretes Wissen über den aktuellen Stand und die Ausgestaltung existiert. Zudem ist dem Verbraucher bisher offensichtlich nicht bewusst, dass der Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel zur Produktion tierischer Erzeugnisse bereits Realität ist: 90 Prozent der Befragten sind richtigerweise der Meinung, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, 65 Prozent gehen dagegen fälschlicherweise davon aus, dass diese Produkte bereits im Handel angeboten werden. 83 Prozent wiederum subsumieren auch tierische Produkte, hergestellt mithilfe gentechnisch veränderter Futtermittel, der Kennzeichnungspflicht. Keiner der Befragten hat jedoch bisher eine „gekennzeichnete“ Milch gekauft, da es diese definitiv nicht gibt. Das wiederum lässt den Schluss zu, dass die Verbraucher keinen Zusammenhang zwischen Futtermitteln und Endprodukt sehen oder schlichtweg über kein Wissen diesbezüglich verfügen.
Insgesamt ist bei der deutschen Bevölkerung der Kenntnisstand über die Grüne Gentechnik relativ gering ausgeprägt. Bei den Gebildeteren und der Gruppe der 14- bis 19-Jährigen ist dieser dabei signifikant höher. Das Wissen ist aber vor allem nicht systematisch und aktiv erworben, sondern eher zufällig und passiv aufgenommen. In der qualitativen Vorstudie wurde durchweg ein subjektiv empfundenes Informationsdefizit geäußert, wobei gleichzeitig ein erklärtes Informationsinteresse beobachtet werden konnte.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang hingegen das Informationsverhalten und den -austausch, ergibt sich ein Paradoxon: Es existiert sowohl ein faktisches als auch ein persönlich wahrgenommenes Informationsvakuum, obgleich es eine Vielzahl von frei zugänglichen Informationsangeboten zur Grünen Gentechnik gibt – von kritischen über neutral gehaltenen bis hin zu positiv ausgerichteten Informationen. Deren aktive Nutzung ist jedoch die Ausnahme, genauso wie der Austausch im sozialen Umfeld. Hinzu kommt, dass dem Wissenserwerb Lernleistungen vorausgehen müssen, wozu viele nicht bereit oder auch nicht in der Lage sind.
Von besonderem Interesse ist nun die Frage, ob durch zusätzliche Informationen zur Grünen Gentechnik eine Einstellungsänderung – sowohl in positiver wie negativer Richtung – bei den Rezipienten vollzogen werden kann und ob ein höherer Wissensstand womöglich positiv mit einem erhöhten Akzeptanzniveau korreliert. Es geht somit um die Wirkung persuasiver Effekte unterschiedlicher Kommunikationsstrategien. Im qualitativen Studienteil konnte nach Zugabe verschiedener Informationen eine Einstellungskonstanz beobachtet werden. Weder die befürwortenden auf der einen noch die kritischen Absender auf der anderen Seite konnten die Rezipienten beeinflussen. Die telefonische Nachbefragung ergab jedoch, dass sich bei rund einem Fünftel der erreichten Probanden die Einstellung zur Grünen Gentechnik ins Positive verändert hatte.
Wieso kommt es zu dieser – zumindest kurzfristigen – Einstellungsstabilität? Die Antwort ist in dem fehlenden Angebot gentechnisch veränderter Lebensmittel zu suchen. Aufgrund der mangelnden persönlichen Alltagsrelevanz besteht derzeit nur ein geringes Maß an Motivation, sich intensiver mit entsprechenden Informationen auseinanderzusetzen. Einige Probanden waren zudem mit den jeweiligen Texten überfordert. Aufgrund der geringeren kognitiven Fähigkeiten orientierten sich diese stärker an peripheren Hinweisreizen als an den Informationsinhalten.
Es lässt sich die These formulieren, dass die Einstellungsstruktur zur Grünen Gentechnik latent instabil ist. Bei einer kurzfristigen kognitiven Auseinandersetzung mit dieser Thematik sind aufgrund der derzeit mangelnden Relevanz keine gravierenden Einstellungsänderungen zu erwarten. Anscheinend können aber Informationsstimuli eine weitergehende kognitive Auseinandersetzung anstoßen und Änderungen hervorrufen.
Die Einstellung zur Grünen Gentechnik wird im Wesentlichen durch affektive Dimensionen und nicht durch kognitive Bewertungen determiniert: Wissen ist dabei ebenso wenig signifikant für die Einstellung wie soziodemografische Variablen und das Kaufverhalten (Ausnahme: hohe Affinität zu Bioprodukten). Die Auffassung, der Widerstand gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel sei ein reines Wissens- bzw. Informationsproblem, ist daher stark zu bezweifeln. Ein Verfolgen einer rein kognitiv-rationalen Überzeugungsstrategie scheint nicht zielführend zu sein – weder für die Befürworter noch für die Ablehner. Ein gänzlicher Verzicht auf entsprechende Informationsangebote wäre allerdings zu kurz gedacht und aufgrund verschiedener Gesichtspunkte nicht zu empfehlen. Zu berücksichtigen wären u.a. politische (Forderung nach Transparenz), strategische (fehlende Kommunikationsbasis) und praktische Gründe (mögliches Informationsdefizit im Handel). Für eine Stärkung der positiven Haltung gegenüber der Grünen Gentechnik muss es Zielsetzung sein, an den vorhandenen affektiven Vorbehalten anzusetzen und die Kommunikations- und Informationsströme zu optimieren.
Der Verbraucher konstatiert zwar seinen defizitären Informationsstand und die asymmetrische Informationsverteilung, gleichzeitig sind mit der Informationsgewinnung zeitliche und finanzielle Opportunitätskosten verbunden. Aktuell sind die Grenzkosten höher als der Grenznutzen der Informationsgewinnung. Ist durch ein Produktangebot im Handel gleichzeitig ein Erfahrungswissen möglich, ist davon auszugehen, dass angebotene Informationen durch den Verbraucher vermehrt genutzt und begleitende Informationskampagnen voraussichtlich auch eine Wirkung haben werden.