01.03.2008

„Drittmittelforschung darf nicht Hauptforschung sein“

Interview mit Thomas Deichmann

Joseph H. Reichholf im Gespräch mit Thomas Deichmann über das heikle Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik.

Die Naturwissenschaften werden heute von der Politik offenbar sehr ernst genommen. Jüngste Beispiele sind die Pläne von Forschungsministerin Annette Schavan, eine Nationale Akademie der Wissenschaften einzurichten, sowie der enge Schulterschluss zwischen Bundesregierung und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Verliert die Wissenschaft nicht ihre Unabhängigkeit und damit die ihr eigentlich zugedachte Rolle in der Gesellschaft?
Die Wissenschaft steht im Dialog mit der Öffentlichkeit. Sie darf sich der Mitwirkung an öffentlichen Problemen nicht versagen, muss aber sehr genau darauf bedacht sein, ihre Unabhängigkeit – und damit die Glaubwürdigkeit – nicht zu verlieren. Politische oder weltanschauliche Gesichtspunkte dürfen nicht Zweck der Forschungen sein. „Schulterschlüsse“ zwischen Politik und bestimmten Forschungseinrichtungen sollte die Öffentlichkeit daher stets mit der gebotenen Skepsis betrachten, wie sie es auch bei der sogenannten Industrieforschung tut. Finanzielle Abhängigkeiten sind jedenfalls keine gute Basis für wissenschaftliche Unabhängigkeit.

Der UN-Weltklimarat (IPCC) und das PIK kommen einem vor wie NGOs, die Kampagnen gegen die vermeintliche Klimakatastrophe führen. Einige PIK-Mitarbeiter werben sogar offen für solche Umweltschutzvereine. Sollte man hier nicht zurückhaltender sein?
Im Prinzip ja, aber es ist vielleicht sogar besser, dass die Öffentlichkeit direkt sehen kann, welche Klientel vertreten wird.

Eine Reihe von Wissenschaftlern, die sich mit dem Klima befasst, ist der Auffassung, man agiere vorschnell, weil man sich nur auf die CO2-Reduzierung eingeschossen habe, da noch nicht genügend wissenschaftliche Klarheit über die Zusammenhänge des Klimawandels herrsche. Doch diese Stimmen werden oft ignoriert – es geht so weit, das Skeptiker denunziert werden. Wie gravierend ist dieses Problem?
Die „Gleichrichtung“ der Meinung zur (Haupt-)Rolle des CO2 im Klimawandel widerspricht nicht nur dem Grundprinzip der Freiheit der Wissenschaft, sondern auch der davon ausgehenden Selbstkorrektur. Wo nichts mehr widerlegt werden kann, weil das nicht sein darf (weil angeblich im Dienst „der Sache“), ist die Vorgehensweise zum unwissenschaftlichen Dogma geworden und eine Angelegenheit des Glaubens.
Naturwissenschaft ist aber ein Verfahren der Annäherung an die Wirklichkeit. Dafür gibt es weder einen Königsweg noch absolute Gewissheit, zumal wenn es um Prognosen geht. Die Öffentlichkeit muss darauf bestehen, dass Befunde – die immer nur Stichproben aus der Gesamtheit sein können und daher diese niemals vollständig repräsentieren – und davon abgeleitete Modelle kritisiert und hinterfragt werden. Die Wissenschaftler selbst haben sich diesem Prozess zu stellen, als Verteidiger und insbesondere auch als Kritiker. Deshalb sollte die Öffentlichkeit auch darauf dringen, dass Forschungsgelder, die aus ihren Steuern stammen, den unabhängigen Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden.

Obwohl die Politik einerseits die Nähe zu den Wissenschaften sucht, hat man andererseits bei Sachthemen wie Ernährung, Agro-Gentechnik oder Atomkraft nicht den Eindruck, als würden wissenschaftliche Forschungsergebnisse bei politischen Entscheidungen ernst genommen. Im Gegenteil: Irrationalismen, Emotionen und Relativismus werden immer dominanter. Wie kommt das?
Das liegt im Wesen der Politik. Sie neigt dazu, sich dessen zu bedienen, was gerade ins Konzept passt, und das zu übergehen, was ihr nicht gefällt. Dabei richtet sie ihr Hauptaugenmerk auf die angeblichen, vor allem die lautstark vorgebrachten „Interessen“ der Öffentlichkeit. Klimawandel „droht“, weil jeder Wandel unangenehm ist – außer man profitiert persönlich davon –,  und dieser wird deshalb politisch „bekämpft“. Atomkraft „droht“, wie auch herumspukende Gene, und sie werden entsprechend „bekämpft“.
Diese Irrationalismen bestimmen weithin den (höchst schleppenden) Gang hierzulande, weil die große Mehrheit der Bevölkerung keinen Wandel, keine Änderung haben möchte. Wird man sodann von anderen, weniger klagenden und zukunftsoffenen Ländern (wirtschaftlich) überholt, findet die Klage ihre Bestätigung.
Die weitgehende Patt-Situation in der Politik, die in grundlegend wichtigen Themen praktisch Stillstand bedeutet, wird mit Aktionismus überdeckt, der umso großartiger erscheint, je weiter entfernt, geografisch wie zeitlich, die Ziele sind. So bringt die „Weltmacht in der Klimapolitik“ die längst überfälligen Maßnahmen im eigenen Land nicht voran. Sollten die Katastrophiker Recht behalten mit ihren Vorhersagen, sind wir in Deutschland ganz miserabel vorbereitet. Die CO2-Sünden-Ablasszahlungen werden dann nichts nützen – so wenig, wie unsere „Gentechnikgesetze“ uns und die Welt vor den Neuerungen bewahren. Aber all das kostet uns dennoch immens viel.

Halten Sie es angesichts der aktuellen Trends für angebracht, dass Forscher und ihre Institutionen ihr Verhältnis zur Politik neu überdenken?
Nichts bleibt auf längere Zeit unverändert. Was sich eine Zeit lang bewährt hat, muss nicht auf Dauer gut sein. Als Evolutionsbiologe gehe ich davon aus, dass Beharren auf einem bestimmten Zustand zwangsläufig dazu führt zurückzufallen. Lewis Carroll lässt die Rote Königin sehr bezeichnend zu Alice sagen: „In unserem Land musst du laufen, um auf der Stelle zu bleiben.“ Das gilt auch für das Verhältnis der Wissenschaft zu Politik und Gesellschaft: Es muss immer wieder neu angepasst werden. Nur dann entfaltet sich das notwendige Wechselspiel konstruktiv. Neue Ideen ergeben sich zumeist ganz von selbst aus den geänderten Bedingungen.

Was schlagen Sie vor?
Aus der momentanen Situation heraus erscheint es mir als besonders wichtig, dass die Forschung die Mittel bekommt, die benötigt werden, um eigenständig die Themen der Zeit rechtzeitig und kompetent aufgreifen zu können. Solange die „Einwerbung von Drittmitteln“ das Kernstück der deutschen Forschung darstellt, muss diese zwangsläufig nach den großen Forschungsmitteln schielen, die direkt von der Politik kommen. Freiheit der Forschung setzt aber voraus, dass sie schon vom Grundsatz her finanziell unabhängig genug ist.
Unsere Universitäten, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft sind im Hinblick auf das, was die Öffentlichkeit von diesen drei Hauptsäulen der unabhängigen Forschung erwartet, viel zu schlecht versorgt. An allgemeiner Knappheit der Mittel liegt das nicht, sonst könnte die Politik nicht so große Summen „bei Bedarf“ hervorzaubern. Und Drittmittelforschung darf nicht die Hauptforschung sein. Darauf müssen Wissenschaft und Öffentlichkeit mit aller Macht dringen. Die freie Wissenschaft braucht eine massive politische Vertretung. Wie man das macht, lässt sich von der Landwirtschaft lernen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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