12.12.2011

Lyssenko lässt grüßen

Kommentar von Dénes Dudits

Eine Erinerung die aktuelle Politik zur modernen Pflanzenzucht an düstere Kapitel der Stalin-Zeit.

Die politische Willensbildung spielt nicht nur eine aktive Rolle bei der anhaltenden Blockade der Gentechnik, die als Werkzeug zur Züchtung verbesserter Pflanzensorten eingesetzt wird. Sie ist auch involviert in die Verleugnung der grünen Biotechnologie und wissenschaftlich fundierter Fakten im Zusammenhang mit der Agrarpolitik einiger EU-Mitgliedsstaaten. Dies ruft Erinnerungen an die Atmosphäre zu Sowjetzeiten wach. Ich bin Angehöriger der letzten Studenten-Generation, die im Geiste des Mitschurin-Lyssenko-Dogmas erzogen wurde. Daher nehme ich wahr, dass konzeptionelle Ähnlichkeiten zwischen den politisch motivierten, einseitig ausgerichteten Pflanzenzüchtungsmethoden des Stalin-Regimes und der Unterdrückung der Anwendung von gentechnischen Methoden in der Pflanzenzucht der heutigen Zeit bestehen.

Pflanzenzüchtung ist eine wissenschaftliche Kunst. Es geht darum, den Genpool von Kulturpflanzen zu optimieren, um Ertrag und Qualität von pflanzlichen Produkten sicherzustellen. Im Laufe der Zeit haben Pflanzenzüchter eine Vielzahl von Methoden zur Veränderung von Genen entwickelt, etwa Selektion, Kreuzung, Polyploidisierung oder die Erzeugung von Mutationen durch Bestrahlung oder Behandlung mit Chemikalien. Diese methodischen Innovationen haben zu einer kontinuierlichen Steigerung der Produktivität unserer Kulturpflanzen geführt.

Aufgrund des prognostizierten Bevölkerungswachstums wird sich der Bedarf an Nahrungsmitteln deutlich vergrößern. Gleichzeitig wird die weltweite Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigt – durch Faktoren wie Rückgang der landwirtschaftlich nutzbaren Anbaufläche, knappe Wasserressourcen und eingeschränkte Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln. Darüber hinaus werden durch die extensive Nutzung von Kulturpflanzen für die Produktion von Bioenergie weniger Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Alles dies zwingt die Züchter, kontinuierlich neue Pflanzensorten zu kreieren – ein Prozess, der hocheffiziente Methoden erfordert.

In der heutigen „genomischen“ Ära besteht eine solide Grundlage für die Erzeugung neuer Kulturpflanzen. Die DNA-Sequenzinformationen kompletter Pflanzengenome können entschlüsselt werden, die Identifizierung und Isolierung von agronomisch bedeutsamen Genen ist möglich, und zudem können neue Gene in Pflanzengenome transferiert werden. Die neuen Kulturpflanzen verfügen über verbesserte agronomische Eigenschaften, darunter Krankheitsresistenz, Stresstoleranz oder hohe Erträge. Ohne Zweifel eröffnen die Methoden der DNA-Rekombination einen effizienten und erfolgreichen Weg, um in Verbindung mit weiteren züchterischen Methoden neue Genkombinationen für die Pflanzenzucht bereitzustellen, die zur Entwicklung konkurrenzfähiger Sorten führen.

Es sollte selbstverständlich sein, dass Züchter das Recht haben, die erfolgversprechendsten Züchtungsmethoden frei auszuwählen und anzuwenden. Dabei sollten die neuen Eigenschaften der erzeugten Sorten Grundlage die Bewertungs- und Zulassungsverfahren sein – nicht die Züchtungsmethoden, mit denen neue Eigenschaften erzeugt worden sind. Im Gegensatz hierzu diskriminieren die zurzeit gültigen EU-Regulierungen – im Zusammenspiel mit gesetzlichen Maßnahmen in mehreren Mitgliedsstaaten – die Nutzung der rekombinanten DNA-Technologie als Züchtungsmethode dramatisch. Politische und ideologische Konzepte bestimmen die regulatorischen Rahmenbedingungen, während wissenschaftliche Erkenntnisse nur eine untergeordnete Rolle in den Entscheidungsprozessen spielen. Sogar die Empfehlungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) werden von den Landwirtschaftsministerien bestimmter EU-Mitgliedsstaaten missachtet.

Die Geschichte der Pflanzenzüchtung liefert ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie politischer und administrativer Druck ausgeübt werden kann, um wissenschaftliche Tatsachen zu unterdrücken und die Nutzung von Technologien durch politische Vorgaben einzudämmen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts erhielten die Ansichten von I. V. Mitschurin und T. D. Lyssenko in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten uneingeschränkte politische und ideologische Unterstützung. Züchter und Genetiker wurden mittels bürokratischer Machtausübung gezwungen, Pfropfung und Vernalisierung als Methoden zur Erzeugung neuer Sorten einzusetzen. Lyssenkos Konzepte entwickelten sich zwangsläufig zu Dogmen in zahlreichen Züchtungsprogrammen. Sie zweifelten sogar die Existenz von Genen an. Seine von politischen Autoritäten mit großem Aufwand unterstützte Behauptung, eine Sorte Winterweizen in Sommerweizen umgewandelt zu haben, wurde zur Demonstration der Vererbung erworbener Eigenschaften missbraucht, obwohl sie nicht durch wissenschaftliche Tatsachen gedeckt war. Diese Episode demonstriert, wie politische Einflussnahme mit Erfahrungswerten der Pflanzenzucht kollidieren kann. Die gegenwärtige Ablehnung der Gentechnik wurzelt ebenfalls in ideologischen und politischen Einstellungen. Dies erlaubt es Außenseitern ohne Expertenwissen, die Debatte zu dominieren und Regierungshandeln zu beeinflussen – gestützt durch die Medien, die dazu tendieren, das Publikum über das Thema falsch zu informieren.

Unabhängig von der Tatsache, dass sich das gegenwärtige Anbau-Moratorium in mehreren Mitgliedsstaaten nur auf einen einzelnen Mais-Hybriden (MON810) bezieht, hat die negative Kampagne um die Anbauverbote das Image der Grünen Gentechnik beschädigt. Dies resultiert in einer Verzögerung der Nutzung anderer GV-Pflanzen, etwa von Genotypen mit Resistenzen gegenüber dem Maiswurzelbohrer oder mit Toleranzen gegenüber Trockenheit. Der Konflikt zwischen grünen Bewegungen und den Verfechtern der Gentechnik scheint künstlich aufrechterhalten zu werden angesichts der Tatsache, dass statistische Daten beim Anbau bestimmter GV-Pflanzen eine deutliche Abnahme im Verbrauch von Agrochemikalien und CO2-Emission zeigen.

Zusätzlich zu positiven Umwelteffekten können die Landwirte in den EU-Mitgliedsstaaten ebenfalls einen Nutzen erzielen: Allein die Landwirte in Ungarn könnten jährlich 14 Millionen Euro einsparen, wenn sie Mais anbauen dürften, der gegen den Wurzelbohrer resistent ist. Leider benötigen die EU-Verfahren zur Marktzulassung entsprechender Mais-Genotypen viele Jahre, und die Regierungsentscheidungen in einigen Mitgliedsstaaten tendieren zur Verhinderung des Anbaus. Wie führende Studien zu Innovationen in der Gentechnik zeigten, haben die europäischen Pflanzenwissenschaften aufgrund der Anti-Gentechnikpolitik bereits erhebliche Schäden zu verzeichnen. Als Konsequenz wird auf lange Sicht auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft Schaden erleiden, wenn die wissenschaftsfeindliche Praxis weiter an Einfluss gewinnt. Wir können nur hoffen, dass wir nicht an der Schwelle zu einer neuen Lyssenko-Ära stehen.

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