11.12.2011

Strafzettel in Toronto und zivile Gegenwehr

Essay von Vasile V. Poenaru

Eine Erzählung.

Was kann der Einzelne gegen Strafzettel unternehmen? „Ganz wenig“, so die Antwort in einer Nuss. Gegen einen Strafzettel anzukämpfen ist zeitberaubend, mühsam, ärgerlich. Denn die City braucht Geld. Und hat man erst einmal seinen Wagen ohne die im Dickicht der Städte gebotene Umsicht abgestellt, so liegt auch gleich ein gelber Zettel unter dem Scheibenwischer: 30, 60, 100 Dollar, je nachdem. Auf dem gelben Zettel steht, wie die Zahlung zu tätigen sei. Atem schöpfen, fluchen, zahlen: So läuft das.

Ich aber zog vor Gericht. Zugegeben, erst beim dritten Mal. Die ersten beiden Male hatte ich mich der Macht des gelben Zettels (damals waren’s aber freilich nur je 20 Dollar) gefügt, ohne zu meckern, da mir mehr oder weniger klar war, in der Tat gegen irgendein mehr oder weniger klares Parkverbot verstoßen zu haben. Nicht so jetzt. Jetzt war ich entschlossen, gegen das System aufzubegehren und meine drei grünen Zwanziger in der Tasche zu behalten. Ich hatte im März 2008 downtown Toronto ordnungsgemäß einen Parkschein gelöst und ihn auch sichtbar ausgelegt. Trotzdem: gelber Zettel.

Meine Zeit war nicht abgelaufen. Mein Gewissen war rein, mein Parkschein gut leserlich, mein Konto leer. Deswegen verlangte ich umgehend eine Gerichtsverhandlung zur Feststellung der Rechtslage. Insbesondere in Zeiten der Krise muss jeder Fahrer ein wackerer Pfennigfuchser sein und seine Strafzettel anfechten. On guard! Not guilty! Anderthalb Jahre später, im August 2009, durfte ich dann schließlich im Prozess dem Staatsanwalt gegenüberstehen.

Mir wurde vorgehalten, zwar einen Parkschein gelöst zu haben, meinen Wagen jedoch auf einem Parkplatz abgestellt zu haben, der keiner mehr sei, dabei freilich früher mal einer gewesen sei. Früher? Dass der Parkplatz unmissverständlich als solcher markiert war, entgegnete ich entschlossen. Auf dieses Argument ging der Staatsanwalt nicht ein; als Parkplatz markiert oder nicht: no parking.

Vor dem eigentlichen Gerichtsverfahren hatte mich der Staatsanwalt zu einem Gespräch mit dem Agenten eingeladen, der mir seinerzeit den Strafzettel beschert hatte. Sollte ich mich überzeugen lassen, winkte ein Deal: keine 60 Dollar würden es dann sein, sondern nur noch 20.

Der Pakt war nicht nur für mich gedacht, sondern für alle sonstigen anwesenden Sünder. Die meisten gingen auf das Angebot ein. Deal! Aber ich wollte nicht. Die paar wenigen, die sehr zur Empörung des Staatsanwalts keinen Deal wollten, sondern auf einem Prozess bestanden, mussten warten. Der Agent schaute schließlich in die Unterlagen. „Ihr Name?“ Ich nannte meinen Namen. „Aha, Mazda!“ Die Unterlagen stimmten nicht. Ich fuhr einen Chevy. „Ach so? Ja dann eben Chevy.“ In anderthalb Jahren kommt manches durcheinander. So war der Agent auch kein Agent mehr, das heißt, er war nun nicht mehr bei der Stadtverwaltung angestellt, musste aber trotzdem als Zeuge vorstellig werden – als ein Zeuge, der sich nicht mehr an den Sachverhalt zu erinnern vermochte und sich auch in den Papieren offensichtlich kaum zurechtfand. Gute Vorzeichen.

„Drove my Chevy to the levy, but the levy was dry“, heißt es im weltweit berühmten Song „American Pie“. Es heißt nicht „Drove my Mazda to the levy.“ Deswegen dachte ich nun schon aus rein technischen Gründen, ein leichtes Spiel zu haben. Wer seine Unterlagen nicht in Ordnung kriegt, kann ja unmöglich allein aufgrund dieser Unterlagen aussagen. Los ging’s. Bei der Vernehmung des Augenzeugen (d.h. des Agenten) fragte der Staatsanwalt: „Erinnern Sie sich noch an die Situation?“ „An die Situation zwar nicht, doch an an den Tag schon.“ Also dass es den Tag gegeben hatte, war das Einzige, worauf der Agent schwören konnte. Dass ich nicht lache!

„Geht in Ordnung!“, fiel das Urteil, nein, nicht das Urteil, das ... na ja, es hörte sich eben schon fast wie ein Urteil an. Erstaunlicherweise war die vage Erinerung an einen schönen Wintertag für die Richterin hinreichend überzeugend. Beyond a reasonable doubt. Und dazu gab es ja schließlich auch noch die Unterlagen zum Auffrischen des Gedächtnisses, so der Agent. Aber ja doch! Die Richterin schien sich bestens mit der Vorstellung abzufinden.

Ob ich damit einverstanden sei, dass die Unterlagen beim Aussagen verwendet werden, um das Gedächtnis des Agenten aufzufrischen, wollte die Richterin von mir wissen. Ich war damit nicht einverstanden. „Warum nicht?“ Weil ich aufgrund der während der kurzen Unterredung mit dem Agenten festgestellten Unstimmigkeiten in der Dokumentation deren Glaubwürdigkeit als fraglich empfand. „Was der Agent Ihnen heute gesagt hat, dürfen Sie nicht nutzen. Da könnte ja jeder kommen. Also aufgrund einer Technikalität wird das nicht für unzulässig erklärt. Das wäre ja ein Trick.“
Na dann. Meine Scheine begannen sich langsam aus dem Geldbeutel zu lösen. Weswegen wurde ich überhaupt gefragt? Und warum eine Unterredung mit dem Agenten, wenn ich mich nicht darauf beziehen konnte? Zulässig oder nicht zulässig? Was für eine Frage!

Immerhin: Bald waren wir wieder gut. Zwar verlangte nun der Staatsanwalt nicht mehr bloß die mit dem Deal-Angebot verbundenen 20 Dollar oder gar die mit einem zweiten mir mittlerweile während der Pause unterbreiteten Deal-Angebot verbundenen lumpigen 10 Dollar, sondern nun wieder die ursprünglichen 60, aber die Richterin entschied, es sollten letztendlich eben doch nur 10 Dollar sein. Ob ich an Ort und Stelle zahlen könne? Ich fiel darauf herein und musste unten im Erdgeschoss sozusagen als zusätzliches Entgelt dafür wieder mal eine ganze Weile Schlange stehen.

Wegen eines andauernden Streiks der städtischen Angestellten dauerte es da so lange, dass ein Herr, der seinen Wagen vor dem Gericht geparkt hatte, um sein Bußgeld zu zahlen, bald wieder zurückkam, weil der Parkschein angesichts der unangemessen langen Wartezeit vor dem Schalter inzwischen nicht mehr gültig war und natürlich ein neuer Strafzettel unter seinem Scheibenwischer steckte. Nun wollte er als vorbildlicher Bürger gleich wieder Strafe zahlen. „Können Sie nicht“, teilte ihm die Dame am Schalter mit. Denn dieser Strafzettel war nicht gelb. „Wir arbeiten mit einer privaten Firma zusammen, nicht mit der City. Ich sage ihnen gleich, wo sie für den zahlen müssen. Da ist die Nummer!“ „Nicht mit der City?“, stammelte der Herr fassungslos. „Die Nummer? Anrufen?“ „Jawohl!“, rief ihm die Dame noch frisch ins Gesicht. „Erst anrufen! Dann hingehen und zahlen!“ „Dann zahlen?“ „Jawohl! Zahlen! Aber nicht hier! Dort!“ Die Anwesenden zuckten mit der Schulter. Dieses ganze Gebäude machte also nur eine Vorkammer im eigentlichen Labyrinth des Prozesses aus. Outsourcing wird sowas genannt.

Die Rufnummer der privaten Firma blieb mir Gott sei Dank erspart. Meinen Wagen hatte ich vor einem fünf Minuten entfernten Kaufhaus mit kostenloser Parkmöglichkeit (sofern man da auch was einkauft) abgestellt, da ich geahnt hatte, dass ein Prozess sehr zeitraubend sein muss, schon allein, um etwaige Starrsinnige abzuschrecken, die sich auf keinen Deal mit dem Staatsanwalt einlassen wollen.

Zahlen müssen. Nummer wählen. Mit der City. Nicht mit der City. Fragezeichen. Ausrufzeichen. Wartezeiten. Das Einzige, was mir jetzt noch dazu einfällt, ist eine Definition der Parkplatzjustiz in Toronto: aufgefrischtes Gedächtnis mit begrenzter Haftung. Viel kann der Einzelne dagegen nicht tun. Es muss sich halt ein jeder gefallen lassen, was zulässig ist. Mein Urteil über diesen Prozess? Ich bin um 10 Dollar ärmer und um eine Erfahrung reicher.


Anm.: Agent, Staatsanwalt und Richterin erscheinen in diesem Artikel angesichts rechtlicher Berücksichtigungen in Hinblick auf deren Identität zum Teil nicht mit ihrem tatsächlichen Geschlecht.

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