22.07.2010

Das Wachstums-Kind mit dem Kapitalismus-Badewasser ausschütten?

Kommentar von Rob Killick

Kontinuierliches Wirtschaftswachstum ist wichtig, weil es die Arbeitsproduktivität erhöht: Wir bekommen mehr für weniger, wir haben mehr Kontrolle über unser Leben, und wir sind weniger anfällig für die Launen von Natur und Schicksal.

Die Wertschätzung des Wirtschaftswachstums hat in letzter Zeit drastisch abgenommen. Soziologen wie Richard Layard vertreten eine konsumfeindliche Haltung. Layard führt an, dass Wirtschaftswachstum und die daraus resultierenden materiellen Vorteile die Menschheit nicht glücklich machen würden. Ich wünsche mir, Layard möge eine Befragung unter den Millionen Menschen durchführen, die durch die Rezession arbeitslos wurden. Dann würde er feststellen, wie viel glücklicher diese Leute nun tatsächlich sind, nachdem sie die Sicherheit eines festen Gehaltes verloren haben. Glauben wir wirklich, dass es uns in Armut besser geht?

Naturschützer argumentieren, Wirtschaftswachstum sei schuld am Klimawandel und zerstöre unsere Welt unwiderruflich. Diese Leute sind Leugner des wissenschaftlichen Fortschritts. Sie glauben nicht daran, dass wir eine Lösung für unsere Probleme finden können. Dennoch ist ausgerechnet China die weltweit am schnellsten wachsende Wirtschaftsmacht, die sich stärker als jede andere Nation des Themas alternative Energiequellen annimmt und diese weiterentwickelt. Es ist das Wirtschaftswachstum, das diese Entwicklung möglich macht und weiter antreibt. Überdies gibt es Leute, die behaupten, dass wissenschaftlicher und materieller Fortschritt zu anfällig für Risiken und Gefahren sei, um sicher und gefahrlos weiterverfolgt zu werden. Gerne wird dann die Frage in den Raum gestellt, ob Dinge wie gentechnisch veränderte Nahrungsmittel, Atomkraft oder die Pharmaindustrie nicht mehr Schaden anrichten würden, als sie Nutzen bringen. Ihre Kampagnen gegen den wissenschaftlichen Fortschritt verlangsamen und entmutigen Investment und Entwicklung, wodurch die Vorteile, die der Fortschritt bringen kann, hinausgezögert werden.

Alle diese Haltungen haben etwas gemeinsam: Sie stehen für den verlorengegangenen Glauben an die Menschheit und deren Fähigkeit, sich zu verändern, sich anzupassen und wirtschaftlich und materiell zu wachsen. Warum ist kontinuierliches Wirtschaftswachstum so wichtig? Es gibt nicht nur das Argument der puren Notwendigkeit, sondern auch philosophische und soziale Gründe dafür, dass wir für weiteres und rascheres Wirtschaftswachstum kämpfen müssen.
Wann ist genug genug? Heute ganz sicher noch nicht! Der Weltbank zufolge betrug das durchschnittliche globale Jahresgehalt vor der Rezession rund 5500 Euro. Wenn das Wachstum nun gestoppt würde und wir alle das durchschnittliche Gehalt erhielten, dann bedeutete dies, dass jeder Mensch den Lebensstandard eines britischen Pensionärs ohne irgendwelche Ersparnisse hätte. Um nur den vernünftigen und nicht einmal luxuriösen durchschnittlichen britischen Lohn von 30.000 Euro für jeden Menschen der Welt zu sichern, bräuchten wir eine fünffache Steigerung im globalen Maßstab. Das bedeutet, dass wir weiteres Wirtschaftswachstum brauchen, um den durchschnittlichen Lebensstandard zu verbessern. In den Entwicklungsländern müssen viele Millionen Menschen mit einem Gehalt weit unter dem Durchschnitt auskommen – sie benötigen noch weit mehr Starthilfe. Doch auch in den gut entwickelten westlichen Wirtschaften herrscht noch immer Bedarf an zusätzlichen Ressourcen. Armut, Entbehrung und der Mangel an zusätzlichen Leistungen ist in vielen Lebensbereichen keine Ausnahmeerscheinung.

Aus philosophischer Sichtweise ist es wichtig zu verstehen, wie schädlich Meinungen, die sich gegen mehr Wachstum richten, für die gesamte Tradition der westlichen Zivilisation sind. Die Genesis sagt, dass die Menschheit die Herrschaft über die Natur übernehmen soll und fordert uns auf: „Gehet hin und mehret euch!“ Wir wenden uns ab von dem, was es uns erst ermöglicht hat, aus den Sümpfen zu krabbeln und die Behaglichkeit der modernen Welt zu erreichen: unsere Fähigkeit, unsere feindliche Umwelt zu zähmen. David Attenborough brachte genau dies auf den Punkt, als er zu Beginn dieses Jahres die Bibel für den Klimawandel verantwortlich machte. Viel von dem Missbehagen, das die Leute gegenüber dem Wirtschaftswachstum empfinden, hängt mehr mit dem Versagen der Marktwirtschaft als mit dem Wachstum selbst zusammen. Sehr oft ist der Markt ein ineffizienter Produzent und Verteiler. Das Marktsystem basiert ausschließlich darauf, profitabel zu wirtschaften und nicht darauf, die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. Es kann für Umweltprobleme und Verschmutzung verantwortlich sein. Es ist außerdem instabil und hat die Tendenz zu kontinuierlichen Rezessionen, wie wir es auch gerade erleben. Nicht zuletzt ist das System oft verschwenderisch und irrational, und es produziert und reproduziert Ungleichheit. Aber die Probleme der Marktwirtschaft sollten uns nicht blind gegenüber den Vorteilen von kontinuierlichem Wirtschaftswachstum machen. Sonst laufen wir Gefahr, das Wachstums-Kind mit dem Marktwirtschafts-Badewasser auszuschütten.

Wachstumsfeindliche Stimmungen stellen die Realität auf den Kopf. Jede menschliche Zivilisation, jede Kultur und jeder Fortschritt wurden (und zwar weit davon entfernt, Probleme zu machen) auf der Grundlage wirtschaftlicher Entwicklung aufgebaut. Die wirtschaftlich tatkräftigsten und erfolgreichen Länder waren schon immer in jeder Hinsicht am innovativsten, kulturell dynamischsten und fortschrittlichsten. Auch das Gegenteil ist wahr: Die wirtschaftlich stagnierenden oder unterentwickelten Länder sind in jeder Hinsicht schlechter gestellt.
Wenn wir dem Wachstum den Rücken zukehren, lassen wir auch das zurück, was uns am meisten zu Menschen macht: unsere Fähigkeit, die Herrschaft über die Welt, in der wir leben, zu übernehmen.

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