24.06.2010

Widerrechtliche Jagd auf Steuerhinterzieher

Kommentar von Kai Rogusch

Heute werden elitäre Feindgruppen als Sündenböcke der Wirtschaftsflaute hochstilisiert. Morgen geht es weiter mit der Aushöhlung des freiheitlichen Rechtsstaates. Von Kai Rogusch

Unser Staat lässt sich in Zeiten klammer öffentlicher Haushalte auf zweifelhafte Methoden ein. Anfang dieses Jahres nahm er das Angebot eines Informanten an, der einer auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz angesiedelten Bank unter Bruch der Vertraulichkeit geheime Kundendaten entwendet hatte, und kaufte für zweieinhalb Millionen Euro eine CD mit rund 1500 Namen möglicher deutscher Steuerhinterzieher. Die Überprüfung von fünf Probenamen ergab anscheinend Steuerschulden von jeweils etwa einer Million Euro. Man schätzt, dass die Auswertung der CD bis zu 500 Millionen Euro in die öffentlichen Kassen spülen kann. Die Vorgänge offenbaren bedenkliche Entwicklungen, denn die Politik scheint bereit zu sein, fundamentalste Grundsätze des Rechtsstaates einem erbärmlichen Linsengericht zu opfern.


Unterirdisch waren schon die Aufforderungen zum Erwerb der CD. „Schäuble sollte die Daten unbedingt kaufen“, meinte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß: „Es darf auf keinen Fall Rücksicht genommen werden auf die Wählerklientel von Union und FDP.“ Der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel betonte, der deutsche Staat könne es sich nicht leisten, auf 100 Millionen Euro zu verzichten. Das ist, mit Verlaub, hochgradiger Unsinn. Die Geldbeträge, die man auf diese Weise einzutreiben hofft, sind minimal im Vergleich zu der entscheidenden volkswirtschaftlichen Bezugsgröße, dem Bruttoinlandsprodukt. Es ist die Ermattung unseres Gemeinwesens, die uns die gegenwärtigen Probleme bereitet. Als Folge greift eine allgemeine Liederlichkeit um sich: Statt sich in Zeiten einer längst nicht ausgestandenen Wirtschaftskrise der zentralen Frage der volkswirtschaftlichen Neubelebung zu stellen, gibt man sich der opportunistischen Anbiederung an die demoskopisch ermittelte Volksstimmung hin. Unter Bezugnahme auf das Feindbild asozialer Wirtschaftseliten lässt man sich von Randphänomenen treiben. Der Staat dient sich einem Pseudo-Ökonomismus an, der ihn nur lächerlich macht.


Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, meint, angesichts der Milliardenbeträge, die dem Staat durch Steuerflucht ins Ausland entgingen, müsse man den Finanzbehörden zurufen: „Jetzt kaufen!“ Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, betonte die ausgezeichnete Rendite des Geschäfts: „Das Informationshonorar in Höhe von 2,5 Millionen Euro halte ich für angemessen in Anbetracht der zu erwartenden Steuernachzahlungen von 100 Millionen Euro.“ Und mit ihrer unnachahmlichen Technokraten-Sprache besiegelte Bundeskanzlerin Angela Merkel schließlich die Entscheidung der Bundesregierung: „Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevant sind, auch in den Besitz dieser Daten kommen.“

Entsorgung des Rechtsstaates

Der Staat verhält sich zunehmend wie ein träge gewordener Erbe, der unter dem Eindruck, ihm schwämmen die Felle davon, das wertvollste Tafelsilber verscherbelt. Er verkonsumiert auch den Rechtsstaat, der zum generationenlang erworbenen und erkämpften Vermögen zählt. Denn es zeigt sich hier eine bedenkenlose Bereitwilligkeit, mit einer notstandsähnlichen Finanznot öffentlicher Haushalte zu argumentieren und dazu begleitend den Einsatz illegaler Handlungen öffentlich zu sanktionieren. Auf diese Weise entbindet der Staat sich von Recht und Gesetz. Denn eines ist klar: Es ist illegal, in Geheimnissen fremder Leute herumzustöbern, und es ist illegal, fremde, dazu noch vertrauliche Daten zu kopieren und weiterzuverkaufen. Der Verdacht, dass es sich um Daten zu einem aus Sicht des (die Daten unbefugt entwendenden und verkaufenden) Täters kriminellen oder sonst kompromittierenden Vorgang handele, reicht nicht, denn sonst bliebe auch die Unschuldsvermutung auf der Strecke. Nun aber möchte die Bundesregierung hochoffiziell den Einsatz illegaler Methoden, seien es staatliche oder private, durch ihren nachträglichen kriminalistischen Aufklärungserfolg legitimieren.


Den Schaden, der dem Rechtsstaat droht, scheinen viele Leute nicht zu erkennen, weil durch die öffentliche Konstruktion einer asozialen Sondergruppe geschniegelter Steuerhinterzieher der trügerische Eindruck entsteht, es treffe ja nur die. Dabei ist schon jetzt erkennbar, dass „Datendiebe“ wie Herve Falciani (ein ehemaliger Mitarbeiter der Schweizer Bank HSBC, der entwendete Bankdaten dem französischen Fiskus übergab) zunehmend Nachahmer finden, getreu dem Motto: Wenn ich für den Klau von Bankgeheimnissen nicht nur straffrei ausgehe, sondern obendrein in Form von Millionenzahlungen vom Staat fürstlich entlohnt werde, warum sollte ich dann nicht zuschlagen? In einem ähnlichen Fall, der im Februar 2008 zur Festnahme des damaligen Chefs der Deutschen Post AG, Klaus Zumwinkel, führte, waren dem Bundesnachrichtendienst (BND) Daten einer Liechtensteiner Bank angeboten worden. Auch hier zeigte sich das opportunistische Vorgehen, das über die dem BND gezogenen Grenzen hinausging. Damals zahlte der BND dem Informanten fünf Millionen Euro. Auch hier veranlassten scheinbar verlockende Schätzungen den Fiskus, ein paar Hundert Millionen Euro einzusacken. Und auch zu dieser Zeit kam öffentliche Häme gegenüber den ökonomischen „Leistungsträgern“ der Republik auf, bei denen der Staatsanwalt auf der Matte stand. Doch zu welchem rechtsstaatlichen Preis? Zu welchem Preis für das gesellschaftliche Klima? Damals wie heute wird übersehen, dass die Not öffentlicher Haushalte durch unsolidarisches Verhalten gut betuchter Bürger zwar verschärft wird, aber die Steuerflucht nicht die Ursache dieses Missstandes ist.

Schwanz wedelt mit Hund

Das Ausblenden grundlegender politischer und volkswirtschaftlicher Ursachen für die gegenwärtige Misere der Staatshaushalte zeigt sich deutlich in der bisherigen Diskussion über die Frage der Rechtmäßigkeit des Ankaufs von Bankdaten. Die eine Seite ermahnt den Staat, sich nicht mit „Datendieben“ gemein zu machen. Die andere Fraktion fordert die staatlichen Strafverfolgungsbehörden dazu auf, die „Chance zu nutzen“. Ein Staat wie die Schweiz sei ohnehin eine Herberge zweifelhafter Finanzflüsse und deshalb juristisch, im Hinblick auf die deutschen Vorschriften, die Geschäftsgeheimnisse und dergleichen schützen, nicht ernst zu nehmen. Denn es bedienten sich hier elitäre Sonderinteressen eines rechtstaatlichen Mantels. Andere erweitern wiederum das Blickfeld und reden von einer tatsächlich bereits existierenden „Steueroase Deutschland“, die es einer vermögenden Klientel ganz legal ermögliche, sich von ihrer Steuerpflicht zu entbinden. Ohnehin habe der Staat ja ein eigenes Interesse an der Möglichkeit undurchsichtiger Geldflüsse, um seine Geheimprojekte finanzieren zu können. Diese Diskussion geht, mag sie auch richtige Punkte aufgreifen, am Kern des Problems vorbei.


Denn das eigentliche Problem, das der Misere der Staatsfinanzen zugrunde liegt, ist die seit Jahrzehnten schwindende wirtschaftliche Dynamik. Nötiger denn je wäre heute anspruchsvolle Politik, die sich einer strategischen Neuorientierung der Volkswirtschaft widmet. Diese müsste darin bestehen, aus dem gegenwärtigen Würgegriff der Wachstumskritik herauszukommen. Hingegen findet man heute fast nur Diskussionen, die auf eine fast schon verschwörungstheoretische Aufwertung von Randphänomenen hinauslaufen. Es wird beispielsweise die Tendenz sichtbar, schwarze Geldflüsse (etwa Schattenbanksysteme) oder unbeliebte Berufsgruppen (etwa Investmentbanker) als Verursacher des Übels hochzustilisieren. Der (geschätzte) Anteil von 15 Prozent der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt, der Anteil von 10 bis 15 Prozent des im Ausland liegenden Schwarzgeldes deutscher Haushalte am privaten Finanzvermögen Deutscher, der Anteil von 7 bis 8 Prozent des Wertes des tatsächlichen deutschen jährlichen Steueraufkommens, der jährlich hinterzogen oder „steueroptimierend“ angelegt wird: All dies sind gewiss Missstände. Aber es handelt sich um Randprobleme.


Mit dem Eintreiben zusätzlicher Steuermilliarden, und seien es auch 30 bis 40 Milliarden im Jahr (wie manche Streiter für mehr Steuergerechtigkeit erhoffen), wäre noch lange keine Lösung unserer Grundübel in Sicht. Unter den gegenwärtigen Umständen würde ein zusätzlicher Geldsegen für den Staat nämlich in erster Linie der finanzpolitischen Verwaltung und Alimentation gesellschaftlicher Stagnation dienen. Die Probleme, die uns plagen, blieben bestehen, darunter die aktuelle Wachstumsskepsis und der Verlust der Vorstellung, uns allen könne es viel besser gehen.


Klar ist, dass zum Gedeihen einer prosperierenden Wirtschaftsordnung stabile Rahmenbedingungen und vertrauensbildende Rechtssicherheit vonnöten sind. Dabei wäre auch die Frage zu behandeln, wie sich die Schaffenskraft der ökonomischen Eliten fruchtbar einsetzen ließe für eine Bereicherung der übrigen Gesellschaft. Stattdessen wird eine unproduktive Diskussion vom Zaun gebrochen, die nur zu mehr Verbitterung, zu mehr Misstrauen, zu mehr Missstimmigkeit und Missgunst in der Bevölkerung führt. Leidtragender der Diskussion wird der normale Bürger sein, der sich schon heute einer hohen Steuer- und Abgabenlast ausgesetzt sieht und kaum Möglichkeiten hat, sich einem immer dichteren Kontrollnetz zu entziehen. Ökonomische Eliten werden sich nur schwer einfangen lassen, denn sie finden immer wieder neue „Schlupflöcher“ und sind aufgrund ihres Status ohnehin mit den Schaltstellen der Politik besser verdrahtet.

Büchse der Pandora

Viele Kommentatoren meinen, der Ankauf von Bankdaten mutmaßlicher Steuerhinterzieher sei zu begrüßen, weil dies ohnehin nur elitäre Sonderinteressen aushebele. Das ist gefährlich, denn aus der anhaltenden Konstruktion von Feindgruppen, die als Sündenböcke herangezogen werden, folgt die Aushöhlung des freiheitlichen Rechtsstaates in seiner Gesamtheit. Dabei scheint der Staat zugunsten eines zweifelhaften Gesamtnutzens für die öffentlichen Haushalte bereit zu sein, sein „Ethos“ zu verlieren und die Büchse der Pandora weiter zu öffnen. „Die Chance nutzen!“, „Zugreifen!“, „Kaufen!“ – mit diesen Aufrufen wirbt man für eine „ausgezeichnete Rendite“: 2,5 Millionen Euro an einen dubiosen Datenhändler ergäben ein paar Hundert Millionen an Steuermehreinnahmen. Auch hätten sich nun, so betont die Süddeutsche Zeitung, mittlerweile schon 11.000 Bürger per Selbstanzeige beim Finanzamt gemeldet. Das mag am Ende ein paar Milliarden in die öffentlichen Kassen spülen. Und doch ist dieses Vorgehen hanebüchen.


Der opportunistische Charakter dieser Maßnahmen birgt eine Prinzipienlosigkeit in sich, die sich auf gesellschaftliche Grundnormen noch sehr zersetzend auswirken kann. Ein überaus gefährlicher Präzedenzfall kommt in die Welt, der die Geltung von Rechtsnormen allgemein untergräbt. Diese Entwicklung ist schon daran zu sehen, dass in der strafprozessualen Praxis die Ermittlungsergebnisse in zahlreichen Fällen auch dann verwertet werden dürfen, wenn die Ermittlungsmethoden nach Polizeigesetzen oder Strafprozessordnung illegal waren. Die Nutzbarmachung der „Früchte des vergifteten Baums“ läuft tendenziell auf die Folgenlosigkeit illegalen Handelns hinaus. Das Bundesverfassungsgericht hat etwa kürzlich entschieden, dass, auch wenn ein bestimmter Tatverdacht eben nicht greifbar genug war, um eine Wohnungsdurchsuchung zu legitimieren, das, was die Polizei dann vorfindet, verwertet werden kann, auch wenn es sich um einen Fund handelt, der mit dem ursprünglichen Verfahren nichts zu tun hat.


Mit diesem Argument kommen auch die Befürworter des Ankaufs dubioser Bankdaten. Sie sagen, ein absolutes Verwertungsverbot sei nur dann gegeben, wenn es sich um evident krasse Verstöße wie etwa die Umgehung des Folterverbotes handele. Dies würde aber bedeuten, dass letztlich alle Bürger und auch alle staatlichen Einrichtungen rechtliche Beschränkungen zum Schutz der Privatsphäre umgehen könnten und im Falle eines erfolgreichen Fundes auch noch dafür belohnt würden. Es bedürfte noch nicht einmal eines konkreten Tatverdachtes, da auch die Bürger, deren Namen auf der Steuer-CD stehen, größtenteils keinen solchen staatlichen Verdacht auf sich gezogen haben. Das Argument, die Schweiz samt der vermögenden „Schickimicki-Klientel“ sei ein exklusiver Ausnahmefall, sticht nicht. Es gibt unendlich viele andere Fälle, wo einem ein Mitbürger dubios und unsympathisch erscheint und man gerne in seinen Geheimnissen herumstöbert, um vielleicht etwas Kompromittierendes zu finden.


Die Politik sollte schleunigst aufhören, ein Zerrbild unsolidarischer Wirtschaftseliten zu kultivieren. Die Gründe, weshalb sich Menschen zur Steuerflucht entschließen, sind sehr unterschiedlich und nicht selten eben auch menschlich nachvollziehbar. Manche davon sind sicher kriminell, viele aber auch eher unbedacht und zu einer Zeit veranlasst, als über das Phänomen der Steuerhinterziehung noch kaum geredet wurde. Deshalb wäre eine Politik konstruktiver, die eine langfristige Zukunftsperspektive entwickelt und dann verkündet: Hierfür bräuchten wir, etwa zur Finanzierung einer tragfähigen Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Gentechnik oder Raumfahrt sowie eines fordernden und anspruchsvollen Bildungssystems, eine bestimmte Summe. Man kann sich nicht vorstellen, wie stark die Bereitschaft nicht weniger vermögender Bürger wäre, ihren Beitrag für wirklich zukunftsfähige Aufgaben beizusteuern, wenn die gegenwärtige Politik denn endlich mal wieder anfinge, fortschrittlich zu denken und zu argumentieren. Davon sind wir gegenwärtig weit entfernt. Wir bewegen uns eher in einer von den politischen Eliten und Medien beförderten kleinlichen Denunzianten- und Misstrauenskultur.

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