01.04.2010
Land in Sicht?
Essay von Gerhard Flachowsky
Eine Bilanz über das aktuelle Wissen betreffend der künftigen Möglichkeiten der globalen Nahrungsmittelversorgung.
In den zurückliegenden Jahren haben unterschiedliche Arbeitsgruppen, die sich mit der Erzeugung und Bereitstellung ausreichender Mengen von Lebensmitteln auf globaler Ebene beschäftigen, verschiedene Publikationen veröffentlicht. Dabei variieren sowohl die von den verschiedenen Autoren unterstellten Ausgangsbedingungen als auch ihre Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Als Ursachen für die „Inflation“ derartiger Ausarbeitungen sind u.a. anzusehen:
- Der dramatische Anstieg der Erdbevölkerung von etwa 3 Mrd. (1961) auf etwa 6,7 Mrd. Menschen (auf etwa 220 Prozent des Ausgangswertes); der Anstieg der landwirtschaftlichen Nutzfläche dagegen nur von 4,51 auf 4,94 Mrd. ha (auf etwa 110 Prozent); davon Ackerfläche von 1,27 auf 1,41 Mrd. ha (von 1961 bis 2007; FAOSTAT 2009).1
- Das Verfehlen des Millennium-Zieles „Halbierung der Zahl der weltweit Hungernden“ von etwa 800 auf 400 Mio. Menschen (bis 2015; festgelegt auf dem Welt-Ernährungsgipfel 1996), stattdessen zurzeit über eine Milliarde Hungernde.
- Der zeitweise Anstieg der Lebensmittelpreise in verschiedenen Regionen/Ländern infolge der Verknappung von verfügbarem Getreide auf dem Weltmarkt (Bioenergie-Gewinnung, Ertragsschwankungen).
- Keine Lösung der Ernährungsproblematik für etwa 600 Mio. Menschen, die Subsistenz-Tierhaltung auf sehr niedrigem Niveau betreiben.
- Der weitere Bodenverlust durch Versalzung und Degradation, Begrenzung des Faktors Wasser.
- Die Verknüpfung der Landwirtschaft und dabei hauptsächlich der Tierhaltung mit klimarelevanten Emissionen und dem sogenannten Treibhauseffekt.
- Die Vorbereitung und Durchführung der Welternährungskonferenz im November 2009 in Rom und des Weltklimagipfels im Dezember 2009 in Kopenhagen.
Verschiedene Autoren schenken dabei der Tierhaltung und besonders der Erzeugung von Lebensmitteln tierischer Herkunft (Milch, Fleisch, Eier, Fisch u.a.) besondere Aufmerksamkeit. In Verbindung mit diesem Aspekt ist vor allem die Ausarbeitung der Welternährungsorganisation (FAO) „Livestock’s long shadow“ (Steinfeld u.a., 2006) zu erwähnen.2 In diesem Papier erfolgt eine Bewertung der Landwirtschaft und dabei vor allem der Tierhaltung, die Anlass zum Nachdenken und Handeln ist. Beispielsweise werden etwa ein Drittel (etwa 14 Mrd. t CO2Äq) der jährlich global anfallenden Treibhausgase (etwa 42 Mrd. t CO2Äq) der Landwirtschaft zugeordnet.3
Nach Erscheinen dieser Studie legten verschiedene Organisationen bzw. Gruppen von Wissenschaftlern (z.B. IAASTD der UN, 2008; World Bank 2008; The Wageningen Univ. 2008; SCAR 2008; The Royal Society 2009) Ausarbeitungen mit Gedanken und Anregungen zur globalen Ernährungssicherung vor. Zu ausgewählten Beispielen sollen nachfolgend einige Anmerkungen gemacht werden.
„Livestock’s long shadow“
Diese Ausarbeitung basiert auf einer Bilanzaufnahme unter besonderer Berücksichtigung der Emissionen aus der Tierhaltung und den daraus zu erwartenden Entwicklungen. Die weiter ansteigende Erdbevölkerung und höhere Einkommen in bevölkerungsreichen Entwicklungsländern lassen bis 2050 nahezu eine Verdoppelung das Verbrauches an Lebensmitteln tierischer Herkunft erwarten.4 Daraus resultieren ein deutlicher Anstieg der erforderlichen Futtermengen und/oder eine bessere Konvertierung der Futtermittel in nutzbare Tierprodukte. Diese Studie fand große Verbreitung in der Fachöffentlichkeit und teilweise auch in der Politik. In der Tagespresse brachte es die Studie sogar bis zu einem Bericht in der New York Times.
Die Ausarbeitung stellt gewissermaßen einen Leitfaden für die weitere Gestaltung der Tierhaltung dar, obwohl sie diesem Anspruch nicht uneingeschränkt gerecht wird. Zu bemängeln sind u.a. verschiedene „handwerkliche“ Schwächen, wie z.B. die unbefriedigende Definition des Begriffes „Ressourcen“, wenn es um Ressourceneffizienz geht; die unkritische Übernahme des Begriffes „Fleisch“ (was ist gemeint? Fleisch, Schlachtkörpermasse, die die Knochen mit einschließt oder was genau?) sowie die Unklarheit, welches Produktionsniveau bei „Organic Farming“, also „Ökolandbau“, erwartet bzw. unterstellt wird. Zu erwähnen ist auch, dass etwa 60 Prozent der zitierten Literaturstellen (410 von 679 Quellen) aus nicht referierten Zeitschriften bzw. aus Vorträgen stammen und demnach kein Begutachtungssystem durchlaufen haben. Über einen weiteren Nachteil dieser Ausarbeitung kann nur spekuliert werden: Das negative Image der Landwirtschaft, das diese Studie bei potenziellen Geldgebern hinterlässt, könnte dazu führen, das dringend benötigte Mittel nicht in die Landwirtschaft und auch nicht in die Agrarforschung und noch weniger in die Tierhaltung fließen, sondern image- bzw. profitträchtigeren Bereichen bereitgestellt werden.
IAASTD-Ausarbeitung der UN von 2008 und Studie der Weltbank von 2008
Die IAASTD-Ausarbeitung, auch als Weltagrarbericht5 bezeichnet, und die Studie der Weltbank6 wurden von interdisziplinär zusammengesetzten Expertengruppen im Auftrag der Vereinten Nationen erarbeitet. Beide Studien nehmen eine internationale Bewertung der landwirtschaftlichen Kenntnisse sowie von Wissenschaft und Technologie für die Entwicklung vor und kommen zu der Einschätzung, dass es so wie bisher nicht weitergehen könne. Die globale Lebensmittelunsicherheit wird als chronisches Problem betrachtet. Forschung und Entwicklung werden als vitale Voraussetzungen für die weltweite Entwicklung der Landwirtschaft angesehen. Die ständige Verbesserung der Pflanzen durch züchterische Maßnahmen ist von großer Bedeutung, die Effekte können jedoch überwiegend nur auf fruchtbaren Böden mit gutem Wassermanagement umgesetzt werden.
Während die IAASTD-Ausarbeitung auch soziale, ökonomische, politische und ökologische Aspekte (Multifunktionalität der Landwirtschaft) in die Schlussfolgerungen einfließen lässt, sieht der Report der Weltbank in der Kombination von verbesserten Kulturpflanzen und verbesserter landwirtschaftlicher Praxis die größten Effekte.
Studie der Universität Wageningen
Von einem Team der niederländischen Universität Wageningen – es waren u.a. die Fachdisziplinen Nutzpflanzenwissenschaften, Agrarökonomie und Lebensmittelqualität vertreten – wurde eine Ausarbeitung vorgelegt, die sich auf Basis historischer Betrachtungen u.a. mit der gegenwärtigen und zukünftigen globalen Ernährungssituation beschäftigt.7 Die Autoren setzen sich sowohl mit fachlichen Aspekten der Erzeugung von Lebensmitteln pflanzlicher und teilweise auch tierischer Herkunft als auch mit sozialen und politischen Themen auseinander. Die Autoren beklagen die gegenwärtige Situation, vor allem in Entwicklungsländern, zeigen aber keine prinzipiellen Lösungsansätze zur Überwindung dieser Situation auf. Die Menge an pflanzlicher Biomasse (Phytomasse), die in der Tierernährung zum Einsatz kommt (etwa 80 Prozent der vom Menschen genutzten Phytomasse wird weltweit an Nutztiere verfüttert) und die Intensität der Umwandlung in Lebensmittel tierischer Herkunft werden in der Studie nicht tiefgründig analysiert, was vermutlich aus der Zusammensetzung der Bearbeitergruppe resultiert.
Gewisse Aufmerksamkeit widmen die Autoren auch dem Flächenbedarf für die Futtererzeugung der Heimtiere (etwa 10 Prozent der Fläche in den Niederlanden) und dem Umgang der Verbraucher mit Lebensmitteln (10–15 Prozent wandern in den Niederlanden in den „Biomüll“). Auf der Basis der natürlichen Ressourcen (wobei die verwendeten Zahlen teilweise von den Daten anderer Autoren erheblich abweichen, z.B.: 7,6 Mrd. ha landwirtschaftliche Nutzfläche, davon 3,5 Mrd. ha Ackerland und 4,1 Mrd. ha Grasland; globale Landoberfläche: 13,4 Mrd. ha), werden umfangreiche Kalkulationen zur möglichen Erzeugung von pflanzlicher Biomasse vorgenommen. Überraschend sind auch die Aussagen, dass die Weltlandwirtschaft (unter Einbeziehung aller verfügbaren Flächen einschl. der Wälder) 72 Mrd. Tonnen Getreideäquivalente (gegenwärtig etwa 7 Mrd. t) erzeugen könnte. Diese Menge würde ausreichen, täglich für 47 Mrd. Menschen 4,2 kg Getreideäquivalente bereitzustellen.
Beim Lesen der Studie entsteht teilweise der Eindruck, dass es den Autoren um das Aufzeigen potenzieller Möglichkeiten und weniger um realistische Ansätze geht. Die Studie liefert auch keine Lösungsansätze für die etwa 600 Mio. „Smallholder Farmers“, meist landlose Kleinbauern, die mit wenigen Tieren um ihr Überleben und das ihrer Familie kämpfen.
Ausarbeitung der EU-Kommission von 2008
Der Ständige Ausschuss für Agrarforschung (SCAR) hat sich kürzlich grundsätzlich zu den Konsequenzen der Klimaänderungen und der begrenzt verfügbaren Ressourcen für die Ernährungssicherung und die Agrarforschung geäußert.8 Die Bewertung erfolgte vor allem auf Grundlage der Aussagen der FAO und des Weltklimarates (IPCC), sodass auch bei den Schlussfolgerungen und Empfehlungen keine wesentlichen neuen Akzente zu erwarten waren. Die EU erwartet einen verstärkten internationalen Wettbewerb um Fläche und Wasser. Mitte des Jahrhunderts soll dieser Wettbewerb zunehmend auch um Phosphor und fossile Energie stattfinden. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem Phosphor gewidmet, ohne zu berücksichtigen, dass erhebliche Unterschiede zwischen den momentan ökonomisch erschließbaren globalen Phosphorvorräten und dem potenziell vorhandenen Phosphor bestehen.
Bemerkenswert ist die Einschätzung von SCAR, dass die Patentierung des Wissens durch große Unternehmen den freien Wissensfluss und damit die Züchtungsforschung weitgehend verhindere und somit fundamentale Aspekte der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung wesentlich beeinflusse. Die Regierungen und internationale Gremien sind diesbezüglich gefordert. Zu einer analogen Einschätzung kam 2009 die Royal Society (siehe unten). SCAR beklagt die Situation, dass Wissenschaft und Technologie in den 27 EU-Ländern sehr unterschiedlich entwickelt seien und dass kein integrativer Ansatz bzw. kein wissenschaftliches Netzwerk zur Bewältigung der Herausforderungen innerhalb der EU gegenwärtig möglich sei. Trotz dieser Einschätzung leitet SCAR am Ende der Ausarbeitung Forschungsbedarf ab und macht Prioritätenvorschläge für die Abarbeitung.
Beiträge und Schlussfolgerungen des FAO-Meetings „How to feed the World in 2050“ (Rom, Juni 2009) und der Welternährungskonferenz (Rom, November 2009)
In mehreren Beiträgen analysierten die Referenten auf beiden Veranstaltungen die gegenwärtige Ernährungslage und versuchten unter Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren (z.B. Flächen- und Wasserverfügbarkeit, mögliche Klimaänderungen, Bedeutung der Bioenergie), Kalkulationen für die Ernährung von 9,1 Mrd. Menschen im Jahr 2050 vorzunehmen. In den Schlussfolgerungen wird im Wesentlichen von der bisherigen Entwicklung extrapoliert (Anstieg der Erdbevölkerung erfordert Erhöhung der Weltgetreideernte von jährlich 2,1 auf etwa 3 Mrd. t und Erhöhung der Fleischerzeugung von 270 auf etwa 470 Mio. t). Hunger und Unterernährung können nicht vollständig ausgeschlossen werden, zumal die möglichen Klimaänderungen, die weiter ansteigende Bioenergiegewinnung und unklare Preisentwicklungen für pflanzliche Rohstoffe als unplanbare Risiken für eine langfristige Ernährungssicherung anzusehen sind.
Es ist bedauerlich, dass sich die Autoren nicht klarer zu den Wurzeln des Dilemmas (vorhandene Kenntnisse – mangelnde Umsetzung) bekennen bzw. deren Beseitigung einfordern. Eine öffentlich geförderte Pflanzenzüchtung (Entwicklung von „Low Input Varieties“, siehe hierzu den Beitrag der Royal Society) sollte auch die Farmer in den weniger begünstigten Regionen der Erde in die Lage versetzen, ausreichend pflanzliche Biomasse für die Menschen und die für eine optimale Humanernährung (etwa 20 g Eiweiß tierischer Herkunft je Erwachsener und Tag) und andere tierische Leistungen (z.B. Zugkraft) erforderlichen Tierbestände zu erzeugen. Teilweise wird zwar in den Dokumenten infrage gestellt, ob die gegenwärtigen Investitionen zur Lösung der Gesamtproblematik ausreichen, zwingende Schlussfolgerungen bzw. Empfehlungen werden jedoch nicht abgeleitet. Zuzustimmen ist der Schlussfolgerung, dass kurzfristige und langfristige Programme zur Hungerbekämpfung umzusetzen sind und dass dazu der politische Wille notwendig ist. Etwas unklar bleiben allerdings die Inhalte dieser Programme.
Potenzial imitierter Lebensmittel
Die Bemühungen zum Ersatz von Lebensmitteln tierischer Herkunft durch sogenannte imitierte, aus Pflanzenbestandteilen hergestellte Lebensmittel, sind nicht neu. Bereits in den 60er- und 70er-Jahren gab es Ansätze zur Erzeugung derartiger Produkte, „Soja-Milch“ hat sich zwischenzeitlich auf dem Markt (allerdings mit hohen Preisen) etabliert.
In ihrer Ausarbeitung beschäftigen sich Aiking u.a. (2006) vor allem mit dem Ressourceneinsatz und Umweltaspekten bei der Erzeugung von Fleischimitaten („Pigs or Peas?“).9 Eine multidisziplinäre Forscherinitiative, bestehend aus Ökologen, Ökonomen, Politikwissenschaftlern, Technologen, Psychologen, Biologen und Chemikern, unterstützt von „The Netherlands Organisation for Scientific Research NWO“ nimmt in der Ausarbeitung, die als PROFETAS (Protein, Foods, Environment, Technology And Society) bezeichnet wurde, interessante Kalkulationen und Ableitungen, vor allem zu Ersatzmöglichkeiten von Schweinefleisch, vor. Dabei sind die unterstellten Daten allerdings häufig zu hinterfragen. In der Auswertung der verschiedenen Vergleiche konnten die Autoren feststellen, dass die imitierten Lebensmittel nährstoffökonomische (u.a. geringerer Flächenbedarf, niedrigerer Ressourceneinsatz wie von Wasser und fossiler Energie) und ökologische Vorteile (u.a. geringere feste und gasförmige Emissionen) gegenüber den vom Schwein stammenden Lebensmitteln aufwiesen, dass sie jedoch aus unterschiedlichen Gründen (z.B. Aussehen, Schmackhaftigkeit, Sensorik, fehlende „Fleisch-Ähnlichkeit“) in den verschiedenen Verzehrtests von den meisten Testprobanden nicht akzeptiert wurden. Allerdings kann sich bei adäquaten Tests in Entwicklungsländern ein anderes Bild ergeben. Gegenwärtig sind die angebotenen Imitate meist noch erheblich teurer als die Vergleichsprodukte vom Tier. Unter Berücksichtigung der globalen Situation ist allerdings zu erwarten, dass durch interdisziplinäre Forscherteams auf dem Gebiet der imitierten Lebensmittel tierischer Herkunft weitere Entwicklungen erfolgen werden.
Ausarbeitung der „Royal Society“von 2009
Die „Royal Society“, ein honoriges Wissenschaftler-Gremium in Großbritannien (Präsident: Lord Rees of Ludlow) hat im Oktober 2009 ein strategisch bedeutsames Papier unter dem Titel „Reaping the benefits – Science and the sustainable intensification of global agriculture“ veröffentlicht.10 In dieser Studie wird überzeugend herausgearbeitet, dass die gegenwärtigen Probleme der globalen Ernährungssicherung nicht der privaten Wirtschaft und Forschung überlassen werden können, sondern dass die Regierungen und die öffentlich geförderte Forschung gefragt sind.
Ausgehend von einer Analyse der gegenwärtigen Ernährungssituation bewerten die Autoren die Herausforderungen für die zukünftige Pflanzenproduktion, analysieren Entwicklungen in den biologischen Wissenschaften und ihre positiven Potenziale für den Nahrungspflanzenanbau. Weiterhin zeigen sie Konsequenzen und mögliche Komplikationen der Umsetzung der Innovationen beim Nahrungspflanzenanbau auf, und sie geben Empfehlungen für die Anwendung. Die Autoren stellen dabei die Nutzung der Sonnenenergie, die gegenwärtig sehr gering ist, und die für die Photosynthese in den Pflanzen erforderlichen Substrate (wie z.B. Kohlendioxid, Stickstoff, Wasser und verschiedene Spurennährstoffe) in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und fordern ein Umdenken in der Pflanzenzüchtung einschließlich der Anwendung der Biotechnologie.
Die Autoren schätzen, dass in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren mindestens 2 Mrd. Pfund (etwa 2,2 Mrd. Euro) zusätzlich zu den gegenwärtig bereitgestellten Mitteln für entsprechende Forschungen erforderlich sind, um einen nachhaltigen Beitrag zur globalen Ernährungssicherung leisten zu können. Internationale Programme sollten vor allem die Forschung mit Hirse und Reis fördern, während die britischen Prioritäten auf Weizen, aber auch Gerste, Raps, Kartoffeln und verschiedene Gemüsearten setzen sollten. Sogenannte „Low Input Varieties“ mit verbesserter photosynthetischer Effizienz und/oder der Möglichkeit der Bindung von Luftstickstoff, erhöhten Erträgen, verbesserten Resistenzen gegenüber biotischen und abiotischen Stressoren, effektiverer Wassernutzung und anderen Eigenschaften sollten die Ziele der Pflanzenzüchtung sein. Diese Zielstellung wird somit dem Titel der Ausarbeitung „Nachhaltige Intensivierung der globalen Landwirtschaft“ vollkommen gerecht. Etwa 50 Jahre nach der ersten „Grünen Revolution“ erachten die Autoren die Zeit als reif für eine zweite „Grüne Revolution“ bzw. für eine Umsetzung des in den Forschungslaboratorien der Welt angereicherten Wissens zum Wohle der Allgemeinheit und nicht nur zum Eigennutz einzelner Gruppen. Diese Pflanzenzüchtungs-Initiative soll „natürlich“ unter britischer Führung erfolgen. Später dürfen/sollen EU-Partner eingebunden werden.
Die Initiative der „Royal Society“ ist gegenwärtig sicher die kritischste und konstruktivste Ausarbeitung zur Beseitigung globaler Imbalancen bei der Ernährungssicherung. Sie setzt bei der Pflanzenzüchtung und damit an der „Wurzel der Erzeugung von Biomasse“ an. Alle weiteren Prozesse, ob sie sich mit der Aufbereitung der Rohstoffe zu Lebensmitteln pflanzlicher Herkunft oder zu Futtermitteln für die Tierernährung beschäftigen, benötigen die Bereitstellung ausreichender Mengen qualitativ hochwertiger pflanzlicher Rohstoffe.
Bewertung und Schlussfolgerungen
Obwohl die verschiedenen Ausarbeitungen die Problematik der globalen Ernährungssicherung in unterschiedlicher wissenschaftlicher Breite und Tiefe abarbeiten, gelangen fast alle Gruppen zu der Einschätzung, dass eine nachhaltige Intensivierung Voraussetzung für die Lösung der Problematik ist. Während sich die meisten Ausarbeitungen von „aktuellen“ Zwängen (ansteigende Preise für Rohstoffe, höherer Bedarf aus unterschiedlichen Gründen u.a.) leiten lassen, wird in den Ausarbeitungen der Royal Society und partiell des SCAR die Pflanzenzüchtung mit der Zielstellung der effektiveren Nutzung des Potenzials der Photosynthese und aller begrenzt verfügbaren Ressourcen (wie Fläche, Wasser, fossile Energie, verschiedene Pflanzennährstoffe u.a.) als Ausgangspunkt zur Lösung des bedeutsamen Problems der globalen Ernährungssicherung angesehen. Dabei kommt auch zum Ausdruck, dass dies kein Selbstläufer ist, sondern dass eine gesellschaftliche Umorientierung auf dem Gebiet der Züchtungsforschung notwendig ist. In der nachfolgenden Übersicht wird eine Auflistung verschiedener Potenziale für eine effektive Pflanzenzüchtung vorgenommen.
Variation im genetischen Pool ?
Pflanzennährstoffe in der Atmosphäre (N2, CO2) ??
Sonnenenergie ?
Landwirtschaftliche Nutzfläche ?
Wasser ?
Fossile Energie ?
Mineralische Pflanzennährstoffe ?
Potenziale zur Erzeugung pflanzlicher Biomasse und ihre Verfügbarkeit je Einwohner bei zunehmender Erdbevölkerung bzw. ansteigendem Nahrungsbedarf (? Anstieg, ? Abfall, ? keine wesentliche Änderung)
Mehr pflanzliche Biomasse stellt die Voraussetzung für alle weiteren Verarbeitungs- und Veredlungsprozesse dar. Unbenommen davon sind die Bemühungen um einen ressourcenschonenden Umgang bei der Ernte und Lagerung des Pflanzenmaterials und bei der Konvertierung der Futtermittel in essbare Tierprodukte zu intensivieren. Veränderungen an nahrungsmittelliefernden Tieren, die eine effektivere Umwandlung der Futternährstoffe in Milch, Fleisch und Eier bzw. essbares Protein tierischer Herkunft ermöglichen (wie z.B. geringerer Erhaltungsbedarf der Tiere bzw. günstigere Relation zwischen Leistungs- und Erhaltungsbedarf, bessere Verdaulichkeit der Nährstoffe, erhöhter Proteinansatz usw.) sollten ebenso in die Überlegungen zur globalen Ernährungssicherung einbezogen werden wie die Verbesserung der Tiergesundheit und die Verminderung von Tierverlusten.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich sonst noch ziehen? Die vorgenommenen Kurzeinschätzungen einiger Ausarbeitungen können natürlich nicht vollständig sein. Auch weitere Beiträge auf Tagungen oder in wissenschaftlichen Zeitschriften (seit 2009 wird vom Springer-Verlag im niederländischen Dordrecht die Zeitschrift Food Security herausgegeben) enthalten interessante Ideen und können Anregungen für praktisches Handeln vermitteln. Neu und überaus erfreulich ist auch, dass der Kollege Joachim von Braun nach acht Jahren erfolgreicher Arbeit am Internationalen Food Policy Research Institute (ISPRI) in Washington zu Jahresbeginn an das Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn zurückkehrte und der deutschen Arbeit auf diesem Gebiet sicher neue Impulse verleihen wird.11