25.02.2010

Fast Beraterin für hoffnungslose Arbeitslose

Essay von Susanne Ahrens

Ein Erfahrungsbericht.

Mein Freund sagt, er finde diese Geschichte absurd: Ich selber schaffe es nicht, eine geeignete Stelle zu finden, aber Härtefälle ohne Schulabschluss oder berufliche Qualifikation, mit schweren körperlichen Einschränkungen, Langzeitarbeitslose mit Alkoholproblem oder was man sonst noch so als „schwer vermittelbar“ einstuft, soll ich nun selbst auf dem Arbeitsmarkt unterbringen!

Aber der Reihe nach: Es begann mit einer Zeitungsannonce. Gesucht wurden Berater, die gleichzeitig die Rollen Ratgeber/in, Akquisiteur/in, Verkäufer/in, moralischer Beistand, Interessenvertreter/in, Budgetverwalter/in, CV-Designer/in, Arbeitsvermittler/in, Buchhalter/in, Coach, Sekretär/in, Dispatcher, Sachbearbeiter/in, Fallmanager/in und Motivationstrainer/in besetzen könnten – und zwar mit dem Ziel, viele Menschen in eine dauerhafte Beschäftigung zu bringen. Damit kann ich mich identifizieren; was ein Dispatcher eigentlich genau macht, weiß ich zwar nicht, aber das wird sich ja noch klären lassen. Ich bewerbe mich, werde kurz darauf telefonisch informiert, dass eine Mitarbeiterin der Firma gerne ein etwa halbstündiges Telefoninterview in englischer Sprache mit mir führen würde, und zwar am kommenden Sonntagvormittag. Das Gespräch läuft gut, und etwa drei Wochen später werde ich in ein Assessment-Center eingeladen.

Die Organisation hat nach eigenen Angaben in verschiedenen Ländern gute Erfahrungen mit der Vermittlung schwer vermittelbarer Arbeitsloser gemacht und möchte ihr Konzept jetzt auch in Deutschland umsetzen. Die Firma arbeitet eng mit der Arbeitsagentur zusammen und nimmt ihr Härtefälle ab, um sie nach dem andernorts schon bewährten Konzept zu vermitteln. Dafür bekommt die Organisation Geld von der Arbeitsagentur und aus einem Europatopf. Als ich mich mit ca. 20 weiteren Bewerbern in den Büroräumen der Firma einfinde, herrscht Hektik, denn der für unsere Versorgung zuständige Caterer ist gerade kollabiert. Es ist ein brüllend heißer Tag. Alles beginnt mit einer Vorstellungsrunde, die, wie das gesamte Tagesprogramm, in Englisch durchgeführt wird, weil die Prüfer größtenteils aus London kommen und die Einarbeitung im Ernstfall in einer dortigen Dependance stattfinden soll. Den Leuten, die sich in der englischen Sprache nicht so sattelfest fühlen, bricht der kalte Schweiß aus, und sie verhaspeln sich natürlich dauernd.

Die folgenden Rollenspiele und Kreativ-Übungen sind mir aus einem Ratgeber vertraut – offenbar nicht nur mir. Einige Bewerber verhalten sich geradezu ratgebergemäß vorbildlich, einige überziehen etwas in Richtung devot und anbiedernd. Diese unterwürfigen Kandidaten formulieren unentwegt mit leuchtenden Augen ein „Wir“ – in Erwartung ihrer baldigen Firmenzugehörigkeit. Jeder Sektenfürst wäre entzückt ob dieser Schleimbacken. Sie ergehen sich auch schon mal prophylaktisch in geradezu jubelnden Kommentaren zu dem Firmenkonzept, was allerdings zu diesem Zeitpunkt noch keiner konkret kennen kann, denn die „Wunderwaffe“ zur Vermittlung von Härtefällen auf einem angespannten Arbeitsmarkt wurde noch nicht preisgegeben.

Wir lösen also in der Gruppe unter Zeitdruck verschiedene Aufgaben, wobei zwei Mitarbeiter unser Sozialverhalten genau beobachten und sich Notizen machen. Wir müssen kleine Bilder malen zum Thema: „Wie sehe ich mich innerhalb einer Firma, wenn ich gut drauf bin, wenn ich schlecht drauf bin etc.“. Hier lerne ich wieder etwas zum Thema „männliche Selbstwahrnehmung“: Zwei Drittel der anwesenden Männer malen sich als Sonne! Den Abschluss bildet ein Einzelgespräch mit einer anspruchsvollen Aufgabe. Ich bin gespannt, obwohl ich inzwischen schon seit sieben Stunden in brüllender Hitze unter ständiger Beobachtung Tests durchspiele, und die permanente Anspannung mich (wenn ich ehrlich sein darf) auch schon ein klein wenig erschöpft hat.

Nach einem Zangengespräch (eine Prüferin rechts von mir, die andere links, diejenige, die gerade keine Fragen an mich richtet, beobachtet meine Mimik, Gestik und macht sich – gaaanz unauffällig – Notizen) kommen wir zu dem von mir nun zu bearbeitenden Fall. Diesen soll ich jetzt noch rasch auf dem Arbeitsmarkt unterbringen – in einem Rollenspiel. Mein Fall heißt Karl-Heinz, ist 57 Jahre alt, hatte einen schweren Bandscheibenvorfall, der ihm zwei Jahre Erwerbsunfähigkeit eingebracht hat und auch jetzt seine Einsatzmöglichkeiten krass einschränkt. In seiner Krankheits- und Rekonvaleszenzzeit hat er sich stark dem Alkohol zugewandt und eine Tendenz zur körperlichen Verwahrlosung entwickelt, aber auch seine Liebe zu einem Mischlingshund entdeckt. Gelernt hat Karl-Heinz Kraftfahrer, den Beruf allerdings kann er jetzt nicht mehr ausüben.

Was für Einsatzmöglichkeiten fallen mir für Karl-Heinz ein? In Anbetracht seiner eingeschränkten Fitness, seiner Qualifikation, seines Alters und der Tatsache, dass er den Hund mit zur Arbeit nehmen möchte, schlage ich blitzschnell eine Pförtnertätigkeit, Telefondienst im Tierheim, Nachtwächter und Friedhofseingangshäuschenbewacher vor. Ich bilde mir ein, dass dieses Füllhorn an spontan benannten Möglichkeiten auf Wohlwollen seitens der beiden Prüferinnen stoßen müsste. Die Aufgabe ist damit aber noch lange nicht bewältigt: Karl-Heinz soll nämlich bei dem Unternehmen, das ich jetzt anrufen soll, morgen vorstellig werden. Ich muss ihm außerdem noch (möglichst ohne seine Gefühle zu verletzen) anraten, vor dem Besuch eine gründliche Körperreinigung vorzunehmen, zum Friseur zu gehen und sich frische Kleidung anzuziehen. Ich erledige das Telefonat offenbar ganz elegant, denn die Mitarbeiterin, die jetzt den strengen Unternehmer spielt, lässt sich erweichen, Karl-Heinz morgen einen Vorstellungstermin zu geben.

Im Anschluss daran erkläre ich, dass ich jetzt gerne noch mal persönlich bei Karl-Heinz vorbeischauen möchte, denn die Sache mit der dringend notwendigen Körperhygiene möchte ich ihm lieber unter vier Augen klarmachen. Das wäre ja im Prinzip eine wunderbare Überleitung zu einem Abschied, der sich für meinen Geschmack sowohl auf der Spielebene wie auch in der Realität jetzt anböte. So weit sind wir aber noch nicht, denn die beiden Prüffrauen möchten noch von mir wissen, was ich in meinem Leben noch so erreichen will. Tja – und hier habe ich es vermutlich an dem gewünschten Feuer mangeln lassen, an dieser leicht hysterischen Begeisterung, die von aufgerissenen Augen begleitet wird, dieses Brennen für Firma und Konzept, dieses „Wenn ihr mich nur lasst, mache ich den Laden zum Weltmarktführer“, dieses „Stellt mich ein und der Begriff Arbeitsvermittlung wird künftig ganz neu definiert werden müssen“. Ich kriege das einfach nicht hin, weiß auch nicht, was ich einnehmen sollte, um in derartigen Situationen eine wild in mir lodernde Flamme dokumentieren zu können.

Es klingt ein bisschen bieder, aber ich fühle mich eigentlich mit Ehrlichkeit am wohlsten, entsprechend ist meine Antwort: Zunächst kann ich sagen, dass ich eine Beschäftigung suche, die mir sinnvoll erscheint und in die ich meine Fähigkeiten einbringen kann, bei der ich dazulernen und mich fortbilden kann, und das Ganze möglichst innerhalb eines netten Teams und im Rahmen eines Unternehmens, mit dessen Zielen ich mich identifizieren kann. Darüber hinaus soll mich die Tätigkeit ernähren. Und aufgrund meiner bisherigen Informationen über diesen Job unterstelle ich, dass sich dieser Anspruch hier realisieren lässt. In meiner Freizeit möchte ich Sport machen und Kurzgeschichten schreiben, und außerdem würde ich gerne mal wieder nach Kuba fahren.

Zugegeben, aufregend klingt das nicht und schon gar nicht so, als würde ich antreten, um das Unternehmen richtig „aufzutunen“. Aber manches geht eben nicht. Und so werde ich in Arbeitsbereiche, in denen man bereits lichterloh brennend vor Begeisterung in der Tür stehen muss, ohne die konkrete Aufgabe und ihre Rahmenbedingungen zu kennen, wohl schlicht nicht eindringen – das heißt, stopp! – einmal war ich tatsächlich drin in so etwas. Aber das ist eine andere Geschichte. Nach ca. einer Woche bekomme ich eine kurze Absage, das fest versprochene ausführliche Feedback ist mir die Firma bis heute schuldig geblieben.

jetzt nicht

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