25.02.2010

Kein Krimi

Essay von Hannelore Schmid

Deutschlands Landwirte sind dabei, sich von staatlicher Fürsorge abzunabeln. Als Letzte und am stärksten trifft es die Milchbauern. Von Hannelore Schmid

Wie man Wachstum fördert, wissen vermutlich die Bauern am besten. Momentan versucht sich auch die Bundesregierung darin – zugegeben: nicht auf biologischem Terrain. Das keimende Pflänzchen Wirtschaftswachstum will sie mit ihrem Wachstumsbeschleunigungsgesetz kräftig aufpäppeln. Auch ein Agrarteil ist darin enthalten. Ein milliardenschweres „Sofortprogramm“ mit Mitteln aus Berlin und Brüssel soll den Landwirten aus der Krise helfen. „Sofort“ bedeutet, in den nächsten beiden Jahren. Ob das Programm tatsächlich der Wachstumsbeschleunigung dient, ob es die Landwirtschaft stark und wettbewerbsfähig macht und Perspektiven eröffnet, wie es der Koalitionsvertrag anstrebt, ist zweifelhaft. Es gibt Liquiditäts- und Investitionshilfen, eine Entlastung bei der Unfallversicherung und beim Agrardiesel, vor allem aber Prämien für die Milchbauern. Zumindest dieser Teil fällt nach Meinung vieler Kritiker in die Kategorie Trostpflaster, welche die Bundesregierung trotz leerer Kassen immer noch großzügig verteilt.

Krisenopfer Landwirtschaft

Tatsächlich sind viele Landwirte von der Wirtschaftskrise und ruinösen Preisen in deren Gefolge arg gebeutelt worden. Um sechs Milliarden Euro sollen ihre Erlöse geschrumpft sein. Zorn, Enttäuschung und Verzweiflung haben im vergangenen Jahr insbesondere Tausende von Milchbauern auf die Straße getrieben. Zu Milchstreiks und Haferfeldtreiben, zu Traktorblockaden und Mahnwachen. Der Zorn richtet sich gegen eine Agrarpolitik, die die Bauern dem frischen Wind des Weltmarkts aussetzt, und gegen die mächtigen Einzelhandelsketten, die als Schuldige für Niedrigstpreise gebrandmarkt werden. Die Enttäuschung gilt Politikern, die Fürsorge versprochen und sich damit hoffnungslos überschätzt hatten. Verzweiflung verursacht die wirtschaftliche Lage vieler Betriebe nach ungewohnten Turbulenzen auf den Märkten.

Ein Blick zurück ins Jahr 2007: Damals durchlebte die gesamte Landwirtschaft einen regelrechten Taumel der Euphorie. Wachsender Wohlstand vor allem in den Ländern des asiatischen Raums hatte die Nachfrage nach hochwertigen Lebensmitteln immer stärker ansteigen lassen. Von Überschüssen war nicht mehr die Rede, mit den Preisen ging es steil bergauf. Das Ende der „landwirtschaftlichen Tretmühle“ schien gekommen, einer Tretmühle, in der jahrzehntelang bei raschen technischen Fortschritten die Produktion immer schneller wuchs als die Nachfrage. Von den steigenden Erträgen profitierten daher vor allem die Verbraucher durch niedrige Preise. Die meisten Landwirte wurden nicht reich davon. 2007 schien plötzlich alles anders zu werden. Der Absturz, der schon im darauffolgenden Jahr erfolgte, war umso schmerzhafter.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise bereitete der hoffnungsvollen Entwicklung ein abruptes Ende. Die Käufer aus Asien und anderen neuen Märkten blieben aus, auch die heimischen Verbraucher begannen zu sparen. Die Preise für Agrarprodukte fielen ins Bodenlose. Der Milchpreis, der zeitweise auf über 40 Cent pro Liter gestiegen war, halbierte sich. Ähnliche Abstürze gab es bei Getreide. So kam es zur bäuerlichen Protestbewegung, mit dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, BDM, als ihrem Motor.

„Mengen runter – Preise rauf“

Mit diesem Motto begründete der frühere Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle eine Politik, die jetzt die Milchbauern vor ein besonderes Dilemma stellt. 1984 wurde jedem Betrieb ein bestimmtes Lieferrecht, eine Milchquote, zugeteilt. Sie orientierte sich an den Mengen, die er in den Jahren zuvor produziert hatte. Dafür gab es einen garantierten Preis. Das System sollte gleichzeitig die Gesamtproduktion deckeln und Butterberge verhindern, wie sie die Steuerzahler in den Jahren zuvor viele Milliarden gekostet hatten. Diese Quotenregelung wird 2015 auslaufen.

Der BDM fürchtet danach eine mörderische Erzeugungsschlacht mit erneuter Überproduktion und endgültigem Preiszusammenbruch. Auch das ist Hintergrund seiner Aktionen. Die konservativen Milchbauern finden Mitstreiter bei Linken und Grünen. Auch bei diesen hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass am besten durch staatliche Mengensteuerung Ordnung auf den Märkten und „gerechte Preise“ zu erreichen wären. Die Bauernproteste zeigten Wirkung. Nicht nur, dass die Kanzlerin zum „Milchgipfel“ bat. Das neue Hilfspaket der Bundesregierung kommt vor allem auch den Milchbauern zugute. Sehr viel bescheidener fallen die Zuwendungen für Schweinemäster, Getreideerzeuger oder Gemüseanbauer aus, obwohl auch diese 2009 mit katastrophal niedrigen Preisen fertig werden mussten.

Hilfsprogramm ohne Perspektive

Die Begeisterung gerade bei den Milchbauern hält sich dennoch in Grenzen. „Das Hilfsprogramm von Aigner bietet keine Perspektive“, schimpft der BDM. „Es wird zwar viel Geld eingesetzt, aber leider nicht zur Beseitigung der Ursachen der Milchmarktkrise, sondern nur zur Abfederung der Auswirkungen.“ Die Leute haben recht. Aus dem Grünlandmilchpaket, das besonders die kleineren Milchbauern im Süden im Auge hat, kommen in den nächsten beiden Jahren lediglich ein oder zwei Cent pro Liter Milch auf den Höfen an. Ein mittlerer Betrieb, so Bundesagrarministerin Ilse Aigner vor der Presse, kann mit etwa 2300 Euro im Jahr rechnen. Ein Trostpflaster – nicht mehr, wenn auch nicht weniger.

Wie kann man also die Milchmarktkrise an der Wurzel packen? Muss man die Milchquoten fortschreiben, um die Preise hoch und Ordnung auf den Märkten zu halten, wie das der BDM vorschlägt? „Nein“, sagen dazu selbst Bauernverband und unternehmerisch denkende Milchbauern. Denn da gibt es ein paar unbequeme Tatsachen, die sich nicht wegdiskutieren lassen.

Wachsen und weichen: die natürlichste Sache der Welt

Tatsache eins: Knapp 100.000 Bauern in Deutschland produzieren Milch, fast die Hälfte davon wirtschaftet in Bayern. In den Ställen dort stehen durchschnittlich weniger als 30 Kühe. Kaum anders sieht es in Hessen und Baden-Württemberg aus. Solch kleine Einheiten produzieren meist zu teuer. Sie haben keine Zukunft. Ein Wandel der Strukturen findet laufend statt. Jedes Jahr steigen bisher vier bis fünf Prozent der Betriebe aus der Milchproduktion aus. Das Durchschnittsalter der Milchbauern liegt bei 56 Jahren. Auf vielen kleinen Höfen fehlen die Nachfolger, die Milchviehhaltung wird im Generationswechsel auslaufen. Dafür können dann andere in Größenordnungen hineinwachsen, mit denen sie sich am Weltmarkt behaupten können; das beginnt heute bei etwa 100 Kühen. Den Mut, das auszusprechen, hat kaum ein Politiker.

Dabei zwingt schon der technische Fortschritt zum Wachsen. Jedes Jahr geben die Kühe zwei bis drei Prozent mehr Milch. Also braucht man entsprechend weniger Tiere. Weil teure Ställe nicht halb leer stehen dürfen, werden sich die Kühe zwangsläufig auf weniger, aber größere Bestände konzentrieren.

Um zu wachsen, braucht man bisher aber nicht nur Land, Tiere und Ställe, sondern auch zusätzliche Lieferrechte. Die kann man an der Quotenbörse erwerben. Zeitweise zahlten investitionsbereite Landwirte für den Liter Lieferrecht das Dreifache des Milchpreises. Sie mussten oft etliche Jahre „für lau“ arbeiten, bevor sie an Gewinne denken konnten. Die „Sofabauern“ dagegen, die ihre Quote verkauft oder verpachtet hatten, bezogen aus diesem ihnen einst politisch verfügten Besitzstand Einkommen, ohne einen Finger zu rühren. 1,57 Milliarden Euro wechselten auf diese Weise zwischen 2000 und 2008 allein in Deutschland den Besitzer. Viele junge Bauern kapitulierten vor den hohen Kosten eines Quotenkaufs. Diese Innovationsbremse wird spätestens in fünf Jahren verschwinden.

Ein anderes Problem stellt die überzogene Förderung von Bioenergie und nachwachsenden Rohstoffen dar. Biogas beispielsweise wird vor allem aus Mais erzeugt. Aus Maissilage wird aber auch Milch produziert. Deshalb konkurrieren inzwischen in vielen Regionen die Milchbauern gegen die gehätschelten Biogaserzeuger. Wettbewerbsfähig sind sie aber nur, wenn sie für ihre Milch deutlich über 30 Cent pro Liter erhalten – ein Preis, der im obersten Bereich dessen liegt, was in den nächsten Jahren zu realisieren sein wird. Allerdings klagen auch Biogaserzeuger derzeit über unbefriedigende Renditen. So wird Subventionspolitik zum Nullsummenspiel.

Schlagkraft der Molkereiwirtschaft verbessern

Tatsache zwei: Viele deutsche Molkereien sind zu klein. Deutschland ist mit einer Erzeugung von 28 Millionen Tonnen das führende Milchland Europas. Rund 100 Molkereien verarbeiten diese Milch, allein die zehn größten davon mehr als die Hälfte der Gesamtmenge. Trotzdem schafft nur ein – erst neu gegründeter – Zusammenschluss zweier Groß-Molkereien den Sprung unter die Top Ten weltweit, und zwar auf Platz zehn. Die nächste deutsche Molkerei folgt abgeschlagen auf Platz 20. Frankreich besetzt im Ranking die Plätze zwei und drei, die kleinen Niederlande halten Platz vier und Dänemark/Schweden Platz acht.

Die interessanten Wachstumsmärkte für Lebensmittel, auch für Milchprodukte, liegen nicht in Europa. Am stärksten ist in den letzten Jahren die Nachfrage in China sowie in Südostasien gestiegen. Auch in Afrika und Südamerika gibt es ein stolzes Plus. Spezialitäten aus Europa werden dort wieder gefragt sein, sobald es mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht. Um auf diesen Märkten mithalten zu können, brauchen Deutschlands Molkereien die gleiche Schlagkraft wie ihre wichtigen Wettbewerber aus den Partnerländern, aber auch aus Neuseeland, Australien und den USA. Sie brauchen zudem mehr Schlagkraft für den Umgang mit den großen Einzelhandelsketten hierzulande.

Nur gut eine Handvoll Unternehmen macht 80 Prozent des Umsatzes im Lebensmittelhandel. Dem muss die Molkereiwirtschaft etwas entgegensetzen können, wenn Preise und Konditionen ausgehandelt werden. Hinzu kommen Rationalisierungsreserven und Innovationspotenziale, die mobilisiert werden können, wenn sich Unternehmen zu leistungsfähigen Einheiten zusammenschließen. Vor allem der Süden und der hohe Norden Deutschlands haben auf diesem Gebiet Nachholbedarf. Die Strukturbereinigung in der Molkereiwirtschaft wird sich weit stärker beim Milchgeld bemerkbar machen als die jetzt beschlossenen Kuh- und Grünlandprämien.

Offene Märkte

Tatsache drei: Europas Milchmarkt wird heute ebenso wie die Märkte für Getreide, Gemüse oder Schweinefleisch vom Weltmarkt bestimmt. Die Grenzen sind offen. Insbesondere für ein Exportland wie Deutschland ist es wichtig, dass das so bleibt. Schließlich sollen deutsche Autos, Werkzeugmaschinen und Chemieprodukte international verkauft werden können. Abschottung im Agrarbereich provoziert Gegenreaktionen auf industriellen Märkten, mit allen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt.

„Gerechte“ Preise

Tatsache vier: Der „gerechte“ Milchpreis ist eine Illusion. „Gerecht“ ist für seine Verfechter, was auch bei hohen Produktionskosten ein Einkommen sichert. Rationell geführte Betriebe verdienen dann trotzdem ein Mehrfaches ihrer benachteiligten Berufskollegen. Was ist daran gerecht? Und was ist gerecht daran für den Verbraucher mit niedrigem Budget? Als der Staat mit Garantiepreisen den Richter gab, endete das Ganze in subventionierter Überproduktion – mit höchst ungerechter Verteilung der Steuermittel, mit denen die Überschüsse finanziert wurden.

Der Markt regelt das vielleicht nicht „gerecht“, aber doch sehr flexibel. Konkret: Auch die Milch steht in Konkurrenz mit anderen Lebensmitteln. Wird sie zu teuer, wie Ende 2007, dann lassen die Verbraucher die Butter im Regal, die Lebensmittelindustrie steigt auf Pflanzenfette um und der Pizzabäcker auf Analogkäse. Weil die Preisentwicklung aber beide Richtungen kennt, zeigt sich für die Milchbauern bereits ein Hoffnungsstreif. Schon im Herbst 2009 stieg der Milchpreis um ein Mehrfaches dessen, was über das Gründlandmilchprogramm bei den Landwirten ankommt. Wie lange der Aufwärtstrend anhält, wie er sich entwickelt, wann der nächste Einbruch folgt, lässt sich nicht voraussagen. Auf solch unbequeme Schwankungen wird sich die Branche einstellen müssen. Möglich ist das. Schweinemäster und Gemüsebauern haben nie andere Verhältnisse kennengelernt.

Landschaftspflege hängt nicht an der Kuh

Und was wird aus der Landschaft, aus den grünen Hügeln im Allgäu und im Schwarzwald, aus Almen und Bergwiesen, auf denen heute Kühe grasen? Das Bekenntnis zu einer „flächendeckenden Landbewirtschaftung“ gehört zum Mantra jeder bisherigen Bundesregierung. Dabei gilt zwar als akzeptabel, dass ganze Hänge mit Solarzellen vollgepflastert werden und kilometerweit triste Maisfelder ihrer Bio-Vergasung entgegenwachsen. Aber kein Fleck soll verwildern, kein Tal durch Aufforstung verfinstern, weil dort kein Bauer mehr wirtschaften will. Tatsächlich müssen auf Wiesen und Weiden, die gerade die landschaftlich schönsten Gegenden prägen, Wiederkäuer grasen. Ob es aber Milchkühe sind oder Fleischrinder, Jungvieh oder Schafe, das lässt sich diskutieren. Landschaft kann auf unterschiedlichste Weise gepflegt werden. Ob und wie es passiert, muss in jedem Einzelfall entschieden werden.

Es könnte zudem sein, dass man sich demnächst aus ganz anderen Gründen über die geeignetsten Methoden zur Landschaftspflege Gedanken machen muss. Wer weiß schließlich, ob in 20 Jahren noch junge Unternehmer bereit sind, in schwierigen Mittelgebirgslagen 365 Tage im Jahr Kühe zu melken. Und wenn man sie mit Steuergeldern trotzdem dazu animieren möchte, dann sollte das nicht auf dem Konto Agrarpolitik verbucht werden.

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