10.01.2010

Katerstimmung zum zehnten Geburtstag

Essay von Thomas Deichmann

Versprochen wurde die Energiewende, ihre Realisierung fällt schwer. Für Kunden des Ökostromanbieters wird mitunter Strom aus uralten Wasserkraftwerken bezogen. Am Großprojekt Weserkraftwerk hat sich sein Kraftwerksbauer Planet Energy verhoben. Beim Neubau eigener Ökokraftwerke werden indes Geschäfte mit Siemens und Areva gemacht, während der Regenbogenkriegerverein Kampagnen gegen die beiden Kernkraftwerksbauer organisiert. Über Anspruch und Wirklichkeit bei Greenpeace Energy.

Greenpeace Energy zählt zu den großen deutschen Ökostromanbietern. Strom aus Kernkraft, Erdöl oder Kohle ist für die Genossenschaft ein Tabu. Angeboten wird „ehrlicher Strom“ aus erneuerbaren Energien – allen voran Wasserkraft, Wind und Sonnenstrahlen. „Die Genossenschaft Greenpeace Energy wurde ins Leben gerufen, weil die Umweltorganisation Greenpeace e.V. 1999 vergeblich einen Stromanbieter suchte, der ihre strengen Kriterien für Ökostrom erfüllte. Schließlich nahmen engagierte Greenpeace-Mitarbeiter die Herausforderung selbst an“, heißt es auf der hauseigenen Website. (1) Entsprechend sind der Verein Greenpeace eV und die Genossenschaft Greenpeace Energy eG personell und organisatorisch eng verzahnt. Um die Stromkunden von Greenpeace Energy mit „eigenen und unabhängigen Kraftwerkparks“ versorgen zu können, ist als 100-prozentige Tochtergesellschaft des Ökostromanbieters die Planet Energy GmbH als weitere Säule gegründet worden. Sie „projektiert, finanziert und betreibt saubere Kraftwerke“. (2)
Im Oktober 2009 feierte Greenpeace Energy den zehnten Geburtstag. Aber so richtig Sektlaune aufkommen wollte in Hamburg offenbar nicht. Die frisch gewählte schwarz-gelbe Regierungskoalition hatte die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke in Aussicht gestellt. Zudem zeigten die großen Industrienationen wenig Bereitschaft, für die Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember das nötige Geld hinter die globalen Klimaschutzziele zu packen. Parallel erhärteten sich Hinweise, dass das Klima der Erde seit 1999 nicht mehr wärmer geworden ist. Schließlich hatte auch das Ökostromimage im Laufe des Jahres an Glanz verloren. In Zeiten leerer Kassen wurden grundlegende Fragen nach der Wirtschaftlich- und Sinnhaftigkeit des hoch subventionierten Energiezweiges aufgeworfen.

Ungebrochene Strahlkraft

Der positiven Strahlkraft und der felsenfesten Überzeugung, auf der Seite der Guten zu stehen, taten diese Widrigkeiten jedoch keinen Abbruch. Die Genossenschaft verstehe sich „als Qualitätsführer bei Ökostrom“, verkündete ihr Sprecher Marcel Keiffenheim aus Anlass des anstehenden Jubiläums. (3) Die Eckdaten des bisherigen Engagements sind auf den ersten Blick tatsächlich beeindruckend: Zum Jahresende 2008 hatte Greenpeace Energy schon 88.000 Kunden (ein Plus gegenüber dem Vorjahr um 13.000) und fast 17.000 Genossenschaftsmitglieder (plus ca. 3500), die ihr Gespartes in die Energiewende investieren. 260 Gigawattstunden (GWh) Ökostrom wurden an die Endkunden abgesetzt. Der Jahresumsatz lag bei über 66 Millionen Euro, und im Schnitt waren 52 Mitarbeiter bei Greenpeace Energy beschäftigt. (4) Dennoch zeigt das genauere Studium des unternehmerischen Engagements, dass das Geschäft mit dem Ökostrom alles andere als leicht ist.

Engagement für die Energiewende

Was hat Greenpeace Energy in den letzten zehn Jahren aus eigener Kraft erreicht für die Wende hin zu den erneuerbaren Energien? Auf der Greenpeace-Energy-Liste der von der Tochterfirma Planet Energy seit 2001 in Betrieb genommenen oder sich noch im Bau befindlichen Ökokraftwerken finden sich neun Standorte. Hierzu liest man: „Bis August 2009 hat unsere Tochterfirma Planet Energy drei Windparks und drei Fotovoltaikanlagen in Betrieb genommen. Im Laufe des Jahres 2010 werden ein weiterer Windpark und das Weserkraftwerk bei Bremen ans Netz gehen, das Planet Energy in Zusammenarbeit mit der Bremer Firma Tandem projektiert hat.“ (5) Aber wie bedeutend sind diese Anlagen wirklich? Am leistungsstärksten ist die Windkraftanlage Parndorf II. Sie wurde gemeinsam mit zwei Partnern in Österreich errichtet und kommt auf eine Leistung von 12 Megawatt (MW). An zweiter Stelle in puncto Leistungsstärke folgt das Weserkraftwerk Bremen. Hierbei handelt sich um ein modernes Laufwasserkraftwerk mit einer Leistung von 10 MW. Das Schlusslicht bildet die 2001 in Schwäbisch Hall in Betrieb genommene Fotovoltaikanlage mit einer Mini-Leistung von gerade einmal 0,1 MW.
Der Vergleich mit herkömmlichen Kraftwerken ist zur Einordnung des Ökoengagements hilfreich. Selbst die beiden größten Greenpeace-Energy-Projekte Parndorf II und das Weserkraftwerk bei Bremen mit einer Nennleistung von 12 bzw. 10 MW sind schwach auf der Brust. Das kleinste derzeit in Deutschland laufende Atomkraftwerk steht in Brunsbüttel, und es kommt auf eine Nennleistung von 806 MW. (6) Die beiden Blöcke des Braunkohlekraftwerks „Schwarze Pumpe“ zwischen Dresden und Cottbus schaffen jeder für sich satte 800 MW. (7) Und die größten Laufwasserkraftwerke in Deutschland erreichen Leistungen bis zu 85 MW – Grenzkraftwerke an Rhein und Donau kommen sogar auf bis zu 130 MW. (8) An den Greenpeace-Energy-Standorten zeigt sich demnach zuallererst, wie leicht es Ökostromanbietern fallen mag, gegen leistungsstarke Großkraftwerke zu wettern, aber wie unendlich viel schwerer es sich darstellt, marktfähige Alternativen in nennenswerten Relationen bereitzustellen.

Renommierprojekt Weserkraftwerk

Das Weserkraftwerk war lange ein bedeutendes Renommierprojekt für das Engagement der Regenbogenkrieger. Ursprünglich sollte es schon im Jubiläumsjahr 2009 ans Netz gehen und exklusiv für Greenpeace-Energy-Kunden Strom erzeugen. Doch Insider bestätigen, dass sich die Genossenschaft daran verhoben hat. Dafür spricht, dass sich Greenpeace Energy längst davon hat verabschieden müssen, den Weserkraftwerksstrom für eigene Kunden ins Netz speisen zu können. Was sind die Gründe für den Ausstieg aus diesem einst so wichtigen Geschäftsfeld?
In den Werbeschriften für das ökologische Engagement „unabhängig von der etablierten Stromwirtschaft“ finden sich nur verhaltene Aufklärungsbemühungen, warum sich die Turbinen des Kraftwerks für andere Stromanbieterkunden drehen werden. Fakt ist, dass sich die SWB AG (ehemals Stadtwerke Bremen) gemeinsam mit dem Turbinenhersteller Enercon das Projekt unter den Nagel gerissen hat. Im Laufe des Jahres 2010 soll das Weserkraftwerk fertiggestellt werden und Ökostrom exklusiv an die SWB-Kunden liefern. (9) Unangenehm daran dürfte aus Sicht der Ökokrieger sein, dass es sich bei der SWB sogar um einen Art „Klassenfeind“ handelt, der ebenso munter auch in Atom- und Kohlekraft investiert.
Aus dieser Wendung beim Weserprojekt wird sich nun alsbald eine eigentümliche, aber für die Energiebrache nicht untypische Situation ergeben: Die Bremer Bürger werden quasi vor die Qual der Ökowahl gestellt. Greenpeace wirbt zu Recht weiter um Neukunden und Genossen mit dem Hinweis, den Bau des Weserkraftwerks angestoßen zu haben. Der SWB passt das Projekt aber ebenso gut ins ökologisch korrekte Werbekonzept. Zwei Ökostromanbieter rühren also demnächst mit ein und demselben Kraftwerk die Werbetrommel für Branchenprodukte, die es in diesem Umfang ohnehin nur aufgrund massiver Förderungen und allerlei Gesetzen und daraus folgenden Zwangszuzahlungen aller Stromkonsumenten in Milliardenhöhe gibt.

Vergebliche Rettungsaktion

Greenpeace Energy hatte das Weserkraftwerk ursprünglich im Konsortium mit dem Entwicklungspartner Tandem von 2001 bis Januar 2007 bis zum Planfeststellungsbeschluss gebracht. Die Investitionskosten wurden seinerzeit auf 28 Millionen Euro geschätzt. (10) Die Finanzierung sollte zu einem großen Teil über Bürgerbeteiligungen gewährleistet werden. Doch die stolze Planung erwies sich alsbald als blasses Luftschloss der Hamburger Energiewender. Nach dem Planfeststellungsbeschluss schnellten die Kosten in die Höhe, wodurch auch das Finanzierungsmodell ins Wanken geriet. Im Mai Anfang 2008 war plötzlich von einem Investitionsvolumen von 40 Millionen Euro die Rede. (11) Laut Keiffenheim spiegelt sich in diesem Anstieg die „Kostensteigerung bei Komponenten für den Kraftwerksbau wider“. Zudem seien die Generalunternehmerpreise in diesem Spezialbereich der Baubranche nach oben gegangen. Und prinzipiell gebe „die Gesamtinvestitionssumme immer einen Überblick über die Kosten zum jeweiligen Zeitpunkt“, erläutert er. (12)

Die Kostenexplosion könnte auf eklatante Fehlplanungen hinweisen, so wie es auch in anderen Unternehmen immer wieder einmal vorkommt. Doch das wird von Greenpeace Energy zurückgewiesen. Die Verkettung widriger Umstände, für die Greenpeace Energy nach eigenem Bekunden nichts konnte, führte jedenfalls dazu, dass Anfang 2008 dringend neue Kapitalgeber für die Realisierung des Weserkraftwerks aufgetan werden mussten. Im März 2008 wurden die SWB AG und Enercon mit gemeinsam 49 Prozent Minderheitsbeteiligung an Bord genommen. (13) SWB-Sprecher Christoph Brinkmann erinnert sich an die turbulente Rettungsaktion: „Ich habe es noch nie erlebt, dass eine derart große Geschichte binnen weniger Wochen entschieden wurde“, erklärte er, ohne einen Funken Zweifel an der Einschätzung des Fragestellers zu lassen, dass dem neuen Partner aus der Ökoszene das Wasser bis zum Hals stand. (14)

Aber selbst diese massiven Kapitalspritzen aus dem ungeliebten Großkonzern vermochten Greenpeace Energy und Planet Energy nicht aus der Patsche zu helfen. Das von den Banken bewertete Projektrisiko wurde laut Brinkmann deutlich hochgestuft. Die Idee des Bürgerfonds, so der SWB-Sprecher, musste aus Gründen des juristischen Anlegerschutzes aufgegeben werden. (15) Greenpeace Energy hatte demzufolge offenbar keine andere Wahl mehr, als sich vollends aus dem einstigen Vorzeigeprojekt zurückzuziehen. Einige Monate lang wurde über die Übergabemodalitäten verhandelt. Im Juli 2009 gaben schließlich die SWB und Enercon bekannt, fortan gleichberechtigte Gesellschafter des Weserkraftwerks zu sein. (16) Greenpeace Energy war völlig außen vor – eine unschöne Situation, ausgerechnet im Jubiläumsjahr.

Ausstiegsszenarien

Sprecher Marcel Keiffenheim nennt vor allem personelle Gründe für diesen Sinneswandel. Man sei eine „kleine Mannschaft“, und es sei sinnvoller gewesen, dass sich die Ingenieure und die Geschäftsführung um andere Projekte kümmerten. (17) Greenpeace-Energy-Vorstandsmitglied Robert Werner erklärt im Geschäftsbericht 2008 eher lapidar, warum man sich „schweren Herzens“ zurückgezogen habe: „Einfach weil dieses Engagement unsere zeitlichen Ressourcen gesprengt hat und ansonsten unsere anderen Bauprojekte gelitten hätten. Das ist bedauerlich. Dennoch sind wir stolz darauf, dass wir dieses jahrelang totgesagte Kraftwerk seit 2001 mitentwickeln konnten.“ (18) Vor allem Zeitprobleme sollen die Ökostromstrategen demnach geplagt haben. Nur ein Jahr zuvor hatte die Greenpeace-Energy-Aufsichtsratsvorsitzende (und zugleich Geschäftsführerin von Greenpeace Deutschland), Brigitte Behrens, den „Beschluss zur Finanzierung der Ausführungsplanung für das Weserkraftwerk Bremen“ noch als wesentliche Entscheidung im Jahr 2007 hervorgehoben. (19)

Doch Vorstandsmitglied Werner trifft den Nagel auf den Kopf: Das Projekt Weserkraftwerk galt vor der Greenpeace-Initiative tatsächlich jahrelang als „totgesagt“. Die SWB selbst hatte den Bau eines Laufwasserkraftwerks an der Weser geprüft, die Idee jedoch verworfen, weil sich die Realisierung als unrentabel erwies. Für diese Entscheidung hatte die SWB aus Ökokreisen reichlich Kritik bezogen. Auf die Frage, warum 2008 nun plötzlich doch grünes Licht für ein diesbezügliches Engagement gegeben wurde, nennt SWB-Sprecher Brinkmann als einen bedeutenden Faktor den „wesentlich geringeren finanziellen Aufwand, da Planet Energy und Tandem bereits erhebliche Vorleistungen geliefert hatten“. (20) Das klingt nach einem Schnäppchen für die SWB und einem Verlustgeschäft für die Genossenschaft. Doch Greenpeace-Sprecher Keiffenheim widerspricht dieser Interpretation: „Wir haben die Projektrechte am Weserkraftwerk seinerzeit ohne finanziellen Verlust an die neuen Partner SWB und Enercon weiterveräußert“, beteuert er. (21)

Eigenwillige Kommunikation

Auf der Liste der von Planet Energy neu initiierten Ökokraftwerke stehen unterhalb des Weserkraftwerks acht Windkraft- und Fotovoltaikanlagen, von denen sieben in Betrieb sind und eine in Planung ist. (22) Die Kraftwerksleistungen sind auf dieser Seite wohlgemerkt nicht in Megawatt, sondern in Kilowatt angeben, sodass es auf den ersten Blick nach richtig viel Strom aussieht. Alle zusammen kommen die neun Anlagen auf eine Leistung von 45.700 Kilowatt – oder 45,7 Megawatt. Das entspricht in der Summe etwa drei Prozent der Nennleistung eines einzigen Atommeilers wie in Brokdorf oder lediglich 0,2 Prozent aller 17 deutschen Kernkraftwerke, die derzeit in Betrieb sind. (23) Wobei hier noch anzumerken ist, dass die Atom- und vergleichbaren Kohlemeiler auch völlig wetterunabhängig ihren Strom liefern können. Von der Energiewende ist Greenpeace Energy also offenbar noch weit entfernt.
Die Genossenschaft stellt dennoch in Aussicht, „langfristig all unsere Kunden mit sauberem Strom aus eigenen Kraftwerken zu beliefern“. (24) Auch Planet Energy wirbt um Investoren mit dem Hinweis: „Die Kunden der Genossenschaft sollen nicht nur mit sauberem Strom versorgt werden, dieser Strom soll in Zukunft auch in eigenen und von uns errichteten Kraftwerken produziert werden.“ (25)
Wie schaut es mit der Realisierung dieser ehrgeizigen Ziele zum zehnjährigen Jubiläum aus? Die Antwort ist wieder ernüchternd: Praktisch wird zum Zeitpunkt der Klärung dieser Frage von keinem einzigen der neun neuen Kraftwerke Strom für die eigenen Kunden eingekauft – keine einzige Kilowattstunde. (26) Warum das so ist, erläutert der Pressesprecher: Einerseits benötigten die neuen Kraftwerke erhebliche Investitionen, die aus den Genossenschaftsanteilen nicht zu decken seien. Bankkredite seien notwendig, die jedoch Sicherheiten erforderten. Aus Gründen des Risikomanagements werde deshalb in der Regel eine herkömmliche Stromeinspeisung ins Netz vereinbart. Anderseits, so führt er aus, könne die Stromerzeugung bei Wind- und Fotovoltaikanlagen je nach Wetterlage schwanken. Deshalb komme für Greenpeace-Energy-Kunden derzeit vor allem Wasserkraft infrage, um die zeitgleiche Vollversorgung der Kunden bezogen auf den prognostizierten Strombedarf sicherzustellen. (27)
Man höre und staune: Greenpeace Energy hat also mit just jenen Wetterproblemen zu kämpfen, die Kritiker der Erneuerbaren oft ins Feld führen und die die Anhänger des Ökostroms ebenso gerne kleinreden, dass nämlich Wind und Sonnenenergie schwerlich zur Grundlastversorgung taugen, weil die Sonne mitunter nicht scheint und manchmal Flaute herrscht. Keiffenheim erklärt weiter, dass man einmal versuchsweise aus dem mit Partnern fertiggestellten Windkraftwerk Parndorf II in Österreich Strom für Greenpeace-Energy-Kunden eingekauft habe. Doch die wetterbedingten Leistungsschwankungen hätten durch teure Zukäufe von Wasserkraftstrom ausgeglichen werden müssen. Das Modell erwies sich als unwirtschaftlich. Anfang Oktober 2009 musste der Versuch eingestellt werden.(28)

Strom aus Österreich

Wenn aber nicht aus den eigenen Kraftwerken, wo wird sonst der Strom für Greenpeace-Energy-Kunden eingekauft? Wer das wissen möchte, findet die Antwort unter der Überschrift „Wo unser Strom erzeugt wird“ in einer wesentlich längeren Liste auf den Internetseiten der Genossenschaft. (29) Hier sind die Kraftwerksleistungen nun nicht mehr in Kilo-, sondern in Megawatt angegeben, wodurch sie auf den ersten, unbedarften Blick fast niedlich gegenüber den genannten Neuanlagen erscheinen.
Auch hier findet sich wieder das österreichische Windkraftwerk Parndorf II. Es ist als einziger Standort mit dem Hinweis versehen: „Eigenes Kraftwerk von Greenpeace Energy“. Vernachlässigt man diese Anlage, weil sie, wie oben ausgeführt, nicht mehr zu den Stromlieferanten zählt, bleiben 17 Kraftwerke übrig. Es handelt sich in sämtlichen Fällen um Laufwasserkraftwerke, die es auch ohne Greenpeace oder Planet Energy geben würde. Sämtliche dieser 17 Kraftwerke stehen in Österreich. Und zwölf von den 17 Werken sind mehr als zehn Jahre alt, das älteste befindet sich in Murfall und ist kurz nach dem Krieg 1949 in Betrieb genommen worden. Das mit deutlichem Abstand stärkste Laufwasserkraftwerk auf dieser Liste steht in unmittelbarer Nähe des berühmten Stifts Melk an der Donau. Es wurde 1982 fertiggestellt und kommt laut Greenpeace Energy auf eine Leistung von 187 MW.
Manch ein Interessent für die Leistungen von Greenpeace Energy könnte wohl etwas anderes darunter verstehen, wenn ihm vom Ökostromanbieter versprochen wird, langfristig „mit sauberem Strom aus eigenen Kraftwerken“ beliefert zu werden. Eine solche Verrechnungspraxis des ökologischen Engagements mit den Leistungen alter und neuer Laufwasserwerke im In- und Ausland, ist allerdings Standard im Ökostromsegment. Die Praxis ist aber selbst in hartgesottenen Ökokreisen umstritten. Dem Verein EnergieVision zum Beispiel sind solche Geschäfte ein Dorn im Auge. Dem Verein geht es nach eigenem hehren Bekunden darum, „Nachhaltigkeit und Transparenz im liberalisierten Energiemarkt zu fördern“. (30) Auf dem Informationsportal wird bemängelt, dass nicht jedes Ökostrom-Produkt am Markt automatisch dazu führe, dass Verbrauchererwartungen erfüllt würden. Mit Blick auf die Wasserkraft im Portfolio von Ökostromanbietern wird kritisiert, dass es sich hierbei in den meisten Fällen „um Strom aus alten Anlagen, die längst abgeschrieben sind und zu sehr niedrigen Kosten produzieren“, handele. Und weiter: „Wenn Verbraucher Ökostrom bestellen und diesen Strom aus alter Wasserkraft bekommen, ‚merkt‘ der Markt das gar nicht, diese Nachfrage führt nicht zu einem Ausbauimpuls über die bestehenden Anlagen hinaus. Aus Sicht der Umwelt ändert sich bei einer solchen Ökostromlieferung nichts.“ (31) Das klingt zumindest nach einem latenten Widerspruch zur Verlautbarung von Greenpeace Energy, mit dem Aufbau eines eigenen Kraftwerkparks die „verkrusteten Strukturen des deutschen Strommarkts“ verändern zu wollen. (32)

Interpretationsspielräume

Vor diesem Hintergrund fällt ein weiteres Versprechen von Greenpeace Energy ins Auge: „Jeder Neukunde muss nach spätestens fünf Jahren zu 100 Prozent mit Strom aus Anlagen versorgt werden, die nicht älter als fünf Jahre sind“, steht unter dem Schlagwort „Greenpeace-Stromkriterien“ in Werbepublikationen. (339 Das könnte man als unbedarfter Leser im Zusammenhang mit der Zielsetzung, „langfristig all unsere Kunden mit sauberem Strom aus eigenen Kraftwerken zu beliefern“ (34) auch so verstehen: „Ich werde 2010 Kunde, und bis 2015 hat Greenpeace Energy dann so viele eigene saubere Kraftwerke gebaut, dass auch mein Strom nur noch von diesen Neuanlagen bezogen wird.“ Wobei sich dann aber sogleich die Frage auftut: Wie soll das funktionieren, wenn, wie oben gezeigt, aktuell 12 von 17 Lieferantenkraftwerken älter als zehn Jahre sind und keines der aktuellen Lieferkraftwerke ein eigenes Kraftwerk von Greenpeace Energy ist?
Einen Teil der Antwort liefert der TÜV Nord, der jedes Jahr lizenziert, dass die „Neubau-Kriterien“ von Greenpeace Energy, auf die sich obiges Versprechen nach Auskunft der Genossenschaft bezieht, eingehalten werden. (35) Das aktuelle, noch bis Ende Juni 2010 gültige Zertifikat findet sich auf dem Informationsportal des Ökostromanbieters, und darin heißt es: „Der Strombezug von Greenpeace Energy erfolgt aus Neuanlagen entsprechend der Neubauregelung der Greenpeace-Kriterien für sauberen Strom“. (36) Mit etwas mehr Mühe findet man auch den betreffenden Kriterienkatalog im Internet – ein vergleichsweise doch eher kompliziert und offenbar von Juristenhand sorgfältig geprüftes Dokument, mit dem sich das genannte Rätsel auflöst. (37)
Wenn sich Greenpeace Energy selbst lobt: „Denn wir liefern nicht nur sauberen Strom, sondern wir versorgen überdies jeden neuen Kunden nach spätestens fünf Jahren vollständig mit elektrischer Energie aus neu gebauten Anlagen“ (38), dann wird dies zunächst einmal auch im besagten Kriterienkatalog unter Punkt drei „Förderung von Neuanlagen“ bestätigt. Dort steht, dass „der Stromversorger den innerhalb eines Jahres neu hinzugekommenen Kundenstamm spätestens nach dem fünften Kalenderjahr aus Neuanlagen versorgen muss“. (39) Interessant wird es dann in den Folgeabschnitten, in denen es um die exakte Definition der dieser Aussage zugrunde liegenden Parameter geht.
Man erfährt zunächst, dass sich die für das Zertifikat relevante Strommenge „aus der Jahresverbrauchsmenge des Kundenstamms, der in dem jeweiligen Basisjahr dazugekommen ist“, ergibt. (40) So weit, so gut. Aus der anschließenden Definition dessen, was unter einer „Neuanlage“ oder unter einer vom Stromversorger „initiierten Neuanlage“ alles zu verstehen ist, geht dann aber hervor, dass der Interpretationsspielraum des Versprechens doch weit größer ist, als man bei der Lektüre der Werbeformeln zunächst anzunehmen geneigt ist. In die Rechnung einbezogen werden auch „Neuanlagen Dritter“, die „zum Betrachtungszeitpunkt nicht länger als fünf Jahre in Betrieb“ sind. (41) Oder Kraftwerke, bei denen sich der Stromversorger in mindestens einer der Phasen der Neubauaktivitäten mit fixierten Mindestleistungen engagiert – wobei hier die „Projektionierung“, die „Finanzierung“, der „Bau“ oder der „Betrieb“ gemeint sein können. (42) Bei der Überprüfung der „Neubau-Kriterien“ und des Fünf-Jahres-Versprechens wird also beispielsweise auch berücksichtigt, wenn sich der Hamburger Ökostromanbieter mit „mindestens 20 % Beteiligung an dem Haftkapital der Betreibergesellschaft oder Komplementärin einer betreibenden GmbH & Co KG“ bei einem Ökokraftwerk Dritter, das nicht länger als fünf Jahre in Betrieb ist, am Betrieb beteiligt. (43)
So wundert es auch nicht, dass sogar das Weserkraftwerk, aus dem die Genossenschaft ausgestiegen ist, für die Zertifizierung des TÜV Nord herangezogen werden könnte. Doch Greenpeace Energy hat sich dagegen entschieden, wie der Pressesprecher erklärt: „Nach den Regeln der Greenpeace-Kriterien für sauberen Strom könnten wir uns das Engagement fürs Weserkraftwerk theoretisch auf unsere Neubau-Verpflichtung anrechnen. Praktisch verzichten wir darauf. Grund dafür ist, dass wir mit unserem Engagement etwas anderes erreichen wollten als das, was sich schließlich verwirklichen ließ.“ (44) Doch wie auch immer, die anstrengende Lektüre besagter Kriterien nährt die Schlussfolgerung, dass es auch bei Greenpeace Energy auf das Kleingedruckte ankommt.

Strahlende Geschäftspartner

Kommunikative, mathematische und juristische Kunststücke sind also vonnöten, um das Engagement des Hamburger Ökostromanbieters als geradezu sagenhafte Erfolgsgeschichte erscheinen zu lassen. Doch über Pleiten, Pannen und Probleme bei der Umsetzung der vermeintlich so hehren Ziele wird in dieser wie auch in anderen Branchen nur ungern gesprochen. Mit der moralischen Aufgeblasenheit und Überheblichkeit, mit der man sich brüstet, die Energiewende herbeizuführen, um die Klimakatastrophe abzuwehren und die Menschheit vor Atomstrom und drohendem Weltuntergang zu bewahren, ruft man aber geradezu kritische Begutachter auf den Plan. „Hochmut kommt vor dem Fall“, heißt nicht umsonst ein oft zitiertes Sprichwort.
„Das Konzept von Greenpeace Energy ist es, von der Produktion über den Handel bis zur Versorgung der Endkunden unabhängig von der etablierten Stromwirtschaft zu arbeiten“, wird in Hamburg verkündet. (45) Unabhängigkeit in der Produktion, im Handel und bei der Versorgung: Das ist schon wieder so eine hochtrabende Formulierung. Dabei muss die Gewährleistung der Genossenschaftsaktivitäten ohne Kooperationen mit großen Energieplayern, die auch im Kohle- und Atomstromgeschäft aktiv sind, schon für einen Laien wie ein Ding der Unmöglichkeit klingen. Die Erfahrung mit dem Weserkraftwerk deutet auf eine Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit hin. Ebenso die grundlegende Tatsache, dass moderne und effizient arbeitende Ökokraftwerke auf ingenieurtechnischen Entwicklungen beruhen, die nicht gerade selten auf Forschungen der großen Energiekonzerne beruhen. Neue Greenpeace-Kraftwerke werden nicht im Hinterhof in der Straße „Schulterblatt“ in Hamburg geschnitzt, sondern sind auf modernstes Hightech angewiesen. Und so ist es eigentlich normal (wenn auch gewissermaßen im Widerspruch zur Philosophie von Greenpeace), dass auch Planet Energy Geschäfte macht mit den Mächtigen der Atomindustrie.
Wer sich für den Erwerb von Genussrechten bei Planet Energy interessiert, dem wurden bis vor Kurzem in einer Werbebroschüre als Investitionsgüter der Windpark Ketzin, der Windpark Soltau und die Fotovoltaikanlage Dasing schmackhaft gemacht. (46) Bei der genauen Lektüre öffnet sich erneut eine Kluft zwischen großspurigem Heldentum und der Wirklichkeit. Die Beschreibung der Fotovoltaikanlage Dasing bei Augsburg, die 2006 in Betrieb ging, offenbart, dass ein Wartungsvertrag mit dem Hersteller der Trafostationen abgeschlossen wurde. Als Hersteller genannt wird die Areva Energietechnik GmbH. (47) Wer steckt dahinter? Laut Aussage von Cederick Allwardt, Sprecher der AREVA Energietechnik GmbH, ist sein Unternehmen ein Teil von AREVA T&D, und die AREVA T&D ein Geschäftsbereich von AREVA. (48) Die Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Paris bezeichnet sich selbst als „Weltmarktführer im Energiebereich“. (49) Sie bietet „ihren Kunden weltweit Lösungen für eine CO2-freie Stromerzeugung und Stromübertragung“. (50) Das dürfte sich aus ökologistischer Sicht nett anhören. Allerdings konzentriert man sich bei Areva auf den Bau von Kernkraftwerken – und auch hier ist man Weltmarktführer. (51) Das Unternehmen ist vom Uranabbau über die Anreicherung, Herstellung und Wiederaufbereitung von Brennelementen bis hin zur Stromverteilung aktiv. Allein in Frankreich hat Areva drei Atomkraftwerke gebaut, darunter die aktuell stärkste Anlage der Welt „Chooz B1“. (52)
Ein deutscher Konkurrent in diesem Geschäft ist der Münchener Konzern Siemens. Unter den „Top Ten 2008“ bei der Stromerzeugung durch Kernkraftwerke finden sich fünf deutsche Standorte, die allesamt von Siemens gebaut wurden. (53) Auch Siemens findet sich als Geschäftspartner in der Werbebroschüre für Investitionsgüter von Planet Energy, denn zur Angebotspalette des Konzerns gehört mittlerweile der Windenergieanlagentyp „AN Bonus“, vom dem im April 2006 drei Exemplare im niedersächsischen Soltau ans Stromnetz angeschlossen wurden. (54) Ursprünglich wurde der Vertrag für die Lieferung und Errichtung des Windparks Soltau im August 2005 mit der AN Windenergie GmbH in Bremen geschlossen. AN Windenergie ist jedoch im November 2005 von der Siemens AG übernommen worden. (55) Und bereits im Dezember 2004 hatte der Aktienkonzern Wind Power das dänische Unternehmen Bonus Energy A/S, das die Windenergieanlagen fertigt, geschluckt. (56)

Öko-Autarkie-Ideologie

Ganz so unabhängig von der etablierten Stromwirtschaft will das Konzept von Greenpeace Energy offenbar nicht aufgehen. Geradezu absurd wirkt es, dass die Genossenschaft Greenpeace Energy in Geschäfte mit Areva und Siemens verstrickt ist, während der Verein Greenpeace Deutschland Kampagnen gegen die beiden Atomstromriesen befeuert. Erst im November 2009 wurden die beiden Reaktorhersteller aufs Korn genommen. Greenpeace bemängelte, die Kombination von Areva- und Siemens-Bauteilen könne beim neu entwickelten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) zu Software- und Sicherheitsproblemen führen. (57)
Zusammenfassend bleibt nach ausgiebiger Begutachtung des Ökoengagements ein etwas flaues Gefühl in der Magengegend. Der Ökologismus mit seinen vielen Facetten in den Bereichen Energie, Ernährung und Landwirtschaft ist davon beseelt, neben den „etablierten“ Handels- und Marktstrukturen zu agieren, um diese zu Fall zu bringen. Wahlweise wird dies als leuchtender Pfad der Energie-, Ernährungs- oder Agrarwende angepriesen. Dabei liefert selbst Greenpeace Energy im Grunde nur ein Beispiel dafür, wie man sich mit einfältiger Öko-Autarkie-Ideologie selbst das Leben erschwert. Im Kleinen zeigt sich hier, woran auch im Großen eine auf solchen Haltungen definierte Energiewende nur scheitern kann.

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