05.03.2010

Gentechnik und Politik in Deutschland

Von Walter Schilling

Wie aus Mutlosigkeit im Umgang mit der modernen Pflanzenbiotechnologie folgenschwere Ignoranz wird.

In einigen Ländern Europas, vor allem aber in Deutschland, hat die Gentechnik einen schweren Stand. Insbesondere die moderne Pflanzenbiotechnologie, die Grüne Gentechnik, zählt zu den Themen, die nicht nur weit über die Fachgrenzen hinaus kontrovers diskutiert werden. Sie ist auch Bestandteil des politischen Streits, der sich durch eine Aggressivität und Argumentationsweise der Gegner auszeichnet, die rational kaum fassbar ist.

Bereits ein Blick in die Geschichte der Pflanzentechnologie macht deutlich, wie weit die Gegner der Gentechnik von der Realität entfernt sind. Fragt man nämlich nach dem Unterschied, der das heutige Vorgehen in der Pflanzentechnologie von der Praxis in der Vergangenheit kennzeichnet, so wird man zugeben müssen, dass es im Prinzip keinen entscheidenden Bruch gegeben hat. Denn seit der Steinzeit, also seit mehreren Tausend Jahren, praktizieren die Menschen erfolgreich Pflanzenzüchtung durch Selektion und nutzen damit genetische Veränderungen zu ihrem Vorteil. Die Entdeckung der Vererbungsgesetze durch Gregor Mendel vor etwa 100 Jahren gab der Praxis der Pflanzenzüchtung weiteren Auftrieb. Die moderne Gentechnik stellt lediglich eine folgerichtige Weiterentwicklung der früheren Züchtungsmethoden dar. Der Unterschied besteht nur darin, dass sie heute das gezielte und präzise Einbringen einzelner Gene erlaubt. Hierdurch ergeben sich neue Dimensionen der Züchtung und außerordentlich wichtige Ansätze zur Lösung zahlreicher Probleme unserer Epoche.

Anbausituation

Seit mehr als zehn Jahren werden gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut und zu einem großen Teil auch in Nahrungsmitteln verarbeitet. Die Anbaufläche umfasste 2008 – nach Angaben der internationalen Biotechnik-Agentur ISAAA – mehr als 125 Millionen Hektar, also etwa das Zwölffache der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Bundesrepublik Deutschland. Über 13 Millionen Landwirte in 25 Staaten nutzen bereits die neuen Möglichkeiten der Grünen Gentechnik. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass mehr als 90 Prozent von ihnen in Entwicklungsländern leben. Dies wird – abgesehen von der Tatsache, dass die USA, Argentinien, Brasilien, Indien und China auf dem Gebiet der Gentechnik besonders großes Engagement zeigen – den Aufschwung der neuen Technologie in naher Zukunft enorm beschleunigen.

In den USA ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen inzwischen auf dem größten Teil der Ackerfläche selbstverständlich, und in China wird dies schon bald ebenso der Fall sein. In Europa wird bislang nur in Spanien mit dem Anbau von insektenresistentem, sogenanntem Bt-Mais auf knapp 100.000 Hektar die grüne Gentechnik in nennenswertem Umfang genutzt. Dank der weltweiten Dynamik in diesem Bereich dürften im Jahre 2010 mehr als 15 Millionen Landwirte auf 150 Millionen Hektar transgene Nutzpflanzen anbauen. Vor allem Indien, Brasilien, Argentinien, Australien, Kanada und Südafrika fördern den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen und ziehen daraus großen Gewinn. Die Regierungen dieser Länder tragen damit auch der Tatsache Rechnung, dass die moderne Pflanzenbiotechnologie erlaubt, Qualität und Ertrag der Produkte zu erhöhen, den Einsatz von Pestiziden zu vermeiden sowie gleichzeitig die Produktionskosten und den Ackerflächenbedarf zu senken. Die massive und bewusste Förderung der Gentechnik durch die Regierungen zahlreicher Entwicklungsländer widerlegt die oft zu hörende Behauptung der Gentechnikgegner, dass die großen Konzerne die Dritte Welt ausbeuteten.

Herausforderungen

Angesichts der rasch anwachsenden Weltbevölkerung wird die pro Kopf zur Verfügung stehende landwirtschaftliche Nutzfläche in den nächsten Jahren deutlich abnehmen. Ein ausreichendes Niveau bei der Produktion von Nahrungsmitteln wird dann ohne die Nutzung der Gentechnik nicht mehr erreicht werden können. Sie trägt schon heute wesentlich dazu bei, Ernten zu schützen, den problematischen Einsatz von Pestiziden erheblich zu vermindern und die Ernährung in den ärmeren Regionen der Welt zu sichern. Hinzu kommt, dass die unvermeidbaren klimatischen Veränderungen in weiten Teilen der Erde den Druck erhöhen werden, gezielt Pflanzen mit verbesserten Stresseigenschaften zu züchten. Hier wird es vor allem um eine größere Dürreresistenz und Salztoleranz, ein besseres Ertragen von Kältestress, aber auch um die Resistenz gegen Pilzkrankheiten und Insektenbefall gehen. So überrascht es nicht, dass nicht nur die Vereinten Nationen in der Grünen Gentechnik eine große Chance für die Sicherung der Welternährung sehen. Auch die Europäische Union misst in ihrem Programm „Plants for the Future“ der Pflanzenbiotechnologie eine wachsende Rolle zu.

Mit dem Anstieg der Lebenserwartung in den fortgeschrittenen Industriestaaten – und schon bald auch in den aufstrebenden Ländern Asiens – steigt zudem der Bedarf an besonders geeigneten Nahrungsmitteln zur Gesunderhaltung und zur Verminderung von Krankheitsrisiken. Der bereits heute sichtbare Trend, gentechnisch veränderte Pflanzen zu züchten, die zu Nahrungsmitteln mit höherem Vitamingehalt, mit Substanzen zur Verminderung von Osteoporose oder Arthritis, zur Reduktion der Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder zur Verbesserung der Verdauungsprozesse verarbeitet werden, dürfte sich erheblich beschleunigen. Die immer wieder geäußerten Sicherheitsbedenken, die gegen gentechnisch veränderte Pflanzen vorgebracht werden, sind in zahlreichen wissenschaftlichen Studien ausgeräumt wurden. Nicht nur die renommierte Royal Society in London, der International Council for Science und viele andere wissenschaftliche Institutionen haben die Argumente und Vorwürfe der Gegner der Grünen Gentechnik zurückgewiesen. Auch in Deutschland lassen die Fachleute der führenden Wissenschaftsinstitutionen keinen Zweifel daran, dass sie die Aussagen der Gentechnikgegner für unbegründet und deren Kampagnen für fragwürdig halten. Vor dem Hintergrund der wissenschaftlich nachgewiesenen positiven Wirkungen und der enormen Perspektiven der neuen Pflanzenbiotechnologie ist es kaum nachvollziehbar, dass die Grüne Gentechnik in Europa, vor allem aber in Deutschland, bislang nur in sehr geringem Umfang genutzt wird.

Technologiefeindlichkeit und Irrationalität

In der Tat schlägt der Gentechnik in Deutschland schon seit vielen Jahren eine Aversion und Feindlichkeit entgegen, die selbst unter eher vorsichtigen Analysten der modernen technologischen Entwicklung ungläubiges Staunen erregt. Dabei wirkt nicht nur die öffentliche Debatte teilweise irrational und töricht. Auch die politisch Verantwortlichen in der Bundesregierung, in manchen Landesregierungen und in einigen politischen Parteien vertreten in der Frage der Gentechnik Positionen, die dem Stand der Wissenschaft widersprechen.

Besonders besorgniserregend ist mit Blick auf den Konflikt um die Grüne Gentechnik die Tatsache, dass ideologische und religiöse Indoktrination, gepaart mit Demagogie, offensichtlich große Wirkung zeigen. Die Gegner der Pflanzenbiotechnologie machen sich dabei die Erkenntnis zunutze, dass die Menschen nicht nur nach Vernunft und Wissen handeln, sondern auch in sehr starkem Maße von Gefühlen bestimmt werden. Unsicherheit und Angst vor Entwicklungen, die man nicht kennt oder nicht von vornherein durchschaut, sind in diesem Kontext von großer Bedeutung. Denn wie man täglich beobachten kann, gibt es in unserer Gesellschaft zahlreiche Gruppen und Organisationen, die mithilfe der in diesem Fall keineswegs verantwortungsbewusst handelnden Massenmedien Angst verbreiten und verstärken, um ihre Vorstellungen zu verbreiten. Angst erhält auf diese Weise eine ökonomische und politische Dimension.

Angesichts einer leicht beeinflussbaren Bevölkerung, die leider dazu neigt, sich mit glauben zu bescheiden, anstatt sich über die tatsächlichen Verhältnisse kundig zu machen, ist es den Gegnern der Gentechnik gelungen, ihre sachlich falschen Botschaften erfolgreich zu vermitteln. Dank des mangelnden Wissens der Verbraucher fällt die langjährige und kampagnenartige Verurteilung gentechnisch veränderter Pflanzen und entsprechender Nahrungsmittel bis zum heutigen Tage auf fruchtbaren Boden. Enorme Gefahren – ungesunde Nahrung, ihrer Natürlichkeit beraubte Landschaften, zu Sklaven degradierte Landwirte, konzernabhängige Entwicklungsländer – drohen nach Auffassung zahlreicher Organisationen und mancher politischer Parteien. Sie verbreiten die negativ aufgeladenen Begriffe vom „Gen-Weizen“, vom „Gen-Gemüse“ oder vom „Gen-Mais“, die angeblich gefährlich seien und deren Anbau und Verkauf es deshalb zu verhindern gelte. Der Begriff des „Gens“, der inzwischen 100 Jahre alt ist und eine Grundeinheit des Lebens bezeichnet, wird durch die Gegner der Pflanzenbiotechnologie geradezu mit antiaufklärerischem Impetus zum Kampfbegriff umfunktioniert, der von vornherein Furcht und Ablehnung erzeugen soll.

Bereits seit mehreren Jahren geht die Ablehnung der Grünen Gentechnik so weit, dass selbst die dringend notwendigen Hilfslieferungen von Nahrungsmitteln in einige Länder Afrikas gefährdet und die Zulassung einer genveränderten Reissorte, die viele Millionen Menschen vor Mangelernährung und Blindheit bewahren könnte, verhindert wurden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es bis heute keinen Fall gibt, bei dem negative gesundheitliche Folgen von transgener Nahrung nachgewiesen werden konnten, erscheint das Verhalten jener Organisationen und Parteien, die sich in so radikaler Weise gegen die Grüne Gentechnik engagieren, moralisch fragwürdig.

Folgen des Fehlverhaltens

Die problematische Konsequenz der Vorherrschaft wissenschaftlich unhaltbarer Positionen zu Fragen der Gentechnik, der unkritischen medialen Verbreitung dieser Positionen und der fehlgeleiteten Politik in diesem Bereich liegt nicht allein darin, dass die Mehrheit der Bevölkerung in die Irre geführt und in Unkenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten gehalten wird. Deutschland vergibt auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik auch enorme Chancen für die Teilhabe an einer Technologie, die einen milliardenschweren Markt verspricht und weltweit ihren Siegeszug weiter fortsetzen wird. Zudem wandern nicht nur Forschung und Produktionsstätten – einschließlich ihres hervorragend qualifizierten Personals – ins liberalere Ausland ab. Auch die Investitionen in die Forschung gehen dorthin, wo der Anbau stattfindet und nicht durch Anschläge militanter Gentechnikgegner gefährdet wird. Zukunftsträchtige und wertvolle Arbeitsplätze werden durch das Fehlverhalten der Politik abgebaut oder entstehen erst gar nicht. Dabei ist es besonders grotesk, dass manche Organisationen, die sich auf diesem Gebiet gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft engagieren, den Status der „Gemeinnützigkeit“ innehaben.

Dass die moderne Technik der Genveränderung bei Pflanzen im Jahre 1983 am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln ihren Anfang nahm, aber hierzulande mehr als 25 Jahre später nur winzige Ackerflächen mit den Produkten der Genforschung bebaut werden, während Länder wie Indien, Argentinien und Brasilien in Kürze führende Positionen einnehmen werden, ist bemerkenswert. Es ist darüber hinaus zu beachten, dass die täglich erfahrbare Unfähigkeit der deutschen Politik, rationale und wirklichkeitsgerechte Entscheidungen für den Bereich der Pflanzenbiotechnologie zu treffen, die Politikverdrossenheit jener gebildeten Menschen unserer Gesellschaft verstärkt, die bislang davon ausgingen, dass gerade in einem demokratischen politischen System sinnvolle Entwicklungen möglich sind und nicht durch Willkürmaßnahmen verhindert werden, die sich die Unkenntnis und die Manipulierbarkeit eines großen Teils der Bevölkerung zunutze machen.

Notwendiger Wandel

Die geschichtliche Erfahrung lehrt uns, dass sich der technologische Fortschritt selbst dann regelmäßig durchsetzt, wenn starke gesellschaftliche Kräfte – aus welchen Gründen auch immer – ihn zu verhindern suchen. Auch auf dem Feld der Gentechnik gibt es keinen Rückwärtsgang. Schon heute finden sich Mais, Soja, Raps und deren zahlreichen Verarbeitungsprodukte in mehr als 60 Prozent der Lebensmittel, von der Schokolade über Pommes bis zu Margarine und Fertiggerichten. Und der Import transgener Produkte in die Europäische Union kann laut Beschluss der Welthandelsorganisation (WTO) längst nicht mehr beschränkt werden. Gleichwohl sollte man diese Entwicklung nicht dem Selbstlauf überlassen. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sollten vielmehr entschlossen zusammenwirken und beharrlich die notwendigen Veränderungen herbeiführen. Denn ohne ein nachhaltiges Gegensteuern würde es zu lange dauern, wieder an jene Nationen Anschluss zu finden, die auf dem Feld der Grünen Gentechnik der Bundesrepublik Deutschland weit voraus sind. Dabei gilt es nicht nur, sich gegen Forschungsverbote oder restriktive Eingriffe der Politik in die Wissenschaft zu wenden. Es wird auch notwendig sein, dass die Wissenschaftler ihre bisherige Zurückhaltung aufgeben, die öffentliche Auseinandersetzung suchen und die Deutungshoheit auf dem Gebiet der Pflanzenbiotechnologie zurückgewinnen.

Mit Blick auf die politischen Entscheidungsträger in Deutschland erscheint die Forderung unausweichlich, die immer wieder zu beobachtende Lernverweigerung und Beratungsresistenz abzulegen sowie den Mut aufzubringen, für die Nutzung der Grünen Gentechnik einzutreten. Wer die moderne Pflanzenbiotechnologie zu wenig unterstützt, verpasst nicht nur große Chancen für eine nachhaltige Entwicklung, sondern auch einen wichtigen Teil der nächsten industriellen Revolution.

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