08.01.2013

Freie Presse ohne Wenn und Aber!

Analyse von Mick Hume

Großbritannien galt lange als Musterland der Pressefreiheit. Doch seit dem News of the World-Abhörskandal steht sie unter Beschuss. Mick Hume, Editor-at-large des britischen Novo-Partnermagazins Spiked, über sein neues Buch, in dem er die Pressefreiheit ohne jede Einschränkung verteidigt

Was bewog den ehemaligen Herausgeber eines Magazins mit dem Namen Living Marxism (das bin ich) dazu, sich in einem neuen Buch und in etlichen in der Sun – dem publizistischen Flaggschiff des Murdoch-Imperiums – veröffentlichten Artikeln so eindeutig für die Freiheit der Boulevardpresse stark zu machen?

Als Mitte 2011 die ersten Berichte über den sogenannten News of the World-Abhörskandal [1] veröffentlicht wurden, entsetzte viele Beobachter vor allem das Ausmaß des aufgedeckten journalistischen Fehlverhaltens. Einige andere hingegen – darunter auch ich - fanden es noch viel besorgniserregender, dass sich im darauf folgenden Furor gegen die Boulevardmedien nur so wenige Stimmen für die Verteidigung der Pressefreiheit erhoben.

Es war ja nicht so, dass bloß die üblichen boulevardfeindlichen Politiker und Prominenten, die von einer Zeitung und einem einzigen Privatdetektiv zu verantwortenden Abhöraktionen dafür instrumentalisierten, gleich einen Kreuzzug zur Säuberung der gesamten Presse anzuzetteln. Viel schlimmer war, wie bereitwillig die angeblich größten Verteidiger der Meinungsfreiheit – also linke und liberale Journalisten, Lehrer an Journalistenschulen oder Bürgerrechtler – von einem Moment zum anderen bereit waren, die Seiten zu wechseln. Die meisten von ihnen scharten sich frei nach der Devise „Wir glauben an die Pressefreiheit, ABER…“ hinter Forderungen nach einer strengeren Regulierung der Presse, wie sie von einer zügig nach den Geschehnissen von der britischen Regierung einberufenen Untersuchungskommission unter Vorsitz des Lordoberrichters Sir Brian Leveson erhoben wurden – der sogenannten Leveson Inquiry [2].

Es war diese erneute Kriegserklärung an die Presse, die mich dazu bewog, mein neues Buch There is No Such Thing as a Free Press… And We Need One More Than Ever zu schreiben. Dabei stellte mich das Schreiben vor manche eigentümliche Herausforderung in unseren seltsamen politischen Zeiten. Nach wie vor bin ich ein Mann der Linken. In den 1980ern wurde ich – damals ein junger Propagandist - neben tausend anderen Druckarbeitern von Rupert Murdoch entlassen, da dieser seine Zeitungsproduktion verlagerte. Diese Massenentlassung führte zu monatelangen Demonstrationen und Konflikten mit der vor dem Werk stationierten Bereitschaftspolizei. Seit jeher kritisiere ich die „bürgerliche“ Presse - und nicht zuletzt die Boulevardpresse. Natürlich steht in diesen Blättern vieles, was nicht nach meinem Geschmack ist.

Trotzdem habe ich jetzt ein Buch geschrieben, das für die Pressefreiheit - und nicht zuletzt die der Boulevardpresse - eintritt und sich gegen linke und liberale Möchtegernregulierer richtet. Dabei sind es hier nicht meine politischen Ansichten, die sich verändert haben, sondern vielmehr das politische Umfeld, in dem wir uns befinden.

„Im Kampf um die Pressefreiheit geht es um nichts Geringeres als die Frage, was jedem einzelnen von uns eine freie Gesellschaft bedeutet.“

Die Zeit, in der wir heute leben, wird nicht länger vom alten Klassenkampf der industriellen Epoche bestimmt. Stattdessen prägt unsere moderne Welt ein Kulturkampf über solch fundamentale, demokratische Rechte wie die Meinungs- oder die Redefreiheit. In diesem Kulturkampf ist die Auseinandersetzung mit den Rufern nach einer keimfreien und an die Leine genommenen Presse eine der wichtigsten zu schlagenden Schlachten. Von ihrem Ausgang hängt die zukünftige Gestalt unserer Gesellschaft ab. Denn die Meinungsfreiheit ist das Fundament unserer modernen Zivilisation. Dabei ist die Pressefreiheit in all ihren Formen und Facetten die praktische Ausformung dieser grundlegenden Freiheit, weshalb sie in Großbritannien auch seit der Erfindung der Druckpresse vor mehr als 500 Jahren immer wieder hart umkämpft war.

Inwieweit diese Freiheit aus der Mode gekommen ist, wurde mir vor einiger Zeit anlässlich einer Konferenz jener politischen Partei in Großbritannien, die sich lächerlicherweise liberal-demokratisch nennt, wieder einmal vor Augen geführt. Auf einer Veranstaltung, in der über eine Kampagne mit dem Namen „Hacked Off“ [3] diskutiert wurde, die unter dem Banner einer „freien und rechenschaftspflichtigen Presse“ eben deren Durchregulierung fordert, war die Hauptattraktion der berühmte britische Komödiant und Schauspieler Steve Coognan - einer der namhaftesten Gegner der Boulevardmedien im Vereinigten Königreich. Mit seiner Äußerung, die Freie Presse sei „eine Lüge, verbreitet von Verlagsbesitzern und Chefredakteuren, denen es einzig und alleine um ihren Profit geht“ löste er einen wahren Beifallssturm unter all jenen aus, die sich selbst liberal und demokratisch nennen. Es klang genauso wie jene „radikalen“ Argumente über die Besitzverhältnisse der Presse, die meine alten Freunden auf der Linken früher sooft vorgetragen hatten.

Heute sollte man bei solchen Äußerung aber vielleicht einmal bedenken, was sie im Kontext der Debatte um Leveson und die Regulierung der Presse bedeuten. Pressefreiheit ist eine Lüge! Demzufolge scheint der Weg zur „Wahrheit“ darin zu bestehen, die Presse weniger frei zu machen. Stellen wir uns einmal vor, dass diejenigen, die durch die Geschichte hindurch für die Etablierung dieser Freiheit gekämpft und gelitten haben, die Dinge so wie dieser etwas lachhafte TV-Komödiant gesehen hätten. Wer von ihnen wäre bereit gewesen, zur Verteidigung einer bloßen Lüge in den Knast zu wandern?

Von der Murdochphobie geblendet scheinen viele liberale Journalisten, Akademiker und Aktivisten die wahre „Lüge“ geschluckt zu haben: Sie glauben nämlich, dass die Presse zu frei ist und deshalb aus dem Ruder läuft. Tatsächlich ist die britische Presse nicht einmal annähernd frei oder unabhängig genug. Und hier sitzen nicht nur die Pressebarone und Medienmogule auf der Anklagebank. Im Kampf um die Pressefreiheit geht es um nichts Geringeres als die Frage, was jedem einzelnen von uns eine freie Gesellschaft bedeutet.

Durch die Leveson Inquiry wurde diese Frage auf die Spitze getrieben. Leveson geht es nicht darum, die Presse zu zensieren, stattdessen soll eine sterile Atmosphäre von Konformismus erzeugt werden. Hierdurch ist eine neue Konfliktlinie entstanden, die quer zum traditionellen Links-Rechts-Schema verläuft, wie Peter Preston, ein früherer Redakteur des Guardian in einer scharfsinnigen Auseinandersetzung mit meinem Buch im Observer angemerkt hat.

Aber dieser Kampf um die Redefreiheit begann nicht erst mit dem Abhörskandal. Der auf den Abhörskandal folgende Kreuzzug zur Säuberung der Presse und die Leveson Inquisition haben einen der wichtigsten politischen Trends, der von manchen von uns bereits seit 25 Jahren bekämpft wird, einfach nur weiter zugespitzt.

So haben wir beispielsweise bereits seit der Kontroverse um Salman Rushdies Satanische Verse Ende der 1980er Jahre das Recht, beleidigend und verletzend sein zu dürfen, verteidigt. Weniger weit zurückliegend, hat Spiked eine Kampagne gegen die in Großbritannien weit verbreitete Kultur des „DAS darf man nicht sagen!“ geführt. Diese Kultur hat sich zuerst in den Universitäten mit Verhaltens- und Sprachkodizes manifestiert, sich dann zunehmend auch in der Politik ausgebreitet, die Presse und die Fußballplätze (z.B. Singverbote für Fußballfans [4]) erobert und letztlich sogar als eigentlich freie angesehene Sphären des Internets, wie Twitter [5], infiziert.

Darüber hinaus wird der Kulturkampf gegen die Pressefreiheit von etwas genährt, das Spiked schon seit langem als größtes politisches Problem unserer Zeit identifiziert hat: den Vertrauensverlust in Hinblick auf die Fähigkeit der Menschheit, ihre eigene Geschichte schreiben zu können. Die Geschichte zeigt – vereinfacht gesprochen - dass jene, welche die Masse der Menschen und deren Leidenschaften fürchten und verabscheuen, schon immer dafür waren, stärker zu kontrollieren, was wir schreiben und lesen dürfen. Andererseits haben jene, die sich für eine uneingeschränkt freie Presse einsetzen, schon immer an die Fähigkeit der Menschen geglaubt, selbst zu urteilen und für sich selbst zu entscheiden, was sie als wahr erachten wollen und was nicht. Heute zeigt sich im schwachen Eintreten der liberalen Elite für die Pressefreiheit die eklatante Geringschätzung, mit der Autoritäten und Experten auf die große Mehrheit der Menschheit herabblicken. Diese müssen - angeblich zu ihrem eigenen Besten - vor gefährlichen Wörtern und Bildern geschützt werden.

Deshalb ist die Verteidigung der Pressefreiheit nicht nur für jene, denen die Meinungs- und die Redefreiheit am Herzen liegt, ein zentrales Thema, sondern vielmehr für alle, die eine humanistische, menschenzentrierte Weltsicht für die Zukunft erhalten wollen. Aus dieser Motivation habe ich mein kleines Buch über die Pressefreiheit geschrieben. Im gleichen Interesse habe ich Living Marxism herausgegeben und später dabei geholfen, Spiked mit aufzubauen - als Waffen im Kampf für die menschliche Emanzipation. Wie der Untertitel des Buchs andeutet, brauchen wir – heute mehr denn je - eine mannigfaltige, unabhängige und freie Presse, wenn wir das Leben leben und die Zukunft gestalten wollen.

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