09.08.2013
Pestizide: Erst die Dosierung macht das Gift
Von Martin Ballaschk
Eine Studie des BUND hat Pestizide im Urin von Großstädtern festgestellt. Bei Licht besehen liegen die Werte jedoch – ungeachtet aller Aufregung – deutlich innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Erst die Dosierung macht ein Gift zum Gift, meint der Biologe Martin Ballaschk
„Es ist erschreckend, dass fast die Hälfte der Bewohner von Großstädten in Europa Glyphosat im Körper hat“, findet Huber Weiger [1], Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der BUND und dessen Dachverband Friends of Earth hat ein analytisches Gutachten [2] in Auftrag gegeben, das die Menge des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat im Urin von Großstädter/innen quantifizieren sollte. Die Resultate sind an sich zwar plausibel und die Analysemethode technisch nicht zu beanstanden, allerdings hat der BUND bei der Interpretation der Ergebnisse den guten alten Paracelsus vergessen, den Vater der Toxikologie: [3]
und nichts ist ohne Gift;
allein die Dosis macht’s,
dass ein Ding kein Gift sei.“
Es wäre nicht das erste Mal innerhalb der letzten fünfhundert Jahre, dass das mit der Dosis und dem Gift falsch verstanden wird.
Für die Studie wurde ein äußerst empfindliches, wenn auch bisher noch nicht publiziertes Verfahren angewendet. Die Nachweisgrenze lag bei 0,15 Mikrogramm je Liter (µg/L) Urin. Zum Vergleich: Ein einzelnes Zuckerkörnchen wiegt zwischen 25 und 250 Mikrogramm [4], man könnte mit der Methode also ein einzelnes Zuckerkorn in mindestens 10 Liter Flüssigkeit nachweisen.
Und trotzdem konnte in den Proben von etwa der Hälfte der Studienteilnehmer/innen gar kein Glyphosat nachgewiesen werden, wie Hubert Weigner zu Beginn schon sagte. Das ist aber noch längst kein Grund zum Feiern, denn in den restlichen Proben fanden sich Mengen von bis zu 1,8 µg/L. Ist dieser maximale Wert denn bedenklich?
Das Bundesinstitut für Risikobewertung rechnet vor [5] (es nimmt mir damit einen Batzen Arbeit ab und macht damit diesen Artikel erst möglich):
Man beachte: Dieser Wert liegt noch im gesetzlichen Rahmen, obwohl er zwischen etwa fünfhundert bis tausend Mal höher liegt, als die am stärksten belastete Probe aus der BUND-Studie. Denn egal, wie man zu Unkrautvernichtungsmitteln wie Glyphosat steht: Ihre Verwendung ist erlaubt und gesetzlich reglementiert. Landwirte setzen sie auf ihren Feldern ein und ein Teil wird auch von den Nutzpflanzen aufgenommen. Deswegen existieren Grenzwerte für die Gehalte in Lebensmitteln, die ausschließen sollen, dass eine zu hohe Dosis das Pestizid zum Gift macht. Und in diesen geringen Dosen ist Glyphosat kein Gift.
„Das Aufspüren kleinster Schadstoffmengen hat zur Folge, dass überall alles gefunden wird.“
In unserer Nahrung sind abertausende von Substanzen, die in der entsprechenden Dosierung giftig wären: Kalium etwa verursacht schwere Herzrhythmusstörungen, aber Bananen enthalten relativ viel davon [6] und gelten deshalb sogar als gesund! Viele natürliche Stoffe, die Pflanzen selbst produzieren, werden als krebserregend diskutiert [7], von den meisten Pflanzenstoffen weiß man aber nichts über ihre genaue Wirkung auf den menschlichen Körper. Und wenn der Chefredakteur von Ökotest [8] sagt: „Wir brauchen Mineralstoffe, wir brauchen Vitamine“ aber „Pestizide sind immer per Definition Giftstoffe“ – dann ist das einfach falsch. Es macht also keinen Sinn, eine kleine Gruppe von Substanzen wie die synthetischen Pestizide pauschal und dosisunabhängig zu verteufeln. Im Gegenteil, denn diese Stoffe sind gemäß gesetzlicher Vorschrift sehr genau charakterisiert und dürfen daher bei Einhaltung der wissenschaftlich bestimmten Grenzwerte als unbedenklich gelten.
Die Studie wurde mit dem Preis der „Unstatistik des Monats Juni 2013“ [9] gewürdigt. Prof. Wolfgang Krämer spricht in der Urteilsbegründung einen weiteren Mangel der Studie an:
Denn die eigentlichen Probleme fangen bei der Überinterpretation der dürftigen Ergebnisse an. Nicht nur der BUND findet die eigenen Befunde natürlich „erschreckend“ und behauptet atemlos, dass man mit „verheerenden“ Gesundheitsschäden bis hin zu „irreversible[n] Auswirkungen auf besondere Lebensabschnitte […], etwa auf eine Schwangerschaft“ rechnen könne; sondern auch schon die ersten Politiker/innen, darunter Brigitte Zypries [10] tönen:
Harald Ebner, grüner Sprecher für Agrogentechnik meint [11] angesichts des BUND-Berichts:
So wird aus einer Mücke ein Zoo aus Elefanten gemacht, die man auf die Bevölkerung loslässt, und die in heller Panik das Weite sucht. Oder auch nicht – gerade von den Grünen ist man unwissenschaftliche Panikmache ja inzwischen gewöhnt.
Hinzu kommen noch ein paar methodische Mängel der Studie, die aber den Befund der geringen Hintergrundbelastung nicht infrage stellen: Nirgends werden die Studienteilnehmer/innen charakterisiert (Geschlecht, Alter, Körpergewicht, Ernährung, wie wurde die Stichprobe gewonnen), oder auch die Proben (wann und von wem entnommen, was wurde vorher gegessen, getrunken). Die Zahl der Teilnehmer/innen war mit 182 Personen auch eher klein und wahrscheinlich nicht repräsentativ. Vielmehr lässt sich dazu aber nicht sagen, es steht einfach nichts dazu im Bericht.