01.11.1999

PDS kommt stark heimatlich

Kommentar von Alexander Ewald

Angesichts der beachtlichen Wahlerfolge der PDS fragt sich Alexander Ewald: Ist das ”links” oder werden die östlichen Bundesländer nun (gegrüßt sei Amitai Etzioni) zur ersten kommunitaristischen Republik auf deutschem Boden?

Die Landtagswahlen in Ostdeutschland haben endgültig Gewissheit gebracht: Die PDS ist der unbestrittene Wahlsieger und als zweitstärkste Kraft zur ”Volkspartei” avanciert. Dies musste nun auch die CDU anerkennen, die lange Zeit davon ausging, dass sich die ”Übergangserscheinung” PDS mit den Fortschritten bei der Vereinigung von selbst erledigen würde.
Die PDS feiert nicht nur im Osten neue Erfolge. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist es ihr erstmals gelungen, auch im Westteil der Stadt ein stattliches Wählerpotential zum mobilisieren. Immerhin knapp fünf Prozent der Westberliner gaben der PDS ihre Stimme. Die Partei wirkt kompetent, intelligent, aufrichtig und ihr Führungspersonal gelegentlich sogar ausgesprochen charmant.
Die Erfolge der PDS werden vor allem darauf zurückgeführt, dass sie die einzig verbleibende politische Kraft sei, die für soziale Gerechtigkeit eintritt und so in eine Lücke stößt, die ihr die SPD kampflos überlässt. Das mag partiell zutreffen. Die PDS hat aber eher eine Marktlücke gefunden, die etwas vielschichtiger ist. Sie fand im Westen mit ihrer einsamen Opposition gegen die Kosovo-Politik der rot-grünen Regierung unter Kriegsgegnern Respekt. Und Gregor Gysi erscheint als ein Mann, der immerhin noch politische Ideen und ein Gehirn besitzt, wo andere nur noch Politmarketing kennen.

Aber ihre Erfolge verdankt die PDS weniger diesen Attributen als ihrem Eintreten für die ostdeutsche Seele. Sie bezieht sich auf das Empfinden vieler Menschen in den Neuen Ländern, Opfer westdeutscher Willkür oder Gleichgültigkeit zu sein, und will daraus ein ostdeutsches Wir-Gefühl, ein originär ostdeutsches Selbstbewusstsein destillieren. In einem Positionspapier der PDS zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses wird deutlich, dass auch das Schlagwort soziale Gerechtigkeit im ostdeutschen Kontext diese besondere regionalistische Wendung erhält. Dort heißt es, die ”Erblast der Einheit” bestehe in der ”materiellen Enteignung und ideellen Deklassierung der Masse der Ostdeutschen”.
Die PDS spricht damit zweifellos etwas Wahres an. Trotz massiver Mittel, die in den letzten zehn Jahren in die östlichen Bundesländer geflossen sind, ist die Gleichheit der Lebensbedingungen in Ost und West längst nicht realisiert. Aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftskraft sind nicht nur die Löhne in Ost und West verschieden, auch die Arbeitslosigkeit bleibt im Osten beharrlich auf erheblich höherem Stand. Dies und viele andere Benachteiligungen sind bekannt, wie auch die Tatsache, dass mit den Bürgern der Ex-DDR in der Nachwendezeit rüde umgegangen wurde. Nur ist das Kultivieren einer rückwärts gerichteten Opfermentalität nicht unbedingt der geeignete Weg, Besserung herbeizuführen. Eher fördert es ein passives, in sich gekehrtes, provinzielles Denken, das Menschen erst recht Opfer ihrer Umstände werden lässt, ihnen aber gleichzeitig ein irrationales Empfinden moralischer Überlegenheit suggeriert.

“Die Ostdeutschen sieht die PDS offenbar als Opfer eines westlichen Kulturkampfes, der darauf abzielt, diesen ihre Identität zu rauben”

Die PDS verfolgt auf dieser Grundlage eine Doppelstrategie. Sie will als ”ostdeutsche Stimme in Deutschland vernehmbar sein” und gleichzeitig ihr gesamtdeutsches Profil als linke Partei durch Betonung der sozialen Gerechtigkeit stärken. Besondere Bedeutung erfahren im Osten aber die ideellen Zumutungen des Westens, denn diese erscheinen eher als reine Willkür, während auch PDS-Regierungen an den materiellen Probleme wenig Grundlegendes ändern könnten.
Die Ostdeutschen sieht die PDS offenbar als Opfer eines westlichen Kulturkampfes, der darauf abzielt, diesen ihre Identität zu rauben. In Bezug auf die Einigung wurde jüngst von den Fraktionsvorsitzenden der PDS im Berliner Abgeordnetenhaus behauptet: ”Die Ostdeutschen wollten nicht Westdeutsche werden.” Als konstruktiver Schritt zur Überwindung der Teilung ist diese Rhetorik wohl kaum zu verstehen. Stattdessen wird an ein ostdeutsches ”Wir-Gefühl” appelliert, das als Reaktion auf die schlechten Erfahrungen mit der Vereinigung legitim erscheint. Die gängige Volksweisheit hierzu geht so: ”Der Osten tickt anders.”
Das Bedenkliche ist, dass in Ostdeutschland die Zahl derjenigen zunimmt, die diese Form einer regionalen Opferidentität verinnerlichen. Die Meinungsforscher von Infratest/Dimap ermittelten, dass 47 Prozent der PDS-Wähler sich durch die Vereinigung ungerecht behandelt fühlen. Deutlich ist ebenfalls, dass die Erfahrungen mit dem westlichen Kapitalismus und der Verlust sozialer Strukturen, wie sie die ehemalige DDR kannte, in der Ostalgie-Welle verarbeitet werden. Nicht selten wird auf größere Solidarität und Menschlichkeit im untergegangenen DDR-Staat verwiesen. Alles zwar verständlich, aber wohl kaum das Zeug, aus dem politische Träume gemacht werden.

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