25.09.2012
Parteilichkeit oder offene Debatte? Zur doppelten EU-Einseitigkeit in Sachen Rumänien
Auf satirische Art und Weise nähert sich der rumänisch-österreichische Germanist und Autor Vasile V. Poenaru der aktuellen Debatte um die politischen Verhältnisse in seinem Heimatland Rumänien. Auch die selbsternannten „Rumänien-Experten“ im Westen sind nicht frei von Doppelmoral
Motto: „Höre, wie zu Lust und Taten altklug sie raten!“ (Faust I)
Wem gehört das rumänische Verfassungsgericht? Niemandem! Das Gericht ist frei! Das Gericht ist gerecht! Das Gericht ist unabhängig, und was dieser Tage so immer auch an Korruption über die gesamte rumänische Gesellschaft schwemmt, hier macht es halt, hier, an der Pforten des Gerichts, das die Verfassung schützen soll. Sei gerecht, heißt es schon bei Kafka – um gar nicht mehr erst Goethe zu bemühen.
Wem das rumänische Verfassungsgericht gehört? Dem Vaterland und den Idealen! Oder besser: dem Volk, dem europäischen Volk. Gibt’s nicht? Dann eben dem Völkerbund, dem gemeinschaftlichen Geist einer korporatistisch ausgerichteten ... was? verfehlt? ... also wie gesagt dem gemeinschaftlichen, dem gemeinen, dem…. Ein Ausrutscher! Schon wieder.
Nein, versuchen wir’s doch lieber mal ganz abstrakt: Das rumänische Verfassungsgericht gehört der absoluten Gerechtigkeit ... Auch das klingt blöd. Dann vielleicht etwa dem Rechtsstaat?
Jaja, das wird‘s wohl sein. Dem Rechtsstaat. Der Begriff ist ja sozusagen gang und gäbe. Schon José Manuel Barroso, der Mann, der 2005 eine Woche auf der Luxusyacht des griechischen Tycoons Spiro Latsis verbrachte, um sich mal ein bisschen zu entspannen, sagte kürzlich in Florenz auf einer Sitzung des Büros der Fraktion der Europäischen Volkspartei, er sei stolz auf die Rolle, die die Europäische Union und die Europäische Kommission bei der „Wiedereinführung des Rechtsstaats“ in Rumänien gespielt haben – wobei Rechtsstaat wohl als Synonym für Băsescu gedeutet werden darf. Ein politisches Statement. „Das sind die Kleinen von den Meinen“, würde Mefisto sagen, wenn seine Leute abgestezt werden sollten. Zeitgemäß unwirsch ausgedrückt? Pfoten weg von den Meinen! Schulterschluss ist nämlich sehr gesund.
„Die EU ist ein Gegengift für demokratische Regierungen“, so Barroso im Oktober 2010, ein sehr wohl nötiges Gegengift, „da die meisten demokratisch gewählten Regierungen sehr oft das Falsche tun“.
Vertrauensvotum, Absetzungsverfahren und dergleichen mehr ... Abscheulich! Wer im Sattel sitzt, der sitzt eben im Sattel. Ein bisschen Gegengift, und schon ist man die lästige Demokratie los! Ein offenes Wort. Am schlimmsten ist es, wenn das Volk abstimmen darf. Die Oberen Zehntausend in Europa aber kriegen jedes Problem unter Kontrolle.
Und wer kontrolliert das rumänische Verfassungsgericht? Niemand! Fünf seiner neun Mitglieder hissen freilich Băsescus Fahne (Der Präsident des Verfassungsgerichts, Augustin Zegrean, wurde sogar von Băsescu persönlich eingesetzt), weswegen der Volksmund wahrscheinlich auf diese Stichfrage „Băsescu“ antworten würde, und nicht „niemand.“ Doch vielleicht klingt es ja besser so. Als sieben Millionen Rumänen sagten, sie wollen den mit allen Wassern gewaschenen Landesvater loswerden (Und: sieben Millionen, das ist schon was; es sind ja nicht alle Wahlberechtigten zum Referendum gegangen, die Băsescu satt sind; viele sind deswegen zu Hause geblieben, weil sie zwar Băsescu gerne Good bye! Ahoi! sagen würde, nur, dass Ponta bleibt und als Sieger dasteht, wäre ihnen ja auch nicht recht gewesen), könnte man das ganz im altgriechischen Sinne so umdrehen: „Volk, du blutest, wer hat dir das angetan?“ „Niemand hat mir was angetan!“
Und so macht er sich er auch dieses Mal brav davon, dieser umstrittene Odysseus der rumänischen politischen Seefahrt, ohne allerdings allzubald wieder so richtig zu Hause anzukommen. Denn es will ihn ja – abgesehen von Reding und Barroso – kaum einer.
„Erlkönig hat mir weh getan!“ (Ja, jetzt hat sich Goethe schon wieder sozusagen durch die Hintertür der Debatte eingeschlichen) Der König. Mihai I von Rumänien, den Băsescu mal als „Knecht der Russen“ bezeichnet hat. Kann er nicht als Sündenbock herhalten? Spaß beiseite. Die Frage, wer was und wen kontrolliert, ist – auch in Rumänien – eine sehr ernsthafte Frage.
„Rumänien will zu CIA-Foltergefängnissen ermitteln“, meldet am 12. September 2012 die österreichische Tageszeitung „Der Standard“. Irgendjemand muss die dreckige Arbeit jenseits der Legalität verrichten, das leuchtet ein – „weil derartige Praktiken in den USA verboten sind“.
Derartige Praktiken ... also gemeint ist hier doch die Folter? In Rumänien durchaus salonfähig, oder was? Ich meine, wir wollen alle gerne den Rumänen die Leviten lesen, weil uns Recht und Moral sozusagen über alles gehen, doch wenn wir aus „praktischen“ Gründen mal ein gutes, zuverlässiges, rechtloses Land brauchen, ja dann…
Ja dann freuen wir uns. Denn bei uns zu Hause darf man sich nicht unbestraft derartigen Praktiken widmen. Klammer zu, bleiben wir bei der Sache. Das heißt: „Wem gehören die geheimen CIA-Foltergefängnisse in Rumänien? Wie? Das ist was völlig anderes? Nicht auf der Tagesordnung? Ja bringen wir’s doch auf die Tagesordnung. Wir, das Volk, das europäische Volk, oder wie immer wir uns auch nennen wollen.
Zum Glück haben wir die Presse. Schnell (und auch gut?) selektiv aus dem Rumänischen übersetzen, und nichts wie in die journalistische Rotationsmaschine damit: „In Rumänien werde Reding zwar sehr ernst genommen, “in anderen Ländern, wenn ich ehrlich bin, nicht”, so Ponta laut dem Interview, aus dem rumänische Medien am Samstag zitierten.“
„Um mal ein offenes Wort zu sprechen“ („sincer să fiu“), das hatte Ponta gesagt, und keineswegs etwa „wenn ich ehrlich bin“. Hand aufs Herz, der falscherweise als Entsprechung des Englischen „to be onest“ empfundene Ausdruck „wenn ich ehrlich bin“ wird im Deutschen oft mit irreführenden Nebenwirkungen missbraucht, und wir wollen dem „Standard“ nicht allzu böse sein, dass er nicht merkt, wenn mal was nicht sitzt. An Experten in Sachen Rumänien fehlt es jedenfalls offensichtlich kaum – wenn ich ehrlich bin.
Es ist halt leicht, sich anzustecken. Es ist leicht, Rumänien-Experte zu werden und im Sprechchor zu bekunden, etwas sei morsch im Staate Euromark – nein, da sind wir schon wieder bei einem anderen Thema: im Staate Ponta-Băsescu. Stark. Rüstig. Moralisch wohlauf und vorbildlich mit einem sternbedeckten Himmel zugedeckt? Ja das sind sie beide – oder jedenfalls geben sie es an.
Wem wollen wir Glauben schenken? Besser: Ist es wirklich nötig, dass wir einem der beiden glauben? Băsescu ist erfahrener, gerissener, er war mal Schiffskapitän, er scheint zu wissen, was er tut. Ponta scheint nicht zu wissen, was er tut. Stupid is as stupid does, so wusste es schon Forrest Gump kurz und bündig auf den Punkt zu bringen. Also dann: Wer macht es besser? Wer gebärdet sich blöder? Oder lassen wir es doch einfach auf eine pragmatische Lösung der Krise ankommen – ja, ich bin mittlerweile ein ganz gewiegter Politiker – und Rumänien-Experte: „Alles mal herschauen! Europa?! Mitte links stellt sich hinter Ponta, Mitte rechts hinter Băsescu, bitte! Say cheese!...“ Klick Kamera! Total unantastbar.