30.05.2017

Panikmache um sterbende Vögel

Essay von Frank Nagel

Titelbild

Foto: brenkee via Pixabay / CC0

Grüne dramatisieren den Verlust von Vogelarten und hantieren dabei mit dubiosen Zahlen. Die Rolle von Pestiziden wird übertrieben, die Folgen der Energiewende auf die Artenvielfalt ausgeblendet.

Uns droht ein stummer Frühling, denn die Vögel sterben aus. Das liegt daran, dass die Insekten aussterben. Sagen die Grünen. Während ich auf meinem Balkon an diesem Text sitze, singt und zwitschert die Vogelwelt um mich herum, genauso lautstark wie in jedem Frühjahr. Insekten wärmen sich an der Hauswand, die erste Hornisse ist auf der Jagd. Betreiben die Grünen wieder einmal Panikmache oder lebe ich nur auf der letzten ökologisch funktionierenden Insel?

Das ist wieder so ein Thema, bei dem ich zwischen den berühmten Stühlen sitze. Einerseits finde ich Naturschutz wichtig, andererseits nervt mich übertriebene Panikmache. Noch „andererseitser“ ist mir aber schon klar, dass man ein wenig übertreiben oder sogar etwas Panik verbreiten muss, wenn man gehört werden will. Insofern kann ich die Grünen verstehen. Aber wenn man zu sehr übertreibt, geht es auf Dauer nach hinten los. Man macht sich unglaubwürdig, wenn es dann doch nicht so schlimm ausgeht, wie es zunächst schwarz an die Wand gemalt wurde. Wenn in einigen Jahren immer noch Vögel und Insekten existieren, werden die Leute sagen: „Na, die Grünen mal wieder“ … falls dann, nach weiteren Wahlen, überhaupt noch Grüne existieren. Aber unabhängig von solchen Überlegungen zweifle ich gern alles Mögliche an.

Mein jüngstes Objekt des Zweifels sind die kürzlichen Meldungen der Grünen im Bundestag:

„die Situation der Vögel in Deutschland ist dramatisch. Viele Vogelarten können wir kaum noch beobachten und ihren Gesang hören. Es droht ein stummer Frühling. Seit 1990 sind besonders die Vögel der Agrarlandschaft bedroht (…) Insgesamt kommt so ein Verlust von rund 300 Millionen Brutpaaren seit 1980 und 2010 zu Stande (…) Ausgeräumte Landschaften, der Einsatz von Pestiziden und der Rückgang von Nahrung schwächen die Populationen. Durch den massiven Einsatz von Pestiziden sterben immer mehr Insekten, laut Bundesregierung gibt es massive Rückgänge der Insektenbiomasse von bis zu 90 Prozent. Das wiederum führt zu einem geringen Nahrungsangebot für Vögel. Für 25 von 39 europäischen Vogelarten sind die Trends negativ.“

„Betreiben die Grünen wieder einmal Panikmache oder lebe ich nur auf der letzten ökologisch funktionierenden Insel?“

Dass viele Tierarten bedroht sind, ist mir bewusst. Das betrifft auf jeden Fall auch Vogelarten. Aber klingt es realistisch, dass die Insektenbiomasse um bis zu 90 Prozent zurückgegangen sein sollte? Deckt sich dieser hohe Wert mit eigenen täglichen Beobachtungen? Vor einigen Tagen wurde noch einmal nachgelegt:

„Es summt und brummt nicht auf den Wiesen und Feldern und auch kaum ein Zwitschern ist zu hören. Der Frühling bleibt stumm. Die dramatische Situation der Vögel mit Einbußen von über 50 Prozent in den letzten 20 Jahren ist mittlerweile breit bekannt. Erschreckend ist aber auch die Situation der Schmetterlinge. Diese für das Ökosystem so wichtigen Insekten verschwinden zunehmend. Eine von der Bundestagsfraktion beauftragte Studie zur Situation der Schmetterlinge kam zu dem erschreckenden Ergebnis, dass allein 40 Prozent der Tagfalter vom Aussterben bedroht sind. (…) Für das Flächen- und Agrarland NRW ist die Untersuchung noch alarmierender. Dort sind fast 70 Prozent der Tagfalter gefährdet.“

Wenn man das liest, klingt es so, als gäbe es bei uns nur noch halb so viele Vögel wie früher und kaum noch Schmetterlinge und Insekten. Bei Schmetterlingen kann ich mir einen Rückgang sogar vorstellen, mein persönlicher Eindruck ist auch, dass sie weniger geworden sind. Aber woher haben die Grünen diese Zahlen? Und warum wirkt sich der massive Rückgang von Insekten dann nicht auch auf andere insektenfressende Tierarten aus? Müssten wir in diesem Fall zum Beispiel nicht auch einen massiven Rückgang von Fledermäusen beobachten? Der letzte vorliegende Nationale Bericht zum Fledermausschutz (2010) verzeichnet überwiegend stabile Bestände oder sogar positive Bestandsentwicklungen.

„Wenn man das so liest, klingt es so, als gäbe es bei uns nur noch halb so viele Vögel und kaum noch Schmetterlinge und Insekten.“

Selbst im Bundesland Nordrhein-Westfalen, welches wegen seiner großen Agrargebiete und der damit verbundenen Intensivierung der Landwirtschaft und dem Einsatz von Pestiziden von den Grünen am meisten kritisiert wird, hat man stabile oder wachsende Bestände an Fledermäusen. Nur eine Art, die Breitflügelfledermaus hat regional mäßig abgenommen. Wie passt das zusammen mit einem allgemeinen Insektensterben?

Fragwürdige Statistiken

Die Grünen haben ihre Angabe eines Insektenrückgangs von bis zu 90 Prozent aus der Antwort auf ihre Kleine Anfrage im Bundestag „Stummer Frühling – Verlust von Vogelarten“. Zunächst fällt in dieser Antwort ein kleines Detail auf. Während die Grünen schreiben „die Situation der Vögel in Deutschland ist dramatisch. (…) Insgesamt kommt so ein Verlust von rund 300 Millionen Brutpaaren seit 1980 und 2010 zu Stande“, was also nach einem Rückgang von 300 Millionen Brutpaaren in Deutschland klingt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung: „Auf einen Verlust von rund 300 Millionen Brutpaaren werden die Rückgänge in der Agrarlandschaft der Europäischen Union zwischen 1980 und 2010 veranschlagt“. Natürlich ist ein Rückgang von 300 Millionen Brutpaaren schlimm, aber warum muss hier noch künstlich weiter dramatisiert werden, indem man es so darstellt, als gelte diese hohe Zahl nur für Deutschland, obwohl sie den Zustand in der viel größeren EU beschreibt? Was soll dieser Unsinn? Genau mit solchen Übertreibungen macht man sich unglaubwürdig.

Wie viele Vogelarten gefährdet sind, geht lediglich aus der Anzahl der in den „Roten Listen“ aufgeführten Vogelarten hervor. Deren aktuelle Zahl sagt aber nichts über eine Tendenz aus.

Als man die „Roten Listen“ 1962 einführte, legte man Gefährdungsgrade fest und ordnete bekannte Tierarten dort ein, die man für mehr oder weniger gefährdet hielt. Manche Arten kamen später hinzu, manche wurden auch wieder herausgenommen. Manche Arten sind seit Beginn in dieser Liste. Teilweise nur deshalb, weil sie schon immer nur in wenigen geeigneten Biotopen vorkamen. Um Tendenzen abzuleiten, müsste man die momentan bedrohte Artenmenge mit früheren Versionen der Roten Liste vergleichen. Ein solcher Vergleich ist in der Antwort nicht enthalten. Eine sinkende Tendenz wurde lediglich für Agrarlandschaften mit dem „Farmland Bird Index“ ermittelt.

„Wie viele Vogelarten gefährdet sind, geht lediglich aus der Anzahl der in den ‚Roten Listen‘ aufgeführten Vogelarten hervor. Deren aktuelle Zahl sagt aber nichts über eine Tendenz aus.“

Zum Rückgang der Insekten wird in der Antwort der Bundesregierung erwähnt, dass die Angabe für den Rückgang von bis zu 90 Prozent aus einem Forschungs- und Entwicklungsvorhaben stammt:

„Die Angaben bezüglich des Rückgangs der Insektenbiomasse können aus heutiger Sicht aus einem laufenden F+E-Vorhaben („Biodiversitätsverluste in FFH-Lebensraumtypen des Offenlandes) mit Vergleichsstudien dahingehend ergänzt werden, dass es sich bei diesen Rückgängen um ein überregionales Problem handelt, mit massiven Rückgängen der Insektenbiomasse von bis zu 90 Prozent in zahlreichen Insektengruppen bis hin zum Verlust von Arten.“

Leider kann man dieses F+E-Vorhaben online nicht lesen. Eine entsprechende Anfrage von mir wurde bisher noch nicht beantwortet. Erwähnt wird aber als weitere Quelle der Statusbericht „Vögel in Deutschland 2014“. Darin findet sich auch die Bemerkung eines Rückganges der Insekten um bis zu 90 Prozent:

„Haben Insekten in unserer Landschaft also stark abgenommen? Darüber gibt es nur wenige belastbare Angaben. Aus standardisierten Erfassungen des Entomologischen Vereins Krefeld geht hervor, dass der Verlust der Insektenbiomasse zwischen den 1980er Jahren und heute rund 90 % beträgt.“

Eine interessante Aussage: Man kann Tendenzen der Insektenbestände also kaum belegen (es „gibt es nur wenige belastbare Angaben“) und man kann nur eine Datenquelle für konkrete Messergebnisse angeben: den Entomologischen Verein Krefeld. Die verwendeten Daten dieses Vereins dürften aus dieser Publikation stammen: „Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise Fallen in den Jahren 1989 und 2013“. Das wurde mir bei meiner Anfrage in diesem Verein auch so bestätigt. In diesem Artikel wird tatsächlich ein starker Rückgang der Insekten-Biomasse beschrieben: Er lag bei über 75 Prozent. Gemessen wurde, indem man Fallen für flugfähige Insekten aufstellte. In ihnen befanden sich Behälter mit Alkohol, worin die Insekten jeweils verendeten. Dadurch konnte man später deren Trockenmasse wiegen. Gemessen wurde das in den Jahren 1989 und 2013, jeweils einmal wöchentlich, 24 Mal zwischen April und Oktober. Auf der letzten Seite des Artikels findet sich der Satz: „In einzelnen Vergleichen der Leerungsintervalle sinkt die Biomasse 2013 sogar auf unter 10% der Werte aus dem Jahr 1989.“ Sollte dies die Quelle für den behaupteten Rückgang um 90 Prozent sein? Dass einzelne Leerungen deutliche Abweichungen vom Durchschnitt zeigen, kann aber schon damit zusammenhängen, dass es in den betreffenden Wochen im Jahr 2013 zu kühl für die Insekten war oder dass umgekehrt 1989 sehr positive Bedingungen herrschten. Solche kurzfristigen Vergleiche sind also kaum verallgemeinerbar.

„Man kann nur eine Datenquelle für konkrete Messergebnisse angeben: den Entomologischen Verein Krefeld.“

Diese Untersuchung ist aber auch nicht auf ganz Deutschland oder gar die EU verallgemeinerbar, denn das untersuchte Naturschutzgebiet, der Orbroicher Bruch, ist mit nur 100 Hektar, also einem Quadratkilometer, ein relativ kleines Gebiet. In seiner Umgebung findet eine landwirtschaftliche Nutzung statt, die erst in jüngerer Zeit intensiviert wurde. Dass unter solchen Bedingungen vor allem aufgrund der vermehrten Nutzung von Pestiziden der Insektenbestand zurückgeht, ist leider verständlich. Aber eine Zunahme landwirtschaftlich genutzter Fläche ist kein allgemeiner Trend in Deutschland. Ganz im Gegenteil hat man seit Ende der 1980er Jahre Flächenstilllegungen betrieben und finanziell gefördert. Solche Maßnahmen wirkten sich nachweisbar positiv auf die ökologische Vielfalt aus.

Abbildung 1, die aus dem Statusbericht „Vögel in Deutschland 2014“ stammt, beschreibt die Bestandsentwicklung. Insektenfressende Arten sind in der fünften Säule von links zu sehen. Über einen längeren Zeitraum hinweg (25 Jahre, obere Reihe in der Grafik) blieb ihr Bestand insgesamt etwa gleich. Steigende Pfeile verdeutlichen eine Zunahme von Brutpaaren, sinkende eine Abnahme. Auch wenn einzelne Arten bedroht sind und wenn ihre Nahrungsmenge in manchen Gegenden geringer wird, so lässt sich eine allgemeine Abnahme der Nahrungsquelle, also der Insekten, hier nicht ablesen (die in der Grafik mit angegebenen Beutetiere Spinnen fressen ebenfalls Insekten und müssten dadurch in gleichem Maß verschwinden). Eine sinkende Tendenz, also größere rote Bereiche, sind aber in der unteren Reihe sichtbar, wo die kurzfristigere Tendenz der letzten zwölf Jahre dargestellt ist. Es gibt also in den letzten Jahren steigende Verluste, aber die von den Grünen beschriebenen hohen Einbußen von über 50 Prozent in den letzten 20 Jahrensind hier nicht sichtbar.

Brutbestandsentwicklung

Abbildung 1: Brutbestandsentwicklung über 25 Jahre (oben) bzw. 12 Jahre (unten) von 192 Vogelarten, die sich zur Brutzeit überwiegend von tierischer Nahrung ernähren. Quelle: Statusbericht „Vögel in Deutschland 2014“, Seite 12.

Diese hohen Einbußen dürften bestimmte einzelne Arten betreffen und das soll hier nicht verharmlost werden. Hier soll auch nicht behauptet werden, dass Landwirtschaft und die dort verwendeten Insektizide keine negativen Auswirkungen auf Insekten und ihre Fressfeinde hätten. Aber für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln gibt es Gründe. Seit den Anfangszeiten der Landwirtschaft haben Menschen Mittel gegen Schadinsekten eingesetzt und auch in der von den Grünen beworbenen Biolandwirtschaft werden Insektizide eingesetzt. Das ist auch logisch, denn selbst der Biobauer hat ein ökonomisches Interesse daran, dass auf seinen Feldern mehr Nutzpflanzen als bunte Blumen wachsen, egal was das Foto auf seiner Website verspricht. Biolandwirtschaft hat geringere Erträge pro Fläche, also würde eine Agrarwende mehr Fläche benötigen. Das wäre für den Naturschutz genauso schädlich, wenn auch aus anderen Gründen. Es gilt hier also, zwischen den Schäden beider Methoden abzuwägen und Kompromisse zu finden. Oder bessere Pflanzenschutzmittel zu entwickeln, die geringere Schäden haben. Daran wird auch gearbeitet.

„Eine Zunahme landwirtschaftlich genutzter Fläche ist kein allgemeiner Trend in Deutschland.“

Aber was könnte sich in den letzten zwölf Jahren geändert haben, womit sich sinkende Bestände mancher Vogelarten erklären ließen?

Die von Naturschützern kritisierten Neonicotinoide, die als hochwirksames Insektizid in der Landwirtschaft eingesetzt werden, müssen selbstverständlich als Ursache in Betracht gezogen werden. Allerdings werden diese Stoffe schon länger als zwölf Jahre eingesetzt. Das meistverkaufte Neonicotinoid (Imidacloprid) wird seit Anfang der 1990er Jahre verkauft. Seine Auswirkungen hätten sich also schon im 25-Jahres-Zeitraum zeigen sollen, was natürlich nur bei etwa gleichbleibendem Verbrauch zuträfe. Wie sich die Tendenz der ausgebrachten Menge in Deutschland und in der EU entwickelt hat, konnte ich nicht ermitteln. In den USA hat sie sich seit 2010 stark erhöht, allerdings hauptsächlich im Soja-Anbau, weshalb das mit Deutschland sicher nicht vergleichbar ist.

Artenrückgang durch die Energiewende?

Aber was hat sich sonst noch in den letzten zwölf Jahren geändert? Eine sehr deutliche Änderung zeigt Abbildung 2, in der insektenfressende Arten bezüglich ihres Zugverhaltens verglichen werden.

Abbildung 2: Brutbestandsentwicklung über 25 Jahre (links) bzw. 12 Jahre (rechts) von 94 Vogelarten, die sich zur Brutzeit (Altvögel) überwiegend von Kleininsekten und Spinnentieren ernähren, differenziert bezüglich ihres Zugverhaltens. Quelle: Statusbericht „Vögel in Deutschland 2014“, Seite 23.

Während bei Teilziehern und stationären Arten nur geringe Tendenzen zu Artenschwund zu sehen sind, gibt es einen sehr starken Rückgang bei Zugvögeln. Sind Zugvögel durch ihre weiten Flüge außerhalb der EU bedroht? Zugvögel wurden schon lange in einigen nordafrikanischen Ländern gefangen. Dieser Fang hat aber in den letzten Jahren massiv zugenommen, was 2013 durch eine Dokumentation des Bayrischen Rundfunks bekannt wurde. Vor allem entlang der ägyptischen Küste werden jährlich Millionen europäischer Zugvögel in einer fast lückenlosen 700 Kilometer langen Kette von Fangnetzen erbeutet. Es hat insofern wenig Sinn, in Deutschland eine Agrarwende als Lösung fordern, obwohl das Problem vielleicht ein ganz anderes ist.

Eine zweite Änderung in den letzten zwölf Jahren ist die Beendigung der Flächenstilllegungen in der Landwirtschaft. Diese Maßnahmen hatten zunächst nur ökonomische Gründe, zeigten aber schnell sehr positive Wirkungen auf die Artenvielfalt in den nicht mehr genutzten Gegenden. Im Herbst 2007 wurde die Flächenstilllegung in Deutschland beendet, seitdem müssen keine Ackerflächen mehr stillgelegt werden.

„Naturschützer beklagen schon lange die ‚Vermaisung‘ der Landschaft und einen damit verbundenen Artenrückgang.“

Eine dritte auffällige Entwicklung hängt ausgerechnet mit dem grünen Thema der Energiewende in Deutschland zusammen. Seit Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von 2004 ist ein sehr starker Anstieg von Biogasanlagen zu verzeichnen (siehe Abbildung 3).

Anzahl der Biogasanlagen in Deutschland in den Jahren 1992 bis 2016

Abbildung 3: Anzahl der Biogasanlagen in Deutschland in den Jahren 1992 bis 2016. Quelle: de.statista.com

Die schädlichen Auswirkungen der Biogasanlagen auf Klima und Natur hatte ich schon einmal in einem Artikel beschrieben. Hier deshalb nur die Kurzform: Für Biogas wird hauptsächlich Mais angebaut. Während man zwischen anderen Getreidesorten auch gelegentlich zum Beispiel Kornblumen sehen kann, wächst auf Maisfeldern praktisch nichts Anderes. Dort leben außer Blattläusen auch keine Insekten oder Spinnen, diese Flächen sind ökologische Wüsten. Durch die Höhe des Maises und der damit verbundenen Abschattung sind auch die Randbereiche der Felder schlechter für blühende Pflanzen und damit für Insekten geeignet. Naturschützer beklagen schon lange die „Vermaisung“ der Landschaft und einen damit verbundenen Artenrückgang, vor allem von Vögeln. Vielleicht sollten die Grünen also besser die naturgefährdenden Auswüchse der von ihnen so geliebten Energiewende überdenken. Im von ihnen für den Artenschwund kritisierten Bundesland Nordrhein-Westfalen wird sehr viel Mais für Biogasanlagen angebaut. Das folgende Zitat stammt aus einem Artikel von 2011, also dürften die Zahlen inzwischen noch weiter gestiegen sein:

„Sieben Prozent der Ackerflächen in NRW werden bereits für den Anbau von Energiemais genutzt. Seit 2007 ist die Menge an Mais, die in NRW produziert wird, um zwölf Prozent gestiegen. Im Regierungsbezirk Münster sind mehr als ein Drittel aller Felder mit Mais besetzt. Ein Großteil davon wandert in eine der fast 500 Biogasanlagen, die es inzwischen in NRW gibt.“

Nach Winterweizen ist Mais deutschlandweit inzwischen die zweithäufigste angebaute Getreideart. Das kann man Bauern auch kaum vorwerfen – wenn die Bundesregierung mit Subventionen solche falschen Anreize gibt, liegt die Schuld bei ihr.

„Wenn die Bundesregierung mit Subventionen falsche Anreize gibt, liegt die Schuld bei ihr.“

Kann man damit den Rückgang mancher Vogelarten erklären? Letztlich muss man auch die Datenquelle selbst anzweifeln. Woher weiß man eigentlich, wie viele Vögel oder Brutpaare in einer Gegend leben? Zählt die jemand? Ja, daran sind viele Freiwillige beteiligt, der Statusreport „Vögel in Deutschland 2014“ erwähnt, dass sich rund 6000 Personen am ehrenamtlichen Vogel-Monitoring beteiligten. Ende 2015 waren über 15.000 Personen bei ornitho.de registriert, wo man Vogel-Beobachtungen online eintragen kann. Das sind relativ viele Beteiligte, wenn man es mit der Erfassung anderer Tiere wie zum Beispiel Amphibien und Reptilien vergleicht. Aber trotzdem ist zu hinterfragen, ob man mit diesen Beobachtungen ausreichend viele der in einer Gegend lebenden Brutpaare erfassen kann? Finden die Beobachtungen nur am Futterhaus vor dem eigenen Fenster statt oder ziehen auch genügend Interessierte nach draußen in entferntere Gegenden? Werden da auch die etwas „langweiligeren“ Gebiete mit viel Landwirtschaft ausreichend untersucht? Fehlen vielleicht nur Fundberichte aus Gegenden, in denen man nun auf dieser mangelhaften Datenbasis einen Individuenrückgang berechnet hat?

Bestandsentwicklung der Schmetterlinge

Eine solche Ursache könnte zum registrierten Rückgang der Schmetterlinge beigetragen haben. Die Bundestagsfraktion der Grünen beruft sich auf eine (von ihnen selbst in Auftrag gegebene) Studie, der zufolge 40 Prozent der Tagfalter vom Aussterben bedroht sind. Ein Wert, der im Flächen- und Agrarland NRW sogar fast 70 Prozent erreicht. Vielleicht stimmt das ja auch. Und da es, wie schon erwähnt, „nur wenige belastbare Angaben“ über den Insektenbestand gibt, kann es sogar noch schlimmer sein. Aber wie kommt der Verfasser der Studie auf diese Daten? Nun, er hat lediglich die Arten gezählt, die auf der Roten Liste stehen. Das sagt aber nichts über Tendenzen aus. Nirgends in dieser Studie wird erwähnt, ob diese Arten vielleicht schon immer auf dieser Liste standen und sich seitdem auf dem gefährdeten Niveau stabil gehalten haben. Nirgends steht, ob inzwischen mehr Arten gelistet sind als früher oder ob vielleicht umgekehrt heute weniger darin zu finden sind. Über Deutschland solche Vergleichsdaten zwischen früheren und heutigen Artenmengen auf Roten Listen zu finden, ist eine etwas mühsame Fleißarbeit, da bei uns alles von jedem Bundesland einzeln erfasst wird und in den vorhandenen Veröffentlichungen nicht immer solche Vergleiche enthalten sind.

In unserem Nachbarland, der Schweiz, ist man da vorbildlicher. In der Publikation Rote Liste der Tagfalter und Widderchen – Gefährdete Arten der Schweiz, Stand 2012 kann man einen Vergleich von 2012 mit der Roten Liste von 1994 ziehen: In beiden Jahren standen viele Arten auf der Roten Liste, aber 2012 waren es weniger. Natürlich müsste man das noch detaillierter betrachten (zum Beispiel wurden inzwischen ausgestorbene Arten vielleicht von der Liste entfernt), aber hier soll es ja nicht um die Schweiz gehen, sondern um Prinzipien der Auswertung. Sicher ist die Schweiz auch nicht mit Deutschland vergleichbar und noch weniger dürfte die Schweiz mit Nordrhein-Westfalen vergleichbar sein. Aber ohne Vergleiche früherer Gefährdungen, also ohne Tendenzbewertungen, kann man nicht behaupten, dass Bestände aktuell abnehmen oder gar verschwinden.

„Ohne Vergleiche früherer Gefährdungen kann man nicht behaupten, dass Bestände aktuell abnehmen oder gar verschwinden.“

Für NRW gibt es eine „Rote Liste der gefährdeten Schmetterlinge“. In dieser gibt es zwar keinen Vergleich in Zahlenwerten zu früher, dafür aber neben Informationen zu Ursachen des Rückgangs von Schmetterlingen auch eine sehr bemerkenswerte Aussage: Ausgerechnet übertriebene Naturschutzmaßnahmen verhindern, dass sich genügend interessierter Nachwuchs findet, der zur Datenerhebung dringend benötigt würde. Denn man macht sich in NRW ausgerechnet damit strafbar, wenn man die zu untersuchenden Schmetterlinge fängt. Ohne Fang lassen sich aber viele Arten nicht bestimmen:

„Die Lepidopterenfauna ist in ständiger Bewegung. Populationen und Arten verschwinden, wenige neue treten auf. Alle diese Vorgänge zu beobachten und zu dokumentieren, Ursachen Für den Wandel zu erforschen und Schutzvorschläge zu erarbeiten, haben sich freiwillige Mitarbeiter der lepidopterologischen Arbeitsgemeinschaften und entomologischen Vereine verschrieben. Die bisherige Bundesartenschutzverordnung, die Schmetterlinge wie Wirbeltiere eingestuft hat und den Fang von mehreren hundert Falterarten unter Strafe stellt, hat durch ihre Handhabung in Nordrhein-Westfalen (…) das Forschen zwar erschwert, die engagierten Lepidopterologen aber nicht abhalten können, intensiv Daten zu erheben und Belegexemplare zu sammeln. Ohne ihr Tun hätte diese Rote Liste gar nicht erstellt werden können. Verheerend hat sich die Bundesartenschutzverordnung aber auf den Nachwuchs der Vereine ausgewirkt. Ein den Behörden bekannter Schmetterlingskundler bekommt leicht eine Genehmigung zum Fang aus Forschungsgründen, ein unbekannter jugendlicher Forschungsinteressent, der für seine Erforschungs- und Bestimmungsarbeit erst eine Vergleichssammlung aufbauen muss, bekommt eine Genehmigung selten oder nie. So hält man Jugendliche von der Lepidopterologie ab und leistet einer Überalterung der Vereine Vorschub – mit der Folge, dass bald unwiederbringliches Wissen verloren gehen wird. Von den Universitäten angeregte Studentenarbeiten bieten keinen Ersatz, da diese sich meist nur mit Tagfaltern beschäftigen.“

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