01.03.2000

Ost-hellenistisches Türkenreich

Satire von Sinasi Dikmen.

Ganz Europa ist begierig zu erfahren, warum die Griechen und die Türken plötzlich so gut miteinander auskommen. Der Grund liegt in der Zukunft der beiden Länder, und die Verständigung darüber kam auf folgende Weise zustande:
Eines Tages wartete der Chef des türkischen Geheimdienstes mit einer Überraschung auf. ”Meine sehr geehrten und ehrenvollen Herren Minister”, sprach er, ”meine Mitarbeiter haben herausgefunden, dass der deutsche Altbundeskanzler korrupt ist.” Der Satz schlug ein wie ein Blitz. Die Minister sassen wie versteinert in ihren Sesseln, es herrschte eine Stimmung wie vor einem Putsch. Plötzlich schrie einer hysterisch: ”Verflucht seien diese Deutschen! Sie sollen sich zum Teufel scheren!” Der Bildungsminister löste sich aus seiner komatösen Starre: ”Meine Herren, ab heute wird jeder Schüler und jeder Lehrer in der Türkei, wenn er deutsch spricht, zunächst enthäutet und entmannt, dann enthauptet, dann aufgehängt und erschossen.” Der Verteidigungsminister brüllte: ”Meine Herren Minister, hiermit erkläre ich den Deutschen den Krieg, weil sie unser Bild vom Deutschen mit Gewalt kaputtgemacht haben!” Der Innenminister ging dem Aussenminister an die Kehle: ”Und du Idiot wolltest mehr Menschenrechte, so wie in Europa, du hast unsere ureigenen türkischen Eigenschaften vergewaltigt, du hast behauptet, in Europa gäbe es keine Korruption, du -” ”Das ist nicht alles, meine ehrwürdigen Minister”, unterbrach der türkische 007, ”Jörg Haider, ein Österreicher ohne Bart, ein Undemokrat, sei an der Macht, wird gemunkelt.”
Das gab der Ministerrunde den Rest. Das Chaos war nicht aufzuhalten, der Innenminister wollte den Aussenminister aus dem Fenster schmeißen, der Kulturminister wollte seinen Staatssekretär für Theater und Musik erdrosseln, weil der Staatssekretär immer in Österreich, wo er studiert hat, Ski gefahren ist, der Bauminister kaute an den Fingernägeln, der Landwirtschaftsminister tobte, der Finanzminister schnappte, purpurrot im Gesicht, nach Luft… Der Ministerpräsident ließ nacheinander die Botschafter von Deutschland und Österreich und dann auch von Griechenland zu sich kommen.

Es sei nicht wahr, sagte der Deutsche, dass der Bundeskanzler a.D. korrupt sei. Er habe das Geld, das die Farbe seiner Partei hat, nämlich schwarz, in die Kasse, die die Farbe seiner Partei hat, nämlich schwarz, gesteckt. Es wäre Korruption, wenn er sich daran bereichert hätte. Seine Partei aber habe das Geld zum Wohle des Landes ausgegeben. Ohne die Farbe Schwarz hätte die Demokratie in Deutschland schwarz gesehen.
Jörg Haider sei kein Nazi, erklärte der Österreicher, er mag bloß die Juden nicht, denn er ist ein echter Österreicher. Jederzeit sei er bereit, sich dafür einzusetzen, dass jeder Jude in Österreich einen israelischen Pass bekäme.
Dann sprach der Ministerpräsident mit dem Griechen. ”Hör mir mal zu, mein lieber Nachbar”, begann er, ”findest du es gut, dass wir uns zwingen, Europäer zu werden, wo die Europäer sich doch mittlerweile orientalisiert haben? Ich meine, wir sollten eine andere Richtung einschlagen. Tun wir uns zusammen, gründen wir eine Gemeinschaft, wo alt-hellenistische und türkisch-moslemische Werte herrschen, wo der Jude Jude bleiben darf. Ich habe auch schon eine Idee: Konstituieren wir das Ost-hellenistische Türkenreich!”
Ich habe den Verdacht, lieber Leser, die Türken und die Griechen meinen es ernst.

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