27.01.2011

Fortschritt ist möglich – aber: Oh Himmel über Berlin!

Essay von Frank Alva Buecheler

Der erfolgreiche Friedrichstadtpalast und die erfolglose FDP – Anmerkung zu einem genauso beispielhaften wie beispiellosen Vorgang.

Der erfolgreiche Friedrichstadtpalast und die erfolglose FDP – Anmerkung zu einem genauso beispielhaften wie beispiellosen Vorgang.


Unweit der Spree schipperte der Theatertanker Friedrichstadtpalast etliche lange Spielzeiten in seichten Gewässern, und das nicht nur ästhetisch. Auslastungen und Umsätze gingen von Saison zu Saison nicht dramatisch, aber zuverlässig um ein paar Punkte zurück. Vergeblich wurden neue Intendanten angeheuert. Im Herbst 2007 übernahm das Ruder schließlich Dr. Berndt Schmidt, den keiner wirklich kannte. Jetzt kennt man ihn. (Wozu er, ganz ein Mann des Marketings, mit seiner stets aufgeknöpften Eventpräsenz auch nach Kräften beiträgt.)

Schmidt ließ die Bühne des Friedrichstadtpalastes noch einmal neu vermessen und es stellte sich heraus, dass sie die größte der Welt ist. Das größte Revuetheater Europas ist der Friedrichstadtpalast sowieso. Seine hinreissende Betonoptik kann mit den Designkuriositäten im DDR-Museum ein paar Meter spreeaufwärts mühelos mithalten. Für das Traditionshaus des Entertainmenttheaters also alles wunderbare Unique Selling Points. Zu deutsch: Alleinstellungsmerkmale. Und die weiß der Neue an der Spitze zu nutzen. In drei Jahren verschaffte er – Team und Ensemble dabei offenbar gut auf Kurs – dem Schlachtschiff der Revuekunst ein kleines Theaterwunder. Und es könnte noch ein ganz großes werden! Wenn denn Piraten aus dem politischen Lager die frisch aufgenommene Fahrt nicht stoppen – Was es zu verhindern gilt: Kampf der Kunstkarperei!

Das faktische Geschehen: Als Intendant Berndt Schmidt 2007 die Intendanz übernahm, lag der Kartenumsatz nur noch bei 12,3 Millionen Euro. Schlagartig steigerte er sich und den Umsatz kontinuierlich, im letzten Jahr wurden 19,1 Millionen erreicht. Das ist in diesem Drei-Jahres-Zeitraum ein Plus von 55 Prozent! Zusammen mit Gastronomie, Gastspielen, Vermietungen und Veranstaltungen erwirtschaftet der Friedrichstadtpalast 2010 sogar einen Umsatz von 21,2 Millionen. Diese Zahlen wurden am 4. Januar 2011 mit verständlichem Stolz aufs Erreichte der Presse mitgeteilt.

Schon am Tag darauf meldet dpa: „Wegen des gestiegenen Umsatzes beim Berliner Friedrichstadtpalast will die FDP-Fraktion die Subventionen für das Revuetheater um 50 Prozent kürzen. „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um diese positive Entwicklung zu nutzen und die Subventionerung des Hauses stufenweise zurückzufahren“, sagte der kulturpolitische Sprecher, Volker Thiel.“

Da kann man nur die Hände überm Kopf zusammenschlagen und sagen: Jetzt ist für vieles der richtige Zeitpunkt, aber auf alle Fälle nicht für Herrn Thiel und für Subventionskürzungen! Ja, Himmel, was wäre denn das für ein Signal an alle öffentlichen Kulturinstitute!? Das hieße doch: Strengt Euch nicht an, bloß keine neue Ideen, keine neuen Konzepte, dann werdet Ihr sofort bestraft! Na sauber! Wenn das Politik ist, wird da ja ganze Arbeit geleistet…

Wäre es denn – frage ich mich, der ich kein Politiker bin – nicht allein schon machtpolitischer Urinstinkt, sich – berechtigt oder nicht – möglichst auf die Gewinnerseite zu stellen, selbst wenn man sich dorthin mogeln muss? Auf den Erfolgreichen einzudreschen, erscheint mir, gelinde gesagt eine verblüffende Konsequenz, die inhaltlich um 180 Grad jedes Ziel verfehlt.

Dem Kulturpolitiksprecher Volker Thiel habe ich zweimal das Gespräch mit der Chance zur Nachbesserung angeboten, auch mit dem Hinweis, dass ich über den Vorgang schreiben würde. Er hat in zwei knappen Mails abgelehnt und darauf verwiesen, dass er gemäß eines Beschlusses der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus handele. Das machts nicht besser.

Wie könnte es die Politik aber besser machen? Der Erfolg des Friedrichstadtpalastes ist kein singulärer Glücksfall, sondern eine stabile Tendenz. Da wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, den Erfolg zu unterstützen, abzusichern und ihm eine Basis für die Zukunft zu verschaffen.

Die Staatsmittel für den Friedrichstadtpalast betragen übrigens knapp 6,5 Mio Euro und gut eine halbe Million weniger als Berlin allein seinem Staatsballett zukommen lässt, nämlich 7,15 Mio (0,6 gibts für Sasha Waltz & Guests, 19,6 fürs Deutsche Theater, 12 Mio fürs Berliner Ensemble – um nur einige zu nennen und die Größenordnungen zu skizzieren). Fast eine Viertelmillion der Gäste des Friedrichstadtpalastes sind Touristen, die in Berlin übernachten und hier durchschnittlich fast 200 Euro täglich auf den Kopf hauen – theaterbesuchende Berlinbesucher bleiben im Schnitt dreieinhalb Tage in der Stadt.

Die Botschaft der Politik an das große Haus in der Friedrichstraße und seine Leitung könnte also etwa heißen: Lasst uns zusammensetzen und sehen, was wir tun können! Vielleicht eine Zielvereinbarung über fünf Jahre? Wollt Ihr, um beweglicher bei Euren Vorhaben zu sein, die darin garantierten Mittel sukzessive oder in andren Tranchen?

Doch letztlich muss es auch im Interesse der Geschäftführung des Friedrichstadtpalastes sein, sich von den Unbillen der Politik und der mit zittriger Hand gehaltenen Subventionsspritze zu emanzipieren.

Aber das braucht Voraussetzungen! Beispielsweise die Übertragung der Immobilie, damit das Management zukünftig über bankenübliche Sicherheiten verfügen kann, um sich am Kapitalmarkt die Liquidität für Investionen – in Produktionen, Gebäude, Betrieb – zu verschaffen. Andererseits wäre zu verhandeln, wie Berlin dafür in Zukunft am Erfolg partizipieren würde – die Stadt könnte hier Geld verdienen! Auch könnte es von Nutzen sein, der Betriebs-GmbH eine KG zur Aufnahme privater Investoren anzuschließen. Vielleicht wäre eine Stiftung ein Modell. Oder/und ein Donatorensystem. Sollte man das Ensemble verdoppeln und durch die Welt touren lassen, nach dem Muster etwa des Cirque du Soleil? Es gäbe so manche Option!

Berndt Schmidt ist nur zu wünschen, dass er unter den einflussreichen Politikern auf einfallsreichere trifft als einen einfallslosen, zum Glück einflusslosen Volker Thiel und dass der Aufsichtsrat kompetent und innovativ zu agieren vermag. Dann könnte der Friedrichstadtpalast zur ganz großen Erfolgsgeschichte werden – für Berlin, das Publikum, die Mitarbeiter, das Theater! 


P.S. Ich äußere mich in der Struktur-Debatte grundsätzlich nicht öffentlich zu einzelnen Häusern oder Produktionen. Ich bin kein Kritiker, sondern Kollege. (Der versucht, das Beste oder Besseres für Kunst + Künstler in schwierigen Globalisierungszeiten herauszuschlagen.) Doch Dogmen sind zu meiden, keine Regel ohne Ausnahme!... Also, mein Vorstellungsbesuch letzte Woche im Friedrichstadtpalast: An der Kasse wird mir die Karte von freundlich lächelnder Dame ausgehändigt, am Eingang kontrolliert sie ein freundlich lächelnder Herr. Im Foyer steht ein Opel in Silbermetallic rum. Silberne Dekoteile hängen als Mobiles über den Treppenaufgängen und das Publikum trägt hier gerne C&A. Der Weißwein zu sechs Euro ist okay, der Rote zum selben Preis nicht ganz. Die freundliche Barkeeperin fragt, ob sie schon etwas für die Pause reservieren dürfe, und es fällt einem der Unterkiefer runter, so viel Service in einem deutschen Theater schockiert. Die wollen hier Umsätze und dass man einen schönen Abend hat nicht verhindern! Doch in der Tat fühlt man sich willkommen und gemeint. YMA heißt die Show und ebenso die zu Beginn in silbrig glitzernder Megablüte niederschwebende, sich als „prosexuelles“ Wesen outende Hochglanztranse mit Charlottenburger Hausfrauenfrisur. Sie spricht etwas zu uns von Sehnsucht und Berlin oder von Berlin und Liebe… oder von Sehnsucht und Liebe, oder so. Das bleibt völlig unverständlich, trotz exzellentem Sound. Aber auf eine Story kommt’s hier – leider! – auch nicht an. Die erste Nummer und die Band – imposant überm Bühnenportal postiert – zeigen, was hier gewollt ist und über Strecken erreicht wird: eine first class Show! Das Ensemble ist hyperpräsent und präzise, die Projektionen und Videos sind nichts weniger als brillant, die Designer haben sogar die tödlich riesige Bühne im Griff, das kann sich (fast) alles sehen lassen. Die Girlreihe ist umwerfend, die Tänzer sind sexy – und was Synchronität betrifft, können die Kollegen vom Staatsballett sich hier was abgucken. Die Kostüme sind showy, immer ein bisschen ordinär, aber man hat prominente Modedesigner schon viel schlimmer auf der Theaterbühne scheitern sehen. Das tut Berlins neue Fashionikone Michael Michalsky definitiv nicht. Die Solisten der Produktion sind gut, wirken jedoch zu clean und selbst beim physischen Totaleinsatz verhalten – ein merkwürdiges Phänomen. Die Artisten aber sind grandios, modern, berührend. Mit seiner Qualität überspringt das U-Show Team in seiner atemberaubenden Trampolinnummer sogar die Grenze zur Kunst. Was will man mehr von einem weltstädtischen Entertainment? Nun, die Antwort ist klar: eine präsentere und weniger peinliche Dramaturgie – da könnten die Produzenten von der Friedrichstraße mal bei anderen Theater der Stadt vorbeischauen, beispielsweise auch am Lehniner Platz, wo an der Schaubühne Falk Richter & Anouk van Dijk in ihren Arbeiten schon die Showelemente von morgen vorformulieren. Aber alles in allem – ihr KollegInnen vom Friedrichstadtpalast, ich glaube, ihr habt die richtige Richtung zum Erfolg eingeschlagen! Sicher sein kann man da ja nie – aber einfach weiter machen.

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