19.10.2012

Öko-Erziehung in der Welt der Dinge

Kommentar von Helge Fischer

Wieso Design heute oft so kleingeistig und ambitionslos daherkommt. Der Siegeszug des Nachhaltigkeitsdogmas hat auch die Welt der Gestaltung verändert. Wir brauchen wieder mutigere Ansätze

Es ist eine Binsenweisheit: Auch in früheren Zeiten, als man von heutigem Wohlstand noch nicht einmal träumte, waren die Menschen glücklich. Offenbar können die Menschen auch in sehr restriktiven Gesellschaftsformen oder in technologisch rückständigen und materiell ärmlichen Lebenswelten zufrieden sein, insbesondere dann, wenn sie keine Vorstellung davon haben, wie gut es anderen geht. Glücklicherweise gibt es aber dank Reisefreiheit und Internet kaum mehr Winkel auf dieser Welt, in denen Menschen – arm und irgendwie doch glücklich – keine Chance haben, von Bereicherungen des Lebens zu erfahren, die für sie noch unerreichbar sind, aber ihre Wünsche und ihren Ehrgeiz wecken.

Eine bessere Welt ist also eigentlich für jeden vorstellbar. Designer können einen Beitrag dazu leisten, solche „bessere Zukünfte“ leichter erfahrbar zu machen, fesselnde Lebenswelten zu entwerfen und Träume zu kommunizieren. Doch fällt dies heute nicht leicht, denn es dominieren eher düstere Bilder von der Zukunft, die den Glauben an die positive Gestaltbarkeit der Welt als naiv erscheinen lassen. Fatalismus ist der Feind guten Designs. Wenn wir die Behauptung akzeptieren, das 21. Jahrhundert sei das Jahrhundert der Klimakatastrophen, Ressourcenverknappung, Überbevölkerung und der zerstörerischen Übernutzung der Natur, und schuld sei der Mensch, jene „schwerwiegende planetarische Krankheit“ [1], dann fallen unsere Entwürfe bescheiden, kleinlaut und demütig aus. Dann wird Design zum Appell, unser Verhalten zu zügeln und unsere Erwartungen zurückzuschrauben.

So entstehen vom Nachhaltigkeitsdogma beeinflusste, oft mutlose und kleinliche Entwürfe, die weit hinter dem zurückbleiben, was heutige Technologie, also das Instrumentarium des Menschen, ermöglicht: Stühle aus recycelten Zeitungen, die mit einem Kleber aus Reis zusammengehalten werden [2], mit Pedalkraft betriebene Küchengeräte [3] und Waschmaschinen [4] oder gar ein ebenfalls durch Pedaltreten betriebenes Gerät zur Herstellung von Papier [5]. Es sind immer noch prinzipiell dieselben Produkte, die dieselben Funktionen bereithalten, aber sie sind vielfach mühsamer zu bedienen, verlangen nach mehr Zeit und Einsatz. Sie bewegen sich damit in der Zeit zurück. Wer möchte solche Produkte nutzen?

Oft werden derartige Designs als „angepasste Lösungen“ für Entwicklungsländer vorgestellt. Doch warum sollten die Menschen dort Interesse an im westlichen Zeitgeist liegenden, aber technisch rückschrittlichen Produkten haben? Würden sie nicht ebenfalls lieber die bequemere, in diesem Fall elektrische Variante einer Waschmaschine wählen und sollten sie diese nicht auch erreichen können?

Persuasive Design

Im Bereich Sustainable Design ist ein weiterer Ansatz allerdings noch deutlich unbehaglicher. Sogenanntes „Persuasive Design“ [6] versucht beim Nutzer mit Hilfe von Erkenntnissen aus der Verhaltenspsychologie bestimmte „erwünschte“ Einstellungen und Verhaltensweisen zu befördern. Anstatt durch Informationen zu überzeugen und so eine freie Entscheidung zu ermöglichen, will Persuasive Design Menschen vielfach unbewusst beeinflussen und ihr Denken und Verhalten in eine zuvor als „richtig“ erkannte Richtung lenken. Es versucht, das emotionale, irrationale und impulsive Denken unseres Unterbewusstseins zu manipulieren. Dies wird – mehr oder weniger wissenschaftlich fundiert – natürlich schon seit Jahrzehnten in der Werbung genutzt: Viele kleine Psychotricks sollen dafür sorgen, dass wir dieses kaufen, jenes unterschreiben, dass wir eine Bewertung auf Amazon abgeben [7] oder uns bei Facebook einloggen. Beim „Neuromarketing“ wird untersucht, welche Gehirnareale durch welche Stimuli aktiviert werden und wie dies Kaufentscheidungen beeinflusst. So sollen eine Lautstärkeerhöhung in Bars zu vermehrtem Alkoholkonsum verhelfen und dezente beruhigende Düfte in Kaufhäusern den Verkauf fördern.

Relativ neu ist allerdings, dass – während die „böse Seite“ des Marktes für Persuasive Design übersättigt ist – es nun auch eingesetzt wird, um vermeintlich Gutes zu tun. Das sogenannte Zielverhalten kann hier zum Beispiel sein, mit dem Rauchen aufzuhören, mehr Sport zu treiben, Medizin regelmäßig einzunehmen oder – im Bereich nachhaltigen Handelns – weniger Strom zu verbrauchen oder das Fahrrad zu nutzen. Plötzlich wird also die gezielte Beeinflussung des Unterbewusstseins zum Wohle und im Eigeninteresse des Manipulierten propagiert, um dessen Leben zu verbessern. Das eingesetzte Repertoire an Psychotechniken ist hier ebenfalls breit gefächert und reicht vom Setzen von Zielen, über verschiedene Anreiz- oder Abhaltungssysteme bis hin zu sozialer Kontrolle, Ausgrenzung oder Bevormundung. Das Ziel ist es, „gutes“ Verhalten so automatisiert, so einfach oder auch so suchterzeugend zu machen wie Glücksspiel.

Kleinere Mülleimer zum Beispiel sollen uns dazu verleiten, weniger Abfall zu produzieren – nicht weil wir dies als sinnvoll erachten, sondern einfach, um seltener den Müll rausbringen zu müssen. Der vom MIT Media Lab entwickelte WaterBot [8] hingegen wird am Wasserhahn installiert und misst den Wasserverbrauch. Bei zu langer Wassernutzung gibt das System visuelle und auditive Alarmsignale, beim Zudrehen hingegen gibt es ein positives Audiofeedback. Das zugegebenermaßen clevere „Erratic Radio“ des Interactive Institute in Schweden [9] wiederum empfängt zusätzlich zum eingestellten Sender noch die 50-Hz-Frequenz, die von elektrischen Geräten abgegeben wird und stört somit den Empfang bei gleichzeitiger Nutzung dieser Geräte. Es gibt eine App fürs Auto, die anzeigt, wie energie-effizient gefahren wird und die den Fahrer durch visuelle Hinweise anleitet, möglichst gleichmäßig zu fahren [10]. Zahlreiche Angebote im Internet hoffen auf Nutzer, die im Rahmen eines Wettkampfs versuchen, möglichst viele „Eco-Challenges“ zu bestehen (z.B. eine Woche kein Fleisch essen, einen Gemüsegarten anlegen und so weiter) [11]. Ein drastischeres Beispiel ist das vom Design Lab der Universität in Sydney durchgeführte Projekt „Neighbourhood Scoreboards“ [12]. Die täglichen Veränderungen im Energieverbrauch von teilnehmenden Haushalten wurden hierfür auf großen, der Straße zugewandten Schildern aufgezeigt, zusammen mit lachenden (abnehmender Verbrauch) und weinenden Smileys (steigender Verbrauch) und dem derzeitigen Platz im „Neighbourhood Ranking“ für Energieeinsparungen.

Gestaltete Unentschlossenheit

Die genannten Beispiele wirken einzeln besehen harmlos, es gibt bewusst viele Parallelen zu Videospielen und mitunter machen sie sogar Spaß. Und es mag Lebensbereiche geben, in denen der Einzelne Verhaltenslenkung durch technologische oder soziale Systeme für sich selbst als nützlich empfindet. Wer von der Richtigkeit einer Handlung überzeugt ist, der mag durch sie die nötige Unterstützung erhalten, diese Handlung auch wirklich auszuführen bzw. eine unerwünschte Handlung zu unterlassen. Doch befördert eine breite Anwendung von Persuasive Design, das letztlich eine Ergänzung zu den expliziteren Maßnahmen der Volkserziehung ist, eine regressive Sichtweise auf die Möglichkeiten und Kapazitäten des Menschen: Wir akzeptieren damit, dass wir anscheinend hilflose und schwache Wesen sind, die der Lenkung bedürfen.

Nachhaltiges Design und insbesondere Persuasive Design unterminieren den Glauben in unsere eigenen Fähigkeiten und sind gleichzeitig ein Angriff auf menschliche Selbstverantwortung, Autonomie und Freiheit. Wir trauen weder uns selbst noch der Mehrheit unserer Mitmenschen zu, dass wir richtige Entscheidungen treffen und diese dann auch konsequent umsetzen könnten. Stattdessen akzeptieren wir die strategische Planung und Manipulation unseres Verhaltens durch selbst ernannte Experten, die uns in einer unübersichtlichen Welt den rechten Weg weisen wollen. Die von ihnen entworfenen Systeme und Produkte setzen an Stelle von Willensfreiheit und Wahlmöglichkeit das reine Managen von Nutzerverhalten.

Wenn wir die Lebensbedingungen weiterhin weltweit verbessern möchten, stehen wir vor großen Herausforderungen. Dies ist auch deshalb der Fall, weil wir in der Vergangenheit natürlich bei der Nutzung von Technologien auch falsche Entscheidungen getroffen haben. Doch ist unsere Fähigkeit, Neues zu denken und zu erschaffen und dabei Risiken einzugehen (und also auch Fehler zu machen) nicht das Problem, sondern die Lösung für globale Probleme. Wir sind Zerstörer, aber vor allem Schöpfer und Erschaffer; wir sind Konsumenten, aber vor allem Produzenten. Zu oft beschränkt sich aktuelles nachhaltiges Design auf eine Bewahrung des Status Quo, wenn es nicht sogar Konzepte hervorbringt, die unsere Freiheiten, unsere Wahl- und Ausdrucksmöglichkeiten einengen. Wenn wir in einer Transformationsgesellschaft leben, in der hergebrachte Methoden des Wirtschaftens und Lebens nicht mehr uneingeschränkt tragen, dann benötigen wir jedoch ein Vertrauen in menschliche Intelligenz, Kreativität, Imagination und Kraft. Zukunftsoptimisten sind immer die besseren Designer, denn sie zeigen, wie wir neue Industrien erschaffen, unsere Existenz sichern und Lebenswelten weltweit verbessern können. Sich selbst und die Menschheit hingegen zuvorderst als schwach und hilflos zu sehen, mag in einer komplizierten Welt bequem sein, doch ist es ein Luxus, den wir uns nicht leisten dürfen.

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