01.05.2003

Nicht die Wissenschaft, der Hunger ist der Feind

Analyse von Norman Borlaug

Über die unbegründeten Ängste vor moderner Biotechnologie.

Im Jahre 2000 beteiligte ich mich an einem von den USA und der EU gemeinsam organisierten Beraterforum zum Thema Biotechnologie – berufen vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton und von Roman Prodi, dem Präsidenten der Europäischen Union. Es ging darum, sämtliche biotechnologische Themen, an denen sich beiderseits des Atlantiks die Gemüter erhitzt hatten, zu untersuchen. Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion standen dabei im Mittelpunkt. Während vor allem im Zusammenhang mit den Zulassungsregeln für agri-biotechnologische Produkte mitunter gravierende Meinungsunterschiede existierten, waren sich die meisten der 20 Experten des Forums darin einig, dass die Grüne Gentechnik ein großes Potenzial besitzt, um dramatische nutzbringende Fortschritte im 21. Jahrhundert zu erzielen. Die renommiertesten Wissenschaftsakademien in Nordamerika und in Europa (einschließlich des Vatikan) haben ebenfalls öffentlich erklärt, dass sie die Gentechnologie zur Verbesserung der Quantität, Qualität und Verteilung von Lebensmitteln unterstützen.
Leider schwillt die Diskussion um die Sicherheit und Nützlichkeit von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen trotzdem weiter an, und es scheint, dass sie sich noch mehr erhitzen wird. Die US-Führung überlegt derzeit, vor der Welthandelsorganisation (WTO) gegen das seit vier Jahren bestehende Moratorium der EU bei der Zulassung transgener Pflanzen eine Klage einzureichen. Obwohl die Europäische Kommission darin übereinstimmt, dass das Moratorium beendet werden sollte, weigern sich mehrere EU-Mitgliedsstaaten, dies zu akzeptieren. Sie wollen abwarten, bis strengere Kennzeichnungsregeln für transgene Waren in Kraft sind.
Die US-Regierung hat die WTO-Klage neu in Betracht gezogen, weil der europäische Widerstand gegen die Grüne Gentechnik die Handelspolitik anderer Nationen stark beeinträchtigt – in einem solchen Maße, dass kürzlich sogar einige afrikanische Regierungen trotz einer grassierenden Hungersnot amerikanische Hilfslieferungen, unter denen sich transgene Maissorten befanden, zurückgewiesen haben. Der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick sagte, er habe Informationen darüber erhalten, dass mehrere europäische Staaten damit gedroht hatten, ihre Entwicklungshilfe mit dem Verbot biotechnologischer Produkte in den betroffenen afrikanischen Ländern zu verknüpfen. Die EU bestreitet dies. Falls es sich allerdings doch als wahr herausstellen würde, wäre das eine tragische und zutiefst verantwortungslose Politik.

„Wissenschaftlicher Fortschritt beinhaltet immer ein gewisses Risiko für ungewollte Nebeneffekte. Ein „biologisches Nullrisiko“ ist unerreichbar.“

Es gab zwar schon immer Menschen, die den sozialen Wandel aufhalten wollten. Die Intensität, mit der einige Gruppierungen gegen die Grüne Gentechnik ankämpfen, wurde jedoch zuvor noch nicht an den Tag gelegt. Angesichts der Vorteile, die die Gentechnik durch Einsparung von Pestiziden potenziell auch für den Umweltschutz bietet, ist das zum Teil überraschend. Die gentechnische Modifizierung von Pflanzen hat nichts mit Hexerei zu tun. Es geht dabei um die fortschrittliche Nutzbarmachung der Kräfte der Natur zum Vorteil der Menschen. Die Vorstellung, eine Technologie solle hinter Schloß und Riegel gehalten werden, bis eindeutig bewiesen ist, dass sie keinerlei Schaden anrichten kann, ist unrealistisch und unklug. Wissenschaftlicher Fortschritt beinhaltet immer ein gewisses Risiko für ungewollte Nebeneffekte. Ein „biologisches Nullrisiko“ ist unerreichbar.
Der Präsident Sambias, Levy Mwanawasa, hat mitgeteilt, Anti-Biotech-Gruppen hätten ihm gesagt, die amerikanischen Nahrungsspenden seien „giftig“, weil sie gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten. Auf Grundlage solcher Fehlinformation war er bereit, Tausende von zusätzlichen Hungertoten hinzunehmen, statt die Lebensmittel, die Amerikaner seit Jahren gefahrlos verspeisen, an die Bevölkerung zu verteilen.
Andere afrikanische Regierungen, die ebenfalls mit der Hungersnot zu kämpfen haben, äußerten die Befürchtung, der transgene Mais aus den USA könne sich per Pollenflug ausbreiten, heimische Sorten „kontaminieren“ und zu ökologischen Schäden führen. Außerdem befürchteten sie, der europäische Markt könne für ihre Agrarprodukte verschlossen werden, sollten sie transgene Waren ins Land lassen.
Diese Sorgen sind unbegründet. Mais aus der Klimazone der USA, ob transgene oder herkömmliche Sorten, wird in den tropischen Regionen Afrikas nicht gedeihen. Außerdem sind seine Körner gelb, und die Afrikaner bevorzugen weiße Sorten. Selbst wenn also ein neugieriger afrikanischer Landwirt einige transgene Maiskörner aus den Hilfslieferungen aussäen würde, wäre deren langfristige Kultivierung unwahrscheinlich. Für Sambia, ein Land ohne Zugang zum Meer, mit einem ärmlichen Transportsystem und einer niedrigen Produktivität in der Landwirtschaft, sind die Chancen, in absehbarer Zukunft Mais nach Europa zu exportieren, überdies sehr gering.
Wenn Nationen mit niedrigen Einkommen und Nahrungsmittelknappheit – Nationen, die eigentlich dringend den Zugang zu wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten benötigten – von Regierungen und Interessengruppen privilegierterer Länder dazu angehalten werden, die Biotechnologie zurückzuweisen, und wenn dies auf Grundlage ideologisch inspirierter pseudo-wissenschaftlicher Argumente geschieht, gibt es Anlass zu ernsthafter Sorge. Natürlich müssen in Afrika, wie überall, geeignete Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um die biotechnologische Forschung und die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen zu regulieren. Aber der Versuch, den Menschen die Vorteile der modernen Biowissenschaften zu verwehren, wäre gewissenlos und unzumutbar.

„Vielleicht hätte man die unnötige Aufregung von Verbrauchern in Europa und anderswo gegen den Einsatz transgener Nutzpflanzen vermeiden können, wenn man den Menschen eine bessere Ausbildung in Biologie mit auf den Weg gegeben hätte.“

Die derzeit genutzten transgenen Pflanzen helfen dabei, Insektenbefall und Unkrautprobleme in der Landwirtschaft zu kontrollieren, die Produktionskosten zu senken und die Ernteerträge zu steigern. Zukünftige transgene Pflanzengenerationen werden wahrscheinlich mit Eigenschaften ausgestattet sein, durch die sich ihr Nährstoffgehalt verbessert, was der Gesundheit derer, die sie essen, zugute kommt. All diese Technologien haben für Landwirte und Verbraucher in ärmeren Regionen mehr Vorteile zu bieten als für Menschen in reichen Ländern.
In Kenia werden jetzt zum Beispiel Feldversuche vorbereitet, bei denen virusresistente Süßkartoffeln angebaut werden sollen, die zu 30 bis 50 Prozent Mehrerträgen dieser bedeutenden Nahrungspflanze führen sollen. Virusresistente Bananen und Kartoffeln sind bereits gezüchtet worden. Jedoch werden sie in afrikanischen Ländern, in denen dringend bessere Ernteergebnisse nötig wären, zurückgehalten. In Indien sind Forscher damit beschäftigt, einen Wirkstoff gegen die Rinderpest zu entwickeln, der mit gentechnischen Verfahren in Erdnusspflanzen eingebaut werden kann. Afrikanische Bauern müssten ihr Vieh dann nur mit diesen Erdnusspflanzen füttern, um sie vor der Rinderpest zu schützen – vorausgesetzt, man erlaubt diese Biotechnologie.
Vielleicht hätte man die unnötige Aufregung von Verbrauchern in Europa und anderswo gegen den Einsatz transgener Nutzpflanzen vermeiden können, wenn man den Menschen eine bessere Ausbildung in Biologie mit auf den Weg gegeben hätte. Diese Bildungslücke – die zu einer bedenklichen Ignoranz gegenüber den Herausforderungen und der Komplexität von Agrar- und Nahrungsmittelsystemen geführt hat – sollte umgehend behoben werden.
Privilegierte Gesellschaften können sich den Luxus erlauben, im Zusammenhang mit transgenen Pflanzen eine Niedrig-Risiko-Position einzunehmen, selbst wenn sich später herausstellen sollte, dass diese Haltung unbegründet war. Aber die große Mehrheit der Menschheit kann solchen Luxus nicht in Anspruch nehmen – schon gar nicht die hungrigen Opfer von Kriegen, Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen. Ohne die angemessene Bereitstellung von Nahrungsmitteln zu erschwinglichen Preisen können wir im globalen Maßstab keine verbesserte Gesundheitslage und auch nicht mehr Wohlstand und Frieden erwarten. Nicht der vernünftige Einsatz der Biotechnologie ist der Feind, sondern der Hunger.

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