01.07.2014

Natur: Macht sie euch untertan!

Essay von Jan-Philipp Hein

Mit der Verklärung der Natur als heile Welt beschwören Greenpeace und ähnliche Umweltorganisationen ein Idyll, das es nie gegeben hat, analysiert Jan-Philipp Hein. Gerade die Beherrschung der Natur ermöglicht menschlichen Fortschritt und die Lösung zentraler Probleme

Und Gott segnete sie und sprach zu Ihnen: „Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ Und so kam es dann auch. Man kann wohl sagen: Vers 26 des ersten Kapitels des ersten Buch Mose dürfte zur vollsten Zufriedenheit des Schöpfers erfüllt worden sein. Es reicht übrigens, nur einen einzigen Buchstaben zu verschieben, dann wird aus der göttlichen Weisung das, was Grüne, sogenannte Naturschützer und andere als grausame Realität betrachten: „Seid fuRchtbar… macht sie euch untertan…“

Es gibt keinen Zweifel: Wir Menschen haben die Natur besiegt. Wir legen Flüsse um, wenn Sie einem Stadtumbau im Weg sind. Wir stauen ihr Wasser, um Energie produzieren zu können, wir essen Tiere, wir produzieren Fleisch sogar im industriellen Maßstab. Wir verändern gezielt das Erbgut von Pflanzen, um sie an Lebensbedingungen anzupassen, die die Natur so nicht für sie vorgesehen hatte. Wir spalten außerdem Atome und erhitzen mit der gewonnen Wärme Wasser. Den dabei entstehenden Dampf lassen wir Turbinen antreiben, die Strom in unsere Hochspannungs-Netze einspeisen, mit dem wir Mikrowellen, Telefone, Fotokopierer, Smartphones oder Solarien betreiben.

Ingenieure haben so lange rumgetüftelt, bis es Flugzeuge mit Düsenantrieb gab. Und wer im Flug aus ihren Bullaugen blickt, sieht meist auf Kulturlandschaften – abgezirkelte Flächen, auf denen Tiere grasen oder Getreide angebaut wird. Die sind zwar oft recht grün, haben jedoch mit Natur nicht viel zu tun.

Grausam sei das, meinen Sie? Wir vergewaltigen unseren Planeten, denken Sie?
Es gibt noch eine andere Perspektive auf diese Welt: Dank Gentechnik können wir Hungersnöte bekämpfen und Nährstoffmangel besiegen. Die moderne Medizin rettet Frühgeborene, die sonst keine Chancen hätten, zu überleben. Am anderen Ende des Lebens wirkt die Medizin verlängernd und schmerzlindernd. Tumore werden bestrahlt, Lebern, Nieren und sogar Herzen transplantiert.

„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was minus vier Dioptrien für Sie als Steinzeitmensch im Auge des Mammut bedeutet hätten?“

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was minus vier Dioptrien für Sie als Steinzeitmensch im Auge des Mammut bedeutet hätten? Fielmann gab es noch nicht. Damals galten Darwins Gesetze großflächig, soweit sie nicht hier und da schon mit dem Faustkeil oder einem Rad überlistet werden konnten. Wie man es dreht und wendet: Es ist ein Segen, die Natur besiegt zu haben. Gleichzeitig schreit uns die Sehnsucht nach der Natur oder dem, was für Natur gehalten wird, von jeder Plakatwand an. Kosmetika, Nahrungsmittel oder Wellnessprodukte sollen uns immer „das Beste aus der Natur“ liefern, weil wir es uns wert seien. So oder ähnlich ruft es uns die Werbung zu.

„Mutter Natur“, so wird uns suggeriert, sei immer gut für uns. Das ist reichlich infantil. Natur ist ein ziemlich grausames Prinzip. Natur bedeutet hohe Säuglingssterblichkeit, Natur ist das Recht des Stärkeren, des Schnelleren, des Skrupelloseren, die Natur würde Menschen mit Behinderungen einfach aussortieren und angeborene Herzfehler wären ein natürliches Todesurteil. Mit ihren grausamen Prinzipien schafft die Natur dieses berühmte „natürliche Gleichgewicht“, nach dem seltsamerweise so viele streben. Wir sollten dagegen froh sein, darauf nicht mehr angewiesen zu sein und uns darüber erhoben zu haben. Inklusion ist zum Beispiel kein natürliches Prinzip, sondern eine zutiefst menschliche Idee. Die Natur hätte auch keine Rollstühle oder Herzschrittmacher erfunden. Das alles wird natürlich (!) keinen Öko-Romantiker daran hindern, einen „Einklang mit der Natur“ anzumahnen.

„Die Bio-Bewegung braucht die Verachtung der Moderne, um zu funktionieren.“

Nehmen wir die Bio-Bewegung: Die braucht die Verachtung der Moderne, um zu funktionieren. Dass etwa der Flächenverbrauch unter den Öko-Standards massiv steigen würde, kann diesen Sektierern egal sein, weil den meisten Leuten das Geld fehlt, um Bio-Lebensmittel zu kaufen. Man bleibt gutverdienend unter sich. Das Gros der Nahrung wird sowieso industriell produziert. Anders geht es gar nicht. Und während man abends sein Demeter-Gemüse verputzt, wird sich darüber empört, dass Forscher auf die Idee kommen, mit genetisch manipulierten Reissorten lebensbedrohliche Ernährungsmangelerscheinungen in weniger glücklichen Gegenden der Welt lindern zu wollen.

Die Zivilisationsmüdigkeit und Fortschrittsverachtung kommt so als Kulturimperialismus daher. Greenpeace exportiert diese Haltung auf der ganzen Welt. Die Kampagne gegen den sogenannten „Goldenen Reis“ ist ein bedrückendes Beispiel dafür. Die Reissorte könnte unzählige Kinder vor Erblindung durch Vitamin A-Mangel retten. Greenpeace warnt dagegen davor, dass der Reis ein „Trojanisches Pferd“ sei und mit ihm eine gentechnik-freundliche Kultur auf der Welt etabliert werden könnte. Greenpeace-Mitbegründer Patrick Moore warnt mittlerweile vor seinem ehemaligen Mitstreitern: „Moralische Abgründe“ sieht er bei der Naturschutzorganisation, der er eine „Desinformationskampagne“ vorwirft.

„Im Falle Greenpeace gilt: Einfach mal die Fresse halten!“

Im Falle Greenpeace gilt: Einfach mal die Fresse halten! Das könnte generell eine gute Idee sein, bevor man von den postmateriellen Wohlstandsinseln seine guten Ideen Menschen in anderen Teilen der Erde zuruft, die sich akut gegen die Zumutungen der Natur verteidigen müssen und noch nicht die Zeit haben, bei einem Fair-Trade-Bio-Latte mit Sojamilch im Manufaktum-Katalog zu blättern.

Mehr als sieben Milliarden Menschen leben auf der Erde. Wer will ernsthaft bestreiten, dass die Lebensmittelindustrie und nicht die Nahrungsmanufaktur der richtige Weg ist, diese riesige Menge zu versorgen? Gleichzeitig rennen wir durch unsere Supermärkte und kaufen Milchtüten, auf denen einsame Kühe auf einer Wiese grasen, im Hintergrund eine schneebedeckte Bergkuppe. Oder wir sehen die einsame Bäuerin beim Melken. Und die Manufaktur-Welt regt sich dann über diese Form der Verbrauchertäuschungen auf, während sie selbst diesen Utopien nachrennt.

Man kann das als wohlstandsgenährte romantische Spinnerei abtun, wenn darin nicht auch eine gewaltige Portion Zynismus und Verachtung steckte. Denn denkt man diese Haltung zu Ende, so ist der Mensch das Problem. Eine hohe Lebenserwartung und viel Nachwuchs werden als Belastung des Planeten gesehen und nicht als Segen.

„Gott hatte einfach nur einen klaren Auftrag, der recht weise ist: ‚Macht sie euch untertan!‘“

Dieser Gott damals aus dem ersten Buch Mose war ziemlich schlau und ahnte offenbar, was passieren wird und dass seine Kreaturen sich flott vermehren würden – die Sexualrestriktionen kommen religionsgeschichtlich erst später. Dieser Gott salbaderte nicht rum, verlangte auch nicht, „im Einklang mit der Natur“ zu leben, er hatte einfach nur einen klaren Auftrag, der recht weise ist: „Macht sie euch untertan!“

Mittlerweile macht er aber eine andere Erfahrung: „Der Prophet gilt im eigenen Land nichts“, heißt es. Gott gilt im eigenen Laden nichts, stimmt auch. Jeder evangelische Kirchentag klingt mittlerweile wie ein Konvent antikapitalistischer Öko-Jünger. Neben den veganen Imbissbuden wird meditiert und zur „Achtsamkeit“ aufgerufen. Vermutlich ist es nur die Anbiederei an die vielen Naturfreunde. Hoffentlich nichts Ernstes. Fruchtbar bleiben!

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