01.07.2000

Nachhaltige Entwicklung ist für Afrika eine Sackgasse

Analyse

Der schwarze Kontinent kann es sich nicht leisten, sich nachhaltig zu entwickeln. Der Erdteil braucht schleunigst moderne Technologie und Investitionen, warnt DeRoy Kwesi Andrew.

Dass ganz besonders in Afrika Wirtschaft und Natur nachhaltig entwickelt werden müssten, davon war in den letzten Jahren viel zu hören. Die Apologeten nachhaltiger Entwicklung argumentieren im Allgemeinen sehr emotional; ihre Sache nehmen sie als Mission zur Rettung der Nachgeborenen – derjenigen, die noch gar nicht existieren. Um die Idee der Nachhaltigkeit weiter gegen jedwede Kritik zu festigen, werden besonders gern eingeborene Lebensweisen und örtliche Traditionen als Vorbilder gepriesen. Im Mittelpunkt zukünftiger Entwicklung soll der Mensch stehen, der Mensch mit seinen lokalen Gebräuchen, Sitten und Denkweisen.
Darüber hinaus, so erfährt man, müssten den lokalen Bedingungen angepasste Technologien verwendet werden; ohne diese sei Entwicklung nicht möglich. Als Begründung wird gerne angeführt, dass Menschen in der Dritten Welt mit Hochtechnologie nicht richtig umgehen können. Es folgen dann zur Illustration zahlreiche Beispiele dafür, wie Projekte scheiterten, weil sie auf “westliche” Hightech setzten – Technologie, die versagte, weil sie nicht gewartet und repariert werden konnte

Ich halte diese Argumentation für einen Vorwand, mit dem im Westen versucht wird, Afrika von Wachstum und technischem Fortschritt abzuschneiden. Nichts spricht dafür, dass die Menschen in Afrika nicht dazu in der Lage wären, sich die Fähigkeiten anzueignen, die nötig sind, um moderne Maschinen zu bedienen. Das häufige Scheitern früherer Entwicklungsprojekte rührte allein daher, dass die Investitionen in Afrika und anderen Ländern der Dritten Welt viel zu niedrig waren, um den technischen Standard westlicher Länder zu erreichen und Projekte am Leben zu erhalten. Was Not tut, ist demnach keine angepasste Technologie;

“Was benötigt wird, sind vielmehr Investitionen”

in eine Computerindustrie, in moderne Landwirtschaft, Bergbau, Energieerzeugung und das Bildungssystem. Mit solchen Investitionen, davon bin ich fest überzeugt, wird sich Afrika ohne weiteres an den technologischen Standard “anpassen”, den es tatsächlich bitter nötig hat.
 

Was ich von Ghanas Auftritt auf der EXPO halte: DeRoy Kwesi Andrew hat eine andere Vorstellung von der Zukunft seines Landes. Ghanas EXPO-Präsentation wurde leider unter Ausschluss der Öffentlichkeit konzipiert. Dass die Interessen der Ghanaer nicht berücksichtigt wurden, zeigt das Thema der Schau “Ghanas Vision 2020”, zu der es heißt, Ghana wolle “seine ehrgeizigen Pläne für die nächsten Jahrzehnte unter bewusster Bewahrung traditioneller Werte und Fertigkeiten erreichen”. Das ist Lichtjahre von den wirklichen Problemen Ghanas entfernt; ich finde ein solches Motto geradezu zynisch. Meiner Meinung nach hätte Ghanas Beitrag die ehrgeizigen Pläne für die nächsten Jahrzehnte im Hinblick auf Wissenschaft und Hightech vorstellen sollen. Traditionelle Werte und Fertigkeiten sind für Ghana von geringer Bedeutung. Zur Entwicklung des Landes können sie sicher nicht beitragen. Obwohl die Bedeutung kultureller Traditionen heute oft beschworen wird, hat noch niemand belegt, wie diese irgendwo in Afrika Motor für Fortschritt sein konnten. Ganz im Gegenteil: Traditionelle Werte und traditionelles Wissen existieren schon lange. Gebracht haben sie nichts – weder erhöhten sie den Lebensstandard, noch konnten sie die Armut in Afrika reduzieren. Tradition bedeutet für Afrika Stillstand, Rückschritt, Aberglaube und Bauchnabelschau. All das kann die Lage höchstens verschlimmern, indem es jede Kreativität und jede Entwicklung lähmt. Welche Rolle können traditionelle Praktiken wie zum Beispiel Wilderei, Brandfeldwirtschaft oder Kleinfischerei in unseren modernen, dicht besiedelten Welt noch spielen? Schaut man sich den Prozess menschlicher Zivilisation an, zeigt sich, dass das Wohlstandsgefälle zwischen Nationen seine Ursache im Gefälle technischer Entwicklung hat. Der Einsatz moderner Technologie könnte die meisten wirtschaftlichen Probleme und Umweltprobleme Ghanas lösen. In Ghana müsste deshalb in eine Automobil-, eine Computer- und eine Schwerindustrie investiert werden – und nicht, wie vorgeschlagen, in den Kakum Nationalpark. Denn wie soll die Ökosphäre dieses Nationalparks Ghana entwickeln? Die wenigen Einnahmen, die durch Ökotouristen aus den reichen Industriestaaten erzielt werden, reichen dazu auf keinen Fall. Ghana muss unbedingt seine Industrie und Infrastruktur ausbauen. Ghana benötigt dringend eine bessere Energieversorgung, z.B. durch neue Staudämme oder moderne Atomkraftwerke. Die derzeitige Energieknappheit macht es unmöglich, Industrie und Verkehrswesen zu entwickeln. Kann Ghana aber erst einmal genügend Energie produzieren, lassen sich auch neueste Maschinen betreiben, kann ausreichend Trinkwasser produziert werden, lässt sich ein modernes Gesundheitswesen aufbauen und kann Ghanas Kommunikationsstruktur endlich auf ein Level gebracht werden, dass es erlaubt, das Land flächendeckend ans Internet anzuschließen. Eine Entwicklung, die traditionelle Werte anpreist und nur diese “entwickeln” will, ist die zynische Vision zivilisationsmüder westlicher Eliten. Vielleicht wollen sie Ghana tatsächlich in einen Naturpark, ein Biotop und ein ethnologisches Museum verwandeln. Ich als Ghanaer möchte in solch einem Panoptikum jedenfalls nicht leben müssen.

 

Ein anderes Steckenpferd westlicher Planer ist, dass Entwicklung von unten nach oben, dezentralisiert, basisdemokratisch, von den Graswurzeln aus erfolgen muss. Entwicklung soll demnach am untersten Ende der ärmsten Gesellschaften beginnen.
Andererseits wird nachhaltige Entwicklung damit begründet, die natürlichen Ressourcen müssten für zukünftige Generationen geschont werden. Die ganze Debatte wird dadurch emotional stark aufgeladen und moralisch verbrämt. Spürt man diesen Argumenten ein wenig kritisch nach, wird schnell klar, dass es unmöglich ist, Entwicklung zu bewirken, wenn man gleichzeitig natürliche Ressourcen schonen und nur die “Errungenschaften” der Ärmsten zum Motor einer solchen Entwicklung machen will. Warum ich das denke, will ich im Folgenden ausführen.

“Unter dem Motto “Nachhaltige Entwicklung” versuchen westliche Staaten, Afrika von tatsächlicher Entwicklung abzuschneiden”

Unter dem Motto “Nachhaltige Entwicklung” versuchen westliche Staaten, Afrika von tatsächlicher Entwicklung abzuschneiden und sie auf sich selbst zu verweisen – allerdings mit dem Hinweis, die Länder Afrikas dürften dabei nicht den “westlichen Weg” gehen (und auch nicht auf westlichen Wohlstand hoffen). Afrika hat ein hohes Potential an menschlichen Ressourcen (Begabung, Intelligenz) und ebenso an natürlichen. Eine “Ressource” als solche gibt es aber nicht.Unter dem Motto “Nachhaltige Entwicklung” versuchen westliche Staaten, Afrika von tatsächlicher Entwicklung abzuschneiden und sie auf sich selbst zu verweisen – allerdings mit dem Hinweis, die Länder Afrikas dürften dabei nicht den “westlichen Weg” gehen (und auch nicht auf westlichen Wohlstand hoffen). Afrika hat ein hohes Potential an menschlichen Ressourcen (Begabung, Intelligenz) und ebenso an natürlichen. Eine “Ressource” als solche gibt es aber nicht.Von Ressourcen kann nur dann gesprochen werden, wenn Gesellschaften sie als solche begreifen und entsprechend nutzen können. Lange Zeit galten die Meere beispielsweise nur als Barriere, als nasse Grenze, die die Menschen in ihrem Handeln einschränkten. Erst als ein gewisses Maß an gesellschaftlicher und technischer Entwicklung erfolgt war, gelang es, das Meer als Ressource zu nutzen – als Transportweg, als Nahrungsbringer, als Quelle von Mineralstoffen. Von dieser Entwicklung hat die Menschheit sehr profitiert.
Neuerungen wie die Nutzung der Elektrizität, das Telefon und Flugzeuge, Neuerungen, die die Lebensqualität verbessert haben, kamen nur zustande, weil ein Wille zur Veränderung (und die Möglichkeit, eine solche Veränderung zu bewirken) die Natur nutzbar machte. Die Phänomene der Natur sind für den Menschen als solche nutzlos oder auch gefährlich; als Ressourcen bringen sie ihm Nutzen und Vorteil. Ein Berg zum Beispiel kann einfach nur nutzlos sein. Er kann durch Lawinen und Bergstürze auch gefährlich sein. Nützlich wird er erst dann, wenn es gelingt, ihm durch Bergbau Ressourcen abzutrotzen oder ihn durch moderne Landwirtschaft fruchtbar zu machen.Gegen diese Argumentation wird häufig angeführt, eine zu intensive Nutzung von Ressourcen habe zur Ausdehnung von Wüsten, zur Entwaldung, Verseuchung und zur Bodenerosion geführt. Dennoch gilt nach wie vor, dass

“Entwicklung bedeutet, Ressourcen optimal zu nutzen.”

In Afrika konnte bisher ein großer Teil der Ressourcen noch überhaupt nicht genutzt werden (ich rede hier nur von den bereits bekannten Ressourcen, es dürfte noch zahllose unbekannte geben). In Ghana geht man davon aus, dass die heute bekannten Goldvorkommen noch 200 Jahre vorhalten; das Öl, das in West-Ghana entdeckt wurde, wird noch kaum genutzt. Daneben gibt es zahllose andere mineralische Ressourcen, aber auch solche in der Landwirtschaft, die unbedingt erschlossen und genutzt werden müssen, um Ghana aufzubauen. Mit nachhaltiger Entwicklung werden diese Möglichkeiten brach liegen bleiben.

Afrika muss sich entscheiden, welchen Weg es gehen möchte. Durch nachhaltige Entwicklung wird der momentan schlechte Zustand nur konserviert werden. Es wäre deshalb an der Zeit, einen anderen Weg zu beschreiten, die Ressourcen nutzbar zu machen – nutzbar für die Afrikanerinnen und Afrikaner und nicht für westliche Konzerne – und den “westlichen” Weg der Entwicklung einzuschlagen, der ja schließlich auch Europa, die USA und Japan zu dem gemacht hat, was sie heute sind. (“Westlich” steht hier in Anführungszeichen, da Erfindungen sowie Errungenschaften technischer oder sozialer Art, wo immer sie auch zuerst zustande kamen, selbstverständlich der Menschheit gehören und nicht irgendeinem Breiten- oder Längengrad).
 

Kleine EXPO-Brötchen für Ghana: Das westafrikanische Land Ghana ist in der Afrika-Halle (Halle 12) mit einem eigenen Ausstellungsbeitrag vertreten. Als beispielhaftes Projekt für “umweltschonenden Tourismus” wird den Besuchern ein “ungewöhnliches Naturerlebnis” präsentiert: der Kakum Nationalpark. Von der Plattform in einem Baum aus schaut man auf die Strohdächer eines traditionellen ghanaischen Dorfes herab, dessen Anwohner noch im Einklang mit der Natur gelebt haben sollen. Auch über den Sklavenhandel wird informiert. Auf der EXPO-Website “Ghanas Vision 2020” heißt es: “Ghana will seine ehrgeizigen Pläne für die nächsten Jahrzehnte unter bewusster Bewahrung traditioneller Werte und Fertigkeiten erreichen.” Doch von ehrgeizigen Plänen ist auf dem EXPO-Gelände nichts zu sehen. Stattdessen darf man an einer nachgebauten Kultstätte verweilen und meditieren und manchmal Handwerkern zuschauen, wie sie Stoffe in Kente-Technik weben oder mit Andikra-Symbolen bedrucken. Kulturell wird auch anderweitig viel geboten: Im Rahmen des Nationentag Ghana am 14. Juli gibt es Darbietungen von ghanaischer Folklore, am 21. Juli spielt die ghanaische Band Nokoko Ye, und am 24. September hat die Musik- und Clownshow Adesa ihren Auftritt. Als “weitweites Projekt” in Ghana mit Unterstützung der deutschen Entwicklungshilfe wird auf der EXPO-Site lediglich ein Programm zur AIDS-Prävention und Kontrolle vorgestellt: ein Aufklärungsprogramm für Jugendliche sowie Maßnahmen zur Betreuung von bereits Erkrankten. In Verbindung mit der systematischen Erfassung von AIDS-Fällen sei es gelungen, die Zahl der Neuansteckungen in Ghana “allmählich” zu reduzieren. Des weiteren wird das Navrongo-Gesundheitsforschungszentrum im nördlichen Ghana präsentiert. Dazu heißt es: “Während qualifizierte afrikanische Mediziner sonst häufig auswandern, weil ihnen der Kontinent keine angemessene Möglichkeit zur Forschung bietet, kehrten in den neunziger Jahren schon sieben Top-Wissenschaftler zurück, um in Navrongo zu arbeiten.” Ansonsten erfährt man über die EXPO-Suchmaschine, dass auch in Ghana insektizidbehandelte Moskitonetze eingeführt wurden, um die Kindersterblichkeitsrate durch Malaria zu senken.

 

Die weitere Entwicklung wird demnach davon abhängen, ob und wie es in Afrika gelingt, technische und sozio-ökonomische Entwicklung zu bewirken. Der hohe Lebensstandard in Europa und anderswo ist das Ergebnis von Wagemut, von Experimenten, von der Nutzung natürlicher und menschlicher Ressourcen. Den Pionieren im Westen war es durchaus klar, dass Veränderung, dass die Nutzung von Ressourcen zuweilen auch unangenehme Nebeneffekte mit sich bringt. Sie haben dennoch gehandelt, da sie wussten, um viel vieles größer die Bedeutung ihrer Errungenschaften für die Menschheit sein würde.

Nachhaltige Entwicklung darf kein Vorwand dafür sein, die Umwelt zu konservieren, um sie im Ist-Zustand an zukünftige Generationen weiterzureichen. Dies würde nämlich zum einen bedeuten, die Bedürfnisse der heute lebenden Afrikanerinnen und Afrikaner zu ignorieren. Zum anderen hat jede neue Generation ohnehin neue Vorstellungen davon, was sie erreichen möchte. Die neue Philosophie einer Generation ist für die nächste schon Teil ihres allgemeinen Gedankenguts. Wir können die Probleme zukünftiger Generationen ebenso wenig erahnen und ihre Vorstellungen vom guten Leben vorhersehen, wie vergangene Generationen für uns hätten leben können.

Auch natürliche Ressourcen erfahren im Lauf der Zeit eine Umwertung. Zu einer bestimmten Zeit kann eine Ressource sehr nützlich sein (und entsprechend stark genutzt werden), zu einer anderen vergleichsweise bedeutungslos. Im Westen wurden lange Zeit vor allem Holz und Holzkohle genutzt, dann Kohle, später Öl und Atomenergie. In der Zukunft wird vielleicht der Sonnenenergie die größte Bedeutung zukommen. Der Schritt von einem zum nächsten erfolgte aber nicht dadurch, dass man beschloss, die Natur nachhaltig zu nutzen (also zu schonen), sondern durch ständige Forschung, durch das ständige Bemühen, die Natur neu, anders, intensiver zu nutzen.

Ein anderes Thema zeigt, wie schlecht Afrika sich nachhaltige Entwicklung leisten kann: die gewaltigen Auslandsschulden. Die Schulden Afrikas beim IWF, bei der Weltbank und bei westlichen Staaten können auch ansatzweise nur bezahlt werden durch die Nutzung und den Verkauf derjenigen Ressourcen, von denen der IWF, die Weltbank und die westlichen Staaten meinen, Afrika solle sie schonen. Aus dem Verkauf von Naturprodukten bleibt wenig übrig, das dazu dienen könnte, eine unabhängige, zukunftsorientierte Wirtschaft in Afrika aufzubauen. Gerade die Tatsache, dass alle afrikanischen Nationalökonomien sehr stark auf Rohstoffen basieren, müsste den Staaten des Westens zeigen, dass ihre Idee von nachhaltiger Entwicklung für Afrika nicht gangbar ist.

In Afrika kann erst dann nachhaltiger Wohlstand geschaffen werden, wenn die folgenden Punkte erreicht sind:

  • Bedingungslose Streichung der Auslandsschulden
  • Verwendung fortgeschrittener Technologien in Landwirtschaft, Industrie, Verwaltung, Kommunikation, Gesundheits- und Bildungswesen; Förderprogramme, um dies zu ermöglichen
  • Faire Handelsbedingungen für die Staaten Afrikas, damit diese für ihre Produkte angemessene Preise erzielen können
  • Anschluss an die internationalen Finanzmärkte
  • Gleichberechtigter kultureller und Bildungsaustausch

Erst nach Durchsetzung dieser Ziele sind auch wirklich die Grundlagen für Entwicklung in Afrika geschaffen. Erst dann können Afrikanerinnen und Afrikaner damit beginnen, sich gemeinsam mit den Menschen im Westen darüber auseinander zu setzen, wie Ressourcen und die Umwelt nachhaltig genutzt werden können.

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