07.03.2012

Muslimstudie: Berliner Forschergruppe entlarvt Bild und Bundesinnenminister

Von Birol Kocaman

Studie belegt: Die allermeisten Muslime haben kein Problem mit der Integration. Dennoch hatte die Studie erst einmal vor allem negative Presse. Ein Berliner Forscherteam zeigt, wie mit Hilfe tendenziöser Deutungen antiislamische Ressentiments geschürt werden. Birol Kocaman berichtet

Einer aktuellen Studie des Bundesinnenministeriums zufolge, die am letzten Donnerstag in Berlin von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vorgestellt wurde, sind die allermeisten Muslime in Deutschland bestrebt, sich gut zu integrieren. Außerdem lehnen sie Gewalt und Terror ab. Dennoch ist die mediale Berichterstattung weitestgehend negativ. Den Grundstein dafür legte das Bundesinnenministerium selbst.

Es stellte die Studie einen Tag vor Veröffentlichung dem Boulevardblatt Bild exklusiv zur Verfügung. Dieses titelte vor der offiziellen Bekanntmachung der Untersuchung: „Studie belegt: Jeder fünfte Muslim in Deutschland will sich nicht integrieren“. Darunter sind einige vermeintliche Ergebnisse der Studie zusammengefasst. Etwa dass 24 Prozent der nicht-deutschen Muslime im Alter zwischen 14 und 32 Jahren als „streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ gelten. 33 Prozent hätten zudem Vorurteile gegenüber Juden geäußert. „Bei jungen Muslimen mit deutscher Staatsbürgerschaft sind es dagegen 15 Prozent, die als streng religiös gelten, den Westen ablehnen und ideologisch fundierte Gewalt als Mittel zur Verteidigung gegen die Bedrohung durch den Westen akzeptieren“, schreibt die Bild-Redaktion weiter. Auf Bild-Nachfrage habe der Bundesinnenminister gesagt: „Deutschland achtet die Herkunft und kulturelle Identität seiner Zuwanderer. Aber wir akzeptieren nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten. Wer Freiheit und Demokratie bekämpft, wird hier keine Zukunft haben.“

Berliner Forschergruppe entlarvt Bild und Friedrich

Die Forschergruppe HEYMAT an der Humboldt Universität Berlin hat sich die Studie nun näher angeschaut und eine vorläufige Stellungnahme veröffentlicht, die dem Fachmagazin für Migration und Integration in Deutschland MiGAZIN vorliegt. Darin gehen die Wissenschaftler um Dr. Naika Foroutan insbesondere den in den Medien kursierenden Zahlen nach und kommen zu überraschenden Ergebnissen.

So beruht die Quote von 15 Prozent der „deutschen Muslime“, die als „streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz ohne Integrationstendenz“ (S. 293) bezeichnet werden, auf Aussagen von nur 25 Personen! Bei den „nicht-deutschen Muslimen“ sind es immerhin noch 112 Befragte.

Zahlen nicht repräsentativ, Fragen suggestiv

Foroutan verweist in diesem Zusammenhang auf die Studie selbst. „Wichtig ist an dieser Stelle, noch einmal darauf hinzuweisen, dass diese und die folgenden Prozentangaben keinesfalls weder auf alle in Deutschland lebenden Muslime im Allgemeinen noch auf alle in Deutschland lebenden jungen Muslime im Alter von 14 bis 32 Jahren hochgerechnet werden können und dürfen“, stellen die Autoren der Studie ausdrücklich fest. Auch die Art und Weise der Fragestellungen bemängeln Foroutan und ihr Team: „Solange die westliche Welt andere Völker ausbeutet oder unterdrückt, wird es keinen Frieden auf der Welt geben.“ Wer diese Suggestivfrage Frage bejaht, bekommt einen Minuspunkt.

Gelten bei Muslimen andere Maßstäbe?

In Bezug auf Vorurteile gegenüber Juden etwa stellt die Berliner Forschergruppe fest, dass der Trend zu populistischen Einstellungen in der deutschen und anderen europäischen Gesellschaften seit Jahren bei cirka 15-20 Prozent liege. „Warum sollte das bei Muslimen anders sein?“, fragen sie, ohne „relativieren“ zu wollen. An die Langzeitstudie der Bielefelder Universität „Deutsche Zustände“ erinnert in diesem Zusammenhang Sevim Da?delen, migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei. Ein Blick in die jährliche Studie verrate, „dass Gewaltprobleme keine Frage der Kultur oder Religion sind“. „Knapp zehn Prozent der Deutschen billigen Gewalt, zwanzig Prozent sind bereit, selbst Gewalt zur Sicherung der eigenen Position auszuüben“, so die Politikerin. „Das verschweigt die Bundesregierung und schürt so rassistische Ressentiments. Das ist Wasser auf die Mühlen von Rassisten und der NPD.“

Reichen Bildung, Sprache und Arbeit nicht mehr?

Ein weiteres Grundsätzliches Problem der Studie ist laut HEYMAT: „Ist jemand, der seiner Herkunftskultur verhaftet bleibt, gleichzeitig die deutsche Sprache perfekt spricht und strukturell voll integriert ist, aber angibt die die deutsche Kultur nicht übernehmen zu wollen, integriert? Laut der Studie wäre diese Person ohne Integrationsneigung.“ Auffällig sei in diesem Zusammenhang, dass das Wort „Abitur“ in der 760-seitigen Studie kein einziges Mal vorkomme. Hier entstehe der Eindruck, „als ob die Messlatte für eine gelungene Integration stetig angezogen werde, so dass sich der Frustrationsmoment einer nie abschließend gelingenden Integration speziell bei Menschen mit muslimischem Hintergrund in Deutschland einstellt“.

Tendenziöse Zusammenfassung

Sind Erfolge im Bildungssektor, Arbeitsmarkt, bei Freundschafts- und Nachbarschaftskontakten, bei Vereinsmitgliedschaften und Sprache nachweisbar, reiche dies für die gesellschaftliche Wahrnehmung „noch immer nicht, um integriert zu sein“. Jetzt gehe es um das Gefühl zur deutschen Kultur und somit die Bereitschaft zu ihrer Übernahme.
Die Wissenschaftler fragen, „warum die Studie zuerst der Bild-Zeitung zur Verfügung stand“ und „Wissenschaftler erst einen Tag später überhaupt Zugang dazu erhalten haben“. Und es bleibe offen, warum eine solch „tendenziöse Zusammenfassung“ aus dieser Studie hervorgehe.

Schröder hat’s auch versucht

Kritik ernten Friedrich und sein Ministerium auch aus der Politik und selbst vom Koalitionspartner FDP. „Ich muss mich schon wundern, dass das BMI erneut Steuergelder darauf verwendet, eine Studie zu finanzieren, die Schlagzeilen produziert, aber keinerlei Erkenntnisse“, sagte etwa der integrationspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Serkan Tören, der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der integrationspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Memet K?l?ç, verweist auf einen ähnlichen Fall: „Vor etwa 15 Monaten hat die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder dasselbe versucht. Sie hat sich bereits im Vorfeld einer Studie über die Gewalttätigkeit unter männlichen muslimischen Jugendlichen geäußert. Ohne das Ergebnis der Studie zu kennen, hat sie eine hohe Gewaltbereitschaft unter jungen Muslimen verkündet.“ In der Vorstellung der Studie hatten die Verfasser dagegen betont, dass es für eine höhere Gewaltbereitschaft junger Muslime keinen wissenschaftlichen Beleg gibt.

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